Читать книгу Die milchblütige Heldin Üllü Wa - Ingrid Dobbertin - Страница 11

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Die Reise der Wa

Als Üllü nach dem Erwachen aus ihrem seltsamen Traum Sabo nicht auf seinem Felsen sitzen sah, war die Angst sofort wieder da. Erst das Verstummen der Quellen, dann Quarks Ausbleiben am Morgen, der Traum eben, und jetzt Sabo nicht auf seinem Felsen. Üllü dachte, die Welt sei aus den Fugen geraten. Sabo war uralt, alles Mögliche konnte ihm passiert sein, und irgendwann … Üllü konnte nicht weiter denken. Sie versuchte, sich einzureden, Sabo könnte vielleicht etwas ähnlich Merkwürdiges erlebt haben, wie sie selbst, etwas, das ihn dazu gebracht haben könnte, seine Gewohnheit zu ändern. Doch so oft sie sich das auch vorsagte, es half nichts. Je länger sie wartete, desto schlimmer wurde ihre Angst. Üllü schickte ein Stoßgebet los:

„Welle, Welle, hohe, schnelle, wunderbares tiefes Meer, Sabo soll kommen, bitte macht, dass ihm nichts passiert ist!“

Danach schloss sie die Augen und nahm sich vor, sie erst wieder zu öffnen, sobald sie glaubte, dass die Angeflehten genügend Zeit gehabt haben würden, ihre Bitte zu erfüllen.

Bevor es dann aber so weit war, stieß etwas Hartes an ihren Fuß. Üllü erschrak, sah nach und glaubte für einen Moment, einen Regenbogen im Wasser zu sehen. Es war aber kein Regenbogen, sondern ein mit den Farben des Regenbogens geschmückter Fisch. Er war so schnell im Wasser unterwegs, dass Üllü meinte, seine Farben noch zu sehen, als er selbst schon wieder im Gewirr der Wasserbaumwurzeln verschwunden war. Üllü kannte alle Fische, die in Wassererde zu Hause waren. Der schöne Fisch, der eben ihren Fuß berührt hatte, gehörte nicht dazu.

Weil Üllü ihre Augen nun doch vorzeitig geöffnet hatte, konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, nach Sabos Felsen zu sehen und siehe da: Der Fels hatte seine Kontur verändert. Sabo war gekommen. Blitzartig sprang Üllü auf, stürzte sich ins Wasser und schwamm los.

Ihr Kummer war verschwunden. Sabo war gekommen, das Meer hatte ihre Bitte erhört, und der schöne Fisch hatte es ihr gezeigt. Als ihr dann durch den Kopf ging, was sie da eben erlebt hatte, erinnerte sie sich, dass Sabo einmal von einem Fisch gesprochen hatte, der einen Regenbogen ins Wasser zaubern konnte. Er hatte damals gesagt, dass dieser Regenbogenfisch ein Bewohner der Korallenstadt war.

Kaum hatte sie diesen Gedanken zu Ende gedacht, war sie auch schon am Ziel und sprang zu Sabo auf den Felsen.

„Warum kommst du so spät, Sabo? Geht es dir nicht gut?“, fragte sie.

Sie bekam keine Antwort. Lange blieb Sabo stumm und was er dann sagte, war keine Antwort auf ihre Frage, wenigstens keine direkte:

„Es geht los.“

Es dauerte eine Weile, bis Üllü klar wurde, was Sabo damit meinte.

„Die Reise?“, fragte sie.

Sabo nickte.

Eigentlich hätte sie gar nicht mehr fragen müssen. Sie wusste es. Sabo konnte gar nichts anderes gemeint haben als die Reise zur Korallenstadt. Das war es also, was ihn aufgehalten hatte. Damit hatte der verrückte Tag seine Erklärung gefunden. Üllü wusste, von nun an würde etwas Neues beginnen, alles würde sich ändern, für sie und für ihre ganze Familie.

*

Als die Wa hörten, dass der Aufbruch zur Korallenstadt direkt bevorstand, waren sie außer sich vor Freude. Ihr ganzes Leben lang hatten sie auf diese Nachricht gehofft. Die Reise zur Korallenstadt war ihr gemeinsamer Traum, doch im Grunde hatten sie sich gar nicht vorstellen können, dass er einmal Wirklichkeit werden würde, und nun hatte Sabo eben dies verkündet.

