Читать книгу Der Beschützer - Psychothriller - Ингер Фриманссон - Страница 4

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Der Feuerwehrmann Stefan Almgren war mitten im Traum, als die Sirene losging. Es war ein großer Alarm, Feuer in der Nähe vom Gaswerk.

Er schlug die Augen in dem kalten, weißen Licht auf und fuhr schwerfällig aus dem Bett. Er hatte neunzig Sekunden, um hinunter in die Wagenhalle zu kommen, sich die Schutzkleidung überzustreifen und in den Wagen zu springen.

Die Uhr zeigte 04.17. Was er geträumt hatte, erinnerte er nicht mehr. Er verspürte nur ein unbestimmtes Gefühl des Verlusts. Es war, als wäre er aus einem weichen, wogenden Dunkel herausgerissen worden. Der Alarmton war so schrill, dass es wehtat.

Zum dritten Mal hintereinander war er als Feuerwehrmann mit Atemschutzgerät eingeteilt. So hielten sie es immer, tauschten die Plätze jeweils nach drei Schichten, damit alle gleichermaßen trainiert bei den unterschiedlichen Arbeitsaufgaben waren. Das nächste Mal würde er den Leiterwagen fahren. Das mochte er nicht. Er hatte Probleme, nachts den Weg zu finden.

Es war, als befände sich das Gehirn noch im Dämmerzustand, während der Körper schon tat, was er sollte, die Stange hinunterrutschte, zu der Schutzkleidung lief, in die Hose und die Stiefel sprang und den Helm auf den Kopf drückte. All das geschah mechanisch, jede Bewegung war antrainiert. Der Körper ein starrer, aber zuverlässiger Roboter. Nur das Gehirn lag wie betäubt da. Und er musste sich anstrengen, kannte plötzlich nicht einmal die einfachsten Wege. Nach Kungsgatan, Norrmalmstorg? Wie zum Teufel fuhr man dorthin?

Stefan Almgren, den seine Kollegen nur Almis nannten, kletterte in den Wagen und setzte sich. Er zog die gelbe Feuerwehrmannkapuze über den Kopf und hängte sich das Sauerstoffgerät über, das zum Aufladen hinter dem Sitz hing. Seine Gesichtshaut war noch warm vom Schlaf. Auf der linken Wange war der Abdruck des Lakens zu sehen, das unter ihm zerdrückt gelegen hatte.

Es war um die null Grad kalt, und leiser Schneefall färbte die Dächer der geparkten Autos weiß. Das Funkgerät knisterte, aber er konnte nicht verstehen, was gesagt wurde, kein Mensch außer ihnen war wach, nur sie waren zu dieser frühen Stunde unterwegs. Jompa fuhr, Johnny Karlsson. Neben Almgren saßen auf den hinteren Sitzen noch Anker Hahn und Engen. Mats Engen gähnte, seine Augen waren klein und mürrisch.

»Wenn einem nur mal eine einzige Nacht gegönnt sein könnte«, knurrte er und fummelte am Reißverschluss seiner Schutzjacke herum. »Wenn man einmal schlafen dürfte.«

Er hatte kleine Kinder, Zwillingsjungen, die erst ein paar Jahre alt waren. Sie weckten sich gegenseitig und machten Radau. Und sie waren oft krank.

Jompa drehte sich um:

»Verdammt, du bist doch nicht hier, um zu schlafen!«

Er sagte das ohne Aggressivität, der Ton war unter ihnen einfach so. Die meisten von ihnen arbeiteten bereits seit zehn Jahren zusammen. Sie kannten einander, konnten die Stimmung des anderen schon an der Art zu gehen abschätzen, an der Art, wie er sich über eine Zeitung beugte, wie er sein Essenspaket in den Kühlschrank stellte. Stefan Almgren war seit fünfzehn Jahren Feuerwehrmann. Er machte seinen Job gut, aber er war müde. Ein Monat war vergangen, seit Maria von der Arbeit nach Hause gekommen war und ihm erklärt hatte, dass sie sich scheiden lassen wollte. Sie hatte im Flur gestanden, ihr Haar war kurz und kraus. Es war ein regnerischer Tag gewesen. Sie hatte sich die Jacke ausgezogen und während sie sie an den Haken hängte, war sie damit herausgerückt.

