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Kapitel 5

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Die weitere Meldung über ein vermisstes Baby war in der Notrufzentrale eingegangen. Außer der drei Monate alten Josefine Nørregaard war nun auch der gleichaltrige Emil Sønderskov verschwunden.

Anker Dahl musste sich einen Weg durch den Haufen Freiwilliger von der Organisation Missing Children bahnen, die den Eingang zum Polizeipräsidium blockierten. Sie sollten Bericht erstatten, wenn sie etwas fanden. Er hatte nichts gegen solche freiwilligen Organisationen, trotzdem war es irritierend, dass Amateure Ermittler spielten, und einige von ihnen waren zweifelsohne der Meinung, dass sie besser als die Polizei waren. Freundlich, aber bestimmt schob er einen von ihnen, der den Aufzug blockierte, zur Seite und eilte hinein, sobald die Tür aufglitt.

Er war dankbar, dass der Fall der verschwundenen Babys nicht zu seiner Abteilung gehörte. Anscheinend hatte der Vater eines der Kinder entführt und irgendwann verriet er sicher, wo er es versteckte. Solche elterlichen Streitigkeiten um das Sorgerecht in Scheidungsfällen waren immer häufiger geworden und in der Regel gingen sie gut aus – für einen der Partner jedenfalls. Er konnte es nicht ausstehen, wenn Kinder für diese Art Unstimmigkeiten benutzt wurden und hatte keine Ahnung, was er machen würde, wenn ihm das passierte. Falls Ann-Marie plötzlich die Scheidung und ihm Robin wegnehmen wollte. Glücklicherweise war das nicht zu befürchten.

Es war eine Erleichterung, in die Abteilung zu kommen, wo seine Mitarbeiter schweigend in ihre Arbeit vertieft waren. Nach dem Vorfall im Stadtbus war viel zu tun. Wie es ausgesehen hätte, wenn tatsächlich die Rede von einem Terroranschlag gewesen wäre, wagte er nicht mal zu denken. Er beneidete die Polizei und Rechtsmediziner in Kopenhagen nicht, die dabei waren, die Toten zu identifizieren, was bei einer Explosion eine furchtbare Aufgabe war, bei der die Leichenteile zusammengestückelt werden mussten. In der Regel mussten bei Katastrophen alle Leichenteile über fünf Zentimeter oder mit besonderen Kennzeichen registriert, untersucht und, wenn nötig, einer DNA-Analyse unterzogen werden. Sie erstellten DNA-Profile aller Leichen und größerer Leichenteile, um sich einen Überblick zu verschaffen, von wie vielen verschiedenen Opfern die Rede war und welche Leichenteile zusammengehörten. Teile eines Kiefers mit Zähnen oder ein Finger mit identifizierbaren Fingerabdrücken konnten die notwendige Information liefern. Die Angehörigen mussten informiert werden oder vielleicht ihre DNA abgeben, damit die Rechtsmediziner feststellen konnten, ob eines der Opfer ein Familienmitglied war. Gleichzeitig wurde ermittelt, wer die Bombe gezündet hatte, ob eine Terrororganisation dahintersteckte und ob andere Terroristen involviert und vielleicht entkommen waren; in diesem Fall eilte es, sie zu finden, um einen neuen Anschlag zu verhindern. Das war auch eine der Aufgaben, die gerade für die Ostjütländische Polizei wichtig war. Neue Anschläge zu verhindern. Ungeachtet dessen, wie der Bus-Fall ausging, befand sich die Terrorgefahr auf ihrem Höhepunkt. Er war irritiert darüber gewesen, zu der Besprechung mit dem PET gehen zu müssen. Hatte das Gefühl, die Situation unter Kontrolle zu haben, musste nun aber zugeben, dass sie ihnen einiges mehr an die Hand gegeben hatte, mit dem sie arbeiten konnten. Es gab einen Namen. Saqr. Wie auch immer man den aussprach und was auch immer er bedeutete.

„Kommst du mal einen Augenblick rein“, sagte er an Kim Ansager gewandt, als er auf dem Weg zu seinem eigenen Büro an dessen Tisch vorbeikam.

