Читать книгу Perlen vor die Säue… - Inge Elsing-Fitzinger - Страница 16
Eine gelungene Täuschung
ОглавлениеEs ist drückend heiß im Sitzungssaal. Das Publikum wirkt müde, schlaff. Dunkle Anzüge, beengende Krawatten, verschwitzte Hemden. Jürgen mobilisiert all seine Energie. Er muss sein Vorhaben heute unbedingt zu einem positiven Abschluss bringen. Morgen schon könnte die Konkurrenz ihre Finger im Spiel haben. Ihm würde ein enormer Patzen Geld durch die Lappen gehen. Geld, von dem weder der Hochverehrte Schwiegerpapa noch seine Frau wussten, dass es überhaupt im Umlauf war.
Max hat die ganze Nacht durchgearbeitet, ihm am frühen Morgen eine geordnete Liste mit gefälschten Buchungen, Kaufverträgen und wunderbaren Unterschriften und Stempeln überreicht. Siegessicher tätschelt Jürgen den Ordner vor sich auf dem Pult. Die Zeit würde einfach nicht reichen, all diese Dokumente genauer zu überprüfen. Die meisten Anwesenden wollten möglichst rasch wieder zurück in ihre Firmen, um noch mehr Geld zu raffen, von dem die meisten viel mehr besaßen, als sie je ausgeben konnten. Das ist Business, lächelt er wissend vor sich hin.
Er mobilisiert all seine Kräfte, rekonstruiert die wichtigsten Sätze seines „Lehrbuches für erfolgreiche Strategien“, tritt selbstbewusst vor das versammelte Auditorium.
Eine möglichst sonore Stimme. Auf keinen Fall zu schnell sprechen, ermahnt er sich. Und das Wichtigste, beim Betreten des Raumes ein breites Lächeln aufsetzen. Die Zielobjekte identifizieren, Gegner infiltrieren, Ziel isolieren, aus der Defensive locken und - zügig vollstrecken. Einen Block in der linken, einen Stift in der rechten Hand. Tunlichst lange Vorreden vermeiden. Das hat er gestern zur Genüge getan, war saftig auf die Schnauze gefallen.
Eine kurze Begrüßung. Übergangslos beginnt er mit seinem Vortrag, zählt bündig die zu behandelnden Punkte auf. Er hat sie auswendig gelernt. Die Notizen auf dem Block sollen als Unterstützung dienen, falls ihm sein Gedächtnis einen unerwarteten Streich spielt. Heute muss er die Hörerschaft mit Kompetenz überzeugen. Dazu gehört die freie Rede. Kein Hilfe haschender Blick auf sein Gekritzel. Schwiegerpapa schafft das immer. Dieser Mann geht meist sehr sparsam mit Worten um, doch jedes einzelne trifft voll ins Schwarze. Eine Strategie, die er jetzt ebenfalls anwenden will.
Mit großer Erleichterung stellt er fest, dass es der Senior vorgezogen hat, der Verhandlung fern zu bleiben, sichtlich überzeugt, dass dieses Treffen absolut unnötig und erfolglos verlaufen würde. Alexa sitzt in der hintesten Reihe, betrachtet ihn mit einigem Wohlwollen. Diese Gunst hat er sich mit einem Sexmarathon in der vergangenen Nacht mühevoll erkauft.
Mit selbstbewusstem Tonfall vermittelt er knapp seine Vorschläge. Lange, emotionsgeladene Ausführungen könnten das so diplomatisch gesteuerte Schiff nur zum Sinken bringen, befolgt er den guten Rat von Max.
Trotz steigender Temperatur versteht er es die Zuhörer mitzureißen. Ein Talent, das ihm angeboren ist, das ihm gestern aus unerklärlichen Gründen plötzlich abhanden gekommen war – die Körpersprache, die ungeahnte Reaktionen bewirkt. Gute Haltung, gewinnendes Lächeln und dieser gewisse „ich bin okay-, du bist okay-, alles ist okay- Blick. Sehen und gesehen werden – wenn der Körper spricht, lügt er nicht. Ein Credo, das er bisweilen notgedrungen zelebriert, da seine Worte nur all zu oft mehr Lügen beinhalten, als Wahres. Die gestern noch komatösen Teilnehmer scheinen heute hellwach zu sein, folgen mit Interesse seinen Ausführungen.
Er hat gelernt jeden Muskel seines Gesichtes zu kontrollieren. Antrainiertes Selbstbewusstsein, mehrere auswendig gelernte Floskeln, ein wenig psychologisches Halbwissen. Der mimische Ausdruck ist ausschlaggebend für Erfolg oder Misserfolg.
Freundlich drein zu schauen kostet ihm heute wirklich Mühe, nach all den Einwänden und Zweifeln, die die gestrenge Jury gestern abgelassen hat. Doch er weiß, wer freundlich drein schaut, inszeniert in sich selbst Gute Laune- Gefühle. Die braucht er unbedingt, um sein Geschäft positiv über die Bühne zu bringen. Ergo lächeln, lächeln, lächeln, bis die Mundwinkel zucken – dann lächeln auch die anderen.
