Читать книгу African Queen - Irena Böttcher - Страница 7
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ALS LANGLEY HINTER IHM STEHENBLIEB und ihm über die Schulter blickte, sah auch er von seiner Arbeit auf. »Na, immer noch mit Ihrer Lieblingstheorie beschäftigt?« Die Skepsis in der Stimme seines Chefs war nicht zu überhören, aber auch nicht das lächelnde Wohlwollen.
»Was heißt hier Theorie? Ein paar vage Indizien und Anhaltspunkte, mehr ist es ja nicht. Aber die sind so eindeutig, daß man eigentlich nicht die Augen davor verschließen kann. Zumindest wenn man unvoreingenommen und vorurteilslos an die Sache rangeht.«
»Meinen Sie wirklich, daß in dieser … Kultur … in diesem Volk – wenn es überhaupt ein eigenes Volk ist – die Frauen das Sagen haben? Hat es Ihnen nicht gereicht, wie Ihre Kollegen auf Ihren Vortrag vor ein paar Wochen reagiert haben?«
Robertson lachte leise in sich hinein. »Mein Gott, was die Leute alles in meine Worte hineininterpretieren. Man könnte meinen, nur weil ich irgendwelche vielleicht ganz anderen afrikanischen Kulturen studiere, wollte ich ihre braven Ehefrauen zur Rebellion aufstacheln oder so etwas. Die scheinen den harmlosesten Aufsatz ganz persönlich zu nehmen. Dabei müßten sie als Historiker doch wissen, daß man die Vergangenheit nicht durch die ideologische oder sonstige Brille der Gegenwart wahrnehmen darf.«
»Es ist eben nicht ganz einfach, sich den Blick nicht trüben zu lassen. Außerdem haben Sie das alles mit einer so glühenden Begeisterung vorgebracht – man könnte fast meinen, Sie seien mehr als nur ein wenig fasziniert von einer solchen Gesellschaftsform.«
Täuschte er sich, oder schwang in dieser Bemerkung Institutsleiter Langleys mehr Bewunderung als Skepsis mit?
»Wie dem auch sei«, bemerkte Langley, nun wieder sachlich und kühl, »Sie müssen Ihren Thesen nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Realität immer auf den Fersen bleiben.«
Fragend runzelte er die Stirn. »Wie meinen Sie das?«
Langley zog die Augenbrauen hoch. »Nun, Sie wissen, daß in der Fakultätssitzung heute nachmittag darüber entschieden wird, wer von uns an der Felsenbilder-Expedition teilnehmen soll, um bei dieser Gelegenheit dem Schicksal Lord Peters nachzuforschen – und Sie wissen wohl auch, wie die Stimmung in der Fakultät in dieser Hinsicht ist.«
Robertson nickte bedrückt.
»Wir können uns diese Gelegenheit schlicht nicht entgehen lassen, uns einer anderweitig finanzierten Expedition einfach so anschließen zu können. Oder glauben Sie etwa, irgend jemand in England gibt uns auch nur einen Penny dafür, nach der Hinterlassenschaft von Lord Peter zu forschen? Dazu war dieser Mensch viel zu unbeliebt mit seiner direkten und manchmal geradezu vulgären Art, und strenggenommen kann man all seine Erkenntnisse auch kaum als wissenschaftlich bezeichnen. Er war ebenso verrückt wie Sie, Robertson – und hatte dabei nicht einmal Ihre methodische Gründlichkeit vorzuweisen. Allerdings kann es sehr wohl sein, er hat tatsächlich etwas entdeckt. Sie müßten doch noch weit mehr Interesse als jeder andere daran haben, das herauszufinden.«
»Aber Langley«, wandte Robertson ein, »Sie wissen genau, wie sehr mir der eigentliche Zweck dieser Expedition widerstrebt. Ich sehe in den Felsenbildern der Pygmäen keine Parallelen zur mykenischen Kunst, keine Beeinflussung durch spanische Einwanderer und erst recht keine durch französische, wie sie die Gebrüder Liaud im Geheimauftrag der französischen Regierung dokumentieren wollen, um sich diese Kunst unter den Nagel zu reißen. In meinen Augen ist das ganz autochthone afrikanische Kultur, die allein den Afrikanern gehört und nicht den Europäern.«
»Spielt das denn auch nur die geringste Rolle?« erwiderte Langley bissig. »Fest steht allein, mein Freund Salliard im französischen Kultusministerium hat mich um Hilfe gebeten. Sie brauchen nun einmal einen anderen, einen offiziellen Vorwand für diese Expedition, und da ist ihm Lord Peter eingefallen, der zuletzt in der Region gesehen wurde, in der die Bergwand mit diesen Felsenbildern steht. Dort in der Nähe muß auch dieser Mensch leben, der behauptet, er hätte Briefe von ihm in seinem Besitz. Ich tue ihm einen Gefallen, und dafür tut er uns den Gefallen, das Geld für diese kostspielige Unternehmung lockerzumachen. Damit ist uns beiden geholfen. – Nein«, wehrte Langley ab, als Robertson etwas sagen wollte, »ich will nichts mehr hören. Behalten Sie Ihre moralischen Skrupel für sich und konzentrieren Sie sich lieber auf Ihre Arbeit.«
Robertson senkte den Kopf, sichtlich unzufrieden und auch ein wenig trotzig angesichts der scharfen Zurechtweisung.
