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SANFT UND KÜHL STRICH EINE HAND ÜBER SEINE STIRN.

»Sophie«, murmelte er. Noch waren seine Augen geschlossen, doch er konnte sie vor sich sehen, in einem hellen, duftigen Kleid, mit dem silbernen Medaillon am hohen Kragen, das ein Bild ihrer verstorbenen Mutter barg, die langen dunklen Haare hochgesteckt, besorgt über ihn gebeugt.

Zuerst hatte sie ihm Vorwürfe gemacht, daß er sich der Entscheidung der Fakultät so widerspruchslos gebeugt hatte, dann hatte sie vor Angst geweint, ihn nie mehr wiederzusehen, weil er vielleicht so spurlos im afrikanischen Busch verschwinden würde wie Lord Peter.

Den ganzen Abend lang hatte sie ihn bedrängt, obwohl die Sitzung und die rauhe, plötzliche Konfrontation mit einer Arbeit fern von seinen Büchern ihn ohnehin über Gebühr erschöpft hatten.

Endlich war sie gegangen, und er hatte sich mitsamt seiner Kleidung aufs Bett fallen lassen, wo er sofort eingeschlafen war.

Doch nun war sie zurückgekommen, um sich mit ihm zu versöhnen; ihre schlanken Finger, die so liebevoll sein Gesicht berührten, bewiesen es ihm.

»Sophie«, seufzte er noch einmal.

Eine leise, warme Stimme antwortete ihm mit Worten, die er nicht verstand.

Es war nicht Sophies Stimme. Schlagartig drang etwas durch die Nebel seiner schwindenden Bewußtlosigkeit.

Sophie hatte keinen Schlüssel zu seiner Wohnung; sie hatte nicht zurückkommen können. Sie war nicht zurückgekommen. Und überhaupt war er gar nicht in seiner Wohnung in London.

Er war in Afrika.

Erschrocken fuhr er auf, doch energisch drückten ihn die vorher noch so sanften Hände zurück auf sein Lager.

Neben ihm saß auf dem Boden im Schneidersitz eine Frau, dunkelhäutig, anders als die vier, denen er vorher begegnet war, unbemalt, fast vollständig nackt, bis auf eine Kette um ihren Hals, ähnlich der, die ihm der Träger hinterlassen hatte, und mit langen, ähnlich gearteten Ohrringen in den Ohrläppchen. Seine Erziehung wollte ihn zwingen, schamhaft den Blick von ihrer Blöße abzuwenden, doch er konnte nicht anders, er mußte hinsehen, nahm den straffen Schwung ihrer Brüste wahr, deren dunkle Färbung in der Erhebung heller zu werden schien, mit den wieder vollständig dunklen, dunkelsten Höfen um die Brustwarzen herum als triumphierendem Schlußpunkt.

Auf einmal war ihm alles wieder eingefallen; der lange Marsch, er immer hinter den anderen, auf dem sie beobachtet worden waren, und dann der Überfall. Der Überfall der Frauenkrieger.

In seinem Bauch meldete sich das typische Kribbeln, das ihn immer erfaßte, wenn er etwas auf der Spur war. Hatte das Schicksal ihm ganz unerwartet Entdeckungen in den Schoß geworfen, die über irgendwelche von Lord Peter hinterlassenen Briefe weit hinausgingen?

Das Wort Schoß ließ seinen Blick ein wenig nach unten schweifen, wo die Frau neben ihm ihr intimstes Geheimnis, das in England die Frauen besser behüteten als ihre Aussteuer, so freimütig preisgab, daß heißes Unbehagen ihn erfüllte, von dem er sich nicht gestattete nachzuforschen, ob es noch andere Empfindungen enthielt außer Unbehagen.