Kim nickte, ohne aufzuschauen. Wie gewöhnlich den Blick auf den Computerbildschirm gerichtet. Er war der Experte für Datenbanken, Analysen und Internet, insbesondere die sozialen Medien.

„Mach die Tür zu“, sagte er, als Kim eintrat, nachdem er selbst gerade in dem kalten Leder des Bürostuhls Platz genommen hatte. Er holte seine Notizen von der Besprechung hervor und legte sie vor sich auf den Tisch.

„Kam bei der Besprechung mit dem PET etwas Vernünftiges heraus?“, fragte Kim und setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. Er suchte immer das Gespräch, als ob er sich für alles engagieren wollte oder Stille einfach nicht mochte, jedenfalls, wenn er nicht am Computer saß.

„Es war eine vertrauliche Besprechung, aber es kam etwas dabei heraus, womit wir weitermachen können.“

Er schrieb den Namen auf und reichte Kim den Zettel.

„Saqr? Ist das der Name einer Person?“, fragte er und sah seinen Chef durch die Brillengläser an, die das Sonnenlicht vom Fenster reflektierten.

„Wir wissen es nicht. Ich möchte dich bitten, das herauszufinden. Der Name kann mit dem Terroranschlag in Kopenhagen in Verbindung stehen und wir müssen auch untersuchen, ob es eine Beziehung zu dem getöteten Busfahrer gibt. Aber ob Saqr eine Person, eine Terrorzelle oder etwas ganz anderes ist, wissen wir nicht.“

„Aber sollte dann nicht der PET …“

„Doch, doch, aber es schadet ja nichts, wenn wir uns die Sache ebenfalls anschauen. Die haben sicher auch genug mit dem Terroranschlag in Kopenhagen zu tun. Vielleicht ist Saqr ein Name, der in den sozialen Medien benutzt wird.“

Kim blinzelte ein paarmal. „Dann fange ich da an.“

„Gut.“ Anker Dahl schenkte ihm ein kurzes Lächeln. „Sag den anderen Bescheid, dass wir eine Besprechung abhalten. Ich will über alles informiert werden, was bei den Zeugenvernehmungen herausgekommen ist. Gibt es schon eine Rückmeldung aus der Rechtsmedizin wegen des Fahrers?“

Kim nickte und erhob sich wieder, als er realisierte, dass es kein längerer Besuch im Büro des Chefs werden würde. „Ja, aber der Bericht wurde an den DUP weitergeleitet.“

Anker Dahl biss die Zähne zusammen. Natürlich musste der Fall des Beamten untersucht werden, bevor die Polizei mit ihrer Ermittlung weiterkommen konnte. Nicht nur der PET mischte sich ein. Es hatte ihn überrascht, Roland Benito bei der Besprechung zu sehen. Er hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet Benito Viktor Enevoldsens bester Mann wäre.

„Sonst noch was?“, unterbrach Kim Ansagers etwas mädchenhafte Stimme seine Gedanken.

„Nein, alles weitere bei der Besprechung.“ Er schaute auf seine Uhr. „In zehn Minuten.“

Kim Ansager schlug scherzhaft die Hacken zusammen, wie ein Offizier in der Armee, und grinste schelmisch. Er musste wissen, dass diese Art Witz an seinem Chef abprallte, der ihn stattdessen irritiert ansah. Hätte er auch salutiert, hätte Anker Dahl es als Beleidigung aufgefasst, doch Kim spürte die Stimmung, drehte sich um und ging zurück ins Nachbarbüro.

