Читать книгу Kindheit D - Ines Krüger - Страница 3
ОглавлениеNummer fünf
Der Ausflug ins Tiergeschäft war schon ein Fest an sich. Ich durfte mir von der riesigen Menge Meerschweinchen eins aussuchen. Ich fand sie alle so schön. Schließlich zeigte ich auf ein weißes Schweinchen mit Löckchen und roten Augen. Es hatte besonders laut gequietscht.
Die Verkäuferin sagte: „Weibchen, Albino und Rosettenschwein.“
Helga entschied sich für ein braun-weiß geflecktes Glatthaarschwein. Ich nannte mein Schweinchen Astrid und Helga das ihre Billy. Astrid und Billy wurden eingepackt und fuhren mit uns nach Hause. Sie waren jetzt die Haustiere vom Terroristenjäger.
Ich liebte mein Schweinchen. Leider biss Billy Astrid ganz schlimm, so kam sie in einen eigenen Käfig. Astrid knabberte trockenes Brot und schaute mit mir die Sesamstraße. Unser Hund ignorierte sie. Mit Meerschweinchen spielte er nicht. Und meine Puppe Birgit hatte Pech, Astrid ging von nun an vor.
Meine Mutti hatte an meinem Geburtstag eine Überraschung für mich. Sie hatte mir einen rosa Pullover gehäkelt, und dazu genau so einen für meine Puppe. Ich war so glücklich wie noch nie. Meine Schwester und meine Cousine lächelten wohlerzogen. Ich hatte mir eine Kekstorte gewünscht, und weil es die nirgends zu kaufen gab, hatten Evi und Helga heimlich eine für mich gemacht. Sie hatten die Kekse und Schokolade in die Form geschichtet und das Ganze im Kühlschrank versteckt, bis die Schokolade fest wurde und an den Keksen klebte.
Meine Omi aus Kiel hatte meiner Mutti Geld geschickt, damit ich neue Rollschuhe bekam. Ich schnallte sie mir um, und wenn ich mich auf unserer Terrasse am Zaun festhielt, fiel ich auch nicht hin. Draußen durfte ich nicht fahren, das war zu gefährlich.
Dass mein Vater an meinem Geburtstag nicht da war, verstand sich von selbst. Weil ich es nicht anders kannte, dachte ich darüber nicht nach.
Mein Vater brachte mir bei, auf keinen Fall etwas zu tun, was er nicht wolle. Er erklärte es mir so: „Da draußen sind ganz böse Menschen. Du bleibst gefälligst immer bei Mutti. Sonst kannst du was erleben!“
Mit meinem Vater war nicht gut Kirschen essen, wenn ihm etwas nicht gefiel. Er kam immer mit irgendwelchen Akten nach Hause, an denen er arbeitete, und manchmal, wenn er gute Laune hatte, brachte er uns Kindern Süßigkeiten mit. Schokokugeln im Riegel, die mochte ich besonders gern. Doch er war fast nie da.
Am Morgen, nach dem Aufwachen, war ich oft traurig. Früher, bevor mein Vater Terroristenjäger wurde, hatte ich keine so große Puppe gehabt, die ihre Wimpern auf- und zuklappen konnte und nicht so viele Farbstifte und Teddys. Dafür war meine Mutti lustig und vergnügt gewesen. Jetzt lachte meine Mutter nicht mehr. Sie schaute oft einfach still vor sich hin. Ich sagte dann auch nichts.
Manchmal versuchte sie mich aufzupäppeln. Sie nahm auf dem Sofa Platz und spielte mit mir Puppen, dann drückte sie mich an sich und flüsterte mir ins Ohr: „Du bist mein kleiner Liebling. Wer dir nur ein Haar krümmt, kriegt es mit mir zu tun.“
Ich lächelte glücklich, denn meine Mutti hatte mich so lieb.
Wir hatten immer so viel Spaß gehabt, früher. Wir lebten in Bonn. Meine Schwester und meine Cousine waren morgens in der Schule, wenn meine Mutti mit mir auf dem großen Roller zum Einkaufen fuhr. Unser Chihuahua lief an der Leine nebenher. Wenn wir alle Lebensmittel eingepackt hatten, hängten wir die Tüten über den Lenker und schoben den Roller nach Hause. Einmal riss unser Hund den Roller um, und wir fielen mitsamt den Tüten auf die Straße. Der Joghurtbecher war kaputtgegangen und alles klebte. Es machte uns nichts aus, wir lachten darüber.
