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KAPITEL 4
ОглавлениеBewegungslos lag ich in meinem Bett und blinzelte müde im hellen Morgenlicht gegen die Decke. Das war sie also gewesen. Meine erste Nacht am College. Peinlicherweise hielt ich immer noch meine alte Stoff-Minnie-Maus im Arm, an die ich mich die ganze Nacht gekuschelt hatte. Das Ding war fast so alt wie ich selbst und ein Auge bereits gelblich verfärbt. Das rot gepunktete Kleid hatte schon bessere Zeiten hinter sich und war nach zahlreichen Waschgängen so kurz, dass Minnie nun nicht mehr verbergen konnte, was für ein Flittchen aus ihr geworden war. Sorry, Minnie.
Leider hatten wir etwas gemeinsam, denn mein Pyjama hatte beinahe genauso viele Runden in der Maschine gedreht. Die kurzen Pyjamashorts schmiegten sich wie eine zweite Haut an meinen Körper und das T-Shirt war so klein, dass ich bauchfrei durch die Gegend lief. Aber die geballte Minnie-Power hatte mir geholfen, die erste Nacht in einer fremden Stadt durchzustehen. Als Landei war ich es nicht gewohnt, ständig Türen zuschlagen zu hören, mitten in der Nacht durch laute Musik oder das Hupen eines vorbeifahrenden Autos geweckt zu werden. Keine Ahnung, ob ich mich jemals daran gewöhnen würde.
Fürs Erste könnte Kaffee helfen. Viel Kaffee. Da ich gestern den ganzen Abend allein hier herumgesessen hatte, hatte ich mein kleines Zimmer bereits eingerichtet. Und obwohl sich die kleine WG noch nicht nach einem Zuhause anfühlte, war es schön zu wissen, dass zumindest mein ganzes Zeug bereits einen Platz gefunden hatte. So wie die abgenutzte Tasse, die mir Adam mal zu Weihnachten geschenkt hatte. Ich hatte bis heute nicht verstanden, warum eine ellenlange Zahlenfolge auf der Keramik stand, aber vermutlich handelte es sich um einen Programmierwitz, den ich auch in hundert Jahren nicht verstehen würde. Adam war schon immer ein Mensch der Gegensätze gewesen. Einerseits total beliebt an der Schule und immer unterwegs, andererseits aber auch ein richtiger Nerd, der manchmal tagelang vor seinem PC sitzen und verschiedene Programmiersprachen lernen konnte.
Ich starrte auf die vielen Einsen und Nullen und stellte die Tasse neben meinem Wasserkocher ab. »Irgendwann löse ich das Rätsel«, flüsterte ich leise. »Aber nicht ohne eine ordentliche Dosis Koffein.«
Natürlich gab es noch keine Kaffeemaschine, die musste ich erst besorgen, aber ich hatte vorsichtshalber Instantkaffee mitgebracht. Das war immerhin besser als gar kein Kaffee.
»Kaffeeeee«, jammerte ich leise, während ich Wasser aus der dem Fünf-Liter-Kanister, den ich mir gestern noch im Supermarkt gekauft hatte, in den Wasserkocher füllte und ihn einschaltete.
Als laut an die Tür gehämmert wurde, runzelte ich die Stirn. Da ich in Philadelphia niemanden kannte, würde ich auch keinen Besuch bekommen. Aber vielleicht hatte Madison ihren Schlüssel vergessen und stand nun auf dem Flur, vollbepackt mit Kartons. Denn ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die elfenhafte Madison wie ein Bauarbeiter gegen die Tür hämmerte.
Ich lief durch den Vorraum, öffnete das Sicherheitsschloss und sah kurz darauf direkt in Adams Gesicht. »Du?«, fragte ich irritiert.
»Ja, ich.«
»Woher weißt du, wo ich wohne?«
»Easton«, bekam ich eine knappe Antwort. »Ich hab ihm gesagt, dass ich mich für mein schnelles Verschwinden gestern entschuldigen will.«
East, dieser elende Verräter!
Adam betrachtete meinen Pyjama und ließ den Blick ausgiebig über meinen nur spärlich bedeckten Körper schweifen. Ein Königreich für einen Cardigan.
