Читать книгу Schlangengift - Roland Benito-Krimi 7 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 9

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Dänemark, Aarhus

Die Polizei kam trotzdem. Schneller, als sie damit gerechnet hatte. Vielleicht war es auch nicht die arbeitsreichste Zeit bei ihnen oder die Situation war doch so aufsehenerregend, dass sie nicht anders konnten.

Mikkel Jensen und Isabella Munch waren diejenigen, die auftauchten. Anne erkannte sie sofort wieder, als sie vor dem Haus wachsam aus dem Auto stiegen und die Beamtin beinahe in den eingeschrumpften Dachskadaver trat. Sie nahm sich die Zeit, ihn auf Abstand näher zu studieren. Der Abscheu stand ihr ins Gesicht geschrieben. Warte nur!, dachte Anne. Warte nur! Beide Beamte stoppten abrupt, als sie oben auf der Treppe ankamen und ins Haus schauten. Isabella schnappte laut nach Luft und hielt sich beide Hände vor den Mund.

Das Szenario im Wohnzimmer vor ihnen war auch wirklich grauenerregend. Anne war selbst in einen schockähnlichen Zustand verfallen, als die Tür dem Druck ihrer Schulter nachgegeben hatte und sich ihre Augen an das Halbdunkel im Raum gewöhnt hatten, in den sie hineingestolpert war. Etwas hatte unter der einen Sohle geknackt, eine klebrige Masse war zwischen die Zehen gedrungen und irgendwoher war ein Fauchen ertönt. Aber nicht von einer Katze. Jetzt stand sie in sicherem Abstand und krümmte unwillkürlich die Zehen in den offenen Sandalen, als ob das etwas helfen würde.

„Pfui Teufel!“, rief Mikkel und zog Isabella weg. Es hatte ihr die Sprache verschlagen und sie sagte nichts, bis er sie unten an der Treppe losließ und sie schüttelte.

„S… sind das Netze? Spinnennetze?“

„Ja. Sieht aus wie eine Szene aus einem Horrorfilm, stimmt’s?“

Sie drehten sich um. Es war deutlich in ihren Gesichtern zu sehen, dass auch sie sie wiedererkannten. Beide schauten sie an, als wäre sie diejenige, die immer all diese unheimlichen Ereignisse mit sich brachte.

„Haben Sie angerufen? Was zum Teufel geht hier eigentlich vor?“, fragte Mikkel, als ob sie das wüsste.

„Kommt Roland Benito nicht?“, war das Einzige, was ihr einfiel. Sie hatte erwartet, ihn zu sehen.

„Nein. Er ist nicht da. Macht Urlaub in Italien!“ Mikkel näherte sich wieder dem Haus und rief währenddessen die Kriminaltechnik an, das entnahm sie dem Gespräch. Neben ihr atmete Isabella schwer. Vielleicht litt sie auch an Spinnen- oder Schlangenphobie. Irgendeiner Phobie. Wenn man überhaupt an irgendetwas leiden musste, um bei diesem Anblick nicht die Selbstbeherrschung zur verlieren. Selbst als einigermaßen hartgesottener Beamter.

„Kennen Sie jemanden, der sich um all diese Viecher kümmern kann?“, rief Mikkel oben von der Treppe.

Anne wusste nicht, ob die Frage an sie gerichtet war, aber sie nickte eifrig. „Ja, tue ich.“ Sie hatte bereits das Handy aus der Tasche genommen und gab Freddy Hauges Nummer ein. Zum Glück war er noch in der Nähe, da er mit dem Direktor des Sägewerks, der plötzlich aufgetaucht war, ins Gespräch gekommen war, und machte sich gleich auf den Weg. Anne bat ihn ohne weitere Erklärungen, ein paar Helfer mitzubringen.

Sie ging die Treppe hinauf und stellte sich neben Mikkel. Sie schauten wieder ins Haus. Den Geruch nahm sie nicht mehr wahr, aber an den Anblick würde sie sich nie gewöhnen.