Er legt Schriftsätze vor, detaillierte Berechnungen von Kosten und Nutzen, Pläne und Fotos des neuen Projektes und der freizügigen Umgebung. Es gelingt ihm tatsächlich die Angesprochenen zu überzeugen, Geld in sein lukratives Geschäft zu investieren. Erwartungsgemäße Zweifel werden zwar geäußert, die Jürgen mit haarsträubenden Erklärungen zerstreut. Je verrückter sich ein Argument anhört, umso williger findet es ein offenes Ohr. Erfahrungsgemäß weiß er um die Labilität seiner Kundschaft.
Und tatsächlich! Keiner blickt schockiert, wie am Vortag, keiner lässt Zweifel verlauten. Die Stimmung heizt sich wie von selbst an. Man beglückwünscht einander, nicht auf dieses Meeting verzichtet zu haben. Allesamt hören sie bereits die Goldmünzen in den Taschen klingeln.
Die Worte fließen Jürgen aalglatt über die Lippen und er lächelt fast ununterbrochen. Lügen, Gemeinheiten. Ränkespiele hat er in beinahe unerschöpflicher Menge auf Lager. Ein selbstgefälliges Grinsen in dem braungebrannten Gesicht, stolziert er herum wie ein balzender Pfau. Sein Selbstvertrauen grenzt an skrupellose Frechheit.
Eine Stunde später hat jeder Teilnehmer seine Unterschrift unter den Vertrag gekritzelt. Jetzt gilt es die nötigen Verbindungen spielen zu lassen, um die Klientel zumindest fürs Erste in Sicherheit zu wiegen. Alles Weitere würde sich finden. Zuviel Denken bereitet Kopfschmerz, unter Umständen sogar schlechte Laune, die er heute absolut nicht haben will. Kopf hoch Jürgen. Du bist der Mann der Stunde - und Max natürlich. Von seinem Geschick hängt die Grundlage für die finanziellen Mittel ab, die hochtrabenden Pläne möglichst selbstständig zu realisieren. Er hasst Abhängigkeit, vor allem von seiner Frau. Auf ein vorhandenes Fundament aufzubauen ist zwar Grundvoraussetzung, doch bald würde er unabhängig sein, müsste nicht mehr buhlen um gönnerhaft ausgestellte Schecks, um Almosen. Bald. Bald. Seine Selbstgefälligkeit schreit zum Himmel.
Zwei Stunden später kehrt Jürgen in das neue Büro zurück. Ein Eckzimmer mit wundervoll geschliffener Panoramaverglasung, in der sich das Sonnenlicht bricht. Von dem wüstensandgelben Berberteppich geht etwas Erfrischendes, Ungebrauchtes aus. Der Geruch von Farbe hängt noch in der Luft. Ein mächtiger Schreibtisch, neue Lederstühle, ein gemütliches Sofa, wofür auch immer. Weich und federnd. Man konnte ja nie wissen!
Ein echter Ernst Fuchs hängt an der blassgrünen Wand. Gegenüber eine Skizze von Egon Schiele. Kleinodien, die er dem Schwiegerpapa listenreich abgeschwatzt hat. Erotisierend, anregend. Regalwände, voll gestopft mit Ordnern. Zwei Telefone. Eine fast bis zum Plafond reichende Zimmerlinde.
Er wirft die Mappe mit den unterfertigten Verträgen auf die hochglanzpolierte Tischplatte, schenkt sich einen Großen Martini ein. Gerührt, nicht geschüttelt. Im Auftrag seiner Majestät, des von ihm meist belächelten Seniors Friedemann von Breest. Vor allen aber in eigener Sache.
Ein triumphierendes Lächeln. „Du hast sie alle an der Nase herumgeführt. Jetzt heißt es fix handeln. Morgen fliegst du mit Max und seinen Fälscherutensilien nach Amsterdam, greifst dir die Klunker, die auf wundersame Weise von diversen Gaunern gehortet wurden, legst ihnen Bares auf den Tisch, schwirrst mit der mehr als preiswerten Ware wieder ab.“ Sein Lachen klingt diabolisch.
„Unter Tags bin i c h an der Reihe, nachts dann d u, lieber Max.“
Er hat einen genauen Ablaufplan ausgearbeitet. Auf dem Rückweg, zweimaliger Zwischenstopp bei einigen Kunden, die den gesetzmäßig festgelegten Preis anstandslos bezahlen würden. Für erstklassige Qualität hat er sich verbürgt. Lupenreine Ware. Ein paar Prozente würde er ihnen großzügig gewähren. Schließlich sollen die Geschäftsverbindungen möglichst lange halten. Die benötigten Expertisen muss Max in Windeseile anfertigen. Kein Problem.
Max würde er mit einer zufrieden stellenden Summe abspeisen. Nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig. Beim Geld hört bekanntlich die Freundschaft auf, grinst er noch immer. Diesen Kerl werde ich noch sehr gut gebrauchen können. Den hat mir wahrhaftig der Teufel geschickt.