Читать книгу Perlen vor die Säue… - Inge Elsing-Fitzinger - Страница 7
Jahre später
ОглавлениеClaudia Wiesinger ist eine weiche, liebenswerte Frau geworden, rundum zufrieden, eins mit sich selbst, ihren Freunden, dem Leben. „Unkompliziert“ bezeichnet sie sich oft selbst. Sie ist sechsundzwanzig, könnte aber, wenn man sie nur hört, auch fünfundvierzig sein. Erstaunlich reif, zielstrebig und vernünftig.
„Manchmal möchte ich tatsächlich auch so abgedreht sein wie meine Mutter.“ Erstaunt über diesen seltsamen Wunsch lacht sie plötzlich auf.
Vor etwa drei Jahren hat die umtriebige Mama beschlossen, Haus und Hof den Rücken zu kehren, Tochter und Mann ihrem eigenen Schicksal zu überlassen. Das Theater ihres vorgetäuschten Glücks in der elitären Gesellschaft wollte sie radikal beenden, sich ins sonnige Spanien absetzen, ihr Leben erfüllen.
Papa schien dies mit stoischer Ruhe hingenommen zu haben. Claudias Entsetzen über eine solche Entscheidung tat er mit einer beiläufigen Handbewegung ab, als sie Händeringend vor ihm stand.
„Wie konnte es zu diesem Eklat überhaupt gekommen“, hat sie unter Tränen gestammelt.
Alleine, seltsam entspannt, holt Papa sie vom Flughafen ab. Sie hat das Wirtschaftstudium abgeschlossen, mehrere Praktika in Amerika absolviert. Während Claudias Alltag streckenweise ausschließlich zwischen Fulltimejob, Konferenzen, Fremdsprachinstituten und Computerkursen dahinraste, schien die einst so sittenstrenge Mama völlig neue Perspektiven für ihre Lebensplanung angepeilt zu haben.
„Es war Mutters Entscheidung. Sie hat mich eines Tages vor vollendete Tatsachen gestellt. Reisende soll man nicht aufhalten.“ Stoisch gelassen, mit einem Anflug von Erleichterung klangen Papas Worte. Für ihn schien die Angelegenheit eher Erlösung als Pein.
Jetzt hält Claudia den Hörer ans Ohr gepresst, lauscht der sich überschlagenden, bestgelaunten Mutter.
„Kind, ich hoffe es geht dir gut, und du machst dir nicht all zu viele Gedanken. Ich wollte es so, und bin einfach hingerissen von meinem neuen Leben.“ Ihre Stimme klingt plötzlich angespannt. Ein seltsames schmatzendes Geräusch tönt aus der Muschel, ein Hecheln. „Wart doch noch einen Augenblick, Henry, ich telefoniere gerade mit meiner Tochter“ zischt Mutter erregt. Eine kurze Pause. Claudia hört wieder dieses Stöhnen. Es wird lauter, drängender. „Ja, mach weiter so, schneller, schneller, ja, ich komme“. Ein tierischer Schrei. Pause. Eine erschöpft befriedigte Männerstimme. „Gut gemacht, meine geile Teufelin, warst wieder einmal so richtig scharf!“
Claudia weiß nicht recht. Hörer auf die Gabel schmeißen oder der sichtlich völlig durchgeknallten Mama weiter zuhören?
„Liebling horch zu. Alt werden kann ich später auch noch“, haucht diese jetzt etwas atemlos in die Muschel, „Ich will einfach alles nachholen, was ich ein Leben lang versäumt habe. Solltest du auch tun. Glaube mir, die Welt ist viel zu schön, um sie hinter dem Schreibtisch zu verbringen.“
Wieder dieses Keuchen, das Hecheln, schallendes Lachen. „Komm mich doch ganz einfach einmal besuchen. Du wirst sehen, ich habe Recht. Das Wetter, herrlich warm, erfüllender Sex, einfach wunderbar.“
Claudia schaltet die Freisprechanlage ein. Den Hörer legt sie vor sich auf den Tisch. Ein leichter Wind pfeift durch die Bäume im Garten. Ein Schwall Blätter segelt herunter. Bald würden die Tage kürzer, die Nächte länger werden und dunkel. Plötzlich fröstelt sie. Sie fühlt sich unendlich einsam, während Mutter in übermütigem Tonfall weiterplaudert. „Ich feiere gerade meinen Geburtstag. Wir sind in ausgelassener Champagner-Laune. Ohne diesen blöden Torten- und Gedichte- Schmarren, mit einem richtigen Mann im Bett.“
Das hab ich gerade mitbekommen, denkt sie frustriert. Claudia kann nicht fassen, was Mutter da von sich gibt. Ist diese Mittfünfzigerin in einer Krise? Hat ihr ein Burnout – Syndrom das Gehirn tatsächlich verbrannt. Und sie klingt gar nicht verrückt. Sie klingt entspannt, richtig glücklich.
„Mein Auserwählter ist ein Universitätsprofessor, der ganz auf meiner Wellenlänge schwimmt. Er ist leidenschaftlich, unersättlich. Wir verstehen uns prächtig.“
„Mama, nichts für ungut, aber ich werde in zwei Minuten auf einer Konferenz erwartet. Ich rufe dich bald zurück.“ Sie beißt sich auf die Lippen. Kurz darauf lächelt sie. Ein Lächeln voll verhaltener Wut, keineswegs bewältigtem Schmerz, den Mutter ihr antat.
Als Claudia einige Wochen später tatsächlich versucht, sie unter der gespeicherten Nummer zu erreichen, erfährt sie, die Dame sei mit unbekanntem Ziel abgereist.
Das neueste Objekt von Mutters Begierde hieß Eduardo Fernandez. Er hatte sie auf die Kanaren entführt, wo sie gemeinsam auf seiner Hazienda dem „Dulce Vida“ frönten, wie Claudia bei einem späteren Gespräch erfuhr. Es war Mutters letzter Anruf. Die beiden stürzten kurz darauf mit einem Privatjet über dem Atlantik ab.
Wie lange ist das schon her.
Mutters Geruch, ihre gepflegten Hände, ihre eleganten Bewegungen. Sie hört ihr Lachen, ihr Weinen, fühlt ihren Spott und ihre Liebkosung überwältigend stark, vertraut, als wäre sie persönlich im Raum. „Warum überkommt mich gerade heute diese Erinnerungen mit solcher Intensität?“ War es das kurze Gespräch mit Alexa, der einstige Schulkameradin und ewige Konkurrentin? Seit Ewigkeiten nervt sie mit ihren hirnrissigen Tiraden.