»Um nun auf den Ausgangspunkt unseres Gespräches zurückzukommen«, fuhr Langley fort, »die Mehrzahl des Lehrkörpers ist der Ansicht, wer in der geistigen Nachfolge Lord Dennings solche, wie viele meinen, völlig abstrusen Thesen verfolge, dessen verdammte Pflicht und Schuldigkeit sei es auch, persönlich alles daran zu setzen, sein Schicksal und Verbleiben aufzuklären. Oder er sei nichts wert, tauge nichts.«
»Es ist doch nicht meine Schuld, daß ich nicht als muskelbepackter Tarzan zur Welt gekommen bin!« fuhr Robertson empört auf.
Die Anspielung auf die gerade populär werdenden Tarzanheftchen ließ Langley amüsiert lächeln; offenbar war Robertson doch nicht so ganz weltfremd und stubengelehrt – zumindest wenn es sein Lieblingsgebiet Afrika betraf.
»Tja, es tut mir leid, mein Lieber, aber Sie werden wohl in den sauren Apfel beißen müssen – sonst kann es leicht geschehen, daß Ihr Arbeitsvertrag nicht mehr verlängert wird. Ich würde Sie ja nur zu gerne unterstützen – aber solche Entscheidungen hängen nun einmal nicht nur allein von mir ab.« Mit einem bedauernden Schulterzucken verließ Langley die Bibliothek und ließ Robertson mit seinen düsteren Gedanken zurück.
Der Einbruch der Realität in seine vorherigen Überlegungen hatte seiner seit langem anhaltenden Begeisterung einen gewaltigen Dämpfer verpaßt.
Seit er zum ersten Mal davon gehört hatte, hatten ihn die ägyptisch-songhischen Bilinguen fasziniert. Ob diese zweisprachigen Texte wirklich etwas mit dem erst im Mittelalter südwestlich des Tschadsees lebenden Volk der Songhu zu tun hatten, war natürlich ganz ungewiß; allzu häufig wanderten die Völker Afrikas von einem Ort zum anderen.
Aber irgendein Name mußte vorläufig ja her, um dieses Volk und diese Sprache zu benennen; dieses Volk, dessen Existenz die Mehrzahl seiner Kollegen schlicht und einfach bestritt. Immer hatten die Bewohner Oberägyptens in Beziehungen zu Nubien, dem heutigen Sudan, gestanden, das war bekannt, und ebenso, daß auch die Nubier es zu einer Schrift gebracht hatten. Zahlreiche kleinere und größere Bilinguen, zweisprachige Texte, zeugten von der Verflechtung Oberägyptens und Nubiens: Politische Verträge, Handelsabkommen, Urkunden von Privatleuten. Sie alle gab der staubtrockene Wüstensand der Sahara fast unversehrt frei. Man mußte nur an den richtigen Stellen danach suchen.
Und vor einem Vierteljahrhundert traten dann auf einmal einige steinerne Stelen zutage, die noch einen dritten Text aufwiesen. Die meisten Forscher gingen einfach davon aus, daß es sich bei den stets zuoberst stehenden Texten in der unbekannten dritten Schrift schlicht um eine ältere Version der nubischen Schrift handelte. In der Tat wirkten die unbeholfenen Zeichen ungelenker, archaischer, ursprünglicher. Doch die Deutungsversuche der Kollegen litten allesamt an unüberbrückbaren inneren Widersprüchen, waren nicht in Einklang zu bringen mit der Faktenlage.
»Man muß der Wahrheit ins Auge sehen: Eine unbekannte Sprache, geschrieben in einer unbekannten Schrift, kann einfach nicht entziffert werden.« Diese für jeden wißbegierigen Forscher bittere Erkenntnis war Robertson natürlich geläufig.
Auch Champollion wäre ohne den von Napoleon nach Frankreich gebrachten Stein von Rosetta mit seiner dreisprachigen Inschrift an der Entzifferung der Hieroglyphen gescheitert. Und dann hatte genau dieser ihm die Lösung verschafft, an die vorher keiner geglaubt hatte.