Wenn ich besonders brav gewesen war, hatte meine Mutti immer eine Überraschung für mich. Es gab auf dem Rückweg vom Supermarkt einen Automaten, der vor einer Hecke aufgestellt war. Ich liebte die Kaugummikugeln, die es dort gab. In einigen Kugeln waren kleine Prinzessinnenringe aus Plastik versteckt. Meine Mutti wusste ganz genau, dass ich unbedingt so einen Ring wollte. Wir hielten vor dem Automaten, warfen Geld ein und ich drehte. Ich war so glücklich, als ich meinen Prinzessinnenring in der Hand hielt, und steckte ihn mir gleich an den Finger. Ich wollte ihn gar nicht mehr abziehen, nicht mal nachts. Auch Evi kannte meine Vorliebe für die Kaugummikugeln. Immer wenn ich mal hinfiel oder irgendetwas passierte, ging sie zum Kaugummiautomaten und zog mir eine Kugel.
Es war immer alles so schön und friedlich damals. Meine Mutti hatte mit uns Trickfilme im Kino angeschaut. Im Sommer fuhren meine Eltern sonntags mit uns an die Mosel, damit wir baden konnten. Und im Winter zog meine Mutti mich mit dem kleinen roten Schlitten die verschneite Straße hinab, und ich jauchzte vor Vergnügen.
Das war jetzt alles vorbei. Wir blieben jetzt fast immer zu Hause, und wenn wir unterwegs waren, hatten wir Angst. Auf der Terrasse durfte ich spielen und in unserem kleinen Garten auch, aber das machte nicht so viel Spaß wie früher.
Wenn Kinder aus der Nachbarschaft, die mit mir spielen wollten, an der Tür klingelten, sagte meine Mutti „nein”. Bald klingelte kaum noch jemand bei uns an der Tür. Die Kontrolle durch die Polizisten schreckte die Nachbarskinder ab. Sie nannten mich „Terroristenkind“. Und die Eltern dachten, ihre Kinder würden entführt, wenn sie zu uns nach Hause kämen. Pech gehabt!
Es gab einmal einen Spielfreund, der um einiges älter war als ich, aber der durfte dann auch nicht mehr kommen. Er war meiner Mutti zu wild. Er hatte von ihr die rote Karte bekommen, nachdem ich beim Spielen mit ihm so schlimm verletzt wurde, dass ich ins Kinderkrankenhaus gefahren werden musste. Es hatte alles ganz harmlos angefangen. Mein Spielfreund und ich spielten Karneval, ich war das Tanzmariechen. Er nahm mich an den Händen und schwenkte mich durch die Luft. Ich weiß auch nicht, warum ich seine Hände losließ. Ich schlug direkt mit dem Kopf auf den Boden, musste kotzen und hatte eine Riesenbeule am Kopf.
Der Arzt sagte meiner Mutter im Kinderkrankenhaus: „Die Kleine hat eine Gehirnerschütterung. Die Beule kühlen und drei Tage Bettruhe.“
Meine Mutti war entsetzt, und mein Vater schimpfte, dass ich schlechten Umgang hätte. Ich war doch noch so klein, und man durfte doch seine Tochter nicht einfach so durch die Luft werfen. Meine Mutter sprach mit der Mutti des Jungen, und er entschuldigte sich. Danach durfte er kaum noch zu uns, höchstens mal, um mit mir mit Wasserfarben zu malen. Alles andere konnte er vergessen. Auf den Spielplatz durfte ich sowieso nicht mehr.
Mir war langweilig. Zu Hause war nicht viel los. Meine Schwester Evi, die sehr gut in der Schule war, lernte fast immer nur. Sie war dreizehn Jahre älter als ich. Und auch meine Cousine Helga war alles andere als glücklich darüber, ihre Zeit mit mir zu verbringen. Sie hatte keine Lust auf ihre kleine Cousine. Einmal hatte ich ihr aus Versehen irgendetwas im Zimmer kaputtgemacht. Sie hatte einen kleinen Plattenspieler, auf dem sie die Beatles hörte, und es war mir strengstens verboten, irgendetwas in ihrer Musikecke anzufassen. Manchmal knallte sie mir die Zimmertür einfach vor der Nase zu, dann spielte ich mit unserem Hund auf dem Flur mit den kleinen Blechautos.