»Wo bin ich?« fragte er und mußte innerlich beinahe schmunzeln über seine Reaktion. Genau das fragten in den Theaterstücken immer die Frauen, wenn sie aus ihrer Ohnmacht erwachten, die sie oft so passend ereilte. Beschämt gestand er sich ein, mit seiner eigenen, eher ausgesprochen unpassenden Ohnmacht wieder einmal bewiesen zu haben, er war kein Held; vielleicht nicht einmal ein richtiger Mann, der etwas taugte, der etwas wert war. Genau das behaupteten einige seiner Kollegen im Institut. Und auch einige seiner weiblichen Bekannten. Sophie war eine der wenigen, die sich nie daran gestört hatten, wie zurückhaltend, wie wenig stark und hart er war.

Aber Sophie war weit weg; ebenso wie seine Kollegen; mochten sie nun von ihm halten, was sie wollten. Er war allein, auf sich selbst angewiesen.

Und hatte vielleicht das erste Mal in seinem Leben die Chance zu beweisen, daß er durchaus etwas konnte.

Die Frau an seiner Seite antwortete etwas. Erneut verstand er sie nicht. Natürlich nicht – wie hätte er auch? Es war allseits für völlig überflüssig erklärt worden, eine Vorbereitung auf die Expedition erfordere es, sich mit wenigstens einem der Dialekte der eigentlichen Bewohner Afrikas vertraut zu machen; Lingala, Hausa oder Swahili. Der ausgewählte Führer sprach Englisch und genügend Swahili, den in der Region wohl am weitesten verbreiteten Sprachstamm, um notfalls zu dolmetschen, bei den Trägern ebenso wie bei den Personen, mit denen er im Rahmen seines Auftrags zu reden hatte.

Allerdings erinnerte ihn das, was die Frau sagte, nicht an das, was er bei den schwarzen Trägern gehört hatte.

Sie sprach immer weiter, gestikulierte dazu.

Er hob ungehalten die Hand, um sie zu stoppen, doch sie wollte sich ausschütten vor Lachen, verstummte erst, als ganz plötzlich ein heller Strahl Sonne in den kleinen Raum fiel. In dessen Licht erkannte er erstmals, daß er sich wahrscheinlich in einer Lehmhütte von runder Form befand, mit einem Dach aus etwas, das er aus Stroh bezeichnet hätte, ohne zu wissen, ob dieser Begriff korrekt war. Der Ausgang war geschützt durch ein schweres Tuch, das sich nun langsam wieder senkte.

Eine weitere Frau schritt auf sein Lager zu, und respektvoll erhob sich seine bisherige Gesellschafterin, neigte vor ihr den Kopf und verschwand nach draußen.

Angesichts ihres ehrerbietigen Verhaltens richtete er sich unwillkürlich vollständig von seinem niedrigen Lager auf, um seine Besucherin gebührend mit einer höflichen Verbeugung zu begrüßen.

Sie nahm es lächelnd zur Kenntnis, nickte ihm zu, kniete sich neben ihm auf den Boden und bedeutete ihm, ebenfalls Platz zu nehmen.

Er tat es; wider Willen beeindruckt von ihrer hohen Statur und ihrer imponierenden, beinahe königlichen Haltung. Bei ihr wagte er es nicht, mit den Augen auf den typisch weiblichen Vorzügen zu verweilen; etwas, das ihm dadurch erleichtert wurde, daß ihr Körper bemalt war, wie er es bei den Kriegerinnen gesehen hatte.

»Wer?« fragte sie und zeigte dabei auf seine Brust. Es dauerte einen Augenblick, bis er begriff, sie hatte ihn in seiner Sprache gefragt; so sehr hatte er mit Lauten in einer ihm unverständlichen Zusammenstellung gerechnet.

»Charles Robertson«, antwortete er, ausgesprochen überrascht.