In ganz Wassererde wurde von nichts anderem mehr gesprochen, und die Aufregung war riesengroß. Die Nixenkinder platzten fast vor Ungeduld und Begeisterung und sprachen darüber, was sie alles erleben würden. Nur die jungen Mütter waren schweigsam und auch die, welche sich zusammen mit Sabo um die Planung kümmern wollten, waren ernst. Gemeinsam wurde über die Vor- und Nachteile der möglichen Routen beraten, obwohl Sabo der Einzige war, der darüber wirklich etwas wusste. Schließlich war alles besprochen und am nächsten Morgen sollte es losgehen.

Auch Üllü hatte sich, seit sie denken konnte, auf diese Reise gefreut. Sie freute sich auch jetzt, doch neben der Freude spürte sie auch so etwas wie Heimweh. Bald würde sie Wassererde verlassen und damit auch all die schönen Dinge, an die sie jetzt denken musste: den See der tausend Quellen, ihre Schaukel mit der Aussicht auf Sabos Felsen im Meer, Quark und ihre anderen tierischen Freunde. Würden die Quellen nach ihrer Rückkehr noch sprudeln? Und, das Wichtigste: Auf die Gespräche mit Sabo würde sie lange verzichten müssen, denn während der Reise würde Sabo bestimmt keine Zeit dafür haben.

In der Nacht konnte niemand schlafen. Viel zu groß war die Aufregung. Auch Üllü tat kein Auge zu. Sie wollte sich auch auf die Reise freuen, doch ständig kam ihr nur das in den Sinn, was sie zurücklassen musste, sodass sich gar keine richtige Freude einstellen wollte. Üllü schämte sich deswegen fast ein wenig. Sie dachte zwar schon, dass etwas sehr Schönes bevorstand, doch sie konnte sich einfach kein Bild davon machen. Sie wünschte sich, Sabo hätte ihr mehr von der Korallenstadt erzählt. Weil er es aber nicht getan hatte, rief sie sich ersatzweise das Gespräch über das weiße Blut ins Gedächtnis, doch unbeschwert freuen konnte sie sich danach immer noch nicht.

Mitternacht war schon vorbei und Üllü wurde immer unruhiger. Schließlich hielt sie es nicht länger aus und schwamm zu Sabo. Der lag regungslos auf dem Wasser und hatte die Augen geschlossen, sodass Üllü dachte, er schliefe. Sie wollte ihn nicht wecken und war schon dabei, umzukehren, da hörte sie ihn:

„Üllü, bist du’s?“

„Ich wollte dich nicht stören.“

„Du störst mich nicht.“

„Alle freuen sich so. Ich kann mich aber gar nicht richtig freuen. Ich weiß nicht warum.“

„Bleib hier. Es ist gut, dass du da bist. Während der Reise werden wir kaum reden können.“

„Das hab ich mir auch schon gedacht.“

Üllü fand es wunderbar, noch einmal mit Sabo sprechen zu können. Er freute sich offenbar genauso.

„Erzähl mir von der Korallenstadt, damit ich mir vorstellen kann, wie schön es dort ist. Du hast mir nur erzählt, dass die ersten Nixen dort geboren worden sind, und das mit dem Roten im Blut, sonst nichts.“

„Ich dachte, das sei nicht nötig; ganz Wassererde ist doch voll von Erzählungen über die Korallenstadt.“

„Ja, alle reden ständig darüber, aber – das Vergessen. Niemand kann doch wirklich etwas darüber wissen. Ich kann die Geschichten einfach nicht glauben“

„Und doch stimmt, was erzählt wird. Es kommt nicht aus der Erinnerung. Die Korallenstadt ist uns Nixen ins Herz geschrieben.“

„Ich glaube, mir nicht.“

„Doch, ganz bestimmt. Du wirst sehen, alles, was du an Geschichten gehört hast, ist wahr, ich kenne die Korallenstadt.“

Und dann begann Sabo, mit Üllü über die Korallenstadt zu sprechen. Er schilderte sie so genau in allen Einzelheiten und mit allem, was in ihr zu erleben war, dass es Üllü vorkam, als ob sie selbst dort gewesen wäre. Unruhe und Angst fielen nach diesem Gespräch von ihr ab, und als sie Sabo verließ, freute sie sich auf das, was kommen würde, genauso wie ihre ganze Familie.

*

Als endlich der Morgen anbrach, wurden Anweisungen erteilt, die wichtigste: sich nicht zu weit von den anderen zu entfernen. Die Jugend wurde ermahnt, nicht allzu wild herumzutollen, um andere Völker nicht zu stören und Bosheit nicht anzulocken.

Nachdem alles besprochen war, schwammen die Wa in einem großen länglichen Schwarm, der einer dicken Zigarre glich, die Älteren außen, die Kleinen innen, hinaus aufs freie Meer. Sie durchquerten einen großen Golf und erreichten schließlich das offene Westmeer.