Oben fand sich der Text in der bilderreichen Schrift des alten Ägypten, darunter in der weiterentwickelten ägyptischen Volkssprache. Die kannte man von den koptischen Christen; »koptisch« hieß ja »ägyptisch«. Und in den krakeligen Zeichen dieses mittleren Textes konnte man ohne Schwierigkeiten die eilige Schreibschrift-Weiterentwicklung der umständlichen alten Zeichen entdecken. Der dritte Text vollends war Altgriechisch, also ohne weiteres lesbar. Und da alle Texte das gleiche bedeuteten, konnte das Spiel beginnen: Das Spiel um Wort- und Zeichenhäufigkeiten, um Eigennamen und Wortbedeutungen. Der Erfolg, früher oder später, war garantiert. Hätte es der – zweifellos geniale – Champollion nicht geschafft, wäre es ein, zwei Jahrzehnte später ein anderer gewesen.
Was ihn an der unbekannten Schrift irritierte, war, daß ihm zwar einerseits klar zu sein schien, welche ihrer Zeichen gewissen anderssprachigen Worten zu entsprechen schienen – aber eines war absolut merkwürdig: Wo sich beispielsweise im ägyptischen und nubischen Text die Formulierung fand »man muß sicherstellen, daß …« – wobei dieses »man« durch zwei nebeneinandergestellte stilisierte Männchen dargestellt wurde –, da waren im dritten, obersten Text deutlich erkennbar zwei stilisierte kleine Frauen zu sehen. Der mehr als nur angedeutete hervorstehende Busen ließ daran keinen Zweifel.
Auch andere allgemeine Begriffe schienen eher weiblich geprägt zu sein, wo das Nubische, Altägyptische und auch unsere heutigen europäischen Sprachen eher männliche Begriffe benutzten. Das weckte sein Interesse noch stärker. Die prähistorischen Frauenstatuetten mit übermäßig ausgeprägten Hüften kamen ihm in den Sinn, ebenso wie vereinzelte Stimmen europäischer Forscher, die es für möglich hielten, daß es in Zentralafrika Gebiete gab oder zumindest früher einmal gegeben hatte, in denen »mutterrechtlich« organisierte Völker lebten, wie der neugebildete Begriff dafür hieß.
Gewiß sei eine solche Orientierung, so es sie denn überhaupt gegeben hatte, die Ursache für den Niedergang dieser Regionen und Völker, tönte solchen Gedanken prompt die communis opinio der beamteten europäischen Gelehrtenschar entgegen, die sich einen anderen Kulturträger als den Mann schlechterdings nicht vorstellen konnte.
»Strohköpfe!« hätte Lord Peter sicher zu dieser Bande gesagt, der nach allem, was Robertson über ihn wußte, in seinen Meinungsäußerungen nur selten ein Blatt vor den Mund nahm.
Lord Peter mußte nach dem ersten Auftauchen dieser Songhu-Inschriften ganz ähnliche Gedanken gehabt haben wie er, und da er nicht nur ein Mann des Intellekts und der Schreibstube war, sondern mindestens ebenso sehr ein Mann der Tat, ein Abenteurer, der sich gleich Hals über Kopf in medias res stürzte, um seine Theorie zu überprüfen, war er sogleich zu seiner ersten Afrikareise aufgebrochen. »Man muß Afrika erforschen, solange es dort noch etwas zu erforschen gibt«, war einer seiner Standardsätze.
Sein letzter Brief, aufgegeben in einer französischen Missionsstation am Tschadsee, war nicht nur voller Zuversicht, sondern auch voller Andeutungen, er habe schon etliche Indizien entdeckt, die darauf hindeuteten, daß er auf der richtigen Spur sei. Leider beließ er es bei diesen geheimnisvollen Andeutungen – und dann verschwand er spurlos.
Wie Robertson auch hatte er angenommen, daß das unbekannte Volk – die Sprecher jener weiblich geprägten »Inschriften-Sprache« – südwestlich von Oberägypten beheimatet sein müsse, irgendwo in Richtung Tschadsee vielleicht. Oder noch südlich davon, in Richtung Kongobecken. Die Entfernung zu Nubien und erst recht zu Ägypten war natürlich beachtlich – aber Handelsbeziehungen über Tausende von Kilometern hinweg gab es schon in uralter Zeit; man denke nur an die Bernsteinstraße oder das britische Zinn, das schon in vorgeschichtlicher Zeit seinen Weg bis in den Mittelmeerraum fand.
Robertson seufzte. Langley hatte recht – aufgrund seines Vorwissens war er der ideale Mann für diese Expedition. Und die günstige Gelegenheit einer der seltenen Expeditionen in diese immer noch höchst mangelhaft erforschten Gegenden mitten im Herzen des dunklen Kontinents durfte nicht ungenutzt verstreichen. Eigentlich müßte er es begrüßen, wenn endlich nach Lord Denning geforscht wurde; und eigentlich müßte er es begrüßen, endlich seine eigenen Theorien praktisch überprüfen zu können, ohne dies aus eigener Tasche bezahlen zu müssen.
Eigentlich.
Wenn nur die enormen und unübersehbaren körperlichen Strapazen und Gefahren der Reise nicht wären!