»Stefan. Ich muss mit dir reden. Es ist wichtig.«

Er hatte das Essen fertig gehabt, zwei Koteletts und Reis. Er hatte den ganzen Tag frei gehabt, aber nichts Besonderes gemacht, Fernsehen geguckt, herumgekramt.

»Wollen wir nicht erst essen.«

»Ich habe keinen Hunger, Stefan. Ich ... ich habe einen anderen kennen gelernt.«

Genau in dem Moment löste sich der Aufhänger ihrer Jacke. Das Teil fiel vom Haken, senkrecht zu Boden und blieb dort einige Sekunden lang stehen, bevor es zur Seite kippte und in sich zusammenfiel.

Sie waren seit vier Jahren verheiratet, aber mit Kindern war es nie etwas geworden, das lag an ihm, und das wussten beide. Als er vierzehn gewesen war, hatte er Mumps gehabt. Sie hatte gesagt, dass das keine Bedeutung für sie habe, sie sei sowieso nicht so begeistert von Kindern.

Aber mit der Zeit wurde ihm klar, dass das nicht stimmte.

In dieser Nacht fanden sie zu einer Art neuer Gemeinsamkeit. Ein Schweigen hatte sich im Laufe der Jahre zwischen sie geschlichen, er war sich dessen bewusst gewesen, konnte aber nicht sagen, wie lange es das schon gegeben hatte. Das hatte sicher etwas mit dieser Müdigkeit zu tun, dieser großen Müdigkeit, die dazu führte, dass sie gerade mal den Alltag bewältigten, mehr nicht. Trotzdem begriff er es nicht.

»Was ist los, was stimmt denn nicht?«

Er wiederholte diese Frage immer wieder. Wenn sie herausfinden würden, was nicht stimmte, dann könnte ihnen geholfen werden, den Fehler zu beheben. So dachte er sich das, sie könnten gemeinsam das Problem lösen, so, wie sie es früher gemacht hatten. In der Anfangszeit. Als es die Lust noch gab.

Sie sagte, dass keiner von ihnen schuld daran sei. Und wenn, dann sei sie es, weil sie sich in diesen anderen verliebt hatte und das war ja nicht direkt ein Fehler, das war nichts, was man reparieren konnte. Sie sprachen miteinander in dieser Nacht, wie sie es seit langem nicht mehr getan hatten. Er war gefasst gewesen, brauste nicht auf, hatte stumm dagesessen und zugehört, während sie von ihren Treffen mit dem anderen berichtete. Als ihr klar wurde, dass er nicht daran dachte, sie zu unterbrechen, schilderte sie immer mehr Einzelheiten. Sie sprach zu ihm wie zu einem Beichtvater.

Sie hatte am Tisch gesessen, war bleich gewesen und hatte geweint, aber tief in ihren Augen leuchtete es vor unterdrückter Freude, und er wusste, dass diese Freude nichts mit ihm zu tun hatte.

Gegen zwei Uhr nachts waren sie beide erschöpft gewesen. Sie hatten sich ins Doppelbett gelegt, vollständig angezogen. Sie hatte seine Hand ergriffen, und sie waren eingeschlafen, er hatte ihr leichtes Atmen gehört. Als der Wecker geklingelt hatte, war sie aufgestanden und hatte das Frühstück gemacht. Wie üblich. Und nachdem er gegessen hatte, fuhr er wie üblich mit dem Auto zur Wache, und es war ein ruhiger Tag mit nur einem einzigen Einsatz, einem Automatenalarm.

Am Abend, als er heimgekommen war, waren alle Fenster dunkel. Sie war gegangen.

Sie näherten sich jetzt dem Gaswerk und fanden bald das betreffende Gebäude. Es war ein Autoverwertungsbetrieb, er lag ein Stück abseits von der Straße, umgeben von einem hohen Zaun mit Stacheldrahtrollen obendrauf. Die Tore standen offen, steckten in schmutzigen, zusammengepressten Schneewehen fest. Hasses Autoverwertung stand auf einem Schild über der Tür.