»Wie ich sehe, bist du zwar aus dem Pyjama rausgewachsen, trägst ihn aber immer noch.«
Natürlich war ich versucht, das T-Shirt nach unten zu ziehen, aber ich wusste, dass es sich dann um meine Brüste herum spannen würde. Deshalb versuchte ich mit der Peinlichkeit zu leben, Adam bauchfrei gegenüberzustehen. Ich schämte mich nicht für meinen Körper, obwohl vielleicht an der einen oder anderen Stelle ein Speckröllchen zu sehen war. Aber hey, ich liebte Junkfood und war unsportlich, fühlte mich aber nicht unwohl.
»Keine Ahnung, ob ich mir Sorgen machen soll, dass du dich an meinen Pyjama erinnerst.«
»Ich erinnere mich an sehr vieles, was dich betrifft, Haley Evans.« Er hielt mir einen Kaffeebecher entgegen. »Latte macchiato mit Karamellsirup. Und extraviel Milchschaum.«
Mein Mund klappte auf. »Du weißt echt noch, wie ich meinen Kaffee trinke?«
»Ich bin jahrelang bei euch ein und aus gegangen. So schnell vergesse ich nicht, dass du deinen Kaffee mit Milch verwässert und mit ekelhaftem Sirup trinkst.«
»Nicht jeder mag seinen Kaffee schwarz wie deine Seele.«
Adam und ich sahen uns an, mussten dann aber plötzlich beide losprusten.
»Fuck, Prinzessin. Ich hätte nie gedacht, dass ich das jemals sagen würde, aber ich hab dich vermisst.«
Kaum zu glauben, nachdem er mich vor Jahren rigoros aus seinem Leben radiert hatte. Allerdings sagte ich das nicht. Stattdessen nahm ich ihm den Kaffee aus der Hand und lehnte mich gegen den Türrahmen. »Danke. Aber sag mal, du bist nicht zufällig falsch abgebogen? Wenn mich nicht alles täuscht, bist du gestern nicht aus dem Fenster auf dieser Seite des Gebäudes gesprungen, sondern auf der anderen.«
Grinsend trank er einen Schluck seines Kaffees.
»Eifersüchtig, weil es nicht dein Zimmer war?«
»Sicher, dass du dir gestern bei deinem Sturz nicht den Kopf gestoßen hast?«, fragte ich und legte meine Hand an seine Stirn. »Du klingst wirr.«
Als Antwort bekam ich nur ein Schnauben. »Lässt du mich rein, Haley? Ich hab auch noch Gebäck im Rucksack.«
Hätte er die Tüte in der Hand gehabt, ich schwöre, ich hätte sie ihm ohne Rücksicht auf Verluste entrissen. So machte ich einen Schritt zurück.
»Komm rein.«
Adam trat über die Schwelle und ich fühlte mich, als hätte ich den Teufel höchstpersönlich hereingebeten. Ich versuchte mich daran zu erinnern, dass ich Adam nicht leiden konnte, aber leider war das nicht möglich, wenn er sich ausnahmsweise nicht wie der Oberarsch vom Dienst verhielt.
Kurz sah er sich im Vorraum um, ging dann zielstrebig auf mein Zimmer zu, wo der Wasserkocher unverkennbar laut vor sich hin blubberte und verriet, dass es sich um mein Zimmer handelte.
»Was treibst du da?«, fragte er.
»Ich koche Kaffee.«
»Haley, Kaffee kocht man nicht, man brüht ihn auf.«
»Ach, halt doch die Klappe«, sagte ich und schaltete den Wasserkocher ab. Danach probierte ich das himmlische Gebräu, das Adam mir gebracht hatte. Genüsslich stöhnte ich auf. »Du hast mir den Tag gerettet.« Das änderte aber nichts daran, dass er mir viele Tage versaut hatte.
Adam zuckte nur mit den Schultern, ließ seinen Rucksack von den Schultern gleiten und kramte darin herum. Er wedelte mit einer Bäckereitüte vor meiner Nase herum. »Muffins«, sagte er. »Und Bagels.«
Da er wusste, dass ich an seiner Hand nagen würde, wenn er sich nicht beeilte, präsentierte er mir einen lecker aussehenden Muffin, den ich ihm aus der Hand riss.
Sofort biss ich hinein. »Hmmmm. So gut«, sagte ich mit vollem Mund.
