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Am Rich­ter­berg

Wir zo­gen mit Hund, Meer­schwein­chen und al­lem, was wir hat­ten, in die Ge­gend von Ka­rls­ru­he in ein klei­nes Schwa­rz­wald­dorf. An­geb­lich war das neue Haus ganz si­cher. Vier be­waff­ne­te Po­li­zis­ten mit Funk­ge­rä­ten stan­den rund um die Uhr vor un­se­rer Haus­tür, für ihre Ru­he­pau­se hat­ten sie einen klei­nen Wohn­wa­gen. Alle Schei­ben im Haus wa­ren aus Pan­zer­glas. Die Mo­lo­tow­cock­tail-si­che­re Mar­ki­se war rot, man konn­te sie so weit her­un­ter­fah­ren, dass der Bal­kon als si­cher galt. Sta­chel­draht hat­ten wir auch be­kom­men, und kein ein­zi­ger Baum stand im Gar­ten, da­für schenk­te mir mei­ne Mut­ti ein Schau­kel­ge­rüst.

Trotz­dem hat­te ich Angst, und mei­ne El­tern hat­ten auch Angst. Des­halb wa­ren bei uns alle Tü­ren ab­ge­schlos­sen, und in der Schub­la­de im Flur lag die Pis­to­le.

Sonst än­der­te sich nicht viel: Mein Papa war wei­ter­hin fast nie zu Hau­se. Wenn er vom Büro kam, wur­de er von ei­nem Per­so­nen­schüt­zer mit MP bis vor die Haus­tür ge­bracht. Dann hat­te er Hun­ger und nur sehr sel­ten Zeit, sich mit mir zu un­ter­hal­ten. Er frag­te mei­ne Mut­ti über mei­nen Kopf hin­weg, ob sei­ne „puel­la“ auch brav ge­we­sen sei. Das war La­tein und hieß Mäd­chen. Er ver­si­cher­te mei­ner Mut­ter, wie schön sie sei, und igno­rier­te mich. Wenn ich ihn an­sprach, hör­te er nie wirk­lich zu. Er hat­te oft Kopf­schmer­zen.

Bei mei­ner Mut­ter er­kun­dig­te er sich je­den Tag, ob et­was Be­son­de­res pas­siert sei. Es gab im­mer wie­der Nach­barn, die ver­däch­ti­ge Per­so­nen in un­se­rer Stra­ße wahr­ge­nom­men hat­ten und die­se In­for­ma­ti­o­nen an die Po­li­zis­ten vor un­se­rer Haus­tür wei­ter­ga­ben: Etwa ein ein­zel­ner Mann mit ei­ner gro­ßen Plas­tik­tü­te in der Hand oder ein Auto, das be­son­ders lang­sam an un­se­rem Haus vor­bei­ge­fah­ren war. Mein Va­ter gab die Per­so­nen­be­schrei­bun­gen, die die Nach­barn ihm ge­ge­ben hat­ten, an die Be­hör­den wei­ter.

Ein paar Wo­chen nach un­se­rem Ein­zug war un­ser Haus ein­deu­tig von zwei ver­däch­ti­gen Män­nern be­ob­ach­tet wor­den, die ziem­lich un­vor­sich­tig wa­ren. Nach­barn ent­deck­ten sie und konn­ten sie ziem­lich ge­nau be­schrei­ben. Die Er­mitt­ler ver­mu­te­ten, dass es zwei Ter­ro­ris­ten vom Fahn­dungs­pla­kat wa­ren.

We­nig spä­ter be­ka­men wir einen Rie­sen­schreck: Ein klei­nes Flug­zeug war auf­fäl­lig lan­ge über un­se­rem Häu­ser­block hin und her ge­flo­gen. Das BKA wur­de ein­ge­schal­tet. Tat­säch­lich hat­te je­mand in dem Flie­ger Luft­auf­nah­men an­ge­fer­tigt. Mein Va­ter war ent­setzt. Wir hat­ten nicht dar­an ge­dacht, dass auch aus der Luft her­aus ein At­ten­tat auf uns ver­übt wer­den kön­ne. Auf so et­was wa­ren die Si­cher­heits­maß­nah­men nicht aus­ge­legt.

