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7 Gewissen?! Tag vier

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Margaux stürmte in die Agentur, noch blasser als üblich und wild fuchtelnd mit einer Zeitung in der Hand. Die ihr ansonsten innewohnende Lässigkeit und Gleichgültigkeit dem Leben gegenüber schienen abhandengekommen zu sein. Mit einem schwungvollen und treffsicheren Wurf beförderte sie die Postille auf Pauls Schreibtisch.

»Wir sitzen so was von in der Scheiße!«

Paul und Hannes schauten ungläubig und warteten auf weitergehende Erläuterungen, was die Freundin auf die Palme brachte.

»Und weiter!«, wagte Paul, die kurz vor einer Explosion stehende Margaux zu fragen.

»Lesen!«, kam lediglich ihre strenge Antwort. Paul stöhnte unüberhörbar auf und griff nach der Gazette.

»Das ist eigentlich nicht meine präferierte Morgenlektüre. Früher fand ich das Schmierblatt ja ganz passabel mit dem Girl auf Seite eins, aber jetzt, ich weiß nicht.« Er blättere durch die Zeitung und blieb schließlich hängen.

»Ah, da ist sie ja – Mandy, blond, sexy und verführerisch. Schau mal.«

Er hielt das Käseblatt in die Luft, sodass Hannes auch etwas vom bildhaften Genuss haben konnte. Der schaute müde auf und nickte träge.

»Hey ihr Spackos, Seite vier! Und das ist nicht lustig!«

Pauls Miene verfinsterte sich zusehends, je länger er den Halbseiter las. Er schloss das Schmierblatt und warf es in den Mülleimer. Nachdenklich lehnte er sich in seinem Bürostuhl zurück und sah schweigend aus dem Fenster. Hannes’ Interesse wurde geweckt.

»Was gibt’s denn Sensationelles?«

»Unsere Auftraggeberin samt Anhang wurde gemeuchelt.«

»Ist nicht dein Ernst!?«

»Durchaus!« Paul deutete auf den Abfallkorb »Da steht’s schwarz auf weiß.«

»Na ja, das will bei dem Blatt nichts heißen.«

»Ich befürchte doch«, entgegnete er verunsichert. »Die Blastonks wurden erschossen. Genaues weiß man noch nicht. Die Ermittlungen laufen.«

»Scheiße!«, war das Einzige, das Hannes im Moment antworten konnte.

Betretenes Schweigen machte die Runde. Hannes schaute Paul lange an. »Sag mal, du hast hoffentlich den Scheck der Dame eingelöst?«, fragte er sorgenvoll.

»Ja sicher, was glaubst du denn?«

»Gut.«

Margaux blickte die Freunde entgeistert an.

»Seid ihr noch ganz dicht, ist das alles, was euch interessiert? Geht’s wirklich nur um die Kohle? Fangt an zu denken, Leute, und zwar zackig, wenn’s beliebt!«

»Ähm, ja?!« Paul und Hannes schauten Margaux an. Die schüttelte fassungslos den Kopf.

»Moral? Die Auftraggeberin ist tot! Irgendwie gehen mir langsam die Möglichkeiten aus, für euch Begeisterung zu entwickeln!«

Paul platzte der Kragen. »Hey, schalt mal ’nen Gang runter. Was spielst du dich denn hier als Moralapostel auf. Sittliches Verhalten ist das Letzte, mit dem wir unsere Dienstleistungen umschreiben könnten. Die Froschkönige verleumden Menschen gegen Bares. Und nicht zu wenig, wenn ich das sagen darf. Und meine Liebe, auch du profitierst davon, und nicht unerheblich. Also mach keinen auf Heilige und steig ab von deinem hohen moralischen Ross.«

Margaux schniefte verächtlich, musste allerdings einsehen, dass Paul nicht unrecht hatte. Was sie veranstalteten, war alles andere als ein Kindergeburtstag auf dem Ponyhof.

»Scheiße, ja. Trotzdem, es ist falsch, das Geld zu behalten.«

»Und? Wir spenden den Schotter dem Tierheim, geben es der Polizei zurück, oder was?«, fragte Hannes.

»Mann, ich weiß es doch auch nicht«, antwortete sie frustriert.

»Okay, okay, Vorschlag zur Güte: Wir versuchen, ein wenig Licht in den Mord der Blastonks zu bringen. Und zwar so weit, bis sich ein ruhiges Gewissen ausbreitet. Wäre das eine Alternative?«, schlug Paul vor.

Hannes und Margaux blickten ihn ungläubig an. Hatte der Freund jetzt den Verstand verloren?