»Eine Lady durch und durch.«
»Hast du was anderes erwartet?«
Er nahm sich ebenfalls einen Muffin aus der Tüte und biss hinein. »Genau das. Du bist immer schon wie ein tollwütiger Biber über dein Essen hergefallen.«
»Hey, der Vergleich fällt dir nur ein, weil meine Schneidezähne früher so riesig gewirkt haben. Aber seit mein Kopf größer ist, fällt das nicht mehr auf.« Ich zeigte auf den Schreibtischstuhl. »Willst du dich setzen?«
Anstelle des Stuhls steuerte er mein Bett an. »Wundert mich, dass Will nicht hier drin liegt.« Der Gedanke an meinen Ex-Freund jagte mir einen kleinen Stich durch die Brust. Wären wir wie geplant zusammen aufs College gegangen, hätte ich mich in meiner ersten Nacht am College wohl nicht so einsam gefühlt. Vermutlich wären wir aneinandergekuschelt eingeschlafen, während wir immer noch darüber gestaunt hätten, dass wir unser Ziel tatsächlich erreicht hatten.
Ich folgte Adam seufzend. »Nein, kein Will in meinem Bett«, antwortete ich leise. »Wir sind nicht mehr zusammen.«
Adam, der bereits auf der Bettkante saß, wirkte irritiert. »Was?«
Gott, musste ich es ihm buchstabieren, aufmalen oder vielleicht noch mithilfe von Gebärdensprache zeigen? Im Notfall könnte ich es ihm auch vortanzen. »Wir. Sind. Nicht. Mehr. Zusammen«, knurrte ich.
Mit einer Hand kämmte Adam sich durch sein braunes Haar. Diese Geste lenkte meinen Blick auf seine Marvel-Tattoos, die sich deutlich von dem schwarzen T-Shirt abhoben, das er trug. »Das verwirrt mich.«
Ihn verwirrte das? Mich verwirrte das noch viel mehr.
Offensichtlich sah ich ihn skeptisch an, denn er wedelte mit seinen Händen in der Luft herum. »Na ja, ihr wart doch so … so …«
»So was?«
»… gleich.«
Gleich? Im Sinne von ähnlich? »Weil wir beide zielstrebig sind?«
Lässig verschränkte er die Arme vor der Brust. »Komm schon«, sagte er und zog eine Augenbraue hoch. »Muss ich es wirklich laut aussprechen?«
»Offensichtlich ja.«
Nun schnaubte er auch noch. War das zu fassen? »Gut, wenn du es so willst. Ihr beide wart auf ekelhafte Weise perfekt füreinander. Du, Little Miss fucking Sunshine, für die es immer nur ihn gab. Und er, der streberhafte Sportler, der noch nie in seinem Leben eine andere angefasst hat.« Ich würde ihm gleich dorthin treten, wo die Sonne niemals schien. Nicht nur weil ich nicht verstand, was er mir sagen wollte, sondern auch weil er mich schon wieder tierisch aufregte.
»Und damit kommst du nicht klar, weil du lieber auf Olympia-Niveau durch Betten turnst?«
»Was? Nein, ich verstehe nur nicht, warum ihr nicht mehr zusammen seid. Das ist alles.«
Ich setzte mich zu Adam aufs Bett. Nach einem genüsslichen Schluck Kaffee sah ich ihn wieder an. »Will wurde in Harvard angenommen. Und wenn Harvard dich will, gehst du nicht an die Penn.«
»Wenn er das so sieht, dann ist er ein Arsch.«
Genervt stieß ich Adam mit dem Ellbogen an. »Er ist immer noch der gleiche Kerl, in den ich mich verliebt habe«, murmelte ich. »Aus falscher Loyalität heraus wäre er bestimmt auch mit hierhergekommen, aber … ganz ehrlich, es ist Harvard. Wäre er nicht dorthin gegangen, hätte ich mich unter seinem Namen dort eingeschrieben.«
»Haley, du würdest nie als er durchgehen.«
»Meinst du?«
»Der Kerl hat ein Sportstipendium, und du kannst froh sein, wenn du es die Treppe nach oben schaffst, ohne zu stolpern.«
Weil ich genug davon hatte, mich beleidigen zu lassen und über meinen Ex-Freund zu reden, machte ich wie ein Showmaster eine kreisrunde Bewegung mit der Hand, die mein ganzes Zimmer mit einschloss.
»Wie gefällt es dir hier?«
Bevor er antwortete, nippte er an seinem Kaffee und sah sich um. »Noch nicht zu hundert Prozent Haley, aber ich bin mir sicher, es wird noch. Mir fehlen die Wandsticker mit den Disney-Prinzessinnen.«
»Aus dem Alter bin ich definitiv raus.«
»Erzähl das Minnie Maus.« Er griff hinter sich und präsentierte mir das Stofftier.