Gleich über die Stra­ße gab es einen klei­nen Spiel­platz. An­fangs durf­te ich dort spie­len, aber nach der Ge­schich­te mit dem Flug­zeug war es da­mit vor­bei. Ich durf­te drau­ßen nur noch di­rekt vor den Po­li­zis­ten oder im Gar­ten spie­len. Sonst wur­de mei­ne Mut­ter hys­te­risch. Ein­mal war ich mit den Roll­schu­hen ein­fach weg­ge­fah­ren, denn bei uns in der Nähe gab es eine tol­le Ab­fahrt. So­fort gab es Alarm: Num­mer fünf war weg! Es dau­er­te nicht lan­ge und ich wur­de ge­or­tet und wie­der ein­ge­fan­gen. Mei­ne Mut­ti heul­te, und ich be­kam ent­setz­li­chen Är­ger: Sie hat­te mich doch so lieb und woll­te nicht, dass mir et­was zu­stieß – dass die bö­sen Män­ner kom­men und mich in ein Auto zer­ren und ent­füh­ren. Ich wein­te vor Schreck. Ich hat­te doch nur mit den Roll­schu­hen fah­ren wol­len.

Mei­ne Mut­ter be­ru­hig­te sich nur lang­sam. Sie frag­te eine Nach­ba­rin, ob ich viel­leicht bei ihr zu Hau­se manch­mal mit ih­ren Kin­dern spie­len dür­fe. Die Nach­ba­rin stimm­te zu – wenn ich mich nur von ih­rem Baby fern­hiel­te: „Hän­de weg vom Baby!“, schärf­te sie mir ein. „Den Kin­der­wa­gen fasst du nicht an!“ Das Baby in­ter­es­sier­te mich über­haupt nicht. Man sah so­wie­so nichts von der Klei­nen im Kin­der­wa­gen au­ßer ei­ner rosa Müt­ze und ei­ner Strick­de­cke.

Ich war oft bei den Nach­barn. Die Schwa­rz­wäl­de­rin back­te Dampf­nu­deln, ich spiel­te mit den Kin­dern, und in kur­z­er Zeit lern­te ich den ba­di­schen Di­a­lekt.

Mei­ne Mut­ter konn­te den Di­a­lekt nicht ausste­hen. Wenn ich zu Hau­se Ba­disch sprach, be­kam sie so­fort schlech­te Lau­ne. „Das heißt nicht: ‚Du hasch’, son­dern ‚Du hast’! Ge­wöhn dir das bloß nicht an!“ Sie ließ mich die Sät­ze auf Hoch­deutsch wie­der­ho­len und schimpf­te mit mir ohne Ende. „Wenn du spä­ter nicht mehr im Schwa­rz­wald wohnst, den­ken die Leu­te, du bist un­ge­bil­det“, sag­te sie und kniff mich wü­tend in den Arm. „Ge­bil­de­te Men­schen spre­chen kei­nen Di­a­lekt.“

Ich war den Trä­nen nahe. Es war wohl bes­ser, Hoch­deutsch zu spre­chen, sonst hat­te mich die Mut­ti nicht mehr lieb.

Die Stra­ße, in der wir wohn­ten, hieß bei al­len im Dorf bald nur noch „Der Rich­ter­berg“. Mei­ne Mut­ter moch­te den Schwa­rz­wald nicht, Ka­rls­ru­he war „fins­ters­te Pro­vinz“. Es gab dort nicht die­se schi­cke Mode wie im Rhein­land.

