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4.5 Kriegsursachen

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Warum kommt es zu Kriegen? Diese Frage ist für die Friedens- und Konfliktforschung essenziell. Die Kriegsursachenforschung hat sich zu einem etablierten Bereich des Fachs entwickelt. Dabei ist es selbstredend, dass Kriegsursachen hochkomplex und nur multikausal zu erklären sind (vgl. Matthies 2004, S.412).

Kenneth Waltz (2001) verweist auf drei Ebenen von Kriegsursachen (vgl. Schaubild 10). Danach sind es auf individueller Ebene Aggressionen, das Menschenbild oder Machtkalküle von Eliten, die Entscheidungen zum Krieg befördern können. Auf staatlicher Ebene werden bestimmte Herrschaftsstrukturen wie nicht-demokratische, ungerechte oder schwache Staaten für einen gewaltsamen Konfliktaustrag verantwortlich gemacht. Auf internationaler Ebene wiederum seien es die Anarchie des internationalen Systems, das sich daraus ergebene Sicherheitsdilemma sowie eine (Un-)Balance of Power, welche die Anwendung militärischer Gewalt begünstigen.

Schaubild 10:

Typologie von Kriegsursachen nach Kenneth Waltz (2001)

Waltz’ Perspektive ist eine spezifisch (neo)realistische und als solche bietet sie einen unmittelbaren konflikttheoretischen Zugang, geht sie „vom konkurrierenden Machtstreben politischer Einheiten und vom Konflikt als der Grundbedingung der Weltpolitik“ (Hubel 2005, S.19) aus.

Zusätzlich dazu lassen sich in der Kriegsursachenforschung zwei zentrale Ansätze voneinander unterscheiden: systemische und strategische Ansätze (vgl. Rapoport 1966; ebenso Ruloff 2004, S.14). Strategische beziehungsweise entscheidungstheoretische Ansätze haben ihre Wurzeln bei Carl von Clausewitz und seiner Bestimmung des Krieges als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Sie gehen davon aus, dass Kriege die Folge von Kalkülen von Akteuren seien. In dieser Perspektive lassen sich drei Theorien ausmachen: (a) Rational Choice-Ansätze, nach denen sich „die Rationalität des Entscheidens, zu den Waffen zu greifen, in einigen Fällen rein logisch nachvollziehen [lasse]“ (Ruloff 2004, S.15), (b) spieltheoretische Ansätze, die auf Dilemma-Situationen abzielen, sowie (c) organisationssoziologische und -psychologische Ansätze.

Systemische Ansätze dagegen negieren die zentrale Rolle der Handelnden; sie verweisen auf vorrangig strukturelle Ursachen. Diese Perspektive findet sich prominent bei Lew Tolstoj, heißt es in seinem Epos „Krieg und Frieden“:

„Obgleich Napoleon im Jahre 1812 mehr als je der Ansicht war, daß es von ihm abhänge, ob er das Blut seiner Völker vergießen wolle oder nicht […], so war er doch nie in höherem Maß als damals jenen unübertretbaren Gesetzen unterworfen, die, während er nach freiem Willen zu handeln meinte, ihn zwangen, für die Allgemeinheit, für die Geschichte eben das zu tun, was sich vollziehen sollte“ (Tolstoj 2015 [1867], S.1059f.).

Aus systemischer Sicht werden Kriege heute nicht mehr als Gesetze der Geschichte betrachtet, vielmehr als „Nebenprodukt sozialer, wirtschaftlicher und politischer Umwälzungen“ (Ruloff 2004, S.14). Hier kommen insbesondere fünf Dimensionen von Kriegsursachen zum Tragen (vgl. u.a. Brown 2001; Smith 2004; Boemcken und Krieger 2006):

 Sozioökonomische Faktoren: Sie gelten als die bedeutendste langfristige Ursache innerstaatlicher bewaffneter Konflikte und Kriege. Ein wesentliches Kennzeichen ist die sozioökonomische Heterogenität (soziale Ungerechtigkeit). Diese hat zahlreiche Ursachen: ungerechte Verteilungen, Wirtschaftssysteme, die einzelne Gruppen bevorzugen beziehungsweise benachteiligen, oder auch ökonomische Entwicklungen, die mit Veränderungen der Sozialstruktur einhergehen.

