Читать книгу Perlen vor die Säue… - Inge Elsing-Fitzinger - Страница 9
Jahre vorher
ОглавлениеDas Schweizer Internat am Genfersee. Alexa und Claudia besuchten vor Jahren gemeinsam diese altehrwürdige Institution. Seit Jahrzehnten versucht man hier, Töchtern aus vornehmen, vor allem wohlbetuchten Familien die entzückenden, mitunter sogar klugen Köpfe zurechtgesetzt. Vorrangiges Ziel: Hohe Politik adäquater Lebensplanung. Elitäres Ausbildungsprogramm: Sei stets so hübsch wie nur irgend möglich, gebildet und finde schleunigst einen gut situierten Ehemann. Kurz gesagt, kokett beschwingter Sexappeal zwischen Belesenheit und angestrebter Hausfrauenidylle.
Claudia war damals eher unglücklich. Großgewachsen und gertenschlank, verbrachte sie ihre wohl bemessene Freizeit viel lieber mit sportlichen Aktivitäten. Sie lief kilometerweit in den Auen rund um den Genfersee, ruderte mit Begeisterung oder vergrub sich stundenlang in für junge Damen eher ungewöhnliche Lektüre. Die anderen hievten sich mit lüsternen Jungmädchenbüchern in wilde Liebesabenteuer. Sie schmökerte in Geschichtsbüchern, blätterte in Atlanten, ließ sich in ferne Länder beamen. In Gedanken kämpfte sie mit Überzeugung gegen des Elend und die Unwissenheit minder privilegierter Menschen an, deren Schicksal sie sehr bewegte.
Während der Ferien versuchte sie Papa, ihren bei fast allen Problemen favorisierten Verbündeten, tunlichst zu überreden, sie auf eine andere Schule zu schicken.
„Dieses Einkochen in intellektuell- kulinarischer Art mag ich einfach nicht, Papa. Das Gehabe dieser hochgestochenen Gören geht mir maßlos auf die Nerven.“
Jeder Versuch des liebenswerten Papas die Wünsche der Tochter zu unterstützen, schlug fehl. Mama, Komtesse von Reichenau, hatte ebenfalls in diesem Haus die Schulbank gedrückt, und kurz darauf Gert Wiesinger, Sohn eines europaweit anerkannten Schmuck- und Diamantenhändlers kennen gelernt. Ein absolutes Plus für diese Anstalt. Kommentarlos überzeugend.
Mama hatte immer Recht. Kritik duldete sie keinesfalls. Papa liebte diese Frau tatsächlich sehr. Claudia kehrte also jeden Herbst planmäßig zurück in die Schweiz, um noch mehr dieser oft ausgeklügelten Wissenschaften, bezüglich „Männer um den Finger wickeln“, über sich ergehen zu lassen.
Dennoch enttäuschte sie Mamas eigentliches Ziel. Sie hatte ihren eigenen Kopf, stellte Studium und Wissbegierde absolut vor eine Ehe mit irgendeinem charismatischen Mann.
„Wer glaubt den Mond erreichen zu können, landet irgendwann auch dort oben“, meinte sie überzeugt. Eine Vision? Das Leben. Die Liebe. Das Geheimnis ihres inneren Glücks. Sie lächelt – ein untrügliches Seelenmorsezeichen. Sie wollte ein selbstständiger, interessierter Mensch werden, der die schönen Künste nicht nur als willkommenes Smalltalk-Thema sieht, um dem Göttergatten in spe zu imponieren.
Ihre Erzrivalin Alexa hingegen entwickelte sich zu einem rassigen Teufelsweib. Ihr Leben, ein einziges Tohuwabohu. Nachtschwarze Augen, wiegender Schritt, betörend aufreizende Bewegungen. Leidenschaftliche Blicke männlicher Bewunderer, die sie in vollen Zügen genießt. Charmante Worte gelten eher ihren provokant zur Schau getragenen Brüsten, als ihren Augen.