Zehn Minuten später saßen sie alle mit ihren Kaffeetassen vor Anker Dahl an dem kleinen, runden Konferenztisch. Yazmin tippte mit den Nägeln gegen ihren Becher. Es sah nicht aus, als ob sie selbst bemerkte, dass es das einzige Geräusch in Anker Dahls Büro war. Sie starrte auf die Bilder des getöteten Busfahrers an der Tafel. Anker Dahl dachte, dass der Mann sympathisch aussah. Sie hatten das Foto in seinem Portemonnaie gefunden. Abdul-Jabaar hatte ein freundliches, rundes Gesicht. Nur wenn man näher heranging, meinte er, einen Funken Hass in seinen schwarzen Augen zu erahnen. Er schwelte in ihnen, aber wer wusste, wogegen der Hass gerichtet war? Wer hatte das Foto gemacht? Eindeutig jemand aus seinem Heimatland. Das Bild zeigte einen etwas jüngeren Mann als den, der in der eiskalten Leichenhalle der Rechtsmedizin lag. Er war vor einem gelben, alten Mauerwerk und der Hälfte eines Schildes mit arabisch aussehenden Zeichen fotografiert worden. Anker Dahl hatte herausgefunden, dass es beim Eingang zum Khyber Pass bei Peshawar aufgenommen worden war, der Hauptstadt in der Khyber Pakhtunkhwa-Provinz in Pakistan.

Er erhob sich von seinem Stuhl, um sich auf die Ecke seines Schreibtisches zu setzen. Er beobachtete Yazmin.

„Kanntest du ihn?“, fragte er.

Sie kehrte in die Gegenwart zurück, hörte mit dem Trommeln gegen den Becher auf und richtete ihren dunklen, überraschten Blick auf ihn. Schüttelte den Kopf. „Nein, warum sollte ich?“

„Vielleicht aus deinem Bekanntenkreis?“

„Ich kenne ihn nicht. Er kommt ja auch aus einem anderen Stadtteil als ich. Außerdem ist er Pakistaner“, unterstrich sie, als ob das jegliche Bekanntschaft ausschloss.

„Und du, Hafid? Kanntest du ihn?“

Hafid Ahmed sah ihn beinahe beleidigt an mit genauso dunklen Augen wie Yazmins. Seine Mutter war Dänin, sein Vater Marokkaner. Anker Dahl war stolz, zwei der sonst wenigen Beamten mit Migrationshintergrund in seiner Abteilung zu haben. Das passte zu seinem Ziel einer Polizei der Zukunft, obwohl er sich damit abfinden musste, dass sie ab und zu den Dienst verließen, um in den Gebetsraum zu gehen, der für sie im Polizeipräsidium eingerichtet worden war, um muslimischen Mitarbeitern entgegenzukommen. Er wusste, dass sie es nicht leicht hatten. Es war nicht von allen in ihrem Umfeld gern gesehen, dass sie für die Polizei arbeiteten, die in ihren Herkunftsländern oft der Feind war. Auch die Dänen akzeptierten sie nicht immer. Einige baten um einen weißen Beamten anstelle eines Fremden. Es bedeutete nichts, dass sie schon so lange in Dänemark wohnten, dass sie sich mit Recht Dänen nennen konnten. Jetzt mussten sie auch für die extremistischen Handlungen anderer Muslime büßen, da heutzutage viel zu viele alle über einen Kamm schoren. War man dunkelhäutig, war man Moslem, und wenn man Moslem war, war man Terrorist. In den letzten Jahren hatte sich die Tendenz verschlechtert. Die europaweiten Terroranschläge machten es nicht besser, aber das hinderte ihn nicht daran, weiter daran zu arbeiten, dass Beamte mit einer anderen ethnischen Herkunft als dänisch den gleichen Anteil im Polizeikorps ausmachen sollten wie in der Bevölkerung.

„Nein, ich kenne ihn auch nicht“, antwortete Hafid. „Aber wir haben mit seiner Familie gesprochen. Niels und ich. Sie bestreiten, dass er irgendetwas mit Terrorismus zu tun hat.“

„Seine Frau hat die ganze Zeit geweint und wollte nicht mit uns sprechen, aus ihr haben wir also nichts herausbekommen. Aber zwei Töchter, die hier in Dänemark geboren sind, erzählten, dass ihr Vater so etwas niemals tun würde. Er war voll in die dänische Gesellschaft integriert und hatte seit vielen Jahren als Busfahrer gearbeitet. Sie berichteten, die Mutter meine, es sei Mord. Polizeigewalt. Dass ihr Mann aus Hass getötet wurde“, fuhr Niels fort und zuckte die Schultern, als ob das eine Möglichkeit sein könnte.

