Читать книгу Rayan - Im Licht der Rache - Indira Jackson - Страница 34
Mitte April 2016 - Dubai: Kanzlei von Taib Riad - Der zweite Treffer
ОглавлениеAm Morgen nach dem Besuch im Club ging Kasib wie gewöhnlich so früh ins Büro, dass er vor allen anderen da war. Er war bescheiden genug, nach seinem „Sieg“ keineswegs in ein Hochgefühl zu verfallen. Denn im Grunde war die Auseinandersetzung für ihn noch nicht einmal wie ein leichtes Training gewesen. Dazu waren ihm seine Gegner zu weit unterlegen gewesen. Seine Atmung war kaum beschleunigt gewesen nach dem „Kampf“. Aber natürlich schmeichelte ihn Claudias Bewunderung. Zurück an ihrem Platz neben der Bar hatte er im ersten Moment damit gerechnet, weitere ärgerliche Blicke vor allem von dem Mann zu bekommen, der ihn zuvor dauernd mit gemeinen Bemerkungen belegt hatte. Schließlich hatte er nicht nur mit Claudia getanzt sondern sie auch noch geküsst! Doch alle hatten ihm begeistert auf die Schulter geklopft und ihn mit allerlei Fragen überschüttet. Zum ersten Mal war er wirklich froh gewesen über die eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten im Innern des Clubs.
Als Kasib sich einige Minuten später verabschiedete, hatten ihm alle freundlich zugenickt und erneut auf die Schulter geklopft. Auf einmal war er einer der ihren. Der Tarmane verspürte einen bitteren Geschmack im Mund. Es wäre ihm lieber gewesen, diese Akzeptanz um seiner selbst willen zu finden und nicht aufgrund seiner Kampfkünste. Ohne sich noch einmal umzusehen, hatte er sich in Richtung Ausgang begeben. Aber so oberflächlich schien die Welt hier in Dubai nun mal zu sein.
Claudias enttäuschter Blick hatte ihn die ganze Nacht lang verfolgt, sodass er nicht viel Schlaf gefunden hatte. War es falsch gewesen, sie so kurz nach ihrem innigen Kuss alleine zurückzulassen? Was mochte sie nun von ihm denken?
Ihm war mit Erschrecken zudem klar geworden, dass sich sein „Stunt“ wie ein Lauffeuer im Büro verbreiten würde. Ach was, vermutlich im ganzen Gebäude. Die Kollegen waren so begeistert gewesen, dass sie es vermutlich nicht erwarten konnten, über das Ereignis haarklein zu berichten. Verdammt! Er wollte doch einfach nur in Ruhe gelassen werden und ohne Aufsehen seiner Arbeit nachgehen. Mittlerweile verfluchte er seine Idee, mit in diesen Club gegangen zu sein. In dem Moment in dem er aus dem Aufzug trat, hatte es ihn dann siedend heiß durchzuckt: Was würde sein Boss zu der Auseinandersetzung sagen?
Kasib war froh, dass er so früh dran war, dass außer ihm noch kein einziger Mensch da war. So konnte er sich in seiner Arbeit vergraben und musste nicht an seinen Kollegen vorbei. Er war so aufgewühlt, dass er seinen Kaffee direkt an seinen Arbeitsplatz nahm und sich heute noch nicht einmal dem Ausblick widmete. Einige Minuten lang war er damit beschäftigt, die Suchprogramme zu aktivieren, sodass er durch die morgendliche Routine langsam ruhiger wurde. Während der PC seine Arbeit verrichtete, sah er schon etwas weniger nervös in die Zukunft. Vielleicht erfuhr Taib Riad ja gar nichts von dem Ereignis? Sicher hatten seine Kollegen besseres zu tun als ihrem mürrischen Boss Bericht zu erstatten. Als dann die ersten beiden seiner Arbeitsplatzgenossen eintrafen, und ihn wie jeden Morgen grüßten, wusste Kasib, dass sie nichts von seinem Abenteuer ahnten. Gut so! Hoffentlich blieb es dabei.
Ein hartnäckiges Blinken riss ihn aus seinen Gedanken. Er konnte es nicht fassen: schon wieder ein Treffer? Erst hatte er monatelang nichts gefunden und nun an zwei Tagen hintereinander? Neugierig sah er sich an, was da zum Vorschein gekommen war. Offenbar ging es diesmal nicht um die Familie der Scheicha.
Als Kasib die Meldung öffnete, die den Treffer hervorgerufen hatte, wurde er bleich. Einen Moment lang glaubte er, in einem bösen Albtraum gefangen zu sein. Konnte dies wirklich passieren? Oder erlaubte sich jemand einen bösen Scherz mit ihm? Doch die Nachricht auf seinem Computerbildschirm war eindeutig: Augenscheinlich hatte jemand im Club die komplette Szene von Anfang an auf seinem iPhone mitgefilmt und sie anschließend im Internet veröffentlicht. Doch das wäre nicht das Schlimmste gewesen, hätte der Untertitel nicht ganz eindeutig den Namen der Kanzlei genannt. Wie in Trance erkannte Kasib, dass diese Erwähnung der Grund war, warum dieser Beitrag hochgeploppt war. Offenbar suchten die Algorithmen auch nach Erwähnungen seines Arbeitsgebers in irgendwelchen Posts.
Wie würde Taib Riad reagieren? Sicher würde er diese negative Publicity nicht gutheißen. Was, wenn er Kasib deswegen feuerte? Wo sollte er dann hin? Noch viel schlimmer: Wie würde sein Herr Rayan reagieren, wenn er erführe, dass er erneut bei der ihm übertragenen Aufgabe versagt hatte? Der hatte doch wirklich im Moment in Zarifa genug zu tun, als sich nun noch um einen ausgestoßenen Tarmanen zu kümmern. Voller Angst sah er auf seine linke Hand hinunter. Das Mahnmal des fehlenden Fingers schien ihn zu verhöhnen.
Ein weniger ehrlicher Mensch hätte nun vielleicht versucht, die Geschichte zu kaschieren. Doch Kasib dachte noch nicht einmal im Ansatz daran, den Treffer zu verheimlichen. Ein Tarmane hatte zu seinem Fehler zu stehen - egal was dies für ihn bedeuten würde.
Seine Hände zitterten, als er zum Hörer griff, um zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden die Durchwahl seines Bosses zu wählen.