Früher schon hatte sie stets für gruppendynamischen Zunder in der Klasse gesorgt, sprühte über vor mitreißenden Ideen. Sie steigerte die Begeisterung der Mädchen und des Lehrpersonals gleichermaßen. Besondere schulische Leistungen wurden zur Nebensache. Erotischer Einsatz hatte stets Priorität. Äußerte sie doch einmal einen sinnvollen Beitrag zu einem ernsten Thema, schienen Gott und die Welt, vor allem aber die Lehrer, regelrecht überrascht.
„Wenn ein wohlsituierter Mann es schafft, mich vor Lachen unter dem Tisch zu kugeln, kann er mich auf der Stelle ins Bett schleifen.“ Kurzfristig helles Entsetzen. Dann platzten die Gören vor Lachen. Die überraschte Professorin verzog die Lippen zu einem triumphierenden Lächeln. Absolute Überzeugung. Der Lehrplan, die ausgeklügelten Theorien waren auf fruchtbare Erde gefallen.
„Schönheit kann Sicherheit verleihen, wenn sie naturgegeben ist. Vermessen wärs, alles auf die Schönheit zu setzen. Sie vergeht. Wichtig ist Selbstvertrauen, den Menschen ohne Angst in die Augen schauen können.“ Claudia meint, was sie sagt.
Verträumt lächelnd erinnert sie sich an ihr erstes Liebesabenteuer. Ein schlanker Jüngling, Marcel. Nie würde sie seinen Namen vergessen. Sie hatte damals Mühe zu atmen. Herzklopfen bis zum Hals. Hilflos stand sie vor ihm, fühlte seine warmen Hände auf ihren Wangen.
„Was hast du denn?“ Marcels Worte klangen liebvoll, berauschend. Eine Hand glitt zaghaft vom Hals über ihre Schultern, blieb auf ihrem zarten Busen liegen. Mit der anderen hielt er sie innig umschlungen. Ihr wurde schwindelig, die Knie gaben nach. Sein Gesicht, ganz nahe bei ihrem. Sie fühlte seinen Atem. Seine Lippen liebkosten ihre Augen, streiften über die Wimpern ihrer geschlossenen Lider, ihre Mundwinkel. Eine liebevolle, berauschende Berührung. Sie aber begann sinnloses Zeug zu quasseln, riss die Augen auf, wollte sich aus seiner Umarmung lösen und blieb regungslos.
„Sei still“, hatte er mit heiserer Stimme geflüstert und ihren Hals geküsst. Dann presste er behutsam seine Lippen auf die ihren. Alles war wunderbar still. Mit seiner Zunge versuchte er zaghaft ihre Lippen zu öffnen, dabei streichelte er zärtlich ihren Nacken. Sie hielt den Atem an vor Entzücken.
Endlich, nach unendlich langer Zeit haben die beiden engagierten Mädchen ihre Reifeprüfung geschafft. Claudia mit sensiblem Idealismus, Alexa als unbezähmbarer Freigeist und der Trophäe Verlobungsring.
„Könntest du nicht versuchen einen Gang zurückzuschalten?“ Claudias vergebliche Versuche, das Temperament der Freundin etwas zu zähmen, missglückten kläglich.
„Wenn ich noch weiter zurückschalte, bleibe ich stehen! Ich werde heiraten und ich bin im Gegensatz zu dir glücklich, du Langweilerin.“
Wie lange ist das schon her? Wie viele Tragödien sind seither geschehen, und immer noch sehnt sie sich nach ihren unerfüllten Träumen. Sie ist eine hoffnungslose Romantikerin, die leichtfüßig durchs Leben geht. Ein seelisches Punching- Band bewahrt sie davor, von Überforderung und Stress auf den Boden geschleudert zu werden. Ein Paradies bürgerlichen Alltagsrituals.
Irgendwann einmal ist sie aus dem Frust ins Surreale gekippt, stellte dadurch die bourgeoise Scheinheiligkeit an den Pranger. Ein menschlicher Prozess, der zum Positiven mutiert, hofft sie innig.