Margaux brachte als Erste wieder die Stimmbänder unter Kontrolle. »Du meinst, so im Sinne eines Privatdetektivs? Bist du irre?«

»Hast du zu viel Inspector Barnaby geschaut?«, fragte Hannes irritiert. »Ich befürchte, die Praxis schaut ein wenig komplexer aus als deine Ermittlererfahrungen aus der Glotze. Wir haben null Erfahrungen, was das betrifft. Von Kontakten und sicherem Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit einmal zu schweigen.«

»Ich denke, dein Optimismus in Sachen private Ermittlungen ist lediglich ein Mangel an Informationen. Allerdings, es hat schon irgendwas. Jetzt so beim nochmaligen Nachdenken finde ich die Idee irgendwie charmant«, entgegnete Margaux zwar skeptisch, jedoch mit einem dezenten Lächeln auf dem Gesicht, was selten genug vorkam.

Hannes schüttelte fassungslos den Kopf. »Das ist doch eine Schnapsidee. Es geht hier um Mord! Ihr wisst, das ist das, wo jemandem gewaltsam das Leben genommen wird. TOD! Und ich will euch ja keine Angst einjagen, aber dasselbe könnte uns durchaus auch passieren. Der Mörder wird kaum froher Dinge auf uns warten. Er oder sie wird alles tun, um mit dem Verbrechen davonzukommen – Killen inklusive!«

»Und wie gehen wir jetzt vor?«, fragte Margaux, ohne auf Hannes’ Einwände einzugehen. »Ich habe absolut keinerlei Ahnung von polizeilicher Ermittlungsarbeit. Wo setzen wir denn an?«

Paul sprang auf, zündete sich eine Zigarette an und begann im Sinne eines Maigret zu mimen und zu referieren. »Also Freunde, die Ermittlungen in einem Mordfall laufen nach den berühmten sechs Ws ab: Wer hat was, wann, wie, warum und womit getan?«

Hannes schüttelte genervt den Kopf, ließ ihn jedoch fortfahren.

»Der Mörder muss sowohl die Gelegenheit zur Tat wie auch ein Motiv dafür haben und in der Lage gewesen sein, sie zu begehen. So weit so gut!« Paul lief im Büro auf und ab und schien zunehmend in der Rolle als Ermittler aufzugehen. Genüsslich blies er den Rauch der Zigarette in die Luft. Er genoss den Auftritt.

»Der Mörder muss also zur vermeintlichen Tatzeit vor Ort gewesen sein und ein handfestes Motiv für das Verbrechen haben. Und – und das ist ganz wichtig – er muss von seinen Kenntnissen, Lebensumständen, Zugangsmöglichkeiten zum Tatwerkzeug und körperlichen Möglichkeiten her in der Lage gewesen sein, die Tat zu begehen.« Paul beendete den kriminalistischen Mini-Vortrag. Hannes klatschte symbolisierenden, jedoch kaum ernst gemeinten Applaus.

»Bravo Barnaby, habe selten so viel Quatsch auf einen Haufen gehört. Übrigens: Vielleicht war es ja ein Raubmord? Dann bricht dein Ermittlungsansatz komplett in sich zusammen!«

»Die Polizei schließt laut Zeitung einen Raubmord aus. Das Motiv liegt also woanders. Ich denke, wir nehmen zuerst das berufliche und private Umfeld der Blastonks unter die Lupe. Material ist ja bereits vorhanden.« Paul schaute Margaux an, die zustimmend nickte.

»Und wie kommen wir an Informationen bei BioSeq ran? Die werden sicherlich nicht Tür und Tor öffnen und bereitwillig Frage und Antwort stehen«, konterte Hannes, um die Euphorie der Kollegen einen Dämpfer zu verpassen.

»Wir geben uns als Journalisten aus! Zufälligerweise sind die Presseausweise in der Mache. Ich wollte schon immer so Dinger haben. Der Auftrag ging vor ein paar Tagen raus. Ich kenne da jemanden, der einen kennt. Die dürften heute Nachmittag fertig sein«, antwortete Paul siegessicher.

Hannes und Margaux blickten ihn fragend an.

»Fragt nicht!«


Die Glocke der Ladentür ertönte. Leander Schicher, seines Zeichens Kommissar in Wartestellung für Gehobenes, stand in der Tür. Die Theatralik des Auftritts wurde durch die Sonnenstrahlen verstärkt, die den Polizisten rückwärtig anleuchteten, jedoch nur eine sehr bescheidene Aura generierten. Zudem verharrte Schicher in einer typischen Ronaldo-John-Wayne-Pose kurz vor dem Verwandeln eines Elfmeters.