Die schlech­te Lau­ne mei­ner Mut­ter hing auch da­mit zu­sam­men, dass die Nach­ba­rin­nen im Dorf ihr tat­säch­li­ches Al­ter her­aus­ge­fun­den hat­ten. Denn mei­ne Mut­ti schum­mel­te sich ger­ne mal zehn Jah­re jün­ger. Sie leg­te sehr viel Wert auf ihr Aus­se­hen, ver­brach­te Stun­den vor dem Spie­gel, schmink­te sich und styl­te an sich her­um. Das Schlimms­te, was mei­ner Mut­ter pas­sie­ren konn­te, war, dass je­mand er­fuhr, wie alt sie wirk­lich war. Sie schärf­te es mir im­mer wie­der ein: „Denk dran, dei­ne Mut­ti ist erst sechs­und­drei­ßig Jah­re alt.“ Ich er­zähl­te das brav den Nach­bars­kin­dern. Ein klei­nes Mäd­chen, das ich ei­gent­lich be­son­ders gern hat­te, sah mich kurz an und mein­te nur: „Dann muss dei­ne Mut­ti die Evi schon mit acht­zehn Jah­ren be­kom­men ha­ben.“ Ich zuck­te die Ach­seln. War­um denn nicht?

Ja, Schön­heit war mei­ner Mut­ti wich­tig. Sie hat­te frü­her ge­mo­delt und ach­te­te im­mer sehr auf ihr Ge­wicht. Wäh­rend wir Kin­der mit­tags Pom­mes mit Ketch­up oder Nu­deln oder Kar­tof­fel­brei mit Erb­sen­sup­pe aßen, saß sie da­ne­ben und sto­cher­te in ih­rem Tel­ler mit ro­hem Spi­nat her­um.

Mei­ne Mut­ti litt auch dar­un­ter, dass ihre Freun­din aus Bonn nicht mehr da war. Wenn wir al­lein wa­ren, fing sie an zu er­zäh­len, Mut­ti hat­te ja nie­man­den au­ßer mir. Sie er­zähl­te von frü­her, als sie selbst noch ein Kind war. Wie sie im Bun­ker ge­ses­sen hat­ten in Kiel, weil die Stadt von den Fein­den mit Bom­ben be­wor­fen wur­de. Wie ihr El­tern­haus völ­lig aus­brann­te. Ihr Va­ter war Zahn­a­rzt ge­we­sen, und nach dem Krieg hat­ten sie sich al­les wie­der neu auf­bau­en müs­sen. Sie hat­te ih­ren Va­ter sehr ge­liebt. Er war dar­an ge­stor­ben, dass er nach dem Zie­hen ei­nes Zahns eine Sep­sis nicht über­lebt hat­te, aus­ge­rech­net er als Zahn­a­rzt! Mei­ne Mut­ti er­klär­te mir, dass es im Krieg ganz schwer ge­we­sen sei und dass man noch nicht mal But­ter aufs Brot ge­habt habe. Ich frag­te sie ganz viel, sie wuss­te ja im­mer al­les. Ich saß stun­den­lang bei ihr und hör­te ihr zu.

Sie er­zähl­te mir auch, dass sie mei­nen Papa nicht moch­te, weil er im­mer nur Ter­ro­ris­ten jag­te. Wenn sie gute Lau­ne hat­te, durf­te ich mir die Fin­ger­nä­gel mit rosa Lack an­ma­len. Mei­ne Mut­ti sah mich an und sag­te, dass sie mich lieb habe.

Ich wur­de wie­der ein­ge­schult. Die Dorf­schu­le, auf die ich im Schwa­rz­wald ge­hen muss­te, war für mich ge­nau­so angst­ein­flö­ßend wie die Schu­le in Bonn, es war wie in der Geis­ter­bahn. Je­den Mor­gen wur­de ich im Po­li­zei­au­to zur Schu­le ge­fah­ren. Im Po­li­zei­wa­gen war al­les vol­ler Funk­ge­rä­te, und es roch nach Zi­ga­ret­ten­qualm. Die bei­den Män­ner in ih­ren grü­nen Uni­for­men wa­ren mein Schutz. Ei­ner von ih­nen brach­te mich bis zur Ein­gangs­tür der Schu­le. Dann stand ich mit den an­de­ren Kin­dern auf dem Schul­flur und war­te­te auf den Gong. Und ich dach­te im­mer nur an mei­ne Mut­ti. Dass ihr bloß nichts pas­sier­te. Ob ich sie noch ein­mal wie­der­se­hen wür­de?