Der Mann lag auf dem Boden neben dem Esstisch. Es sah aus, als hätte er einen Krampf bekommen und wäre vom Stuhl gefallen, während er aß. Alles auf dem Tisch war mit Spinnweben bedeckt, sodass man nicht sehen konnte, was darauf stand. Wie um die Dramatik zu betonen, waren mehrere halb heruntergebrannte schwarze Netzkerzen rund herum auf den Fensterbrettern platziert. Man dachte unweigerlich an Halloween. Am schlimmsten war es jedoch, den Mann anzusehen. Er ähnelte der Hülle eines Insekts, wie man es umsponnen in einem Spinnennetz hängen sieht. Spinnen krabbelten aus seinen leeren Augenhöhlen, der Nase und dem offenen Mund. An den Wänden standen Terrarien, aber sie hatten alle keinen Deckel und waren leer. Anne konnte sich keinen Überblick verschaffen, wie viele Tiere es waren. Sie entdeckte einen Skorpion, der zwischen den Polstern aus einem braunen Sofa herauskrabbelte. Eine Schlange, die wie ein Python aussah, wand sich ihnen entgegen, als witterte sie die frische Luft von der Tür. Weitere Schlangen und Echsen befanden sich auf dem Boden, in den Möbeln – überall. Weder sie noch Mikkel sagten ein Wort. Isabella blieb auf dem Rasen vor dem Haus stehen.

Die Kriminaltechniker trafen ein. Auch sie blieben sprachlos an der Türschwelle stehen, ihre Taschen fest umklammernd. Endlich kam Freddy. Er hatte zwei andere dabei, die er als Kollegen vorstellte. Sie reichten sich alle die Hand und begrüßten sich.

Selbst Freddy wurde still.

„Ja, ich bin leider zu spät gekommen, um zu warnen“, sagte Anne hinter ihm.

Er drehte sich zu ihr um.

„Nein, Anne. Ich glaube, das hier ist das Nest. Die Latrodectus mactans sind hier nicht eingedrungen, sie sind hinausgeschlüpft.“

„Was für ein Ding?“ Mikkel runzelte die Stirn.

„Die Schwarze Witwe“, erklärte Anne. „Aber soll das heißen, das trifft auf all die anderen Viecher auch zu?“

„Vielleicht. Und wer zum Teufel behandelt Tiere so! Haben sie hier unter diesen Bedingungen gelebt?“

Wieder dachte er vor allem an die Tiere.

„Was ist das hier? Skorpione, Spinnen, Echsen und … was ist das Weiße da auf dem Boden?“

„Eierschalen. Zerdrückte Eier. Und das da ist eine Eierschlange“, er ging ein bisschen in die Knie und deutete unter eine weiße Kommode. „Die Eierschlange hat sich darauf spezialisiert, Eier aus Vogelnestern zu stehlen und sie am Stück herunterzuschlucken. Ist das Ei verschluckt, presst die Schlange es zurück gegen einige sägeförmige Knochen in ihrem Rückgrat, das Ei wird zerdrückt und die Schale hochgewürgt.“

Also waren die frischen, warmen Eier für sie gewesen, dachte Anne.

„Sie meinen also, es könnten noch mehr nach draußen entwischt sein?“, fragte Mikkel heiser.

„Für die Schlangen ist es schwer abzuhauen, wenn keine Fenster offen sind. Aber Spinnen können sich durch kleine Spalte hinauszwängen.“

„Ihr bleibt draußen! Haltet euch weg und passt auf, keine Spuren zu zerstören!“, rief einer der Techniker den Biologen zu, die es kaum erwarten konnten, ins Haus zu kommen.

„Das hier ist wohl kaum ein Verbrechen“, meinte Mikkel draußen von der Seitenlinie aus.

„Wie nennen Sie das dann?“, wollte Anne wissen.

„Mord, meine ich. Das waren ja wohl diese ‚Haustiere‘, die ihm das Leben genommen haben?“

Anne erinnerte sich an ihre kleinen, russischen Schildkröten und wie fasziniert sie damals von ihnen gewesen war. Trotzdem verstand sie nicht, dass jemand das Gleiche für solche Krabbelviecher empfinden konnte.

„Was meinst du, Freddy?“, fragte sie.

„Ja, das ist sicher. Wenn er hier mit Schlangen, Skorpionen und giftigen Spinnen zusammengewohnt hat, ohne dass sie in Terrarien waren, dann ist das auf jeden Fall der reine Selbstmord.“

„Das hätte er doch sicher nicht getan?“ Isabella näherte sich vorsichtig der Treppe und ergriff Mikkels Arm.