»Ich hab euch so was von an den Eiern!« Der Schöne Leander grinste siegessicher triumphierend.

»Na, dann bin ich ja außen vor und kann mir einen Kaffee machen«, konterte Margaux gereizt und schaute den Kommissar herausfordernd an. Sie stand auf und ging Richtung Espressomaschine. Schicher schlenderte in der Zwischenzeit gespielt gelangweilt in die Agentur hinein. Wann immer er anhob, um etwas Sinnfreies von sich zu geben, schaltete Margaux die Espressomühle ein. Ein markerschütterndes Geräusch verschluckte alles Gesagte auf einen Schlag. Sie grinste und zeigte mit dem Zeigefinger auf ihr Ohr. »ICH VERSTEHE NIX!«

Pastell-Hansi brannte die Sicherung durch. Wutentbrannt stürmte er zum Tatort der Geräuschexplosion und riss den Stecker der Lärmquelle aus der Steckdose.

»O là, là Herr Kommissar, heute so gewalttätig? Sie böser Junge, Sie.« Dabei hauchte sie einen Kuss in Richtung Schicher. Der kniff die Augen zusammen und fühlte sich erneut von den dreien vorgeführt und nicht ernst genommen. Und das war nicht das erste Mal. Bekanntschaft hatte er bereits vor einem Jahr gemacht, als er in einem Mordfall in der Nähe des Edelbordells Veras Zakowskis ermittelt hatte. Er wusste bzw. redete sich ein, dass die Puffmutter irgendetwas mit dem Mord zu tun haben musste, aber die drei hatten der alten Schachtel für die Mordzeit ein Alibi gegeben. Und es ärgerte Pastell-Hansi mächtig, dass er das gefakte Alibi nicht knacken konnte. Letztendlich stellte sich zwar heraus, dass die Tante aus dem Schneider war, diese blöden Säcke ihn allerdings vorgeführt und angelogen hatten. Und das mochte er so gar nicht. Zudem spürte er, dass mit der Agentur etwas im Argen lag. Seitdem hatte er ein Auge auf die Tätigkeit der Froschkönige, ohne den Leutchen jedoch das Geringste nachweisen zu können. Bis heute!

»Ich hab euch so was von an den Eiern!«

»Das sagten Sie bereits, Herr Polizeimeister«, antwortete Hannes, der gemütlich auf dem Sofa herumlümmelte.

Der grinste allwissend, schlenderte erneut durch die überschaubaren Räumlichkeiten der Hinterhofagentur und wischte hier und da mit dem Zeigefinger über die teils angestaubten Ablagen der Büroschränke. Schließlich sammelte er sich, griff in die Jackentasche und zog ein rechteckiges Büchlein im Kunststoffeinband heraus.

»Ihr wisst, was das ist?«

Margaux, Hannes und Paul schauten den Kommissar uninteressiert an.

»Nein? Keine Ahnung, meine unwissenden Freunde? Es ist ein Scheckheft«, sagte Pastell-Hansi mit gespielter Überlegenheit.

»Herr Schicher, eigentlich arbeiten wir lediglich gegen Bares. Also, wenn Sie unsere Hilfe brauchen – auf der Venloer Straße gibt es den ein oder anderen Geldautomaten.« Hannes war groß in Form. Er hasste den Schönen Leander wie Pickel am Hinterteil.

Die Staatsmacht ließ sich jedoch nicht aus der Reserve locken.

»So, so, die Kröten werkeln also nur gegen Bargeld!? Komisch, dass hier bei der Übersicht der ausgestellten Schecks als letzter Eintrag der Name Paul Zakowski mir entgegenschreit.« Schicher stand wieder in altgewohnter Siegerpose vor den dreien. Die waren sich der Bedeutung dieser kleinen Notiz sehr bewusst.

»Und wisst ihr Luschen, weswegen die Info so brisant ist? Man hat eure Auftraggeberin ermordet und es scheint, dass ihr die Letzten wart, die Kontakt zu der Toten hatten. Ach ja, auch wenn ihr mit dem Tod der beiden absolut nichts zu tun habt, werde ich euch trotzdem so was von auf dem Kieker haben. Also für was hat die Blastonk die Kohle hingelegt?«

Paul fand als Erster die Sprache wieder. Er war sauer auf diese blöde Schnepfe. Warum musste sie auch sorgsam jeden Scheck in die Liste der Ausgaben eintragen. Mist.