Und meine Mutti war sehr oft krank, sie litt an Allergien und fühlte sich nicht gut. Oft lag sie den ganzen Tag auf dem Sofa. Ein Heilpraktiker aus der Nachbarschaft verordnete ihr kleine weiße Kugeln als Medizin.
Die Polizei vor unserer Tür hatte uns alles verdorben. Ab dem Tag, an dem wir Personenschutz bekamen, änderte sich alles für uns. Der grüne Polizeibus vor unserer Haustür zog viele neugierige Nachbarn an. Sie glotzten auf die Polizisten mit den Funkgeräten in der Hand und den umgehängten Waffen.
Das seien Maschinenpistolen, meinte Evi. „Das ist wie im Krieg, Ines“, sagte sie. Damit kann man Menschen totschießen.“
Ich sagte lieber gar nichts, denn ich hatte Angst, dass jetzt hier Krieg war. Plötzlich waren diese vier Polizisten in der grünen Uniform da, und es war Krieg vor unserer Haustür.
Meine Mutti sagte: „Wenn wir erst in Karlsruhe sind, haben wir sichere Panzerscheiben und eine Alarmanlage. Dann wird alles wieder gut, Ines.“
Mein Vater bekam einen Job in Karlsruhe, und der Umzug war ein ständiges Streitthema zwischen meinen Eltern. Meine Mutti hatte nicht nur versucht zu verhindern, dass mein Vater Terroristen jagte, sie wollte auch nicht weg von Bonn. Hier hatte sie ihre beste Freundin und ihren Heilpraktiker, der ihr so gut mit ihren schlimmen Allergien half. Immer wieder hatte meine Mutti mit Scheidung gedroht, aber an meinem Papa prallte so etwas ab. Er freute sich schon so auf die Kollegen in Karlsruhe, denn er wollte Terroristen ins Gefängnis bringen. Er nannte das „Dienst am Vaterland“. Ich fragte meine Mutti, ob mein Meerschwein auch mit uns umzog. „Natürlich“, sagte sie, und ich war erleichtert.
Seit wir Personenschutz hatten, war ich die „Nummer fünf“. Unsere Familie war von den Personenschützern durchnummeriert worden. Papa war Nummer eins, Mutti Nummer zwei und wir Kinder der Rest. Ich, als Kleinste, war Nummer fünf. Wenn meine Mama morgens mit mir aus dem Haus ging, stand direkt vor der Haustür ein Polizist, der es mit dem Funkgerät an die anderen Polizisten weitergab: „Nummer zwei und Nummer fünf verlassen das Haus.“
Wenn uns jemand besuchen wollte, musste er erst einmal die Polizeikontrolle passieren. Meine Mutti hatte mir strikt verboten, an die Tür zu gehen, und ich hielt mich daran. Draußen spielen durfte ich nur auf der Terrasse. Ich hatte ein kleines rotes Fahrrad mit Stützrädern, aber auf der Terrasse war es einfach zu eng zum Fahrradfahren. Meine Mutti fragte den Polizisten vor der Haustür, ob ich auf dem Weg vor unserem Haus fahren könne. Er riet ihr ab. Ich sei zu klein und deshalb besonders leicht zu entführen. Sie ließ mich aber ab und zu mit der Enkelin unserer Nachbarin direkt vor der Haustür Ball spielen. Sie beobachtete mich dabei aus dem Küchenfenster.
Weil wir immer nur zu Hause waren, machten wir uns die Terrasse und den Garten zurecht. Ich durfte mit meiner Puppe Birgit auf der Hollywoodschaukel spielen und meine Mutti kaufte mir ein Springseil. Und Helga hatte einen Hula-Hoop-Reifen. Wir lebten unter uns.
