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Die Verlockungen der Nacht
ОглавлениеWer glaubt, eine Frau wird zur Hure geboren, der irrt. Wer meint, sie muss das Zeug in sich tragen, diesen dornigen und steinigen Weg zu gehen, der irrt. Es kann eine jede von uns treffen. Jede Frau kann eines Tages so weit abrutschen, dass sie den Halt verliert und in ein bodenloses Nichts fällt. Es muss allerdings schon sehr, sehr viel passieren, wenn eine Frau aus gutbürgerlichem Haus so weit abrutscht, dass sie sich eines Tages auf der Straße im wahrsten Sinne des Wortes wiederfindet und sie mit fassungslosem Staunen und Entsetzen erlebt, wie dieses kleine schüchterne Wesen, welches sie doch so gut zu kennen glaubte, sich von einer Stunde zur anderen in einen männermordenden Vamp verwandelt.
Eben noch ganz bieder in ihrer Kleidung, in ihrem Sinnen und Denken, geht der Tag, ein ganz normaler Büroalltag, zu Ende, als diese kleine Tippse bereits ihre Gedankenwelt zu verändern beginnt. Ihre Gedanken drehen sich nicht mehr um alltäglichen Bürokram, nein, sie drehen sich um Männer, nur um Männer, zum Teil ganz brave Ehemänner, die sich auf dem Heimweg befinden, die keine sündigen Gedanken hegen, Männer, die nur von dem Gedanken beseelt sind, schnell heimzukommen zu Muttern. Diese Männer, diese ganz besonders, will sie ansprechen, auf sich aufmerksam machen, ihre Sinne verwirren, vernebeln. Sie sollen sie verlieren, für einen Moment nur noch von dem Gedanken beseelt sein, diese Frau, dieses verführerische Weib, welches ihnen so unverhofft über den Weg läuft, zu besitzen, sie zu besteigen, ihre Sinnenlust zum Bersten zu bringen, nur noch eins zu sein – mit ihr: Zu lodern in einem Feuer der Lust und Leidenschaft! Für einen kurzen Moment alles eingefahrene, nüchterne Denken über Bord zu werfen und die eigene prachtvolle Männlichkeit einem lodernden Feuer überlassen. Um dann, wie aus einem Rausch zu erwachen mit dem Gefühl, geträumt zu haben. Denn das, was sie gerade erlebt haben, konnte gar nicht Wirklichkeit sein. Es war nichts weiter als ein Trugschluss ihrer Gedanken und Fantasien.
Dieser unscheinbaren, biederen, kleinen Tippse bereitete es eine grenzenlose Freude, das schlafende Tier im Mann zu wecken. Mit Fassungslosigkeit erlebte ich es jeden Tag aufs Neue, wie schnell es dieser Frau gelang, sich zu verändern. Ohne jegliche Skrupel warf sie ihren Köder aus und traf dabei allerdings nicht immer ins Schwarze. Wenn sie jemanden bei ihren nächtlichen Rundgängen ins Visier genommen hatte – und dabei traf sie ihre Wahl immer sehr genau –, der konnte sicher sein, nicht ungeschoren davon zu kommen. Wie eine Spinne spann sie ihr Netz. Ihre Art, sich zu bewegen, ihre aufreizend wohlgeformten Beine, ihre leicht schwingenden Hüften, die Art, wie sich kleidete, der leichte Touch ins Mondäne, vermischt mit dieser leichten Spur ins Verruchte, ließ so manch eiligen Autofahrer plötzlich die Fahrt verlangsamen. Ein begehrliches, sinnliches Verlangen nahm von ihm Besitz. Er hatte Mühe, sich auf den Verkehr zu konzentrieren, auf die Straße. Er hatte Mühe, seine Gedanken unter Kontrolle zu bringen, nicht zu sehr abzugleiten und seiner in die Höhe schießenden Männlichkeit Herr zu werden. Es ist nicht so einfach, wenn einem plötzlich beim Autofahren der eigene angewachsene „Steuerknüppel“ in die Quere kommt. Wie soll sich da einer beim Fahren konzentrieren?! Und ich pickte sie mir heraus, meine Männer. Oh, nein, ich schwang mich nicht zu jedem ins Auto, schon gar nicht verhandelte ich am heruntergekurbelten Autofenster, um mich auf ein kurzes Gespräch einzulassen.
