Читать книгу Bullshit-Bingo - Ina Taus - Страница 8
KAPITEL 3
ОглавлениеEin wenig überfordert folgte ich dem Mädchen ins Innere unseres Miniapartments, das aus einem kleinen Vorraum, einem Bad und zwei Einzelzimmern bestand. Das wusste ich bereits dank des Plans, den ich mir auf der Website des Wohnheims angesehen hatte. Es hätte auch noch andere Wohnvarianten gegeben. Einzel-, Dreier- oder auch Viererbelegung war hier möglich, doch ich war froh, überhaupt noch ein Zimmer bekommen zu haben. Vor allem, weil man laut Website der Universität das erste Jahr in einem der Wohnheime wohnen musste. Ausnahmen ausgeschlossen.
Wäre ich jetzt allein gewesen, hätte ich mich einfach mitten in den Wohnraum gelegt, mich danach hin und her gerollt und laut gequietscht. Okay … ich hätte es auch gemacht, wenn nur East im Zimmer gewesen wäre, aber so wollte ich meine neue Mitbewohnerin nicht gleich verschrecken.
Artig streckte ich ihr die Hand entgegen. »Hey, mein Name ist Haley. Du musst Madison sein.« Man hatte mir schon im Vorfeld den Namen meiner Mitbewohnerin genannt, deshalb musste ich nicht mehr lang danach fragen.
Madison lächelte mich herzlich an, ignorierte die ausgestreckte Hand und zog mich stattdessen kurz an sich. »Ich bin eine große Freundin von Umarmungen«, erklärte sie, und drückte mich weiter wie ein übergroßes Stofftier an ihre Brust. Ein weiblicher Olaf also.
Als sie mich wieder losließ, strahlte sie über das ganze Gesicht. »Gewöhn dich dran.«
O mein Gott. Sie war nicht nur wie Olaf, sondern auch wie Easton. Nur eben in weiblich. Ich hatte schon immer eine große Schwester statt eines nervigen, ständig vor sich hin pupsenden Bruders gewollt. Das hier war das Paradies.
Madison war auf den ersten Blick aber nicht nur ein weiblicher Easton, sondern auch eine Mischung aus girly Girl und toughem Mädchen. Optisch würde sie meiner Meinung nach eher vor eine Kamera gehören statt ans College, denn sie war unbeschreiblich hübsch. Große blaue Augen, volle Lippen, gerade Nase mit genau dem richtigen Grad an Stupsigkeit, um als niedlich durchzugehen.
Am besten sah ich jetzt nicht zu East, der bestimmt schon den Boden vollgesabbert hatte.
»Du bist direkt«, stelle ich fest. »Das mag ich.«
»Dann kommen wir bestimmt gut miteinander aus«, sagte sie gut gelaunt. Wieder wippte sie auf ihren Zehen auf und ab, als hätte sie zu viel Energie, um ruhig stehen zu bleiben. Vielleicht trank sie aber auch einfach zu viel Red Bull, genau wie ich.
Nach diesem ersten gegenseitigen Beschnuppern standen wir uns etwas unschlüssig gegenüber, mussten aber beide lachen, als uns ganz offensichtlich gleichzeitig klar wurde, dass es irgendwie dämlich war, sich stumm zu mustern.
»Na, hol endlich deinen Freund rein«, sagte Madison dann und zeigte auf Easton, der im Türrahmen stehen geblieben war und meinen ersten Mitbewohnerinnen-Moment gnädigerweise nicht durch dämliche Kommentare gestört hatte. Manchmal konnte er sich ja doch benehmen.
Erst etwas verspätet kam der Sinn von Madisons Worten bei mir an. Sofort schüttelte ich den Kopf. »O nein. Nein, nein, nein und noch mal nein«, schrie ich beinahe. »Das ist nicht mein Freund.«
»So was von absolut nicht«, kam mir auch Easton zu Hilfe und klang tatsächlich ein wenig angewidert. So schlimm war ich nun auch wieder nicht.