Es wurde so schnell geschwommen, dass selbst diejenigen, die direkt nebeneinander schwammen, sich nur schwer miteinander unterhalten konnten. Üllü schwamm ganz hinten, doch hin und wieder besuchte sie Sabo vorn an der Spitze des Schwarms. Er nickte ihr dann freundlich zu und sie wechselten ein paar Worte miteinander. Das war für beide schön.

Das Meer war ruhig, die Sonne schien und das Wasser war hell bis weit in die Tiefe. Die Wa sahen Meeresbewohner, die sie noch nie zuvor gesehen hatten, Fische in den prächtigsten Farben und Mustern, mit zarten durchscheinenden Flossen, die wie Schleier im Wasser schwebten. Wunderliche Geräusche waren zu hören, langgezogene Töne, die Gesängen glichen, eine Art Tuten, dumpfes Röhren, aber auch lustiges helles Schnalzen, alles geheimnisvoll und aufregend. Die Wa waren entzückt, und die Jungen konnten es trotz der Ermahnungen nicht lassen, immer wieder aus dem Schwarm auszubrechen, denn außerhalb des Gedränges war es einfach interessanter.

Am schönsten wurde es, als die Wa, nachdem sie einige Tage geschwommen waren, in Walfischgebiet kamen. Die Älteren rieten den Jungen, mit den Walen respektvoll umzugehen und nicht allzu nahe an sie heranzuschwimmen, denn unter Walen konnte es auch mürrische geben, die jede Art von Annäherung übelnahmen. Doch die Wale waren freundlich, und weil die Nixenkinder wegen der sanften Riesen ganz aus dem Häuschen waren und keine Ruhe gaben, wurde ihrem Betteln schließlich nachgegeben und die Reise für eine Weile unterbrochen.


Es wurde ein Fest. Die Wale ließen die jungen Nixen auf ihren breiten Rücken reiten, und die kleinen Reiter rutschten beim Auftauchen dann wie von einem riesigen, glitschigen Berg mit Freudengeheul ins Wasser hinab. Das war schon wunderbar, doch noch schöner fanden es die Nixenkinder, wenn es ihnen gelang, sich auf die Blaslöcher der Wale zu setzen, um sich mit der Fontäne aus Wasser und Luft hoch in die Luft blasen zu lassen. Von oben stürzten sie sich dann wie von einem Sprungbrett kopfüber ins Wasser. Doch schließlich ging die Reise weiter.

Viele Tage und Nächte waren die Wa nun schon unterwegs und hatten sich an das Leben im Meer gewöhnt. Das war anders als in Wassererde. An spielen war nicht zu denken, denn es wurde ständig schnell geschwommen, und auch die Ernährung war im Meer eine andere als in Wassererde. Meist aßen die Wa jetzt Tang. Manchmal schwammen halbe Bäume davon im Wasser herum, ausgerissen aus den Tangwäldern am Meeresgrund. Dieser Tang schmeckte anders als das, was in Wassererde gegessen wurde, doch keinesfalls schlechter, und auch für alles andere, das die Wa hätten vielleicht vermissen können, bot die Wunderwelt des Meeres reichlich Entschädigung.

Pausen wurden nur eingelegt, um zu schlafen, und das geschah, nicht wie in Wassererde jede Nacht, sondern in großen Abständen und dann länger als sonst. Das half, Schlafenszeit zu sparen. Die Wa konnten nämlich bei Bedarf, so wie jetzt während ihrer Meereswanderung, über lange Zeit auf Schlaf verzichten. Wenn sie dann aber müde wurden, kam der Schlaf mit solcher Macht über sie, dass sie ihm nicht widerstehen konnten und einschliefen, auch wenn sie es vielleicht gerade gar nicht wollten. Das sollte während der Reise natürlich nicht passieren. Schon bevor den Ersten die Augen zufielen, rief Sabo daher zum Schlafen auf. Alle schliefen dann gleichzeitig ein, auf dem Wassers liegend, das Gesicht dem Himmel zugewandt, wie sie es gewohnt waren. Der Schlaf dauerte dann mehrere Tage und Nächte, und weil sie alle fast zur gleichen Zeit eingeschlafen und davor gleich müde gewesen waren, wachten sie auch alle ungefähr gleichzeitig wieder auf. Dann mussten sie sich erst wieder suchen und sammeln, denn meist hatten die Wellen sie ein wenig verstreut. Verloren ging trotzdem niemand.