Ich hatte ein untrügliches Gespür für meine Freier, nennen wir es einfach Intuition, wo ich ein leichtes Spiel hatte. Wenn ein Auto anhielt, riss ich die Wagentür auf und mit einem eleganten Schwung hatte ich es mir auch schon auf dem Beifahrersitz gemütlich gemacht, währenddessen ich schon zirpte: „Fahren Sie doch bitte ein kleines Stückchen weiter, wo wir uns beide einen Moment in Ruhe unterhalten können.“ Oft saßen die Männer da und bekamen den Mund nicht mehr zu – vor allem, wenn ich manchmal die Unverfrorenheit besaß, mich in ein Auto zu schwingen, das notgedrungen vor einer roten Ampel hielt, jedoch bestimmt nicht in der Absicht, eine Frau aufzugabeln. In diesem besonderen Fall bat ich etwas aufgeregt darum, ein kleines Stück mitgenommen zu werden, da ich den Eindruck habe, verfolgt zu werden. Oft genug hatte ich mit dieser Masche unglaublichen Erfolg, denn jeder wollte den Beschützer spielen.
Ich war mir der Verwerflichkeit meiner Handlungsweise vollauf bewusst, aber mein Hass auf die Männerwelt vernebelte mein Denken total. Es wäre sicherlich besser gewesen, sich nur mit den Männern auf einen kleinen Liebestrip einzulassen, die von sich aus den Wunsch dazu verspürten, ohne dass ich diejenige war, die ihnen dieses Begehren einpflanzte. Denn da kurvten wirklich genug potenzwillige Kavaliere durch die Gegend. Aber nein, da konnte ich ja meine Hassgefühle nicht voll ausleben! Zumal es mir ein köstliches Vergnügen bereitete, meine Macht über die Männer zu demonstrieren. Das war auch so ein Teil von mir, der mich sehr befremdete, mit dem ich mich nicht anfreunden konnte, denn auf der anderen Seite wiederum suchte ich den Kontakt von Wärme, von Nähe – und das auf dem Straßenstrich, der doch bekannt war für die schnelle Mark, wo Männer abgekocht werden, wo Gefühle fehl am Platze sind! Gefühle haben im horizontalen Gewerbe nichts verloren. Sind hier vollkommen fehl am Platze. Und doch schenkte ich jedem Gast wenigstens freundliche Worte, so manches Mal sogar kleine Streicheleinheiten. Ich habe nie schnodderig daher geredet. Ich merkte sehr schnell, wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück. Wenn sich mal einer im Ton vergriff, wies ich ihn höflich in seine Schranken. Ich habe mit meiner freundlichen Art sehr gute Erfahrungen gemacht.
Wenn die Nacht mich mit ihren Schwingen einholte, stand ich voller Lust in den Startlöchern und hatte den Eindruck, eine mir vollkommen fremde Frau auf ihren Streifzügen durch das Dunkel der Nacht zu begleiten. Das war nicht ich, sondern eine Fremde von irgendwoher, die mir plötzlich über den Weg gelaufen war. Die mich an die Hand nahm, um mich mit dem Sumpf des Lebens bekannt zu machen. Wie oft schüttelte ich angewidert und entsetzt den Kopf über diese Frau, die besitzergreifend treubraven Ehemännern lustvoll den Kopf verdrehte. Diese Männer waren ihre liebsten Opfer. Es bereitete ihr ein geradezu sadistisches Vergnügen, ihnen begehrlich die Sinne zu rauben, sie für einen Moment nicht mehr klar denken zu lassen. Das soll nun aber nicht heißen, dass Inga, so nannte sich dieser männermordende Vamp, es darauf abgesehen hatte, den braven Ehemännern Ungelegenheiten zu bereiten. Sie war im Gegenteil sehr darauf bedacht, dass der treubrave Ehemann, sobald er sein plötzlich auftretendes Verlangen gestillt hatte, ordentlich gekleidet und ohne „Verkehrsflecken“, wenn auch manchmal mit etwas verklärtem Blick, pünktlich zu Mutti nach Hause kam. Manch einer fragte mich anschließend in seiner Hilflosigkeit: „Und was sage ich, wenn meine Frau mich fragt, warum ich auf einmal so verändert bin?“ (Frauen haben da oft eine sehr feine Antenne, die den Männern allerdings in der Regel fehlt.) „Dann sage ihr einfach“, sagte ich, „,es ist das Glück, mit dir verheiratet zu sein. Das wurde mir heute auf der Heimfahrt mal so richtig bewusst.’ Das ist etwas, das dir fast jede Frau abnimmt, wenn du es ihr nur überzeugend genug erklärst! Das dürfte wohl nicht so schwer sein.“ Mit meinen Worten waren damit meist alle Bedenken aus dem Wege geräumt. Ich möchte nicht wissen, wie viele Ehefrauen ich an solchen Abenden glücklich gemacht habe. (Darauf bilde ich mir jetzt aber bestimmt nichts ein!) Und wer weiß, vielleicht wurde das mit einem Mal tatsächlich einem Mann bewusst. Manchmal muss man Männer einfach zum Nachdenken anregen, zumal wenn es um die eigene Frau geht. Darum möchte ich allen Ehefrauen raten – die den Verdacht hegen, ob er nun begründet ist oder nicht –, auf gar keinen Fall gleich das Handtuch zu werfen oder ihren Liebsten mit anzüglichen Fragen zu bombardieren!