»Aber ihr zankt euch wie ein altes Ehepaar. Entweder habt ihr so ein abgedrehtes Hass-Ding am Laufen oder …« Nun schlug sie sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Sorry, manchmal habe ich wirklich ein Brett vor dem Kopf. Ihr seid Geschwister, oder?«
»Jup«, bestätigte mein Bruder. »Ich bin Easton.« Er schlenderte auf Madison zu. Dieser Dummkopf war eindeutig auch auf eine Umarmung – oder mehr – von Madison scharf.
»Denk nicht einmal dran, Easton Evans«, rügte ich ihn. »Meine Mitbewohnerin ist für dich tabu.«
Meine Warnung wäre aber gar nicht notwendig gewesen, denn Madison reichte ihm nur die Hand, die Easton sichtlich enttäuscht schüttelte. An mich gewandt sagte sie: »Mach dir keine Sorgen. Ich bin glücklich vergeben und keine brüderverschlingende Mitbewohnerin aus der Hölle.« Es war offiziell. Ich würde nie wieder eine bessere Mitbewohnerin als Madison bekommen.
»Wohnt dein Freund auch hier?«, fragte ich nach. Erstens weil es mich interessierte und zweitens, damit East auch tatsächlich verstand, dass er die Pfoten von Madison lassen sollte. Er schüttelte nämlich immer noch ihre Hand.
Eine hochgezogene Augenbraue von Madison reichte, und schon ließ er los. »Nein, er lebt in einem Verbindungshaus.«
»Und du nicht?«
Sie wollte gerade antworten, doch endlich kam ein wenig Bewegung in meinen Bruder, denn Easton, der sein Interesse in dem Moment an Madison verloren hatte, in dem das Wort Freund endlich in seinem Gehirn angekommen war, murmelte: »Ich hol mal die restlichen Kartons aus dem Auto.«
Ich warf ihm seinen Autoschlüssel zu. »Danke.«
»Also«, begann Madison und öffnete die Tür zu einem weiteren Raum. Sie trat hinein und ich folgte ihr. »Nummer eins.«
Das Zimmer war nicht besonders groß und mit einem Einzelbett, Schreibtisch, Kommode und einem kleinen Schrank nur spärlich eingerichtet. Die Möbel waren nicht neu, aber relativ modern und in einem hellen Braunton gehalten. Mit ein bisschen Deko würde ich mich hier bestimmt wohlfühlen.
»Komm, sehen wir uns noch das zweite Zimmer an«, sagte Madison und ich trottete ihr hinterher. Auf dem Weg durch den Vorraum antwortete sie verspätet auf meine Frage. »Ich hätte dieses Jahr auch ins Verbindungshaus ziehen können, aber ich wollte nicht.« Sie öffnete die Tür zum zweiten Zimmer. Während ich mich auch hier umsah – alles war gleich, nur spiegelverkehrt –, bekam ich gleichzeitig einen Einblick in Madisons Leben. »Es ist so, dass mein Freund der Verbindungspräsident der Crossbones ist. So nennt sich Rho Kappa Eta selbst. Er studiert im fünften Semester und wir haben uns bereits kennengelernt, bevor ich mich an der Uni eingeschrieben habe. Und das nur dank meiner besten Freundin Piper. Sie studiert auch hier, ebenfalls fünftes Semester, und hat mir Colton vorgestellt, als ich sie mal an einem Wochenende besucht habe.« Colton. Freund. Piper. Beste Freundin. Das musste ich mir unbedingt merken. »Aber du weißt ja, wie das ist. Damals war ich noch an der Highschool und Colton eben hier, und es war für uns beide nichts Ernstes.« Sie setzte sich auf die nackte Matratze des Bettes, während ich mich immer noch in der Nähe der Tür herumdrückte. »Aber ich wollte unbedingt an die Penn, weil Piper hier studiert und da es ein gutes Schwimmteam gibt. Ein bisschen waren auch die ganzen Sportler ausschlaggebend, die hier studieren.« Madison wurde um die Nase herum ein wenig rot.