»Okay, ich verhelfe Ihnen zu einer angemessenen Haltung zu Ihrem Problem. Frau Blastonk hat uns tatsächlich beauftragt. Wir sollten in ihrem Auftrag diskret hier im Viertel ein Ladenlokal ausfindig machen. Und das Geld war für den Rechercheaufwand, kleine Gefälligkeiten sowie die Renovierung eines gefundenen Objektes gedacht. Zudem war die Summe dafür bestimmt, das neue Business schon einmal diversen Werbemaßnahmen zu unterziehen. Die Werbetrommel rühren! Sie verstehen?«

»Was war das für ein Geschäft?«

Margaux schaltete sich ein. »Aber Herr Kommissar – Betriebsgeheimnis!« Dabei lächelte sie Schicher abermals gespielt verführerisch an. Gerade als sie fortfahren wollte, schnitt ihr Pastell-Hansi das Wort ab.

»Scheißbusiness, verarschen kann ich mich allein. Ihr steckt bis zum Hals im Mord an den Blastonks mit drin. Ich denke, dass ihr die Toten, mit was auch immer, erpresst habt. Und dann eskalierte die Sache. Aus! Basta!«

Hannes musste laut prustend lachen. »Oh je, Schicher, du hast ja eine mehr als blühende Fantasie. Glaubst du eigentlich an den Müll, den du hier absonderst?«

»Wo wart ihr am Freitag zwischen 18:00 und 23:00 Uhr?«

»War das die Mordzeit?«, fragte Paul kokett. »Moment, ich muss überlegen. Ah ja, wir haben’s im Kaiserwasser mächtig krachen lassen – so bis ungefähr zwei, drei Uhr nachts.«

»Kann das jemand bezeugen?« Schichers Chance, die drei festzunageln, entglitt ihm zunehmend. Das machte den Kommissar aggressiv.

»Oh, Mann, könnt ihr Bullen euch nicht mal ’n paar neue Fragen ausdenken? Was denkst du wohl, der Laden war proppenvoll und natürlich hat uns die halbe Körnerstraße dort gesehen. Und wenn’s das jetzt war, wäre es sehr nett, wenn du den Heimweg antreten würdest – wir haben schließlich nicht den ganzen Tag Zeit und müssen die Brötchen mühsam verdienen. Stichwort – keine Beamte!« Paul trieb es auf die Spitze.

Der Schöne Leander blickte ihn aus wütenden Augen an. »Du kleiner Arsch, ich fick dich, wenn du’s am wenigsten erwartest.« Die Drohung lief ins Leere. Paul kannte die Pfeife. Schicher bellte nur, zuzubeißen war nicht seine Sache. »Sie drohen mir und das vor Zeugen? Gar nicht gut, Herr Oberpolizeimeister!«

Pastell-Hansi gab dem Mülleimer einen kräftigen Tritt und stürmte wutentbrannt aus dem Laden.

»Sag mal, hast du nicht eine Spur zu dick aufgetragen?«, fragte Margaux.

»Ich kann den Idioten nicht leiden. Wir sollten allerdings aufpassen. Ich denke, dass er uns die kommenden Tage öfter über den Weg laufen wird«, antwortete Paul. »Der Typ macht Ärger. Das fühle ich.«

»Und jetzt?«, fragte Margaux.

»Ich glaube, wir haben keine andere Wahl, als ein paar Erkenntnisse auf eigene Faust zu sammeln. Und das ist, wie es ausschaut, reiner Eigenschutz. Es schadet wohl nicht, Schicher das nächste Mal mit neuen Fakten zu konfrontieren, wenn er uns wieder auf die Pelle rückt. Die Pfeife wird kaum entlastendes Material zusammentragen«, entgegnete Hannes.

»Genau, wir müssen aktiv werden, sonst macht uns der Typ das Leben zur Hölle«, erklärte Paul.

Dessen Smartphone klingelte. Vera war am anderen Ende.

»Sind Margaux und Hannes auch da?«, begann Vera das Gespräch ohne Vorgeplänkel – ein untrügliches Zeichen, dass es sich um etwas Ernstes handelte.

»Ja, sind sie.«

»Okay, dann schalte mich auf Lautsprecher.«

Paul werkelte am Mobiltelefon herum und nach wenigen Augenblicken erklang Veras Stimme blechern aus dem Lautsprecher.

»Hallo meine Froschkönige. Irgendetwas ist bei Dr. Weiß passiert, ihr wisst doch, der Seelenklempner Blastonks. Der rief mich gerade ganz aufgelöst und verwirrt an. Fahrt da mal vorbei. Und ehe ihr fragt – ich weiß auch nichts Genaueres. Ich bitte euch nur um eines: Passt auf und seid vorsichtig.«

Froschkönige

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