Читать книгу Die milchblütige Heldin Üllü Wa - Ingrid Dobbertin - Страница 10

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Der Traum vom geflügelten Boten

Als Üllü nach ihrem nächtlichen Besuch im See wieder bei ihrer Familie ankam, schliefen alle noch. Mit ausgebreiteten Armen lagen sie auf dem Wasser. Immer wieder strich ein Nixenarm zärtlich durch die Luft und auch am Lächeln und den rollenden Augen war zu erkennen, dass die Nixen mit ihren Träumen in der Korallenstadt waren.

Üllü legte sich zu den Schläfern, doch zum Schlafen war ihr nicht zumute. Was im See passiert war, hatte ihre Seele in Aufruhr versetzt. Sie konnte an nichts anderes denken. Warum waren die Quellen versiegt? Was hatte es zu bedeuten? Vielleicht wusste ja Sabo etwas. Üllü wollte ihn fragen, doch sofort wollte sie es nicht tun. Zu groß war ihre Sorge, schon das Sprechen über die Quellen könnte diese wieder verstummen lassen. Sie fand sich damit ab, vorerst mit ihrem Kummer alleine zu sein.

Üllü sehnte den Morgen herbei. Das Tagestreiben würde ihre trüben Gedanken verscheuchen. Bald musste es soweit sein. Vorher würde aber noch ihr Wasserballfreund Quark kommen, um sie bei Sonnenaufgang mit einem Kuss zu wecken. Das tat er jeden Morgen, seit Üllü sich erinnern konnte, und jetzt freute sie sich ganz besonders darauf. Doch Üllü freute sich umsonst. Quark kam nicht, und das ließ ihre Unruhe noch größer werden.

Endlich ging wenigstens die Sonne auf, und die ganze Nixenschar wachte auf. Der Trubel begann, doch obwohl Üllü alles mitmachte, gingen ihr die Quellen nicht aus dem Kopf. Was sie auch tat, sie war nicht bei der Sache, und alle merkten, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Nicht einmal das Wasserballspiel später half. Üllü spielte so schlecht wie noch nie, und alle fragten sich, was mit ihr los war. Sie beschloss daher, das Spiel zu verlassen, und erklärte, dass sie mit Sabo etwas besprechen müsse. Doch Üllü schwamm nicht zu Sabo, sondern zum See.

Schon auf dem Weg dorthin spürte sie die Strömung der Quellen, und als sie sich dem See näherte, hörte sie das Rauschen des abfließenden Wassers. Sie atmete auf. Am See angekommen schlug sie, so wie sie es früher immer getan hatte, erst einmal ein paar Unterwasserpurzelbäume und durchschwamm dann den See in einem ganz bestimmten Muster, das sie sich schon als Kind ausgedacht hatte. Danach tauchte sie ab bis zum Grund, suchte sich eine Quelle, von der sie sich nach oben spülen lassen konnte, wiederholte das, bis sie genug davon hatte, und begrüßte dann die Seebewohner. Die berichteten ihr, dass die Quellen seit ihrem Wiedererwachen ununterbrochen tätig gewesen waren. Nach dieser guten Nachricht begab sich Üllü zu ihrem Lieblingsplatz, der Wurzelschaukel, legte sich in dieses Bett aus Wurzeln und Laub, und hoffte, dass sie hier zur Ruhe kommen würde, so wie immer an diesem Ort. So war es auch, und es dauerte nicht lange, da fielen ihr die Augen zu und sie schlief ein. Kaum war sie eingeschlafen, begann sie zu träumen.

Der Traum

In ihrem Traum lag Üllü allein mitten auf dem Meer und schaute einem geflügelten Wesen zu, das hoch oben am Himmel seinem Ziel entgegenflog. Üllü kannte dieses Wesen nicht, trotzdem war es ihr so vertraut, als wäre sie selbst ein Teil von ihm. So beobachtete sie es nicht nur, sondern erlebte seine Gedanken und Gefühle wie ihre eigenen. Sie wusste, dass das Ziel des Geflügelten die Küste war, und dass er dort eine Botschaft zu verkünden hatte, die ein schreckliches Unglück verhindern konnte, wenn sie rechtzeitig den erreichte, an den sie gerichtet war. Was die Botschaft war, wer sie erfahren musste, und welches Unglück dadurch verhindert werden sollte, das wusste Üllü nicht.

Was sie aber wusste: Der Geflügelte war schon viel länger in der Luft unterwegs, als er eigentlich ohne Unterbrechung fliegen konnte. Inzwischen war er so erschöpft, dass jeder Flügelschlag sein letzter sein konnte, und Üllü fürchtete um sein Leben wie um ihr eigenes. Noch hatte sie die Hoffnung nicht aufgegeben, dass alles gut gehen würde, und als sie schließlich mit den Augen des Erschöpften die Küste am Horizont auftauchen sah, war sie unendlich erleichtert.