Jompa bremste ab und hielt an. Alle vier starrten auf den Leiter ihrer Gruppe, der kurz vor ihnen eingetroffen war. Sein Name war Lennart Björk, doch er wurde nur kurz LB genannt. Er war schon seit vielen Jahren dabei, ein ruhiger, gewissenhafter Mann, der nur selten etwas dem Zufall überließ. Er hielt über Funk mit ihnen Kontakt.

»Der Kerl, der den Alarm gab, hat gesagt, dass es hier rauchte. Er ist nur zufällig vorbeigekommen, hat von seinem Handy aus angerufen.«

»Wer war das?«, fragte Engen.

»Keine Ahnung!«

Jetzt konnten sie keinen Rauch entdecken. Das ganze Gebäude lag wie ein düsterer Klotz in der Dunkelheit. Die Fensterrahmen und die großen Eisentüren waren blau angestrichen. Ein Teil der Fenster war vergittert. Rechts davon stapelten sich die ausgeschlachteten Autoskelette in mehreren Etagen, zusammengepresst, türlos und ihrer Würde beraubt. Eine kleinere Tür, gerade so groß, dass ein Mensch hindurchpasste, war wie ein Puzzleteilchen in eine Eisentür eingesetzt.

LB drückte die Klinke runter. Es war nicht abgeschlossen. Dort drinnen gab es offensichtlich noch eine Tür, und jetzt konnten sie Rauchschwaden zwischen den Ritzen durchsickern sehen.

»Okay, Jungs, macht euch bereit.«

Sie zogen sich die Gesichtsmasken über und spannten alle Riemen und Gurte fest. Der Sauerstoff war kühl, schlürfend atmeten sie ihn ein. Sie kontrollierten sich gegenseitig, war das System dicht, sah alles korrekt aus? Dann entrollten sie einige Meter Wasserschlauch mit der Düsenspitze und gingen los.

Stefan Almgren war in dieser Nacht die Nummer zwei. Vor sich sah er Engens Rücken, das blinkende rote Signal seiner Sauerstoffflaschen. Im Eingang standen jede Menge Möbel, alles durcheinander, als wäre die Firma dabei umzuziehen. Engen fand einen Lichtschalter und versuchte ihn einzuschalten. Aber er funktionierte nicht.

Anfangs war der Rauch noch dünn, glitt dahin, als wollte er nur mit ihnen spielen, und tat ganz harmlos. Stefan Almgren hatte ein unangenehmes Gefühl. Aber genau genommen war es immer unangenehm, in ein brennendes Gebäude zu gehen. Was würden sie finden? Würde es schwierig werden? Aber hier, hier war etwas merkwürdig, er konnte nur nicht sagen, was.

Sie befanden sich in einem sehr kleinen Raum, einem Vorraum oder Flur. Eine einzige Tür führte weiter zu den anderen Zimmern. Und dort befand sich der Brandherd.

Sie öffneten die Tür und gingen in die Hocke. Der Rauch kam ihnen entgegen, er kam mit großer Kraft und ließ sie einen Augenblick schwanken. Dann hörten sie ein Geräusch. Es klang wie ein Mensch, ein dumpfer, jammernder Ruf von jemandem, der sich dort drinnen befand. Von jemandem, der in Gefahr war.

Stefan Almgren hörte Engens Stimme, durch die Gesichtsmaske gedämpft.

»Hast du das gehört, Almis?«

»Ja ... Es scheint jemand da drinnen zu sein.«

»Wir müssen weiter reingehen.«

»Ja.«

Engen übernahm den Funkkontakt, rief Anker, der draußen wartete. Anker Hahn, Tuborg genannt, war jetzt ihre Rückendeckung, er sollte sie leiten und lenken, sie herausschleusen für den Fall, dass sie die Orientierung verloren.