„Siljas hat mit seiner Meinung über Flüchtlinge und Migranten ja auch nicht hinterm Berg gehalten. Sein Facebook-Profil ist voll davon. Er ist gerade der DFD beigetreten, habe ich gesehen“, sagte Yazmin zornig.

„Das macht ihn ja nicht zum Täter!“, protestierte Isabella.

Sie hatte recht, doch die Presse schwelgte im Facebook-Profil des Beamten. Er hoffte, dass die DUP während ihrer Ermittlung nicht die gleiche Brille aufhatte. Mehrfach hatte er seinen Mitarbeitern gegenüber unterstrichen, dass sie darüber nachdenken sollten, was sie in den sozialen Medien einstellten. Er selbst benutzte sie nie.

„Wieso haben wir diesen Bus eigentlich überhaupt gestoppt?“, fragte Niels.

„Es gab einen anonymen Tipp. Der Fahrer sollte gestoppt werden, bevor er das Zentrum erreichte, wo er angeblich eine Bombe zünden wollte.“

„Anonymer Tipp?“, wiederholte Hafid verständnislos.

„Ja. Zu dem Zeitpunkt war gerade der Anschlag in Kopenhagen passiert und man ist kein Risiko eingegangen.“

„Aber warum den Fahrer erschießen? Er saß doch nicht mit nem Sprengstoffgürtel da?“, meinte Hafid sarkastisch.

„Es ist unklar, warum Siljas Byskov den Schuss abgefeuert hat. Der Fall liegt bei der DUP. Wir sollen nur prüfen, ob die Rede von Terror ist. Der PET ist auch an der Sache dran. Falls es Terror ist, meinen sie, könnte es zu dem in Verbindung stehen, was in Kopenhagen passiert ist. Aber wir dürfen nur beobachten und Informationen weitergeben und alles muss über mich laufen. Es ist ungeheuer wichtig, dass das alle verstehen.“

Er sah schnell nach unten und bürstete einen imaginären Fussel von seiner Hose. Niemand wusste, dass er seit bald einem Jahr in aller Heimlichkeit nach einem mutmaßlichen Terroristen und Schleuser fahndete, der sich immer noch in Aarhus aufhalten sollte. Der Mann mit dem weißen Glasauge, der im vergangenen Sommer in einem Kaffeehaus in Ägypten fotografiert worden war. Er musste die Reportagefotografin wieder kontaktieren. Kamilla Holm hieß sie. Die Fotoreportage, die sie von Flüchtlingslagern in Nordafrika und auf Lampedusa gemacht hatte, hatte ihr einen ehrenvollen Preis eingebracht. Er wusste, dass sie selbst nach dem Mann suchte. Sie hatten eine Weile Kontakt gehalten, nachdem eine Zeitungsredaktion in Kairo bei einem Bombenanschlag in die Luft geflogen war und einige Journalisten dabei ums Leben kamen. Sie hatte Stiffeye im Verdacht, wie der Mann wegen seines Auges genannt wurde. Er hatte Verbindungen zu mehreren Terrororganisationen gehabt, unter anderem Al-Qaida und Boko Haram. Es waren ihre Freunde in Kairo – die, die getötet worden waren –, die entdeckt hatten, dass eine neue Terrorzelle, die Stiffeye gebildet haben sollte, einen Anschlag irgendwo in Europa plante. Kamilla vermutete, dass das der Grund für den Anschlag auf die Redaktion gewesen war. Stiffeye hatte herausgefunden, was sie wussten. Als Kamilla Holm Anker Dahl zum ersten Mal kontaktierte, fürchtete sie, selbst in Gefahr zu sein, falls Stiffeye auch wusste, dass sie im Café Bilder von ihm gemacht hatte. Nach wie vor behauptete sie, ihn bei ihrer Rückkehr am Aarhuser Flughafen gesehen zu haben. Vielleicht war der missglückte Terroranschlag im Stadtbus sein Werk. Falls es überhaupt ein Anschlag war. Aber warum hatte er in diesem Fall so lange gewartet? Es war Monate her, seit Anker Dahl zuletzt von der Fotografin gehört hatte. Er wusste nicht, ob sie ihre Suche aufgegeben hatte oder ihn einfach nicht mehr brauchte. Damals hatte er den PET kontaktiert, um zu hören, ob sie etwas über den Mann wussten. Er hatte ihnen das Bild des leicht wiederzuerkennenden Gesichts geschickt, das die Fotografin gemacht hatte. Das Glasauge steckte verkehrt in der Augenhöhle, sodass es steif, weiß und starrend aussah. Doch der PET behauptete, ihn nicht zu kennen.