Im Sommer stellten meine Eltern ein kleines Planschbecken im Garten auf. Meine Mutti war Grundschullehrerin für Biologie und Religion. Sie arbeitete zwar nie in diesem Beruf, aber in diesem Sommer nahm sie sich viel Zeit und erklärte mir die Buchstaben und die Zahlen und wie das alles zusammenhing. Denn im Herbst sollte ich eingeschult werden. Der Umzug nach Karlsruhe sollte noch vor Weihnachten sein, deshalb hatte meine Mutti überlegt, mich erst dort in die Schule zu schicken. Aber mein Vater war dagegen. Ich sollte nicht das ganze Schuljahr verlieren, und er meinte, es ginge nicht so weiter, dass ich immer zu Hause blieb.
Dann bekamen wir diesen Drohanruf. Es war im August. Ein Mann hatte bei meiner Mutti angerufen und ihr ganz entsetzliche Dinge am Telefon gesagt. Sie weinte, und wieder kamen die Männer vom BKA. Diesmal machten sie irgendetwas mit unserem Telefon: Man konnte dann wissen, wer da anrief. Ich hatte jetzt noch mehr Angst und lief meiner Mutter den ganzen Tag durch das Haus hinterher. Meine Mutti war am Telefon damit bedroht worden, dass man sie ermorden würde. Helga sagte, wir hätten doch sowieso keine Chance: Wir würden alle abgeknallt werden. Ich klammerte mich an meine Mutti, und jedes Mal, wenn sie das Haus ohne mich verließ, fing ich an zu weinen.
Meine Mutti hatte es schon geahnt: Wenn ich in die Schule musste, könnte das schwierig werden. Evi hatte mir die grüne, metallglänzende Schultüte mit meinen Lieblingszitronenbonbons gefüllt, und obendrauf saß ein kleiner Teddy. Der erste Schultag hätte so schön werden können, aber es wurde ein Albtraum. In dem Augenblick, als meine Mutter das Klassenzimmer verließ, fing ich an zu heulen. Die Tür klappte zu und ich heulte los. Meine Mutti war weg! Ich musste doch auf sie aufpassen, damit sie nicht entführt wurde. Ich sprang von meinem Platz hoch, riss die Tür auf und rannte meiner Mutti laut schreiend hinterher. Meine Mutter blieb stehen und blickte mich entsetzt an. Ich klammerte mich an ihren Arm und weigerte mich, zurück in die Klasse zu gehen. Sie überredete mich, doch wenigstens meine Schultüte und die Jacke aus dem Klassenzimmer zu holen. Ich ging nur widerstrebend mit ihr mit, bestimmt waren da Terroristen. Meine Mutti entschuldigte sich bei der Lehrerin und fuhr mit mir nach Hause. Sie sagte mir, dass sie sehr enttäuscht sei. „Jetzt sind wir blamiert“, erklärte sie. „Morgen bist du aber brav!“
Meine Schwester und meine Cousine konnten mein Pech nicht fassen: Ich mochte die Schule nicht. Meine Mutti war so böse auf mich, dass sie den ganzen Tag kaum noch mit mir sprach. Ich saß mit meiner Puppe und meinem Meerschwein Astrid auf der Terrasse und schämte mich. Evi kam zu mir und sagte, dass ich noch klein wäre sei, und meine Mutti erklärte, dass wenigstens mit Evi alles in Ordnung sei.
Denn meine Cousine Helga machte auch Probleme. Einmal hatte meine Mutti zu ihrer Klassenlehrerin in die Sprechstunde gemusst. Helga hatte in der Schule erzählt, bei ihr zu Hause übernachteten Jungs im Zimmer. Sie wollte bei ihren Banknachbarinnen angeben. Angeblich waren die Jungen an der Hauswand hochgeklettert, weil sie alle in sie verliebt waren. Meine Eltern waren wütend. Mit all den Polizisten vor der Haustür konnte kein Mensch zu uns ins Zimmer klettern. Die Klassenlehrerin hatte meine Mutti darauf angesprochen. Mein Vater geriet wegen der Schwindelei meiner Cousine in Rage. Sein guter Ruf als Terroristenjäger war in Gefahr! Er war bekannt, und seine Töchter und seine Nichte sollten sich gefälligst benehmen. Und nun hatte ich auch noch in der Schule herumgeschrien.