 Politische Faktoren: Auch sie erweisen sich als zentrale Kriegsursache. Insbesondere können repressive politische Systeme Krieg befördern, speziell in Transitionszeiten. Hinzu kommen politische Machterhaltungsinteressen (wie Herrschaftssicherung, Hegemoniebestrebungen, Territoriumsansprüche), gegebenenfalls politische Fehlperzeptionen nationaler Eliten und Herrschaftsgruppen, eine Nichtbeachtung beziehungsweise Verletzung politischer Gruppenrechte, aber auch Risiken, die von fragiler Staatlichkeit ausgehen (Legitimationsdefizite von Regierung und öffentlichen Einrichtungen, fehlende Gewaltenteilung, Kriminalität etc.).

 Sicherheitspolitische Faktoren: Diese gehen auf vorrangig neorealistische Annahmen zurück (vgl. auch obige Ausführungen zu Kenneth Waltz’ Typologie); sie ergeben sich aus der internationalen Ordnung. Dabei werden für Kriege vor allem die Anarchie der Staatenwelt und das damit verbundene Sicherheitsdilemma verantwortlich gemacht.

 Ökologische Faktoren: Selbst wenn sie an die Bedeutung sozioökonomischer und politischer Faktoren nicht heranreichen, spielen sie eine nicht zu unterschätzende Rolle. So können Zerstörungen der Umwelt (wie Bodenerosion, Abholzung oder durch Naturabbau bedingter Wassermangel) zu einer Verknappung von Ressourcen führen und wirtschaftliche Probleme noch befördern.

 Kulturelle Faktoren: Hierzu zählen verschiedenste Muster kultureller Diskriminierung. Häufig wird auf die ethnisch-kulturelle Heterogenität abgehoben. Dabei stellen ethnische Differenzen selten die alleinige Ursache von bewaffneten Konflikten dar, sie kommen aber – in Verbindung mit sozioökonomischen und politischen Faktoren – „als wichtige Ressource machtpolitischer Mobilisierung und Manipulierung“ (Knapp und Krell 2004, S.413) zum Tragen.

Bewaffnete Konflikte und Kriege lassen sich selten auf nur eine dieser Ursachenkategorien zurückführen; es gibt nicht den sozioökonomischen, politischen oder kulturellen Konflikt. Vielmehr dienen die verschiedenen Erklärungsansätze als „analytisches Gesamtmodell“ (Boemcken und Krieger 2006, S.17), in dem sich die Konflikte und Kriege in je spezifischer Weise verorten lassen. Dabei stellt sich nicht nur die Frage, welche der Ursachen sich wie und zu welchem Grade in einem konkreten Fall als erklärungsfähig erweisen, sondern auch, wie die verschiedenen Faktoren in Beziehung zueinander stehen und interagieren (vgl. Smith 2004, S.7).

Mit diesen – hier nur stichwortartig aufgezeigten – Kriegsursachen ist die Vielschichtigkeit des Phänomens Krieg aber noch nicht vollständig erfasst. Für eine multidimensionale Analyse erarbeitete Dan Smith (2004, S.8f.) in Anlehnung an David Dessler eine Typologie, mit der er neben Hintergründen bewaffneter Konflikte und Kriege (background causes, underlying conditions) weitere Faktoren in Anschlag bringt:

 Mobilisierungsstrategien (mobilisation strategy): Diese gehen insoweit über die Zielsetzungen der politischen Akteure hinaus, als sie Wege und Taktiken ansprechen, diese zu erreichen (einschließlich von Strategien zur Mobilisierung der Bevölkerung).

 Konfliktauslöser (triggers): Diese erklären weniger, warum ein bewaffneter Konflikt oder Krieg beginnt, sondern vielmehr, warum gerade zu diesem Zeitpunkt.

 Katalysatoren (catalysts): Darunter werden Faktoren gefasst, die die Intensität und Dauer des bewaffneten Konflikts beeinflussen. Das können interne Aspekte (zum Beispiel ein militärisches Kräftegleichgewicht der beteiligten Parteien), externe Einflüsse (wie Interventionen von außen, beispielsweise durch die internationale Gemeinschaft) oder auch Naturphänomene (Territorium, Klima etc.) sein.

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