»Und wieso wohnst du dann nicht mit Piper zusammen?«
»Oh, das haben wir. Voriges Jahr, aber Piper ist ebenfalls Mitglied bei Rho Kappa Eta, und nach zwei Jahren im Wohnheim wollte sie lieber ins Verbindungshaus ziehen.«
»Warte!« Ich hob die Hände, um sie am Weitersprechen zu hindern. »Die sind in der gleichen Verbindung? Ich dachte immer, es gibt nur Bruder- oder Schwesternschaften?«
»Zum Glück sind einige Verbindungen bereits im 21. Jahrhundert angekommen.«
»Scheint so.« Mir gefiel der Gedanke, dass es gemischtgeschlechtliche Studentenverbindungen gab, allerdings wusste ich auch, dass das nichts für mich war. Ich war eher der Typ Mensch für einen kleinen, aber feinen Freundeskreis. »Erzähl weiter. Denn wenn jetzt sowohl deine beste Freundin als auch dein Freund im gleichen Verbindungshaus wohnen, wieso bist du dann im Wohnheim?«
»Weil ich beim Lernen gern meine Ruhe habe. Und in Verbindungshäusern ist es komischerweise noch lauter als in den Studentenwohnheimen.« Sie legte den Kopf schief. »Wäre es okay, wenn ich dieses Zimmer nehme?«, fragte Madison plötzlich. »Ich fühle mich hier ganz wohl. Muss ich auch, so redselig, wie ich gerade bin.«
»Es sind ja beide Räume gleich, also ja«, stimmte ich zu und freute mich darüber, dass es mit Madison so unkompliziert war, denn ich war von der spiegelverkehrten Anordnung in Zimmer Nummer eins begeistert.
»Super.« Erfreut klatschte sie in ihre Hände. »Aber zurück zum Thema. Als Piper voriges Jahr bei der Wahl zur neuen Verbindungspräsidentin mitgemacht hat und Vizepräsidentin wurde, wusste ich, dass ich niemals in dieses Verbindungshaus einziehen könnte. Denn ich höre den ganzen Tag extreeeeem viel Verbindungsgequatsche. Genug für zwei Leben. Und aus diesem Grund habe ich mich dieses Jahr für ein Zimmer in Gregory House beworben. Und jetzt sind wir hier.«
»Ich muss gestehen, dass mir deine Geschichte gut gefallen hat.« Auch wenn ich mich wegen der vielen Infos wie eine Biene fühlte, die in einem mörderischen Tempo von Blume zu Blume raste. Mir schwirrte ein wenig der Kopf. »Klingt wie eine Netflixserie, die ich mir definitiv ansehen würde. Wenn der Rest deines Lebens auch so spannend ist, werden wir uns gut verstehen.«
Madison zwinkerte mir zu. »Ich werde dir jeden Tag eine Gutenachtgeschichte erzählen«, machte sie ein nicht ernst zu nehmendes Versprechen. »Oder noch besser: Ich mache dein Leben hier am Campus zu deiner eigenen Serie.«
Schmunzelnd sah ich sie an. »Versprochen?«
»Versprochen.«
Von draußen erklang ein lautes Rumpeln. »Haley? Flechtet ihr euch schon die Haare?« Mein Platz neben der Tür stellte sich als ziemlich nützlich heraus, denn so brauchte ich mich nicht viel bewegen, konnte aber sehen, was im Vorzimmer vor sich ging. Easton hatte mit meinen Umzugskartons einen bemerkenswert großen Turm gebaut.
Gerade als ich ihm antworten wollte, kam mir Madison zuvor: »Nein«, rief sie, »wir sind erst beim Knüpfen der Freundschaftsbänder, aber gleich werden wir unsere Menstruationszyklen abgleichen. Dieser Teil war im Mitbewohnerinnenhandbuch passenderweise rot markiert.« Bewundernd sah ich Madison an, denn ich hatte noch nie jemanden getroffen, der so fließend sarkastisch sprach wie sie.