Freddy sah sie ernst an.

„Leider gibt es welche, die finden, dass das grenzüberschreitend und spannend ist und absolut ausprobiert werden müsste.“

„Aber das ist doch illegal.“

„Ja, und besonders, wenn sie nicht ordentlich gehalten werden.“

„Wer bringt die ins Land?“, fragte Anne und schauderte, als eine pelzige Vogelspinne aus einer leeren Haferflockenpackung flüchtete, die auf dem Boden lag und umgekippt war. Die Spinne flitzte hinter eine E-Gitarre, die auf einem Ständer in der Ecke stand, wo das Tierchen anscheinend sein Nest hatte. Anne blieb zusammen mit Mikkel, Isabella und den Biologen vorsichtshalber auf der Treppe.

Ein Techniker ging in die Hocke, um sich die Mumie näher anzuschauen. Draußen auf dem Hof knallte eine Autotür zu, und kurz darauf kam Natalie Davidsen mit ihrer Tasche in der Hand und steckte auch bereits einsatzbereit in ihrem Schutzanzug. Sie hielt in der Türöffnung inne, aber ihr Gesicht zeigte eher Erstaunen als Entsetzen. Als Rechtsmedizinerin hatte sie wohl bereits einiges gesehen, auch wenn sie zu der jüngeren Generation in der Branche gehörte. Sie grüßte nur kurz und ging neben dem Techniker in die Hocke. Gedämpft sprachen sie miteinander. Anne spitzte die Ohren, konnte aber nichts von dem hören, was sie sagten. Es geschah nicht jeden Tag, dass sie sich im gleichen Raum wie die Kriminaltechniker und die Rechtsmedizinerin befand. Schon gar nicht, während sie mit einer Leiche arbeiteten, aber keiner der beiden Beamten sagte etwas. Sie waren zu sehr von dem in Anspruch genommen, was vor sich ging. Nicht einmal, als sie diskret die Kamera herausholte, sagten sie etwas, obwohl sie garantiert jedes Mal, wenn sie auf den Auslöser drückte, das Klicken hörten.

„Wie lange ist er schon tot?“, fragte Mikkel.

„Ich vermute ungefähr vierzehn Tage, aber du weißt, dass ich das nicht genau sagen kann, bevor ich ihn auf dem Tisch hatte“, meinte Natalie.

„So lange! Wieso hat ihn niemand entdeckt?“, sagte Isabella.

„Er hatte keinen Kontakt zu den Nachbarn“, erklärte Anne.

„Woher wissen Sie das?“ Isabella schaute sie misstrauisch an.

„Wir müssen ihn wegschaffen“, unterbrach Natalie und stand auf. „Wir können nicht gleichzeitig diese Tiere weghalten und arbeiten.“

„Was machen wir anschließend damit? Das Ganze vergasen?“

„Nein!“ rief Freddy aufgebracht. „Wir nehmen das meiste mit.“

„All das da draußen lassen wir töten“, sagte Mikkel bestimmt und machte eine ausladende Geste über das Gebiet hinter dem Haus in Richtung Wald beim Sägewerk. „Die könnt ihr ja unmöglich alle einsammeln und wir können nicht zulassen, dass sich hier Giftspinnen vermehren.“

„In unserem Klima überleben sie draußen nicht besonders lange, und …“ Freddy ergab sich, als ob er der Wirklichkeit ins Auge sähe. „Wenn wir fertig sind, können Sie mit dem Rest machen, was Sie wollen. Aber nicht vorher!“, insistierte er.

„Okay, okay!“ Mit einem kleinen Lächeln und einem leichten Kopfschütteln folgte Mikkel Isabella nach draußen. Er hatte seine Hand beschützend auf ihren Rücken gelegt. Sie waren ja auch ein Paar.

Der Himmel hatte sich zugezogen und Wind war aufgekommen. Das fühlte sich sehr befreiend an. Anne stand direkt hinter den Beamten und konnte problemlos ihr Gespräch mit der Rechtsmedizinerin mithören; es war, als hätten sie völlig vergessen, wer sie war.