„Dürfen wir denn in der Sache überhaupt etwas unternehmen, wenn sie dem PET gehört?“, fragte Isabella verwundert.

Er war froh, sie zurückzuhaben. Sie war aufgrund ihrer Stresssymptome eine Weile krankgemeldet gewesen. Ihr Mann und früherer Kollege war verhaftet worden, saß nun versehrt im Rollstuhl im Staatsgefängnis Ostjütland und wollte weder sie noch andere seiner Kollegen von der Ostjütländischen Polizei sehen – nicht einmal Anker Dahl. Danach hatte sie versucht, ihren teuren Bauernhof in Skåde zu verkaufen, den sie sich allein mit nur einem Beamtengehalt nicht leisten konnte. Es war ihr nicht gelungen; darüber hinaus hatte sie andere, ihm unbekannte Probleme gehabt und war schließlich unter dem Druck zusammengebrochen. Vor ein paar Wochen war sie zurückgekommen und hatte anscheinend ihr Gleichgewicht wiedergefunden. Der psychologische Dienst der Polizei hatte ihr geholfen, obwohl sie sich zuerst geweigert hatte, diese Hilfe anzunehmen.

„Ja, wir sind bei der Ermittlung dabei, aber wie gesagt: kein Eingreifen. Wir verhören Zeugen wie bei einer normalen Ermittlung und, wenn es etwas gibt, das für den PET relevant ist, erstatten wir Bericht.“

Anker Dahl kniff irritiert die Augenbrauen zusammen und stierte wütend auf das Telefon, als es zu läuten begann. Er ließ es klingeln und hoffte, die Rezeptionistin verstünde, dass er in einer Besprechung saß.

„Dann waren also keine Zeugen mit etwas Brauchbaren dabei?“

„Doch. Mehrere erwähnten eine Frau in einer Burka, die den Bus an der Haltestelle verließ, kurz bevor der Streifenwagen sie einholte. Es sah aus, als flüchtete sie, und einer meinte, sie kannte den Fahrer. Sie haben Blicke gewechselt.“

„Burka?“, wiederholte Hafid. „Die muss doch leicht zu finden sein, in Aarhus gibt es nicht viele Frauen mit Burka.“

„Nein, die Regierung hat doch vor ein paar Jahren eine Studie in Auftrag gegeben, die die Anzahl von Burka-Trägerinnen in Dänemark feststellen sollte und fast nur Frauen fand, die Kopftuch und Niqab trugen, die die Augen freilassen. Wie sich herausstellte, ließen sich die mit Burka bekleideten Frauen an einer Hand abzählen“, wandte Isabella ein.

Yazmin nickte. „Viele Dänen verwechseln Niqab und Tschador mit einer Burka. Ich kenne auch niemanden, der mit einer Burka herumläuft, da sind ja die Augen durch ein Netz verschleiert.“

Sie sah Hafid fragend an, der den Kopf schüttelte.

„Ich auch nicht.“

„Dann können wir die Personenbeschreibung also zu nichts gebrauchen“, seufzte Anker Dahl. „Andere Kennzeichen außer schwarzer Kleidung?“

Das Telefon klingelte erneut und dieses Mal gab es nicht auf. Anker Dahl drückte mit dem kleinen Finger auf den Gesprächsknopf und nahm mit verkniffener Miene den Hörer. Er wollte der Rezeptionistin die Leviten lesen, doch sie kam ihm zuvor.

