Читать книгу Der Beschützer - Psychothriller - Ингер Фриманссон - Страница 9

6

Оглавление

Franki machte sich immer zuerst auf dem Fahrrad warm. Wenn es noch frühmorgens war, fuhr er mit einem Widerstand von sechzehn, war es schon später am Tag, konnte er bis auf zweiundzwanzig hochgehen. Anfangs, als er die Wohnung gerade neu bekommen hatte, stellte er seinen Radiowecker immer auf halb sechs, um dann aufzustehen und zu trainieren. Um diese Uhrzeit war er noch so verdammt müde. Und so frustriert.

Inzwischen wachte er von allein auf. Das war allein eine Frage des Willens. Sonst nichts. Vollkommene Kontrolle über das eigene Dasein. Nur darum ging es. Und der Schlüssel dazu war, das er einfach anfing. Darauf achtete, sofort aus dem Bett zu springen, sobald das Radio einsetzte, ab in den Trainingsraum, fünfzig Minuten hartes Training, duschen und dann ein ordentliches Frühstück. Anschließend war er bereit, dem Tag in die Augen zu sehen und allem, was dieser wohl für ihn bereithielt. Oder für ihn im Schoß hatte, wie Mutter sich auszudrücken pflegte.

Das Leben war leichter geworden, seit er den Kontakt zu Roger abgebrochen hatte. Das war zum Schluss nur noch chaotisch gewesen, überhaupt nicht so, wie er es geplant hatte. Franki hatte ihn in Verbindung mit dem von seinem Vater geerbten Geld kennen gelernt. Er hatte sich lange mit dem Gedanken getragen, etwas Eigenes zu gründen. Zum Beispiel ein Sportstudio. Zu der Zeit trainierte er bei Aiskilos im Sveavägen. Und dort lernte er auch Roger kennen.

Roger war in seinem Alter. Er arbeitete als privater Fitnesstrainer und war äußerst geschätzt, besonders von verfetteten Vierzigjährigen, die langsam ahnten, dass ihre Glanzzeit dem Ende zuging. Als Franki Roger von seiner Idee erzählte, stellte sich heraus, dass dieser schon seit mehr als einem Jahr die gleichen Pläne hatte.

Also beschlossen sie, Kompagnons zu werden. Sie mieteten Räume an der Tulegatan und warfen allen alten Plunder hinaus, renovierten und kauften die notwendige Einrichtung. Das war eine schöne Zeit, voller Erwartung und Zufriedenheit. Er dachte oft daran, nicht mit Verbitterung, sondern eher mit einer Art ungewohnter Wehmut.

Dann sollte es losgehen. Aber da war es nicht mehr schön, und das lag an Roger. Er hatte versprochen, Kunden zu besorgen, hatte groß mit seinen weitläufigen Kontakten geprahlt. Doch plötzlich verschwand er einfach.

Es wäre zu peinlich gewesen, bei Aiskilos anzurufen und zu fragen, ob die wüssten, wo er war. Doch nach ein paar Tagen traf Franki ein Mädchen von dort in der Schlange vor dem Bankautomaten. Sie erzählte, dass Roger wegen Unterschlagung und Betrugs zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war.

»War dir das denn nicht klar?«, fragte sie, und ihr Pferdeschwanz schaukelte verächtlich hin und her. »Man konnte ihm doch ansehen, dass er ein Gauner war!«

Es gelang Franki, einen Teil der Einrichtung zu sich zu schaffen, bevor der Konkurs eröffnet wurde. Aber ansonsten war er vollkommen abgebrannt. Seine Mutter hatte nichts dazu gesagt, in der Beziehung war sie sehr diskret. Stattdessen hatte sie versucht, ihm zu helfen. Sie war es übrigens auch, die diese Wohnung für ihn gefunden hatte. Sie lag an der Persikogatan in Hässelby Strand, im Erdgeschoss eines Mietshauses. Als er sie zum ersten Mal sah, störte ihn der Gedanke, ebenerdig wohnen zu müssen. Er dachte an Einbrüche und an Kinder, die ihn ärgern und Dreck gegen die Fenster werfen konnten. Aber es war schwierig, eine billige Wohnung zu finden. Also hatte er keine große Wahl.