Mei­ne Mut­ter wuss­te, dass ich die Schu­le nicht moch­te. Sie er­zähl­te mei­ner Klas­sen­leh­re­rin, dass ich in Bonn im­mer aus der Schu­le weg­lau­fen woll­te. Des­halb pass­ten die Leh­rer jetzt ganz ge­nau dar­auf auf, dass ich nicht ver­schwand.

Mut­ti frag­te mich, ob ich in der gro­ßen Pau­se auf dem Hof auch im­mer schön in der Nähe mei­ner Leh­re­rin blie­be. Ich war ehr­lich und sag­te: „Nein, wir Mäd­chen spie­len im­mer mit den Jungs mit ei­ner Cola-Dose Fuß­ball.“ Mei­ne Mut­ter ver­bot es mir und ging gleich am nächs­ten Tag zu mei­ner Klas­sen­leh­re­rin: Ihre Toch­ter sol­le bes­ser be­auf­sich­tigt wer­den. Ich blieb von nun an im­mer ganz nah bei der Pau­sen­auf­sicht.

Ei­nes Abends kam mein Papa mit ei­nem Pla­kat zu mir und mach­te ein sehr erns­tes Ge­sicht. Auf dem Pla­kat wa­ren die Ter­ro­ris­ten ab­ge­bil­det mit ih­ren Na­men. Ich er­schrak, denn ich wuss­te nicht, dass auch Frau­en Ter­ro­ris­ten sein konn­ten. Ich dach­te im­mer, das sei­en nur Män­ner mit Bart.

Mein Papa sag­te mir, ich sol­le mir die Fo­tos ge­nau an­se­hen. Ich kann­te nie­man­den von ih­nen. „Wenn du einen von die­sen Men­schen siehst, rennst du weg, so schnell wie mög­lich“, schärf­te mir mein Va­ter ein. Ich nahm es mir fest vor.

Er er­klär­te mir auch noch an­de­re Din­ge: Wenn ich ir­gend­wo auf dem Geh­weg lief und ein Auto ne­ben mir hal­ten wür­de, sol­le ich – egal wer dar­in saß, und egal, was die­se Per­son er­zäh­len wür­de – so­fort weg­ren­nen. Auch wenn mich je­mand nach dem Weg frag­te oder an­geb­lich Hil­fe brauch­te: Nichts wie weg. Ich durf­te von nie­man­dem Sü­ßig­kei­ten an­neh­men, mich mit nie­man­dem an­freun­den und nie­man­dem et­was über un­se­re Fa­mi­lie er­zäh­len. Auf kei­nen Fall durf­te ich Ge­schen­ke an­neh­men – und auch kei­ne Post oder Pa­ke­te. Mit schwirr­te der Kopf, das konn­te man sich al­les ja gar nicht auf ein­mal mer­ken.

Auch aus der Schu­le soll­te ich mich von nie­mand an­ders ab­ho­len las­sen, au­ßer ge­nau den Po­li­zis­ten, die mich hin­ge­bracht hat­ten. „Wenn dir je­mand sagt, dass dei­ner Mut­ti et­was pas­siert sei und du des­halb mit­kom­men sollst, dann tust du das nicht! Du rufst im­mer so­fort die Po­li­zei mit ei­nem Er­wach­se­nen an.“

„Meinst du, Mut­ti pas­siert was?“, frag­te ich halb heu­lend.

Mein Papa schüt­tel­te den Kopf: „Nein, das sind Lü­gen, die sich je­mand aus­denkt, um dich ir­gend­wo­hin zu lo­cken.“

Ich nick­te. Jetzt hat­te ich al­les ver­stan­den. Ich warf noch ein­mal einen ganz ge­nau­en Blick auf die Fahn­dungs­bil­der. Ich muss­te doch auf mei­ne Mut­ti auf­pas­sen.