„Entschuldigung, aber Jørgen Lindt möchte Sie sprechen. Er sagt, es sei sehr wichtig“, beeilte sie sich hinzuzufügen. Ihre Stimme zitterte leicht. Sie wusste nur zu gut, dass sie dabei war, Anker Dahls Geduldsgrenze zu überschreiten.

„Okay, dann stellen Sie ihn halt durch.“

Er erhob sich vom Tisch und kehrte seinen Mitarbeitern, die ihn verwundert ansahen, den Rücken. Sie waren es nicht gewohnt, dass er während einer Besprechung Anrufe entgegennahm. Er schaute aus dem Fenster und sah vor dem Gebäude einen Streifenwagen in die Garage fahren. Gleichzeitig hob ein Vogel vom Dach ab. Er kam so nah ans Fenster, dass er die Schwungfedern sehen konnte. Er hörte, dass Jørgen Lindt Auto fuhr. Anker Dahl sah rasch auf seine Armbanduhr. Lindt war sicher noch nicht wieder zurück in Søborg.

„Die Analyse der Bombe ist gekommen. Ich habe sie gerade per Telefon erhalten. Es war die Mutter des Satans“, sagte Jørgen Lindt ohne Umschweife.

„TATP?“

„Ja, Triacetontriperoxid. Das ist einfach herzustellen und wird von Terroristen oft benutzt. Die Zutaten sind leicht zu beschaffen und das Rezept steht im Internet, wenn es nicht sogar im Chemieunterricht gelehrt wird. Das Schlimmste ist die Methode, die sie verwendet haben. Deshalb habe ich Sie sofort angerufen. Die Untersuchungen der Wrackteile zeigen, dass die Feuerlöscher in den Bussen mit TATP gefüllt waren und Metallteile wie Nägel, Schrauben und Bolzen hinzugefügt wurden, um den Effekt zu verstärken.“

Anker Dahl löste die Krawatte. „Die Feuerlöscher? Aber wie – und wie sind sie detoniert?“

„Die Theorie der Experten ist, dass die Feuerlöscher oben mit einem Zünder von einer gewöhnlichen Handgranate bestückt wurden. Das Zünden erfolgt mechanisch mit einer Verzögerung von drei Sekunden, von dem Zeitpunkt, wo der Splint entfernt wird bis der Zünder explodiert und die Ladung sprengt.“

„Dann könnten es die Terroristen vor der Explosion rausgeschafft haben?“

„Im Prinzip ja, aber wir gehen nicht davon aus, dass das passiert ist. Die Rede ist von Selbstmordattentätern. Einen haben wir identifiziert.“

„War das wirklich möglich?“

„Ja. Er war nicht ganz pulverisiert. Der Körper war gesprengt, aber wir haben seinen Kopf fast intakt gefunden und er war dem PET bekannt. Aber der Punkt ist, Dahl, Sie haben ja keinen Sprengstoff in Ihrem Stadtbus gefunden. Wenn an diesem anonymen Tipp nun etwas dran war und dieser Bus in die Luft gesprengt werden sollte, kann es ja sein, dass der Sprengstoff im Feuerlöscher war. Und falls der auch TATP enthält, ist vermutlich die Rede von der gleichen Terrororganisation. Bisher hat noch niemand die Verantwortung für den Anschlag in Kopenhagen übernommen.“

Anker Dahl nickte. „Und falls TATP gefunden würde, wäre das der Beweis, dass unser Beamter tatsächlich einen Terroranschlag verhindert hat und das wäre seinem Fall zweifelsohne dienlich …“, murmelte er vor sich hin, doch Lindt hörte ihn.

„Genau, und noch etwas: Sorgen Sie dafür, dass Ihre Techniker das sofort untersuchen. TATP ist ein gefährlicher Stoff, daher der Name ‚Mutter des Satans‘. Der Scheiß kann explodieren, selbst ohne dass der Splint gezogen wird.“

Falkenjagd - Roland Benito-Krimi 10

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