Читать книгу Perlen vor die Säue… - Inge Elsing-Fitzinger - Страница 6
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ОглавлениеClaudia ist Frühaufsteherin. Der blasse Schein des anbrechenden Tages dringt durch die duftigen Vorhänge. Rasch huscht sie aus dem warmen Bett, rennt hinaus in den Garten. Barfuss. Frischer Tau kühlt ihre brennenden Füße. Nach etwa einer Stunde kehrt sie zurück.
Ihr Zimmer nimmt langsam Gestalt an. Die Konturen der Möbel. Die Gesichter der Bilder an den Wänden. Vertraute Bilder. Bisweilen führt sie endlose Gespräche mit ihnen, um ihrem schweren Herzen Luft zu machen. Großmutter in schwarzer Robe, perlenbestickt, mit weißem Spitzenkragen, der ihren schlanken Hals liebkost. Heute lächelt sie besonders gütig, als wollte sie ihr Mut zusprechen.
Auf dem Bord liegen zwei braune Lederkoffer. Aufgeklappt. Gierige,
alles verschlingende Ungeheuer. Bedrohlich. Traurigkeit mischt sich mit Angst. Die Ferien sind zu Ende. Eine unabwendbare Tatsache, so sehr sie sich auch dagegen sträubt. Heute ist der Tag X, seit Wochen gefürchtet. Sie muss zurück ins Internat. Ein grässlicher Gedanke, den sie gewaltsam zu verdrängen sucht.
Nur wenige Stunden noch, dann würde Alfred, der Chauffeur, die schwere Limousine durch die breite Einfahrt kutschieren, ihr Gepäck sorgfältig verstauen. Vater würde sie ein letztes Mal in die Arme nehmen, Mutter mit rügendem Blick die Undankbarkeit der zickigen Tochter lautstark kritisieren. Ein sich regelmäßig wiederholendes Ritual, dem sie nicht entkommen kann, wie sehr sie auch an Vaters Verständnis appelliert, sie nicht mehr ins Internat zurückzuschicken. Gegen Mutters dominant vorgefasste Meinung sind alle machtlos. Auch die ihre ist völlig unmaßgeblich. Sie muss das Dilemma lediglich ausbaden. Ärgerlich schlüpft sie in das Reisekostüm, wirft die Schottenpelerine über, die ihr Papa von seiner letzten Geschäftsreise mitgebracht hat.
Es schellt an der Haustür, diskret, kurz. Claudia lugt durch den Türspalt. Josef, der Hausdiener, schlürft durch den Gang. Vaters Sekretär verschwindet lautlos im Herrenzimmer. Die Nervosität des Mannes ist unverkennbar. Eine schwarze Mappe. Krampfhaft presst er sie an seine Brust. Und das an einem Sonntag, denkt sie besorgt. Seltsame Unruhe flackert auf.
Während Claudia noch den ängstlichen Gedanken nachhängt, tritt Mama Henrietta, Komtesse von Reichenau, perfekt gekleidet aus ihren Räumen.
„Welch eine Überraschung“, meint die elegante Dame eher zynisch als freundlich. Groß und schlank. Das wundervolle blonde Haar quillt üppig unter der neuesten Hutkreation hervor.
„Kommst du etwa mit zur Messe?“ Ihr kritischer Blick bleibt an Claudias farbenprächtiger Pelerine hängen. „Doch nicht in diesem Aufzug, Kind. Wir gehen ja nicht in den Zirkus.“ Madame fegt eilig die Treppe hinunter.
„Eigentlich wollte ich…“
„Ja, ja, ich weiß schon“, ruft Mutter ungeduldig über die Schulter zurück. Der schwarze Hut mit Schleier hüpft bei jeder Stufe auf und ab, was der gewünschten Würde einen eher heiteren Akzent verleiht. „Nimm den grauen Kaschmirumhang und setz eine Kappe auf, Kind. Aber beeile dich bitte. Emmy das Frühstück um zehn Uhr im großen Salon. Das Fräulein wird um elf vom Chauffeur abgeholt. Sie wissen schon.“ Übergangslos erteilt sie dem Personal diverse Anordnungen. Jetzt trommelt sie ungeduldig mit dem schwarzen Schirm auf das Parkett.
„Kind, wo bleibst du denn. Ich möchte nicht erst zum Sanctus in der Kirche eintreffen.