Seine Mutter lieh ihm Geld für ein paar Gitter in schwarzem, gedrehtem Schmiedeeisen. Die setzte er vor die Fenster – und das half. Nur einmal hatte ein Kind draußen gestanden und ihn angestarrt. Da hatte Franki sich seine Mütze aufgesetzt und so getan, als wollte er rausgehen. Er hatte das Licht in der ganzen Wohnung gelöscht und war im Dunkeln stehen geblieben, unsichtbar, abwartend. Und schließlich war das Kind davongetrottet.

Im Sommer wurde die ganze Wohnung von duftenden Rosenbüschen versteckt, da konnte er auf der Terrasse sitzen und sich einbilden, er wäre ganz woanders. InVisby. Oder im Ausland, in Spanien, auf Kos. Zumindest solange, bis ein U-Bahn-Zug in die Station einlief, fauchend und stinkend wie nach einer besonderen Leistung. Es gab auch ein Stückchen weiter noch eine Bushaltestelle, aber an das Busgeräusch hatte er sich gewöhnt, er hatte so lange damit gelebt, dass es zu einem Teil seiner selbst geworden war.

Die Übungsgeräte hatte er in das größere der beiden Zimmer gezwängt. Das war sicher eigentlich als Wohnzimmer gedacht, und seine Mutter hatte sich darüber beklagt, wie er es eingerichtet hatte. Aber schließlich musste sie es doch akzeptieren.

»Na, es ist sicher gut, dass du dich fit hältst«, erklärte sie. »Man soll auf sein Humankapital achten, das ist das einzige Vermögen, über das man wirklich verfügen kann.«

Das andere Zimmer, das kleinere, hatte er mit ihrer Hilfe eingerichtet, und hier hatte sie ihre weibliche Fantasie und Schöpferlust voll entfaltet. Die Gardinen waren gelb und gebauscht, wie Taschen genäht, in die leicht zusammengeknülltes Seidenpapier gestopft wurde. Aus dem gleichen Stoff war die Tagesdecke und eine staubige kleine Decke, die auf der Anrichte lag. Sie hatte ihm angeboten, sie ab und zu zu waschen und sich sowieso um seine Wäsche zu kümmern. Aber das hatte ihn sehr verletzt.

Auf der Wache kümmerten die Männer sich selbst um ihre Wäsche. Das war die Aufgabe desjenigen, der in dem Dreierwagen hinten saß. Und die Feuerwehrmänner übernahmen auch selbst die Küche. Dann würde er solche komplizierten Dinge ja wohl auch zu Stande bringen.

»Aber Franki, reg dich doch nicht so auf!« Sie hatte ihre Augen aufgerissen, und er sah, dass der Strich um die Augen herum ungleichmäßig gemalt war, was ihm vor Wut Kopfschmerzen bereitete.

Als sie gegangen war, zerschlug er drei Teller. Er nahm sie mit ins Badezimmer und ließ sie dort fallen, einen nach dem anderen, direkt auf den Fliesenboden. Das knallte in seinem Trommelfell. Er zog dem Gesicht im Spiegel ein Fratze. Plötzlich gefiel es ihm nicht mehr.

Nach dem Trainingsfahrrad ging er zu den anderen Geräten über. Er machte einige Übungen an der Beinpresse und auf der Ruderbank, dann fünf mal zwanzig an dem Bizepsgerät, zweihundert Liegestütz und dann Sit-ups, so lange er es schaffte und noch ein paar zusätzlich. Das Training war wichtig, das machten sie täglich auf der Wache, und es gab immer wieder Tests, um zu sehen, ob die Jungs den Ansprüchen auch gerecht wurden. Waren sie es nicht, so hatten sie drei Monate Zeit, etwas für ihre Kondition zu tun. Sonst bekamen sie einen Schreibtischjob, wie in so einem blöden Behördenbüro. Franki würde jedenfalls nie durchfallen. Er konnte jederzeit zeigen, wie gut er war. Niemand würde ihn deshalb absetzen können. Niemand.