Wenn ein Mann zu einer Hure geht, sind selten Gefühle mit im Spiel. Das gilt für den Mann genauso wie für die Hure. Ein Seitensprung mit ihr ist für einen Mann in der Regel so nichtssagend wie der Kuss einer Fliege. Das gilt in erster Linie für Ehemänner. Wenn er seine „Tore“ verschossen hat, ist er längst mit seinen Gedanken schon woanders. Vielleicht sogar reuevoll bei Ihnen, gnädige Frau! Denn oft plagt gerade verheirate Männer danach das schlechte Gewissen und sie denken voll Sehnsucht an die eigene Frau – wissen in diesem Augenblick das häusliche Glück erst richtig zu schätzen! (Denn die meisten Männer möchten am liebsten um ihrer selbst willen begehrt werden, nicht, weil sie sich dieses „Vergnügen“ erkaufen müssen!) Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe die Männer kennengelernt, vielleicht besser, als es mir lieb ist.
Oft haben es verheiratete „Seitenspringer“ sehr eilig, wenn sie ihre „Bälle verschossen“ haben, die Stätte der Lust zu verlassen. Zum Glück gibt es aber genügend Ehemänner, die jeder Versuchung widerstehen. Und das ist für mich Grund genug, es auf meine alten Tage noch ein zweites Mal zu versuchen. Der erste Versuch, mit einem Mann bis ans Ende der Tage glücklich zu werden, ging leider in die Binsen. In dieser Ehe, die nur sechs Jahre hielt, zerbrachen keineswegs alle Illusionen in mir. Dass meine Ehe eigentlich auf gar nicht so wackeligen Beinen gestanden war, stellte ich allerdings erst fest, als ich bereits endgültig alle Brücken abgebrochen hatte. Ein Zurück gab es nicht mehr für mich. Mein Exmann hatte bereits eine Neue gefunden, mit der er zwischenzeitlich zusammenlebte. Trotzdem waren wir noch über viele Jahre freundschaftlich miteinander verbunden.
Ich kann mich also einreihen in das Heer der Geschiedenen, jedoch keineswegs Abgeschreckten. Dadurch, dass ich schon einmal verheiratet war, hatte ich einen gewissen Status in der Gesellschaft, die natürlich keine Ahnung von meiner Vergangenheit hat. Ich zählte bereits 32 Lenze, als ich mit meinem Auserwählten vor den Traualtar trat. Ich war so frei, ihm zu sagen, dass er eine Frau mit Vergangenheit heiratet. (Allerdings wäre ich beim Erzählen nicht in die Tiefe gegangen!) Die damalige Antwort meines Ex imponierte mir gewaltig: „Ich heirate die Frau, die ich liebe. Egal, was du für eine Vergangenheit hast, sie hat dich geprägt, sie hat den Menschen aus dir gemacht, in den ich mich verliebt habe. Das Einzige, was mich jetzt interessiert, ist unsere gemeinsame Zukunft. Und die soll uns beiden Glück bescheren. Was wir jetzt daraus machen, liegt in unseren Händen. Und nun lass deine Vergangenheit ruhen. Denke nicht mehr daran, wenn du mit mir zusammenlebst.“ Die Worte meines Exmannes haben mich sehr beeindruckt. Und niemals hat er auch nur ein einziges Mal während unserer Ehe ein Wort über meine „Vergangenheit“ verloren, noch ist er in mich gedrungen, wie das in der Regel Männer gerne tun.
So, und jetzt möchte ich aus meinem turbulenten Leben als Strich-Mieze erzählen. Machen Sie sich also auf einige delikate Abenteuer gefasst. Den verehrten Leser möchte ich jedoch darauf hinweisen, dass er manchmal den Eindruck gewinnt, ich würde mein Hurenleben durch eine rosarote Brille betrachten. Dies ist jedoch nicht der Fall, auch wenn ich so manch skurriles Erlebnis zum Besten gebe. In den Genuss solcher Erlebnisse kommen alle Liebesdamen in der Zeit ihrer Laufbahn. Dieses Leben wäre gar nicht zu ertragen, wenn es sich nur aus Tragödien zusammensetzen würde. Auch das Leben am Rande der Gesellschaft hat zwei Seiten: Man lernt mit einem Auge zu weinen und mit einem Auge zu lachen.