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II. Tod und Leichenuntersuchung2. Frühe Leichenveränderungen › 2.2 Totenstarre

2.2 Totenstarre

Bei Eintritt des Todes erschlaffen sämtliche Muskeln des Körpers, so auch die Muskulatur des Gesichts. Demnach lässt der Gesichtsausdruck eines Verstorbenen keinen Rückschluss auf einen etwaigen qualvollen Sterbevorgang zu.

Alle Gelenke sind zunächst beweglich. Der Körper lässt sich in jede beliebige Lage bringen und ohne Schwierigkeiten be- oder entkleiden. Das Eintreten der Totenstarre ist kein sprunghafter Vorgang, sondern ein langsam beginnender und kontinuierlich zunehmender Prozess. Erst nach und nach entsteht eine Starre der gesamten Körpermuskulatur, die zu einer zunehmenden Bewegungseinschränkung in den Gelenken bis zur vollständigen Steifheit führt.

Die physikochemischen Vorgänge bei der Entstehung der Totenstarre sind komplex. Die entscheidende Bedeutung kommt dem Adenosintriphosphat (ATP) zu. Im lebenden Organismus wird die Energie für die Muskelkontraktion durch Umwandlung des ATP in Adenosindiphosphat (ADP) freigesetzt. Aus dem oxidativen Abbau von Zuckerverbindungen stammt dann wiederum die Energie zur Resynthese des ADP zu ATP. Das energiereiche ATP wirkt als sog. Weichmacher und führt zur Erschlaffung der Muskulatur. Abbau und Resynthese des ATP bleiben nach dem Tod im Gleichgewicht, solange der Energiestoffwechsel noch funktioniert. Dadurch ist die Muskulatur nach dem Tod zunächst schlaff. Wenn die Zuckerreserve der Muskeln aufgebraucht ist, kann kein ATP mehr resynthetisiert werden. Es entwickelt sich die Totenstarre durch Überführung der Muskeleiweiße von einem Sol- in einen Gelzustand.

Auch an den inneren Organen mit glatter Muskulatur und am Herzen tritt das Starrwerden ein. Es ist selbstverständlich nur bei der Leichenöffnung festzustellen. Äußerlich kann sich die Totenstarre von Samenbläschen und Prostata als Samenabgang nach dem Tod bemerkbar machen. Demzufolge lässt ein Samenabgang an der Leiche nicht zwangsläufig auf eine sexuelle Aktivität kurz vor dem Ableben schließen.

Da es sich bei der Muskelerstarrung um einen physikochemischen Prozess handelt, hängen Herausbildung und Dauer der Starre von verschiedenen Bedingungen ab. Wärme beschleunigt und Kälte verzögert das Entstehen und das Lösen der Totenstarre. Alle Vorgänge, die zu einer ATP-Verminderung im Muskelgewebe führen, beschleunigen den Starreeintritt (Rigor praecox). Das gilt insbesondere für eine starke Beanspruchung der Muskulatur vor dem Tod, beispielsweise bei Personen, die während oder bald nach einer großen körperlichen Anstrengung versterben, oder bei Sterbefällen, die mit Krämpfen einhergehen (z. B. Erstickungszustände, Stromtod, Vergiftung durch Strychnin, Wundstarrkrampf).

Ein Zusammenhang mit der Todesursache besteht auch insofern, als dass sich bei auszehrenden Krankheiten oder anders verursachtem Muskelschwund die Totenstarre nur schwach ausbildet. Bei hochbetagten Personen und bei kleinen Kindern, insbesondere Frühgeborenen, kann die Totenstarre ausbleiben oder kaum feststellbar sein.

Zu beachten ist, dass sich im Rahmen einer Unterkühlung noch zu Lebzeiten eine sog. Kältestarre ausbildet, die keinesfalls mit einer Totenstarre verwechselt werden darf. Die Totenstarre stellt somit nur in warmer Umgebung ein sicheres Todeszeichen dar.

Für die Reihenfolge des Auftretens der Totenstarre wird gewöhnlich die Regel nach Nysten angegeben. Die Erstarrung beginnt an der Kiefermuskulatur, breitet sich dann absteigend über Hals, Rumpf und Arme aus und ist schließlich an den Beinen feststellbar. Eine der Ausnahmen von dieser Regel ist die sog. Läuferstarre, die nach starker Beanspruchung der Beinmuskulatur an den Beinen beginnt und erst danach an den Armen entsteht.

Als Brechen der Totenstarre bezeichnet man das Wiederherstellen der Beweglichkeit durch einen mehr oder weniger großen Kraftaufwand an den Gelenken. Je nachdem, zu welchem Zeitpunkt das erfolgt, kann die Starre erneut eintreten. Da nicht alle Muskelfasern gleichzeitig totenstarr werden, tritt nach dem Brechen die Versteifung in dem dazugehörigen Gelenk dann von Neuem ein, wenn zuvor noch nicht alle Muskelanteile erstarrt waren.

Die Lösung der Totenstarre wird durch die Selbstverdauung (Autolyse) der Muskeleiweiße bewirkt, später tritt die Leichenfäulnis hinzu.

Zum zeitlichen Ablauf des Eintretens und des Lösens sind stark abweichende Angaben in der Fachliteratur zu finden. Nach etwa 2 bis 4 Stunden kann die Totenstarre in den Kiefergelenken, nach etwa 8 bis 10 Stunden am ganzen Körper vollständig ausgeprägt sein. Ein Wiedereintreten nach Brechen ist innerhalb von 7 bis 8 Stunden nach dem Tod zu erwarten. Das Lösen der Totenstarre erfolgt in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur, bei hohen Temperaturen etwa nach 24 Stunden, bei niedrigen erst nach einigen Tagen.

In der älteren Literatur wird von Fällen sog. kataleptischer Totenstarre berichtet. Dabei soll das Starrwerden der Muskulatur unmittelbar nach dem Tod schlagartig eintreten, sodass die bei Todeseintritt eingenommene Körperhaltung fixiert wird. Bei einer kritischen Überprüfung der Fallberichte konnte dieses Phänomen nicht bestätigt werden.

Kriminalistisch bedeutsam ist die Totenstarre

als sicheres Todeszeichen und
für die Todeszeitschätzung.
Rechtsmedizin

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