Ich schenkte ihr einen Brüder-können-so-nervig-sein-Blick und ging zu Easton. Am liebsten wäre ich mit der Begeisterung einer Cheerleaderin auf und ab gehüpft, da ich den Jackpot in der Mitbewohnerinnen-Lotterie gewonnen hatte. Leise flüsterte ich: »Sie ist toll.«
»Ja, das ist sie«, stimmte Easton mir zu. Dass er Madison auf eine ganz andere Art gut fand als ich, war mir klar. Trotzdem freute ich mich über seinen Zuspruch.
Madison erschien im Türrahmen. »Wir haben schon die Zimmer eingeteilt«, ließ sie Easton wissen und zeigte auf den Raum, den wir zuerst besichtigt hatten. »Haley zieht hier ein.«
Mein Bruder sah zwischen meiner neuen Mitbewohnerin und mir hin und her, schnappte sich den ersten Umzugskarton vom schiefen Turm und betrat meine neue Heimat.
Auch ich nahm mir eine Box und sah mich irritiert um. »Hast du nichts mit?«
»Doch.« Madison winkte ab. »Aber als ich vor dem Sommer mein altes WG-Zimmer geräumt habe, wollte ich das meiste Zeug nicht nach Hause schleppen, also habe ich es bei Colton abgestellt.«
Sie ging zu einer kleinen Bank neben der Tür, die gleichzeitig auch ein Schuhregal war, und fischte ein Smartphone aus ihrer Handtasche. Da ich ihr etwas Privatsphäre gönnen wollte, folgte ich Easton in mein Zimmer, der schon den ersten Karton geöffnet hatte. Die Bettwäsche, die ich dank seines Tipps erst zum Schluss eingepackt hatte, lag bereits auf der Matratze.
»Das musst du nicht machen«, sagte ich schnell, und er hielt mitten im Auspacken inne. Ich hatte keine Geheimnisse vor Easton, aber er hatte mir schon geholfen, indem er mich gefahren und Kisten geschleppt hatte.
Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß.« Als wir noch jünger waren, hatte Easton mir bei Kleinigkeiten wie Bettenbeziehen noch helfen müssen, aber diese Zeiten waren lang vorbei. Ich konnte auf eigenen Füßen stehen. Es war also nicht notwendig, mir das Kissen aufschütteln zu lassen und somit den Abschied noch länger hinauszuzögern.
Das wusste auch Easton, und deshalb standen wir uns ein wenig unbeholfen gegenüber. Dafür, dass mein Bruder einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben und sogar ein bisschen ein Mutterersatz war – er würde mich übrigens töten, sollte ich ihn jemals Mom nennen –, stellten wir uns manchmal reichlich blöd an.
»Ich sollte jetzt wohl wieder nach Hause fahren«, meinte er und sah mich ein wenig wehmütig an.
Ich warf mich in seine Arme und saugte noch einmal tief den Geruch nach Heimat ein, der an ihm haftete. »Genau, verschwinde endlich«, sagte ich mit piepsiger Stimme, die meine Worte als Lüge enttarnten.
»Dazu musst du mich erst loslassen, Superhirn.«
Und das tat ich auch. Tapfer nickte ich Easton zu, der mir durch die Haare strubbelte. »Du machst das, Haley. So wie immer.« Und dann drehte er sich um, verließ mein Zimmer und verabschiedete sich im Wohnzimmer höflich von Madison. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss und ich war kurz davor, ihm hinterherzulaufen. Aber das hatte ich lange genug getan – wie ein kleines Entenküken seiner Mom.
Ich schob einen der Kartons zur Seite und ließ mich aufs Bett fallen. So, hier war ich also. Am College. Ohne Dad und ohne Easton. Dafür mit Madison. Und Adam.
Bevor ich zu grübeln anfangen konnte, tauchte meine Mitbewohnerin wieder auf. »Ich kann mich noch an meinen ersten Tag am College erinnern.« Völlig selbstverständlich durchquerte sie mein Zimmer und setzte sich vor meinem Bett auf den Boden.