„Untersuchst du ihn näher oder steht die Todesursache fest?“, wollte Mikkel wissen.

„Nichts steht fest“, antwortete Natalie und zog die Handschuhe aus. „Ich muss herausfinden, was die genaue Todesursache ist. Wir wissen ja nicht, ob er bereits tot war, als seine Untermieter angefangen haben, ihn einzuspinnen. Ein Verbrechen kann nicht einfach ausgeschlossen werden.“

„Okay. Hast du einen Leichenwagen gerufen?“

Natalie bestätigte mit einem ärgerlichen Stirnrunzeln. Mikkel sprach auch mit ihr, als ob sie selbst nichts auf die Reihe kriegen würde. Anne fragte sich, ob er schon für Benito übernommen hatte, so, wie er sich aufführte.

Sie warteten in der Sonne auf dem Hof, von dem der tote Dachs entfernt worden war, aber der Geruch hing noch in der Luft. Freddy meinte, er sei an dem tödlichen Biss von einer der Schwarzen Witwen gestorben.

Kurz darauf bog der Krankenwagen vor dem Haus ein. Anne konnte wieder Fotos machen, als sie den Toten in einem Leichensack hinaustrugen.

„Du kontaktierst mich, sobald du etwas weißt, ja?“, bat Mikkel Jensen, als der Krankenwagen gefahren war.

Natalie nickte und stieg in ihr Auto. Sie fuhr als Erste, kurz darauf parkten Mikkel und Isabella rückwärts aus auf den Feldweg. Das Auto verschwand den Viborgweg hinunter. Die Techniker arbeiteten weiter, während die Biologen ungeduldig warteten.

„Da kannst du’s sehen“, sagte Freddy.

„Was?“

„Dass es zu einem Mord gekommen ist.“

„Ja, und sogar eher, als wir damit gerechnet haben.“

Endlich gaben die Techniker den Biologen die Erlaubnis anzufangen und fuhren mit ihrem eingesammelten Material zurück.

Anne hatte das Gefühl im Weg zu stehen, aber es war schwer, sich loszureißen und zurück in eine leere Redaktion zu fahren. Freddy war dabei, kleine Behälter mit Eiern und Ungeziefer in Kisten in seinem Auto zu arrangieren.

„Wer kann ihn mit all diesen Tieren versorgt haben? Die kann man doch wohl nicht in einer normalen Zoohandlung kaufen?“, fragte sie.

„Einige davon schon. Die ungiftigen. Zum Beispiel die kleinen Echsen, wie diesen Eublepharis macularius hier – ein Leopardgecko.” Er deutete auf eine durchsichtige Plastikkiste, in der eine kleine, ungefähr 15 Zentimeter große Echse mit gelben Flecken saß.

„Sieht aus, als ob die Schlangen einige der anderen Tiere gefressen haben. Da drinnen muss die reinste Anarchie geherrscht haben …“

„Er kann sie doch auch privat gekauft haben. Vielleicht im Internet?“

„Problemlos. Der Schmuggel von giftigen, seltenen oder bedrohten Tierarten ist zu einer großen Industrie geworden. Die Schmuggler können damit Milliarden verdienen und es gibt keine Grenzen für ihren Einfallsreichtum, wenn sie durch den Zoll müssen. Ein Scanner an einem Flughafen in Argentinien hat zum Beispiel einen Koffer mit ungefähr 250 Schlangen und Spinnen gefunden. Sie waren in zusammengerollten Socken versteckt. Klar, dass die Tiere unter einem solchen Transport leiden. Einige der Schlangen waren giftig. Sie hätten nach Spanien geschmuggelt werden sollen. Er hatte einfach das Pech, gestoppt zu werden.“

„Was macht ihr denn jetzt mit denen?“, wollte sie wissen und wich vor einem Karton mit Schlangen zurück, den ein Biologe im Arm hielt und mit einem siegessicheren Lächeln zum Auto trug.

„Wir versuchen jemanden zu finden, der sich um sie kümmert. Zoos wie der Randers Regnskov beispielsweise. Ansonsten müssen wir sie töten, damit ist ihnen am besten gedient.“

Schlangengift - Roland Benito-Krimi 7

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