*

Einmal, als die Wa sich wieder einmal schlafen gelegt hatten, wachte Üllü früher auf als die anderen. Es war Tag. Sie schaute sich um und sah in der Ferne etwas Unbekanntes auf dem Wasser. Sie beschloss, hinzuschwimmen und nachzusehen, was es war.

Als sie dem unbekannten Ding schon eine Weile entgegen geschwommen war, musste sie feststellen, dass es noch viel weiter entfernt war, als sie vermutet hatte, und je näher sie ihm kam, desto seltsamer erschien es ihr. Noch nie zuvor hatte sie etwas Derartiges gesehen. Es überragte die Wasseroberfläche so gewaltig, wie es bei Meeresbewohnern nicht vorkam, und musste riesengroß sein. Doch Üllü staunte nicht nur über die Größe und Form dieses Ungeheuers, sie wunderte sich auch darüber, dass sich seine Gestalt beim Schwimmen kein bisschen veränderte. „Es muss ein Berg sein, ein riesiger Fels, der da im Wasser schwimmt“, dachte sie.

Als Üllü den Koloss erreicht hatte, ließ sie ihn ganz nah an sich vorbeiziehen, und dann bewegte sich plötzlich doch etwas in der starren Wand, die sich da langsam an ihr vorbeischob. Es war etwas Kleines, das von einem Runden wie eingerahmt war. Kaum hatte Üllü es erspäht, da war es auch schon wieder verschwunden, und das, was sie da für einen kurzen Moment gesehen hatte, kam ihr vor wie ein Gesicht.

Ganz kurz schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, die Korallenstadt mit Nixen darin schwimme gerade an ihr vorüber, doch das konnte ja unmöglich sein. Trotzdem, das Kleine, in das sie ganz kurz geblickt hatte, konnte eigentlich nur ein Gesicht gewesen sein. Das war Üllü unheimlich und sie spürte kein Verlangen, dem schwimmenden Riesen zu folgen, um das Gesicht vielleicht noch einmal zu sehen. So schnell wie möglich wollte sie weg, doch das war gar nicht so leicht. Es war, als ob das seltsame Ungetüm sie nicht ziehen lassen wollte. Ihre ganze Kraft musste Üllü aufwenden, um von ihm wegzukommen.

Hektisch trat sie den Rückweg an, doch kaum hatte sie ihn zur Hälfte hinter sich gebracht, da hatte sie ein weiteres Erlebnis, das nicht weniger aufregend war. Zuerst bemerkte Üllü nur, dass es unruhig wurde im Meer um sie herum, und dann war sie plötzlich von Haien umringt. Wie aus dem Nichts waren sie aufgetaucht, bildeten einen Kreis um sie, regten sich nicht und hatten alle den Blick auf sie gerichtet. Üllü war wie gelähmt vor Schreck, doch die Haie machten keine Anstalten, sie anzugreifen. Sie blickten sie nur an, vorwurfsvoll, warnend, drohend. Üllü gelang es nicht, ihren Blick von dem der Haie zu lösen, obwohl sie ihn kaum aushalten konnte. Es lief ihr kalt über den Rücken. Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, verschwanden die Haie, plötzlich, wie sie gekommen waren, und der Spuk war vorbei.

Verwirrt und mit klopfendem Herzen, aber ohne weitere Zwischenfälle, erreichte Üllü ihre Familie. Niemand unter den Wa hatte ihre Abwesenheit bemerkt, alle schliefen noch. Schließlich wachten die Wa dann auf und die Reise ging weiter. Zu gerne hätte Üllü mit Sabo über das gesprochen, was sie bei ihrem Ausflug erlebt hatte, doch Sabo schien mit anderem beschäftigt, und sie wagte nicht, ihn zu stören.

Für die Wa, die von Üllüs aufregenden Erlebnissen nichts wussten, und selbst keine solchen gehabt hatten, war die Reise die reine Freude. Alles, was sie sich von ihr erträumt hatten, war wahr geworden und dabei stand das Allerschönste, die Korallenstadt, ja noch bevor. Üllü dagegen war nach ihrem Ausflug nicht mehr so unbeschwert. Was sie dabei erlebt hatte, konnte sie sich nicht erklären. Es verfolgte sie und machte ihr Angst.