Auch dem Geflügelten schien der Anblick der Küste neue Kräfte zu verleihen, denn für eine Weile flog er schneller. Doch dann passierte, was Üllü sich zu denken verboten hatte: Er drehte sich ein paar Mal um sich selbst, trudelte kurz am Himmel herum und stürzte dann, gleich einem Stein, ins Meer.

Wenn im Traum etwas so Schlimmes passiert, wacht der Träumer in der Regel auf, doch Üllü wachte nicht auf. Der Traum ging weiter, nur jetzt in einer anderen Umgebung. Das Meer, in dem der Geflügelte sein Grab gefunden hatte, war zum See der tausend Quellen geworden und Üllü lag jetzt in ihrem Traum nicht mehr auf dem Meer und sah zum Himmel empor, sondern saß am Ufer des Sees und starrte verzweifelt auf die Wellenkreise, die der Absturz des Unglücklichen im Wasser hinterlassen hatte.

Wie sie nun so saß und schaute, da schob sich genau an dieser Stelle etwas Spitzes aus dem Wasser. Es wurde immer größer und erwies sich als der schmal zusammengerollte Trieb einer Pflanze. So schnell, wie Üllü es noch nie bei einer Pflanze gesehen hatte, wurde daraus eine riesige Knospe. Die entfaltete sich zu einer Blüte, und auf jedem ihrer Blätter zeigte sich das Bild eines Auges. Schließlich öffnete sich auch noch das dicke, unregelmäßig geformte innere Herz der Knospe, und zum Vorschein kam, wie in einem Nest sitzend, der Geflügelte, lebendig und unversehrt.

Jetzt erst konnte Üllü ihn richtig sehen. Er war strahlend weiß und hatte einen Körper, der dem eines riesengroßen Seepferdchens glich, doch mit seinem langen Hals und den Flügeln hatte er auch Ähnlichkeit mit einem Schwan. Üllü fand ihn wunderschön.


Noch während sie ihn bestaunte, richtete sich der aus dem Wasser Wiedererstandene auf, breitete seine Flügel aus, und Üllü wusste, obwohl kein einziges Wort dabei fiel, dass er sie damit einlud, auf seinem Rücken Platz zu nehmen für den Flug über das Meer zur Korallenstadt.

Aus Üllüs Verzweiflung wurde Entzücken. Augenblicklich stürzte sie sich ins Wasser, um der Einladung zu folgen. Doch kaum war sie die ersten Meter geschwommen, wurde sie vom Geschnatter einer erschreckten Entenfamilie geweckt, und mit dem Traum war es vorbei, gerade in dem Moment, als er so schön zu werden begann.

Noch im Aufwachen klopfte Üllüs Herz, als ob es verrückt geworden wäre. Sie richtete sich auf ihrer Schaukel auf, sah sich um und fand alles vor, wie in ihrem Traum, nur die Augenblüte und der Geflügelte waren nicht da. Stattdessen schwamm die Entenfamilie, die sie geweckt hatte, schnatternd über den See an ihr vorüber.

Noch nie hatte Üllü einen so seltsamen Traum gehabt. Nichts davon, abgesehen von der Umgebung, in der er sich abspielte, kam ihr bekannt vor. Das war auch nicht verwunderlich, denn der Traum war aus der Zukunft gekommen. Er zeigte etwas, das kommen würde, nicht genau so, wie es sich später ereignen sollten, sondern verwoben in eine eigene Geschichte, so wie Träume es eben machen. Als die Dinge dann geschahen, die dieser Traum angekündigt hatte, erinnerte Üllü sich wieder an ihn.

Der Traum hatte Üllü in einen Glückszustand versetzt, den sie nicht so einfach aufgeben wollte, und so tagträumte sie noch eine ganze Weile weiter von einer wunderbaren Reise auf dem Rücken des Geflügelten zur Korallenstadt, bis sie auch darin gestört wurde. Diesmal war es das ohrenbetäubende Quaken der Frösche, das sie aus ihrer Träumerei riss. Üllü erschrak, denn es zeigte ihr, wie spät es schon war. Das Wasserballspiel musste längst vorbei sein und Sabo würde auf sie warten.

Sie schwang sich auf ihrer Schaukel nach oben und blickte durch eine Lücke im Laub aufs Meer zu dem Felsen, auf dem Sabo sitzen musste. Immer saß er dort um diese Zeit. Doch Sabo war nicht da.

Die milchblütige Heldin Üllü Wa

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