»Wir haben hier drinnen etwas gehört, das wie ein Mensch klingt.«

»Wie ist die Lage?«

»Im Augenblick können wir nichts sehen, dazu ist zu viel Rauch da.«

»Könnt ihr weiter vordringen?«

»Okay. Wir versuchen es, mit der rechten Hand an der Wand.«

»Verstanden.«

Stefan Almgren zog mehr Schlauch herein. Langsam krochen sie voran, suchten sich mit den Händen ihren Weg. Jetzt wurde es heiß, der Schweiß brach ihm aus. Er spürte das so vertraute Schwindelgefühl, das jedes Mal nach einer Weile einsetzte, und dann die Müdigkeit, die das Herz schneller pumpen ließ. Normalerweise dauerte es länger, mehr als zwanzig Minuten, bis man diesen Zustand erreichte. Er dachte, dass er das wohl Engen erzählen musste. Er wurde langsam müde, er dachte, dass sie doch erst fünf Minuten oder so hier drinnen waren. Er sah das kleine rote Blinklicht irgendwo vor sich, den Rücken seines Kollegen, es flimmerte und flackerte.

Er hatte überlegt, ob er eine Woche Urlaub nehmen sollte. Irgendwohin abhauen, auf die Kanarischen Inseln oder nach Tunesien. Bald war Weihnachten, in nicht einmal einem Monat. Er sah sich selbst im Fernsehsessel, allein mit Donald Duck. Jedes Mal, wenn sich der Gedanke ihm aufdrängte, wurde er ganz steif und verkrampft im Nacken. Dann konnte er sich nur mit Mühe bewegen, kaum richtig atmen. Er konnte sich denken, dass es nicht einfach sein würde, so kurzfristig noch einen Platz für eine Charterreise zu kriegen. Die Leute waren ganz verrückt nach Sonne nach dem langen verregneten Sommer, sie wollten um jeden Preis einfach nur weg. Und er hatte sich noch nicht einmal nach freien Plätzen erkundigt.

Er kroch mit der Stirn dem Boden zugewandt, packte den Schlauch fester, versuchte, ihn weiter hereinzuziehen. Das ging nicht. Der Schlauch musste sich irgendwo verhakt haben. Er drehte sich halb um, stieß aber mit dem Kopf gegen etwas Hartes, als wäre ein Wand oder eine Tür hinter ihm aufgedrückt worden, obwohl es doch vorher so etwas hier nicht gegeben hatte.

»Was zum Teufel ...?«, rief er und erwartete, Engens oder Tuborgs Stimme zu hören, was ist, Almis, ist alles okay? Aber er hörte sie nicht, spürte nur die Hitze, sie schien zugenommen zu haben, und er drehte sich noch einmal um, wollte dann mit dem Schlauch weiterkriechen. Er griff nach ihm, legte sich der Länge nach auf den Bauch und streckte die Arme, so weit es ging, aus.

Da war wieder das Geräusch, das Geräusch eines Menschen in Not. Er zwang seinen Kopf nach oben, leuchtete mit seiner Taschenlampe, sah einen Helm und Reflektoren.

»Engen?«, rief er.

Der andere kam näher, kam direkt auf ihn zu, immer näher.

Stefan Almgren kam auf die Knie und der Schweiß tropfte von den Brustwarzen.

»Engen, was ist denn verdammt noch mal los?«

Da sah er das Gesicht eines anderen, er sah ihm direkt in die Augen, und es war nicht Engen, er sah das im selben Moment, in dem die Atemmaske ihm vom Gesicht gerissen wurde und der Rauch in Mund und Nase drang. Er schnappte nach Luft, fing jedoch sogleich an zu husten und bekam einen Stoß, dass er seitlängs auf die Steinplatten fiel. Während der andere seine Füße packte und ihn über den Boden zog, versuchte er nach etwas zu greifen, um dagegen anzugehen, aber das ging nicht. Er fand nichts, und der Rauch machte ihn schwindlig und willenlos. Der Mann, der nicht Engen war, beugte sich über sein Gesicht. Stefan Almgren, genannt Almis, jammerte leise und hustete. Dann öffnete er seine Augen, und für eine Sekunde sah er, wer der andere war. Sein Körper zuckte in träger Verwunderung. Aber er bekam keine Angst. Er warf den Kopf zur Seite und bewegte die Lippen, als wollte er etwas sagen.

Anschließend glitt er ins Dunkel hinein.

Der Beschützer - Psychothriller

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