*

Schließlich mehrten sich die Hinweise, dass die Korallenstadt nicht mehr weit sein konnte. Die Wa erkannten es daran, dass sie zum ersten Mal fremde Nixen sahen. Manche von ihnen schwammen in kleinen Gruppen, andere in großen Schwärmen, und es wurden immer mehr. Das war spannend für die Wa, denn sie hatten noch nie Nixen gesehen, die keine Wa waren. Üllü wusste von Sabo, dass es unter den Westmeernixen solche gab, die anders aussahen und andere Gewohnheiten hatten als die Wa, dass sie aber alle eine große Familie waren und sich untereinander verstehen konnten. Man begrüßte sich und freute sich aufeinander, doch das Ziel der Reise war noch nicht erreicht, und für Gespräche mit der fremden Verwandtschaft war keine Zeit. Man tröstete sich damit, dass man sich ja bald beim Hochzeitsfest wieder sehen würde.

Während die Wa damit beschäftigt waren, dem Auftauchen der Korallenstadt entgegenzufiebern und dabei fast außer sich gerieten vor Begeisterung, hatte Üllü ganz andere Gefühle. Ständig musste sie an ihre Begegnung mit den Haien denken. Der drohende Blick, mit dem sie sie angesehen hatten, ging ihr nicht aus dem Sinn und drückte ihr aufs Gemüt, ähnlich wie das Verstummen der Quellen, am Tag bevor Sabo den Aufbruch zur Korallenstadt angekündigt hatte.

Üllü wollte nun doch versuchen, mit Sabo über das Erlebnis mit den Haien zu sprechen, auch wenn der Zeitpunkt wahrscheinlich nicht günstig war. Sie musste einfach wissen, was er von der Sache hielt. Doch der Versuch misslang. Sabo wollte nicht mit Üllü sprechen. Er schickte sie unwillig zurück. Das hatte er noch nie getan. Fast wütend schien er zu sein. Auch das hatte Üllü noch nie bei ihm erlebt. Dabei sah er sehr traurig aus. Üllü verstand das alles nicht. Doch bald sollte sie es verstehen, denn wenig später ereigneten sich Dinge, die niemand erwartet hatte, und die so noch nie vorgekommen waren.

Seit die Wa ihre Hochzeitsreise angetreten hatten, war das Meer immer klar gewesen. Wenn die Sonne schien, waren die oberen Schichten hell, und wenn der Himmel bedeckt war, etwas dunkler. Nun aber wurde es tagsüber manchmal ganz ungewöhnlich finster, so, als ob plötzlich für einige Augenblicke die Nacht hereingebrochen wäre.

Zunächst waren diese dunklen Zonen klein, und die Nixen hatten sie schnell durchschwommen. Doch dann wurden sie größer, es wurde kalt und im Wasser tauchte etwas Schwarzes auf, das die Nixen nicht kannten. In Schlieren und kleinen Perlen trieb es im Wasser, und wenn sie es fingen und zerdrückten, wurde es zu einer klebrigen schwarzen Paste, die an ihren Händen kleben blieb.

Mit der Zeit tauchte immer mehr von diesem Zeug auf und bald war das Meer voll davon. Große schwarze Klumpen schwammen nun herum. Alles, was mit ihnen in Berührung kam - und alle Wa kamen damit in Berührung - wurde schwarz, steif und unbeweglich. Keiner konnte mehr schwimmen und das Atmen wurde immer schwieriger.

Auch die Geräusche im Meer hatten sich veränderten. Die getragenen Gesänge waren schon lange verstummt. Stattdessen hörte man jetzt kurze, angstvolle Schreie, klagende Laute und laute Rufe, die sich wiederholten und wie Hilferufe klangen. Bald war die Dunkelheit vollkommen, nur hin und wieder drangen einzelne dünne Lichtstrahlen durch das kalte Meer wie Blitze am Gewitterhimmel. Das Meer war zu einem schwarzen Grab geworden. Üllü konnte ihre Augen nicht mehr öffnen und ihr zugekleisterter Körper konnte nichts mehr fühlen. So wusste sie nicht, ob jemand neben ihr schwamm oder ob sie in dem tödlichen Dunkel alleine war. Sie war ohne Orientierung und dem Ersticken nahe.


Welle, Welle hohe schnelle,

Finsternis all ringsumher

schwarz geworden ist das Meer.

Welle, Welle hohe schnelle,

Wunder haben wir gesehen,

Schreckliches ist uns geschehen.

Tief im Meer da ruhen wir

Wasserkinder waren wir.

Auch Üllü war mehr tot als lebendig, doch noch schlug ihr das Herz in der Brust. Es sollte auch, so viel kann hier schon gesagt werden, noch lange schlagen, doch Üllüs bisheriges Leben war vorbei. Ein neues begann und das unter ganz ungewöhnlichen Umständen.

Die milchblütige Heldin Üllü Wa

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