Wieder nickte sie. »Ah-deh-toh-kum-boh«, sagte sie dann, langsam und jede Silbe betonend, deutete dabei auf sich selbst. Erst diese Geste ließ ihn erraten, es handelte sich um ihren Namen. »Ah-deh-toh-kum-boh«, versuchte er die Lautfolge nachzusprechen. Sie klatschte lachend in die Hände, und wiederholte: »Adetokumbo.«

Ihr Lachen war noch nicht verklungen, als er von draußen einen Schrei vernahm. Wenn ihn nicht alles täuschte, war es Hegel, der geschrien hatte.

Er sprang auf, wandte sich zum Ausgang.

»Sitzen!« hielt ihn die scharfe Stimme der Frau zurück.

Ihre mangelhafte Beherrschung seiner Sprache ließ die Anweisung ein wenig lächerlich klingen; dennoch konnte er sich der Autorität in ihrer Stimme nicht entziehen. Zögernd blieb er stehen, drehte sich um.

»Sitzen!« wiederholte sie energisch und deutete mit dem Finger auf den Platz, den er vorhin eingenommen hatte.

Ein zweiter Schrei ließ ihn zusammenzucken.

Mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung war sie aufgestanden und hatte sich vor ihm aufgerichtet, blitzte ihn wütend aus ihren dunklen Augen an. Sie war fast so groß wie er; nein, nicht fast – sie war ebenso groß wie er.

Unsicher zog er die Schultern ein, wollte unwillkürlich vor ihr zurückweichen. Doch dann übermannte ihn der Zorn. Was bildete sie sich eigentlich ein, ihm Befehle zu geben? Schließlich war sie nichts als eine Frau, und draußen wurde ein Kamerad von ihm mißhandelt, gefoltert, benötigte seine Hilfe.

Er straffte sich. »Ich werde es nicht zulassen, daß Sie den anderen Mitgliedern etwas antun! Und ich werde mir von Ihnen gar nichts sagen lassen, sondern jetzt hinausgehen und nachschauen, was dort geschieht!«

Zwei Schritte machte er auf das schwere Tuch zu, dann fühlte er plötzlich, wie ihm die Beine weggezogen wurden. Schwer und plump krachte er mit dem Gesicht nach unten zu Boden, ein jäher Stich schoß durch sein linkes Knie und sein Kinn, und schon kniete sie auf seinem Rücken, drehte ihm die Arme nach hinten.

Sie sprach dabei sehr schnell und sehr böse Laute, die er nicht verstand. Nachdem sie einmal tief Luft geholt hatte, erklärte sie langsam und betont in seiner Sprache: »Du Mann – Männer tun, was Frauen bestammen.«

»Bestimmen«, verbesserte er sie spontan. Unmittelbar darauf stöhnte er vor Schmerz – sie hatte seinen Kopf an den Haaren zurückgerissen. Wie Peitschenhiebe prasselten ihre fremdartigen Laute auf ihn herab.

Sie erhob sich .

Der Schmerz an seiner Kopfhaut ließ sofort nach, hinterließ jedoch ein unangenehmes Prickeln.

»Sitzen!« befahl sie ein weiteres Mal.

Mühsam rappelte er sich auf. Sein linkes Knie tat ihm weh, ebenso sein Kinn, das er sich am harten Boden aufgeschrammt hatte, wie er fürchtete. Von seinem Hinterkopf ganz zu schweigen.

Er hatte keinerlei Lust auf eine weitere körperliche Auseinandersetzung. Gehorsam setzte er sich im Schneidersitz auf seinen alten Platz.

Erst dann wurde ihm bewußt, was sie vorhin gesagt hatte. Männer tun, was Frauen bestimmen. Wieder meldete sich das Kribbeln in seinem Bauch, sein untrüglicher Anzeiger dafür, er war etwas auf der Spur.

»Bestimmen bei Ihnen wirklich die Frauen, was geschieht?« fragte er.

Sie runzelte die Stirn, horchte seinen Worten nach. Er hatte in seiner Aufregung zu schnell geredet. Langsam wiederholte er seine Frage.