Natürlich riss ich es ihm sofort aus der Hand. »Pfoten weg. Beschmutz die arme Minnie nicht. Mein Mäuschen ist unschuldig.«
»So unschuldig wie du?«, raunte er in einem Tonfall, der mir eine Gänsehaut über den Körper wandern ließ. Ich konnte schon verstehen, warum die Frauen Adam mit ihren Höschen bewarfen, wenn er ihnen mit dieser Stimme etwas zuflüsterte.
Mit meinem – hoffentlich – versautesten Lächeln sah ich Adam ins Gesicht. »Unschuldig ist nicht unbedingt das Wort, das ich mit mir in Verbindung bringen würde.« Klar, ich war die meiste Zeit ein braves Mädchen gewesen, hatte während der Highschool kaum Ärger gemacht, aber unschuldig war ich nun wirklich nicht.
»Und was wären Worte, die dir da einfallen würden?« Flirtete Adam Carter gerade mit mir?
Ich biss mir auf die Unterlippe und ließ mir ausreichend Zeit mit meiner Antwort. »Sag du es mir.«
Und viel schlimmer: Flirtete ich mit Adam Carter?
Ohne dass ich es bemerkt hatte, waren sich unsere Gesichter immer näher gekommen. Adam fesselte mich mit seinem Blick, und ich schaffte es einfach nicht wegzusehen. Der Sauerstoff in diesem Raum schien immer weniger zu werden, bis zu dem Augenblick, in dem eine Tür laut zufiel. »Ich bin wieder da«, rief Madison laut.
Schnell rückte ich von Adam ab, als hätten wir irgendetwas Verbotenes getan.
»Hast du mich vermi…« Als Madison meine Zimmertür erreichte, brach sie mitten im Satz ab. Das Lächeln auf ihren Lippen fiel ihr regelrecht aus dem Gesicht. »Carter, was tust du hier?«, knurrte sie.
Adam schien wenig beeindruckt von der frostigen Begrüßung zu sein und stand auf. Er klopfte sich imaginären Staub von der Hose. »Madison. Wie ich sehe, führst du Colton heute gar nicht an einer Leine spazieren.«
Madison warf mir einen raschen Blick zu, baute sich dann aber vor Adam auf. »Sorry, die passt leider farblich nicht zu meinem Top. Aber vielleicht kann ich dich ja an die Leine nehmen. Denn ich werde dich eigenhändig daran aus der Wohnung schleifen, wenn du deine Finger nicht von meiner Mitbewohnerin lässt.«
Wow. Das Aggressionslevel in dem kleinen Apartment war gerade sprunghaft gestiegen. Wenn Adam und ich uns spielerisch stritten, war das okay, aber der Schlagabtausch zwischen Madison und Adam war … unangenehm.
Schnell sprang ich auf. »Ich wollte euch eigentlich gerade vorstellen, aber wie ich sehe, ist das unnötig.« Nervös sah ich zwischen Madison und Adam hin und her. »Adam und ich waren mal Nachbarn«, versuchte ich zu erklären.
»Genau. Wir kennen uns von früher«, bestätigte Adam, und ich nickte eifrig.
Madison zog die Augenbrauen hoch. »War er da auch schon so ein Arschloch?«
»Also … ähm … im Kirchenchor hat er damals nicht gesungen«, versuche ich halbwegs diplomatisch zu antworten.
Gott, war das peinlich.
Zum Glück klopfte es in diesem Moment an der Eingangstür. Schon wieder. »Ich geh schon«, schrie ich beinahe und drückte mich an Madison vorbei, um die Tür zu öffnen.
»Ist bestimmt Colton.« Madison folgte mir, wie ich nach einem Blick über meine Schulter hinweg feststellte. Auch Adam kam aus meinem Zimmer, das definitiv zu wenig Platz für drei Studenten bot.
Die Tür riss ich regelrecht auf. Ein großer, breitschultriger Typ mit blonden Haaren und mindestens genauso vielen Tattoos wie Adam stand mit zwei Kartons vor mir.
Madison schob sich an mir vorbei. »Hey, Baby«, begrüßte sie ihren Freund, und ihre Stimme klang nun wieder freundlicher. Vermutlich war sie berauscht von dem Testosteron, das dieser Kerl ausströmte.
Ich machte einen Schritt zurück, und sobald Colton durch die Tür geschlüpft war, drückte sie ihm einen Kuss auf die Wange. Er stellte den Karton auf den Boden und lächelte mich an. »Und du bist bestimmt Haley, oder?«
»Mein Ruf eilt mir voraus«, sagte ich mit einem Grinsen im Gesicht.