Читать книгу African Queen - Irena Böttcher - Страница 6
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WIE ÜBLICH GING ER ALS LETZTER IN DER REIHE, HINTER DEN ANDEREN. Wie üblich verfluchte er jeden einzelnen Schritt, der ihm abwechselnd herabhängende Lianen, Dornenranken, Blätterränder mit der Schärfe eines Rasiermessers, Steine, Baumwurzeln, Schlamm und Tiere aller Art als Komplikation bescherte. Wie üblich blieb er in seinem Kampf mit der unwirtlichen Umgebung immer weiter zurück, ohne daß der Rest der Gruppe darauf Rücksicht nahm.
Nicht wie üblich allerdings war das Gefühl, das ihn seit kurz nach dem Aufbruch am Morgen beherrschte.
Sie wurden beobachtet.
Unzählige Augenpaare verbargen sich im Dickicht rings um sie herum, waren verschwunden, sobald er seinen Blick an die betreffende Stelle richtete, und bohrten sich kurz darauf wieder spürbar in seinen Rücken.
Wahrscheinlich sehe ich vor lauter Erschöpfung einfach Gespenster, versuchte er sich wieder und wieder zu beruhigen. Vergebens. Nach einigen Stunden war es keine vage Empfindung mehr, sondern sichere Gewißheit – ihr Trupp wurde begleitet. Unsichtbar, in der Deckung des dichten Grüns, und unhörbar in dem Lärm ihrer stapfenden Füße und den Geräuschen des Urwalds, an die er sich nie gewöhnen wurde, folgten ihnen fremde Menschen. Schwarze wahrscheinlich; so wie ihre Träger, von denen seit gestern Abend einer vermißt wurde – der, den Miß Longherd geohrfeigt und der ihm seine Kette hinterlassen hatte, die er nun um seinen Hals trug.
Ich muß etwas unternehmen, sagte er sich, ich muß die anderen informieren. Doch ein seltsamer Trotz hielt ihn davon ab, nach dem Führer zu rufen. Man sorgte sich nicht um ihn – warum also sollte er sich um die anderen sorgen?
Um sich selbst hatte er seltsamerweise überhaupt keine Angst. Nichts konnte schlimmer sein, als immer weiter einem unbekannten Ziel zuzumarschieren, das ihm aller Wahrscheinlichkeit nicht einmal das bescheren würde, wonach er suchte.
Natürlich kannte er die Erzählungen von wilden Stämmen, die nach einem Regelwerk lebten, das einen zivilisierten Europäer nur mit Abscheu erfüllen konnte. Falls es überhaupt ein Regelwerk war und keine blinde Willkür. Wilde Stämme, unter denen es auch Menschenfresser gab, wie er gehört hatte. Aber die ganzen Berichte erschienen ihm so unwirklich, als könnten sie ihn nicht betreffen. Als handelten sie nicht von realen Gefahren seiner konkreten Situation, sondern von alten, längst vergangenen Zeiten.
Beinahe begrüßte er die Abwechslung, die ihm heute zuteil wurde. Er fühlte, er war wacher als sonst; weniger verzweifelt, weniger zerschlagen – obwohl die Fausthiebe des unerträglichen Mannweibs vom Abend zuvor ihn durchaus noch schmerzten.
Gegen Mittag befahl Hegel eine Rast auf einer weitläufigen Lichtung. Dankbar ließ er sich neben dem ganz am Rand abgestellten Gepäck zu Boden gleiten, nachdem er endlich herangekommen war. Die anderen saßen längst beisammen und diskutierten eifrig.
»Ich kenne mich aus – wir sind auf dem richtigen Weg«, beharrte Hegel mürrisch. Anscheinend hatte jemand seine Fähigkeiten als Führer bezweifelt.
»Wenn das der richtige Weg ist – warum ist dann von der Ebene, die wir nach Ihren Angaben spätestens gegen Mittag erreicht haben sollten, noch immer nichts zu sehen?« Miß Longherds Stimme klang ungewohnt schrill; das erste Mal hätte man sie nun für die Stimme einer Frau halten können.
»Wenn Sie es besser können, schlage ich vor, Sie übernehmen selbst die Führung!« erwiderte Hegel ungehalten.
»Das würde Ihnen so passen – unser Geld nehmen und uns dann mitten im Busch allein lassen!« schimpfte Dellingham.
Hegel sprang auf. »Erstens habe ich gerade Ihr Geld noch überhaupt nicht bekommen«, brüllte er, »weil Sie angeblich erst am Ende unserer Reise die erforderlichen Mittel dazu erhalten. Und zweitens habe ich noch nie eine Gruppe im Stich gelassen! Einen zuverlässigeren Führer als mich können Sie gar nicht finden. Und wenn Ihnen etwas nicht paßt, schlage ich vor, Sie machen sich umgehend auf den Rückweg!«
»Geben Sie es doch zu – wir haben uns verirrt!« kreischte Miß Longherd.
Mitten in der heftigen Auseinandersetzung fiel es anscheinend niemandem auf, daß wie auf ein Kommando sämtliche Schwarze auf einmal verschwunden waren. Er allein bemerkte es.
Doch noch bevor er darüber nachsinnen konnte, was das zu bedeuten hatte, ertönten plötzlich von allen Seiten wilde Schreie.
Im Nu war ihr kleines Lager von furchterregend bunt angemalten dunklen Gestalten umringt.
Hegel wollte zu seinem Gewehr greifen, aber zwei der Schwarzen schlugen es ihm mühelos aus der Hand. Auch die siamesischen Zwillinge wurden entwaffnet, die mit ihren Revolvern, wie sie freimütig zugegeben hatten, ohnehin nicht umgehen konnten. Dellingham kämpfte wie ein Löwe zwischen zwei Angreifern, die ihn jedoch rasch besiegten.
Mut hat sie, dachte er anerkennend, als Miß Longherd sich unversehens auf gleich drei Gegner stürzte – denen sie allerdings trotz ihrer Masse nicht gewachsen war – binnen Sekunden lag sie am Boden, an Händen und Füßen gefesselt.
Alles ging so schnell vor sich, daß er nur wie betäubt dasitzen konnte. Ein Eingreifen war ihm nicht möglich, selbst wenn er gewollt hätte. Und ob er seinen Gefährten wirklich zu Hilfe kommen wollte, vermochte er nicht zu entscheiden.
Um ihn kümmerte sich keiner von den Eindringlingen, und er überlegte gerade, ob er diese Gelegenheit zur Flucht nutzen sollte.
Doch es war bereits zu spät.
Nachdem die anderen Teilnehmer der Expedition wehrlos gemacht worden waren, schritten insgesamt fünf der Schwarzen auf ihn zu und blieben unmittelbar vor ihm stehen.
Halb erschrocken, halb neugierig sah er zu ihnen auf – und dann weiteten sich seine Augen vor Erstaunen.
Es war nur ein einziger Mann dabei, der Schwarze, dessen Kette er angelegt hatte.
Alles andere waren Frauen.
Große Frauen mit Körpern, deren grelle, primitive Bemalung ihre samtweiche, üppige Schönheit nicht verbergen konnte.
Er versuchte, rasch auf die Füße zu kommen; es gehörte sich einfach nicht dazuhocken, wenn eine Frau vor ihm stand.
Übelkeit biß sich in seinen Magen, er taumelte. Es war wohl alles zuviel gewesen in seinem untrainierten Zustand, die unerträgliche Hitze, die ungewohnten Anstrengungen, und nun die Aufregung.
Wie ein schwarzes Tuch legte sich die Ohnmacht über seine Sinne.