Mei­ne Mut­ter hat­te die Fo­tos auch schon ge­se­hen, und auch Hel­ga, die die meis­te Zeit in ih­rem Zim­mer saß. Mei­ne Cou­si­ne hass­te den Schwa­rz­wald noch mehr als mei­ne Mut­ter. Sie ging aufs Gym­na­si­um und war dort die Ein­zi­ge, die mit ei­nem Po­li­zei­au­to in die Schu­le fah­ren muss­te. Es gab in ih­rer Schu­le eine Grup­pe Mäd­chen, die sie an­dau­ernd är­ger­ten. Weil sie nicht Ba­disch sprach, weil sie so lan­ge Haa­re hat­te, weil sie nicht gut in der Schu­le war. Sie hat­te kei­ne rich­ti­ge Freun­din, und als sie mit an­de­ren Mäd­chen mit dem Bus in die Kreiss­tadt fah­ren woll­te, durf­te sie es aus Si­cher­heits­grün­den nicht. Mei­ne Cou­si­ne fing an, die Schu­le zu schwän­zen, und mei­ne Mut­ti ließ es ihr durch­ge­hen, weil sie auch al­les scheuß­lich fand.

Ich hat­te dem­ge­gen­über noch Glück mit mei­ner Klas­sen­leh­re­rin. Sie wohn­te im sel­ben Dorf wie wir und hat­te das Po­li­zei­auf­ge­bot vor un­se­rer Tür ge­se­hen. Sie hat­te Mit­leid mit mir. Mei­ne Mut­ter be­kam dies mit, als ich ein­mal im Auf­satz eine Zwei be­kam, ob­wohl ich so vie­le Wör­ter falsch ge­schrie­ben hat­te.

Mehr­mals war es vor­ge­kom­men, dass ich ein­fach in der Stun­de auf­ge­stan­den war und ge­sagt hat­te: „Mir ist übel. Ich gehe jetzt nach Hau­se.“ Dann wur­de ich in der Schu­le fest­ge­hal­ten. Es fiel mir schwer, mich zu kon­zen­trie­ren, aber ich war gut in Re­li­gi­on und Mu­sik. Ich moch­te das Fach Schön­schrift, weil ich so ger­ne mal­te. Ich mal­te die Buch­sta­ben nach und be­kam die Note eins. Mut­ti konn­te es kaum glau­ben.

Ich wur­de von der Mu­sik­leh­re­rin für den Schul­chor emp­foh­len. Aber ich durf­te nicht hin­ge­hen, weil der Sing­un­ter­richt in der Sport­hal­le statt­fand, und da konn­te die Po­li­zei nicht mit­kom­men. Mei­ne Mut­ti sag­te, ich sol­le doch zu Hau­se mit­sin­gen, wenn die Schall­plat­te von Cin­dy und Bert lief. „Das ist doch viel schö­ner als Chor.“ Das mach­te ich dann auch.

Aber bald gab es wie­der Är­ger mit Hel­ga. Mein Va­ter hat­te im Kel­ler un­se­res Hau­ses ein klei­nes Ar­beits­zim­mer mit ei­nem Schreib­tisch, al­les war vol­ler Ak­ten und Pa­pie­re. Die Pa­pie­re wa­ren nicht ge­heim, aber in frem­de Hän­de ge­ra­ten soll­ten sie auch nicht.