Fragend sah ich sie an. »Und? Wie war der?«
»Oh, ich habe geheult, nachdem Mom, Dad und meine kleine Schwester gefahren sind.«
»Und das, obwohl deine beste Freundin mit dir zusammengewohnt hat.«
Sie nickte. »Jup. Aber es war eben ein ergreifender Moment.« Möglicherweise hätte ich ebenfalls die eine oder andere Träne vergossen, wenn Madison nicht instinktiv gespürt hätte, dass ich jetzt nicht allein sein wollte.
Sie tätschelte mein Knie. »Soll ich dir beim Auspacken helfen? Ich habe noch eine Stunde Zeit, bis Colton mich abholt.«
Ich biss mir auf die Lippen, um ein vorwurfsvolles »Du gehst noch weg?« zurückzuhalten. Madison konnte natürlich kommen und gehen, wann sie wollte. »Wir können uns auch einfach ein wenig unterhalten«, schlug ich vor, »und ich packe dann aus, wenn du weg bist.«
»Okay«, stimmte sie zu. »Heute werde ich bei Colton im Verbindungshaus schlafen. Es ist Orientierungswoche und die älteren Semester reisen erst nach und nach an. Das heißt, wir haben das ganze Haus für uns allein.«
Das hieß bestimmt jede Menge Sex an Orten, an denen man es sonst nie machen konnte. Mein Schmunzeln konnte ich nun nicht mehr zurückhalten. »Ich verstehe.«
Madison wackelte mit den Augenbrauen. »Ich sehe schon. Wir werden uns gut verstehen.«
»Das denke ich auch.«
»Also«, sie trommelte aufgeregt mit ihren Zeigefingern auf ihrem nackten Oberschenkel herum, »hast du auch einen Freund?«
Ich senkte den Blick und schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Schlechtes Thema?«, fragte meine neue Mitbewohnerin mitfühlend.
»Eigentlich nicht.«
»Dann lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen«, bat sie mich. Doch dann sprang sie auf. »Oh, ich weiß, was wir brauchen.« Irritiert sah ich ihr dabei zu, wie sie mit der Anmut einer Ballerina aus meinem Zimmer tänzelte. Sollte ich ihr folgen?
Noch während ich überlegte, kam Madison mit einer kleinen Flasche Sekt und zwei Plastikbechern zurück. Sie reichte mir einen davon, danach schraubte sie den Piccolo auf.
Sollte ich sie darauf aufmerksam machen, dass ich noch nicht einundzwanzig war? Wobei … das wusste sie bestimmt. Aber wir waren auch am College, da gehörte Alkohol wohl irgendwie dazu.
Motiviert befüllte Madison die beiden Becher, erst danach sah sie mich wieder an. Offensichtlich bemerkte sie meinen skeptischen Gesichtsausdruck. »Nur zum Anstoßen, Haley«, versicherte sie mir. »Du musst auch gar nichts trinken.«
Ich schüttelte den Kopf. »Darum geht es nicht«, wehrte ich ab. »Es überfordert mich nur, dass du dich offensichtlich so über mich als Mitbewohnerin freust, dass du das gleich mit Sekt begießen möchtest.«
»Denkwürdige Augenblicke müssen gefeiert werden.« Sie hielt ihren Becher hoch. »Auf uns.«
Weil mir nichts Besseres einfiel, erwiderte ich: »Auf die Freundschaft.« Wir nippten beide am Sekt.
»Also, jetzt, wo wir quasi Schwesternschaft getrunken haben, möchtest du mir bestimmt mehr von deinem Freund erzählen, oder?«
»Ex-Freund«, korrigierte ich. »Und es gibt nicht besonders viel zu erzählen. William und ich sind auf der Highschool zusammengekommen. Es war Sportler und wollte etwas aus sich machen. Wir haben all die Jahre darauf hingearbeitet, gemeinsam auf ein Ivy-League-College gehen zu können.«
»Und? Was ist passiert? Wurde er nicht angenommen?«
Ganz im Gegenteil. »Dank seine guten Noten und den sportlichen Leistungen hat er es nach Harvard geschafft. Und ich nicht.« Hätte ich mir ohne Vollstipendium auch niemals leisten können.
