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Kapitel 10 – Weissagungen
ОглавлениеKyrian atmete auf und inhalierte die salzige Meerluft, als sie an der Nordseeküste die Hafenstadt Bridlington erreichten. Mit Jenna im Auto zu sitzen, zerrte an seiner Selbstbeherrschung. Sie war allein mit ihm und vertraute ihm, weil er einer von Noirs Goyles war. Er könnte sich sofort mit ihr ins Dunkle Land translozieren. Aber er musste sich gedulden. Falls sie nur eine gewöhnliche Hexe war, wollte er sie dem König nicht ausliefern.
Wünschte er etwa, sie wäre nicht diejenige, die er suchte? Wo er schon so lange darauf wartete, endlich seine Schwester zu befreien und selbst frei zu sein? Und würde König Lothaire ihnen tatsächlich die Freiheit schenken?
Außerdem wusste er nicht, wie stark Jenna war, bisher hatte er noch nichts von ihren magischen Künsten gesehen. Das sollte er zuerst herausfinden.
Sie wies ihn an, die Hafenstraße entlangzufahren und zog eine Karte aus der Handtasche. Es war keine gewöhnliche Straßenkarte, sondern eine der Magiergilde. Sämtliche Kultstätten und andere für Hexen und Magier bedeutsamen Orte waren darauf verzeichnet, wovon es in Bridlington nicht besonders viele gab. Kyrian besaß solch einen Plan von London. Bisher hatte er ihn noch nicht Lothaire überreicht. Die Karte wollte er als Bonus behalten.
Systematisch begannen sie im Ortskern von Bridlington und arbeiteten sich nach außen vor. Zuerst fragten sie in den Hotels und Pensionen, in denen Jennas Vater übernachtet hatte, doch dort erinnerte sich niemand an ihn. Er hatte wohl einen Vergessenszauber angewandt und seinen korrekten Namen verschwiegen.
Im Schnelldurchlauf suchten sie anschließend alle medizinischen Einrichtungen auf und machten eine Führung im historischen Bayle Museum mit. Sogar einen Bunker sahen sie sich an. Jenna zeigte jedem Angestellten ein Foto von William Fairchild und fragte, ob sie sich an ihn erinnern konnten. Alle verneinten.
Kyrian prägte sich das Bild gut ein. Vor der Operation hatte er Mr. Fairchild nur mit Gesichtsschutz zu sehen bekommen. Der Mann hatte kaum Ähnlichkeit mit seiner Tochter, wirkte eher stämmig, mit einem rundlichen Gesicht und rotblondem Haar.
Kyr hielt sich im Hintergrund und sprach nur das Nötigste. Doch er studierte die kleine Hexe, ihre Art, sich zu bewegen, zu sprechen und auf andere Menschen einzugehen. Sie besaß ein Wesen, das alle sofort gefangen nahm. Die Leute lachten mit ihr und erzählten ihr alles, was sie wissen wollte. Das passte ihm irgendwie nicht.
Gegen Nachmittag und drei Sehenswürdigkeiten später saßen sie in einem Café am Hafen und beobachteten Möwen, die auf dem hellen Sandstrand nach Fressen suchten. Es war ein klarer Sommertag und von der Promenade hatten sie einen hervorragenden Blick auf die Kreidefelsen im Hintergrund.
Jenna sah müde aus, ihre Füße taten ihr offensichtlich weh, denn sie zog ihre Sandaletten aus. Kyrian riskierte einen Blick auf ihre kleinen Zehen, auf denen perlmuttfarbener Nagellack schimmerte. Alles an ihr war grazil. Perfekt.
Seufzend lehnte sie sich im Korbstuhl zurück und schlürfte ihren Eiskaffee durch einen Strohhalm. »Ich weiß nicht, wo ich noch suchen soll. Niemand kennt meinen Vater. Vielleicht bin ich auf der völlig falschen Fährte.« Sie stellte ihre Handtasche auf den Tisch und zog die Karte hervor. »Wir haben alle Orte angesehen, an denen er sich laut der Rechnungen aufgehalten haben könnte. Viele Plätze gibt es hier nicht, die irgendwie mit unserer magischen Welt in Verbindung stehen.«
Unserer Welt … Wenn sie wüsste, aus welcher Welt er kam.
Er räusperte sich und stellte die Kaffeetasse ab. »Zeig mal her.« Diese Suche langweilte ihn, und wenn er sie beschleunigen konnte, um endlich zu einem Ergebnis zu kommen, würde er das tun.
Sie reichte ihm den Plan.
»Etwas außerhalb gibt es keltische Kultstätten, Steinkreise, das Übliche. Es würde Tage dauern, bis wir das alles abgeklappert haben.«
Sie seufzte erneut. »Ich weiß. Vielleicht sollten wir nach Hause fahren.«
Jenna machte einen so unglücklichen Eindruck, dass etwas in Kyrian auftaute. Plötzlich wollte er ihr zuliebe ihre Vergangenheit aufdecken. Angestrengt studierte er noch einmal die Karte und tippte den Namen der Ortschaft in sein Smartphone. Sofort bombardierte ihn die Suchmaschine mit Informationen. »Bei West Heslerton gibt es eine bekannte archäologische Stätte mit Funden aus verschiedenen Zeitaltern.« Solche Plätze waren bei Magiern begehrt, denn oft bezogen sie Kräfte aus den altertümlichen Kultstätten. Kyrian blickte erneut auf das Display und tippte weitere Namen ein. »Nicht weit von hier erstreckt sich der Danes Dyke, ein großer, doppelwandiger Erdwall, dessen Ursprung bis heute nicht geklärt werden konnte.« Das klang interessant. Aber dann fiel ihm auf der Magierkarte ein rotes Symbol auf, ein Halbkreis, der durchgestrichen war. Kyrian hielt Jenna den Plan vor die Nase und deutete auf den Punkt, der sich nur wenige Meilen entfernt an der Küste befand. »Was ist das?«
»Ein Ort, um den man einen großen Bogen machen sollte, wenn einem sein Leben …« Jenna beugte sich nach vorn und riss ihm die Karte aus der Hand. »Das sehen wir uns an! Warum bin ich nicht gleich drauf gekommen? Das ist der einzige Ort im ganzen Umkreis, den es zu meiden gilt.« Ihr Gesicht strahlte, ihre Wangen röteten sich vor Aufregung.
Kyrian schluckte. Was, wenn sich dort auch seine Fragen klärten und herauskam, dass Jenna diejenige war, nach der Lothaire schon ewig suchte? »Bist du sicher?«
Sie war aufgestanden und winkte dem Kellner. »Worauf wartest du? Schmeiß den Motor an, wir fahren zum Kliff.«