Nun nickte sie. »Frauen befehlen, ja.«

Ungläubig schüttelte er den Kopf. »Und die Männer des Stammes lassen sich das gefallen?«

»Männern das gefallen, ja«, antwortete sie.

Wider Willen mußte er lachen über die Zweideutigkeit ihrer Aussage. Verwundert sah sie ihn an. »Männer das mögen«, wiederholte sie. »Männer dann keine – Verwortung, frei sein.«

»Verantwortung?« vergewisserte er sich. Diesmal akzeptierte sie seine Korrektur. »Ver-ant-wor-tung, ja.«

Was erzählte sie ihm da? Es sollte Männer geben, die, noch dazu völlig freiwillig, ihren gott- und naturgegebenen Anspruch aufgaben, in einer Gesellschaft, sei sie nun ein wilder Stamm in Afrika oder Südamerika oder ein zivilisiertes Land in Europa, die Befehlsgewalt zu übernehmen? Die sich von Frauen, dem natürlich schwächeren Geschlecht, von den physischen wie von den geistigen Kräften her, Anweisungen geben ließen und diese sogar befolgten?

In ihm kämpfte die totale Verblüffung mit dem triumphalen Gefühl, recht gehabt zu haben. Wenn bloß seine Kollegen da wären – die, die ihn so oft ausgelacht hatten wegen seiner Vermutung einer Frauenherrschaft.

Nun wurde ihm unversehens nicht nur für die Vergangenheit, für die Zeit, in der die steinernen Stelen entstanden waren, sondern sogar für die Gegenwart, für das Hier und Jetzt und Heute, der Beweis vor Augen geführt, sie war nicht nur theoretisch denkbar, sondern sie existierte tatsächlich, ganz real und ganz praktisch.

Auf einmal kam ihm ein völlig verrückter Gedanke. Unter ihrer mißtrauischen Beobachtung zog er aus seiner Brusttasche das kleine, in schwarzes Leder gebundene Tagebuch mit silbernem Drehbleistift, ein Geschenk Sophies, das er ständig bei sich trug und in dem er all seine Erkenntnisse zu verewigen gedachte.

Mit raschen Strichen zeichnete er aus seiner Erinnerung ein paar der Zeichen auf, die sich in sein Gedächtnis gebrannt hatten, so oft hatte er die gemalten Abbilder dessen studiert, was als Oberstes auf den steinernen Stelen gefunden worden war. Falls er mit seiner Übersetzung richtig lag, bedeuteten sie sinngemäß: »Man muß sicherstellen, daß jede Handelskarawane von ausreichend Männern zur Verteidigung begleitet wird«, mit den beiden stilisierten Frauen für die Begriffe »man« und »Männer«.

Aufmerksam war sie dem Stift gefolgt, hatte das Buch an sich genommen und studierte nun, was er geschrieben hatte.

Enttäuschung machte sich in ihm breit. Wahrscheinlich konnte sie gar nicht lesen. Oder wenn, dann war ihr dennoch diese uralte Sprache ersichtlich fremd.

Sie hob den Kopf. »Frauen Karawanen führen«, sagte sie.

Jäh klopfte sein Herz schneller. Aufregung nahm ihm beinahe den Atem.

Noch bevor er antworten konnte, hob sich erneut der schwere Vorhang vor dem Eingang. Der Schwarze, dessen Kette er trug – nein, getragen hatte, denn ein vorsichtiges Tasten bestätigte ihm seinen Eindruck, man hatte sie ihm abgenommen – kam herein, verbeugte sich tief vor Adetokumbo und sprach eifrig auf sie ein. Er erkannte die Laute von vielen Unterhaltungen der Träger, denen er recht gleichgültig und ohne Neugier gelauscht hatte – es mußte Swahili sein.