Hinterher war er ein wenig zittrig. Das war ein gutes Zeichen. Das zeigte, dass er nicht versucht hatte, zu schummeln oder sich durchzumogeln. Er hatte seine Muskeln bis zum Äußersten beansprucht, und unter der Dusche befühlte er sie, strich über sie, dehnte sie, sein Körper war glänzend und kräftig. Sein Humankapital.

Es war wichtig, viel zu essen. Das Training hatte ihn hungrig gemacht, das war äußerst praktisch. Wie sonst hätte er etwas in sich hineinkriegen können? Er briet sich Eier und Schinken und machte Pommes frites unter der Mikrowelle heiß, währenddessen schmierte er sich einige Brotscheiben und schnitt Käse, Wurst und Tomaten auf.

Die ganze Zeit bei laufendem Radio.

Dem internen Feuerwehrfunk.

Der Trupp von Katarina war gerade zu einem großen Alarm ausgerückt. Das hatte er gehört. Der erste Wagen hatte bestätigt.

»Katarinawache mit drei Zügen auf dem Weg.«

Frank hatte die Adresse nicht mitbekommen, aber später erfuhr er sie doch noch, als die Verstärkung von Kungsholmen den Alarm bestätigte. Brännkyrkagatan 25.

Das schien ein Wohnungsbrand zu sein.

Er drückte auf seinen üblichen Sender, 103,3. Musik. Madonnas neue Scheibe, shanti, shanti, irgendwas. Er streute Salz auf die Eier.

Während er aß, fiel ihm Waltraut wieder ein, ihre mageren Schenkel um seine Wangen, der Duft des glänzenden Stoffs. Seine Handflächen wurden feucht. Dieser dünne, kleine Puppenkörper, die Töne, die sich da drinnen befanden, tief unten in ihrer kleinen Spatzenlunge versteckt. Er dachte an die Engel und musste laut lachen. Was für eine verrückte Idee, Engel an der Decke. Aber sie hatten sie festgekriegt, zusammen war es ihnen gelungen, die beiden Schrauben festzudrehen, er hatte ihr gezeigt, wie es ging, sie wusste so etwas ja nicht. Hatte mit zwei mickrigen Nägeln dagestanden.

Plötzlich war er vollkommen satt. Zwei geschmierte Scheiben lagen noch auf dem Tisch und ein Bissen des klebrigen Eigelbs, ein vages Übelkeitsgefühl überkam ihn, und er musste seinen Blick abwenden.

Er hatte gerade eine neue Kur mit Tabletten angefangen. Er war jetzt in der zweiten Woche, jeweils drei Stück, morgens, mittags, abends.

Er musste aufs Klo, scheißen. Er zögerte das gern hinaus, das tat so verdammt weh. Kinder zu kriegen, war das genauso, ging es ihnen so? Den Damen. Mit all ihren Löchern. War das so ein Gefühl?

Anschließend stand er auf und starrte in die Toilettenschüssel. Eine sonderbare Angst überfiel ihn, schnell machte er den Deckel zu und drückte den Spülknopf, immer wieder. Hatte man so was in sich, diesen braunen, stinkenden Dreck? In seinem Körper, in seinem Magen, seinem Darm. Richtig lebendig hatte es ausgesehen, als es da im Wasser lag. Was für eine eklige, blöde Konstruktion.

Seine Beine zitterten, er legte sich aufs Bett und schloss die Augen.

Das Telefon klingelte.

Zuerst wollte er nicht rangehen. Vermutlich war es seine Mutter, die seine Hilfe für irgendetwas brauchte. Er hatte versprochen, sich ihren alten Saab anzugucken, der in der Garage stand. Da stimmte etwas nicht mit der Zündung, aber das schaffte er im Augenblick nicht, dazu war er zu müde.

Dann fiel ihm ein, dass es vielleicht jemand von der Wache war. Vielleicht brauchten sie Verstärkung, sie wussten ja, wo er zu finden war.

Aber die waren es nicht. Es war Waltraut.

Der Beschützer - Psychothriller

Подняться наверх