»Wurde er nicht an der Penn angenommen?«
»Doch. Aber Harvard war immer seine erste Wahl, und ich wollte nicht, dass er seinen Traum für mich aufgibt.«
»Träume sind wichtig.«
»Ja, finde ich auch. Deshalb habe ich ihm immer gesagt, dass er auf sein Wunschcollege gehen soll.«
»Er wäre also mit dir an die Penn gegangen?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Vielleicht.« Ich war mir alles andere als sicher, aber ich hatte ihm die Entscheidung abgenommen, bevor er sie selbst treffen musste.
Aufrichtiges Interesse lag in Madisons Blick. »Und warum habt ihr euch dann getrennt?«
»Gute Frage.« Ich seufzte. »Wir haben darüber gesprochen, eine Fernbeziehung zu führen, doch schlussendlich konnten wir uns das beide nicht vorstellen. Es gab keinen Streit, keine Tränen, keine bösen Worte, kein großes Drama. Es war einfach aus.«
Madison, die ihren Sekt in der Zwischenzeit weggestellt hatte, stützte die Ellbogen auf dem Bett und ihr Gesicht auf den Handflächen ab. »Das ist die traurigste Geschichte, die ich jemals gehört habe. Die kannst du doch niemandem beim Kennenlernen erzählen.«
Ich kicherte. »Du bist verrückt.«
Treuherzig sah sie mich an. »Ernsthaft«, beharrte sie. »Eine junge Liebe, der Vernunft wegen auseinandergerissen.« So wie sie es sagte, klangen Will und ich wie das langweiligste Pärchen der Welt. Vielleicht hatte sie damit auch recht. Wir waren mit fünfzehn zusammengekommen. Ich hatte meinen ersten Kuss von ihm bekommen und mein erstes Mal mit ihm erlebt. Mit ihm gemeinsam war ich auf meiner ersten Party gewesen, zusammen hatten wir das erste Mal Alkohol getrunken. Aber richtig über die Stränge geschlagen hatten wir nie, weil wir immer unser gemeinsames Ziel vor Augen gehabt hatten. Ein Ziel, das uns letztendlich getrennt hatte.
Aber ich wollte nicht mehr an meinen Ex-Freund denken. Deshalb versuchte ich, das Thema zurück auf Madison zu lenken. »Erzähl mir lieber wieder von deiner netflixwürdigen Liebe zu Colton.«
Madisons Gesicht nahm einen schwärmerischen Ausdruck an.
»Ich weiß was Besseres. Ich stelle ihn dir morgen vor.« Danach griff sie nach ihrem Becher und nippte wieder daran. Offensichtlich war auch sie keine große Trinkerin und der Sekt wirklich nur zum Anstoßen gedacht.
Als ihr Smartphone zu klingeln begann, sprang sie auf und lief ins Wohnzimmer, wo sie es zurückgelassen hatte. Ich erhob mich ebenfalls, mein Getränk immer noch in der Hand.
Ich lehnte mich gegen den Türrahmen und sah, wie Madison nach ihrer Tasche griff. »Colton wartet unten auf mich. Offensichtlich kann er die Uhr nicht richtig lesen und ist deshalb viel zu früh.« Sie ging bereits zur Tür, doch dann drehte sie sich noch einmal zu mir um. »Tut mir leid, dass ich an deinem ersten Abend am College nicht hier sein werde.« Und ich glaubte ihr, denn sie sah wirklich ein bisschen geknickt aus.
»Mach dir keinen Kopf. Ich muss sowieso auspacken und vielleicht noch eine Liste mit Dingen machen, die ich vergessen habe.«
»Okay.« Sie öffnete die Tür. »Dann bis morgen. Ich bin gegen Mittag wieder da, und dann stelle ich dir Colton vor.«
»Ich freue mich.«
»Ich mich auch. Und noch einmal einen schönen ersten Collegetag.« Danach rauschte sie ab und ich war das erste Mal allein in unserer kleinen College-WG.