Adetokumbo überlegte einen Augenblick, antwortete dann, ebenfalls in Swahili. Sie beherrschte also ihre eigene Sprache, sie beherrschte Swahili – und genügend von seiner, um sich, wenn auch mühsam, verständlich zu machen. Und er konnte lediglich in einer einzigen dieser Sprachen mit ihr kommunizieren; in seiner eigenen – obwohl er sich in ihrem Land befand. Ein leises Gefühl der Beschämung überfiel ihn.

Danach deutete Adetokumbo auf ihn und fügte etwas hinzu.

Der Schwarze wandte sich an ihn. »Adetokumbo sagt, ich soll übersetzen, worüber wir gesprochen haben.«

Dem ehemaligen Träger war seine Sprache also keineswegs so fremd, wie er dies vermutet hatte. Womöglich wäre er sogar ein besserer Dolmetscher gewesen als Hegel.

»Der Führer eurer Expedition weigert sich«, erklärte der Schwarze, »die angemessene Kleidung anzulegen. Ich hoffe, du kannst ihn zur Vernunft bringen; sonst wird es ausgesprochen unangenehm für ihn.«

Fragend sah Robertson ihn an. »Was verstehen Sie unter angemessener Kleidung?« Er blickte am Körper des anderen herab und hoffte, die Antwort würde nicht so ausfallen, wie er es allerdings befürchtete.

Der Mann trug nicht mehr die knielange Hose im westlichen Schnitt, mit der er ihn kennengelernt hatte. Stattdessen hatte er ein Tuch in verschiedenen Blautönen so um die Hüften geschlungen, das ein breiter Zipfel seine Scham verdeckte. Nicht verdecken konnte der eingefärbte Stoff jedoch die Tatsache, daß er irgendwo dort eine Art Seil aus zusammengedrehten Fasern befestigt haben mußte, an dessen Ende ein kleiner Knochen pendelte.

Unwillkürlich preßte Robertson die Schenkel zusammen.

Der Schwarze war Robertsons Blick gefolgt; sein Mund verzog sich zu einem Grinsen. »Ganz recht, Robertson. Ein Tuch muß den männlichen Körperanhang verhüllen, der den Frauen dieses Stammes in ihrer reinen Schönheit als anstößig erscheint. Und damit wir Männer angesichts der konstanten Versuchung, gegen die wir uns aufgrund unserer weit unterlegenen Selbstbeherrschung nicht ohne Hilfe wehren können, das Benehmen nicht vergessen, das sich ziemt, erinnert uns ein kleiner Knochen ständig an die notwendige Zurückhaltung. Nur den Frauen ist es erlaubt, ihn uns abzunehmen und darüber zu bestimmen, wann wir unseren ständigen Gelüsten nachgeben dürfen.«

Erschrecken und Widerwille spiegelten sich in Robertsons Gesicht. »Wir sind Gäste bei Ihrem Stamm – und weder seine Mitglieder, noch seine Gefangenen. Aus welchem Grund also sollten wir uns Ihren Sitten und Gebräuchen beugen? Und im übrigen« – er richtete sich auf und versuchte, seiner Stimme einen energischen Klang zu geben – »verlange ich, daß alle Mitglieder der Expedition umgehend freigelassen werden!«

Nach einem kleinen Wortwechsel mit Adetokumbo – wahrscheinlich übersetzte er ihr seine Forderung – schüttelte der Schwarze den Kopf. »Ich bedauere – das wird nicht möglich sein. Ein Teilnehmer der Expedition hat den Gefährten des Stammesoberhauptes geschlagen. Diese Schmach muß gesühnt werden.«

Der Schwarze war also der Geliebte Adetokumbos; denn daß sie diejenige war, deren Worte hier Gesetz waren, daran bestand für ihn inzwischen kein Zweifel mehr. Ein wenig verächtlich blickte er zwischen den beiden hin und her. Wie konnte ein Mann sich nur so von der Frau gängeln lassen, die ihn liebte – wo doch er derjenige war, dessen Stimme für beide zu entscheiden hatte!