Meine Mutti brachte mich am nächsten Tag wieder zur Schule, und ich fing wieder an zu weinen. So laut, dass die Lehrerin unmöglich ihren Unterricht halten konnte. Meine Mutter fragte die Lehrerin, ob sie sich hinten ins Klassenzimmer setzen dürfe. Das durfte sie nicht – aber sie konnte auf dem Gang warten.
Für meine Mutti, die Frau des Terroristenjägers, begann mit meiner Schulpflicht ein Albtraum. Ihre Tochter plärrte den ganzen Morgen in der Schule und störte damit den Unterricht. Die Lehrer sagten, dass sie so etwas noch nie erlebt hätten.
Eines Morgens, als ich wieder so weinte, holte mich die Klassenlehrerin in ein Zimmer mit einem Schreibtisch und mehreren Stühlen. Zwei ältere Frauen saßen dort und eine jüngere. Sie starrten mich an. Ich hatte noch mehr Angst als sonst. Die älteste von den dreien fragte mich nach meinem Namen und wie alt ich sei. Ich sagte gar nichts.
„Du bist Ines und du bist sechs Jahre alt“, versuchte sie es noch einmal. „Was hast du denn bloß?“
Ich weinte los. „Ich will zu meiner Mutti. Sie wird sonst entführt, und ich sehe sie nie wieder im Leben. Ich muss sofort nach Hause.“
Die drei Frauen sahen sich gegenseitig an. Dann sagte die jüngere Lehrerin mit schneidender Stimme: „Du bist sechs Jahre alt und gehst nicht nach Hause. Du bist jetzt still! Du musst hier zur Schule gehen.“
Ich heulte noch lauter und sah in Richtung Tür, als ich einen Knall auf meiner rechten Wange spürte. Ich dachte, mein Kopf würde wegfliegen, so heftig war die Ohrfeige. Ich war still. Die drei Frauen verließen den Raum. Ich stand auf und lief zur Tür, sie war abgeschlossen. Ich brüllte los, so laut, wie niemals zuvor. Ein paar Augenblicke später ging die Tür wieder auf.
Der Direktor rief meine Mutti an. „Ihr Kind ist nicht schulreif“, erklärte er. „Stellen Sie ihre Tochter lieber noch ein Jahr zurück.“
Ich durfte nach Hause und musste nicht mehr in die Schule. Ich konnte wieder mit meinem Meerschweinchen spielen. Meine Mutti brachte mir am Frühstückstisch das Lesen mit Hilfe der Bild-Zeitung bei. Ich lernte mit ihr rechnen, malte und spielte. Und mein Papa schimpfte nicht. Er sagte, dass ich dann eben im Schwarzwald in die erste Klasse käme. Ich erklärte, dass ich nie in die Schule gehen würde.
Meine Mutti saß mit mir auf dem Balkon, wir spielten mit den Puppen, und der Hund war auch dabei. Sie nahm mich zu ihrem Heilpraktiker mit, der über das Vorgefallene entsetzt war. „Wie kann man nur ein kleines Kind schlagen!“ Er empfahl meiner Mutter, mich auf eine Waldorfschule zu schicken und gab ihr Bachblüten mit, die eine harmonisierende Wirkung haben sollten.
Evi und Helga trösteten mich auf ihre Art. Ich sei einfach zu blöd, um in die Schule zu gehen. Lesen, schreiben und rechnen müssten dann eben andere für mich, meinten sie grinsend. Ich war geknickt: Meine Schwester und meine Cousine wussten alles und ich nichts.
Die Polizisten vor unserer Haustür hatten es ebenfalls mitgekriegt: Nummer fünf blieb zu Hause, weil sie in der Schule mit ihrem Gebrüll den Unterricht lahmgelegt hatte. Sie nickten mir zu, wenn ich mit Astrid das Haus verließ: Nummer fünf spielte direkt vor der Haustür und hatte ein weißes Rosettenmeerschweinchen im Kinderpuppenwagen dabei.
Astrid war mein ganzer Stolz. Astrid war nicht nummeriert. Sie war nicht Nummer sechs, sondern ein Meerschwein. Und Meerschweine wurden nicht entführt. Da war ich mir sicher.