Ich trau­te mich gar nicht in den Kel­ler, weil ich Angst vor dem Dun­keln hat­te. Au­ßer­dem war da un­ten die Hei­zung, die mach­te so ko­mi­sche Ge­räu­sche. Ich dach­te, sie kön­ne ex­plo­die­ren, wenn man da­vor­steht. Aber mei­ne Cou­si­ne hat­te sich dort­hin ge­traut, und zwar heim­lich. Hel­ga hat­te Kon­takt zu ter­ro­ris­ti­schen Krei­sen auf­ge­nom­men. Sie hat­te in den Ak­ten Adres­sen in Ham­burg ge­fun­den und dort­hin heim­lich Brie­fe ge­schrie­ben. Sie wol­le Ter­ro­ris­tin wer­den, er­klär­te sie dar­in. Hel­ga wur­de zur Rede ge­stellt und gab es zu. Mein Va­ter war fas­sungs­los: Mei­ne Cou­si­ne setz­te das Le­ben un­se­rer Fa­mi­lie aufs Spiel, um sich vor Ter­ro­ris­ten aus Ham­burg schön­zu­tun. Gott sei Dank hat­te sie kei­nen Zu­griff auf wirk­lich bri­san­tes Ma­te­ri­al, sol­che Ak­ten blie­ben si­cher im Bun­des­ge­richts­hof ver­wahrt.

Der Ver­fas­sungs­schutz frag­te mei­ne Schwes­ter aus, und mein Va­ter, der Ter­ro­ris­ten­jä­ger, muss­te um sei­nen Job fürch­ten. Die Ver­fas­sungs­schüt­zer be­dau­er­ten mei­nen Va­ter. Sei­ne Nich­te habe wohl aus­ge­präg­te Tee­n­a­ger­fan­tasi­en, er­klär­ten sie.

Mein Va­ter be­hielt sei­nen Job, aber er wur­de eine Zeit­lang schief an­ge­se­hen. Als eine Be­för­de­rung an­stand, wur­de er über­g­an­gen. Sei­ne pu­ber­tie­ren­de Nich­te hat­te ihm eine noch glän­zen­de­re Kar­rie­re ver­dor­ben.

Mein Va­ter ach­te­te jetzt mehr auf mich. Er sag­te mir, dass man im Le­ben nicht lü­gen sol­le. Die Wahr­heit sei viel­leicht manch­mal un­be­quem, aber im­mer bes­ser. Er sag­te, dass ich spä­ter nicht Ju­ris­tin wer­den müs­se. Viel­leicht wol­le ich ja auch Heil­prak­ti­ke­rin wer­den, wie die net­te The­ra­peu­tin, die mei­ne Mut­ter jetzt be­han­del­te. Sie hat­te mir ein paar lee­re Plas­tik­sprit­zen ge­schenkt, und ich piks­te mei­ne Pup­pen da­mit. Mein Papa sag­te, ich sol­le ihm im­mer die Wahr­heit sa­gen. Und dass ich die Ak­ten in sei­nem Ar­beits­zim­mer nicht an­rüh­ren sol­le, das sei sonst Spi­o­na­ge. Ich nick­te. Der Kel­ler war mir oh­ne­hin zu ge­fähr­lich we­gen der Dun­kel­heit und der Hei­zung.

Papa sah mich ernst und trau­rig an. „Mei­ne lie­be Mol­li“, sag­te er, „wenn mir mal et­was pas­siert, musst du ganz tap­fer sein und zu dei­ner Mut­ter hal­ten. Das ist ganz wich­tig. Merkst du dir das?“

Ich nick­te wie­der. „Meinst du, dir pas­siert was, Papa?“

Er zuck­te die Ach­seln. „Du arme klei­ne Mol­li. Da drau­ßen ist es ge­fähr­lich, aber wir ha­ben den Per­so­nen­schutz. Das liegt in Got­tes Hand.“

„Wir ha­ben Schutz­en­gel”, sag­te ich. „Ich habe sie ge­se­hen.“

Mein Va­ter nick­te. „Ja, wir ha­ben Schutz­en­gel. So, lie­be Mol­li, jetzt gehst du hoch und füt­terst dein Meer­schwein.“

Ich mach­te mich so­fort auf den Weg. As­trid be­kam Ra­dies­chen­blät­ter, die la­gen schon in der Kü­che be­reit. Ich stie­fel­te trepp­auf und gab sie dem Schwein­chen. Es mach­te „oink-oink“. As­trid sprach mit mir. Sie aß al­les ganz schnell auf, und ich blieb bei ihr oben und knips­te den Glo­bus an.

Kindheit D

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