Aber er durfte sich von solchen Überlegungen nicht ablenken lassen; er mußte schließlich nicht in dieser Unterdrückung leben, und wenn die Wilden ihren Gefallen an derartig abnormen und abstrusen Lebensformen fanden, war das nicht sein Problem. Er mußte lediglich rasch für einen ungehinderten Fortgang der Expedition sorgen.

»Wenn Sie das so sehen«, er hob die Hände, ließ sie wieder sinken, »dann kann ich dagegen wenig sagen. Aber es hat nur eine einzige Person Sie geschlagen. Was auch immer mit ihr geschieht – lassen Sie wenigstens die anderen gehen. Und zwar so schnell wie möglich.«

»Auch das wird sich nicht machen lassen«, schüttelte der Schwarze den Kopf. »Keiner von den anderen hat etwas dagegen unternommen, als die fette weiße Frau Obioma geohrfeigt hat. Nicht einzugreifen, wo ein Unrecht geschieht, ist lediglich eine mildere Form eben jenes Unrechts.«

Obioma war also der Name ihres ehemaligen Trägers.

»Obioma«, versuchte er es mit ruhiger Vernunft, obwohl seine Gedanken ob der Ungeheuerlichkeit im Aufruhr waren, die hier geschah, »ein Unrecht kann nicht durch ein weiteres Unrecht gesühnt werden. Und es ist Unrecht, uns alle hier gegen unseren Willen festzuhalten.«

Wieder beriet Obioma mit Adetokumbo, die sehr schnell sehr viel sagte, drehte sich dann erneut zu Robertson. »Adetokumbo fragt, nach welchem Recht Verbrechen in Ihrem Land bestraft werden, die ein Fremder dort begeht.« Er grinste erneut. »Sie müssen die Frage nicht beantworten; ich kenne die Antwort ebenso wie Adetokumbo – auch die Untaten von Fremden werden nach Ihrem Recht geahndet. Aber die zweite und die dritte Frage sollten Sie sich doch gut durch den Kopf gehen lassen – werden die Fremden, die eine solche Straftat begangen haben, nicht auch festgehalten und in eine Kleidung gesteckt, die den englischen Stammesältesten als ziemlich erscheint? Und ist das in Ihren Augen dann ebenfalls Unrecht?«

Verwirrt überlegte Robertson, was er darauf entgegnen sollte. Irgend etwas war an dieser Argumentation falsch, doch er konnte den Finger nicht auf die Schwachstelle legen. »Nun«, versuchte er es schließlich mit einem Gegenargument, »das kommt ganz auf die Schwere der Tat an. Niemand wird ins Gefängnis gesteckt, nur weil er einen anderen geschlagen hat.«

»Und wer entscheidet über die Schwere der Tat?« erwiderte Obioma. »Der Fremde – oder nicht eher die Engländer? Wie gravierend die Beleidigung ist, die in einer Ohrfeige liegt, wird nun einmal in den verschiedenen Stämmen unterschiedlich gesehen. Wer in England einen anderen ohrfeigt, wird nach der dortigen Anschauung verurteilt – wer dasselbe hier tut, muß sich unseren Gesetzen und Regeln unterwerfen. Im übrigen glaube ich mich erinnern zu können, daß man sich in England noch vor nicht allzu langer Zeit wegen solcher Dinge sogar duelliert hat. Verglichen mit dem möglichen Tod ist ein simples Gefangennehmen und Umkleiden doch sicherlich die weitaus angenehmere Strafe.«

Robertson öffnete den Mund, doch es war, als sei sein Kopf auf einmal völlig leer; es fiel ihm nichts ein, was er dagegen hätte einwenden können.

Auffordernd zeigte Obioma zum Ausgang. Gefangen in einem Netz aus widerstreitenden Empfindungen und Gedanken, näherte Robertson sich dem schweren Vorhang; voller Angst vor der Situation, der er sich draußen stellen mußte.

African Queen

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