Читать книгу Im Visier der Mächtigen - Irene Dorfner - Страница 7

2.

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Rudolf Krohmer, der Leiter der Polizei Mühldorf am Inn, war außer sich, als er sich die vielen Videos im Netz ansah. Anfangs sah er sich nur die Beiträge zur Schießerei an, die zum Glück fast alle aus sicherer Entfernung aufgenommen worden waren. Aber dann blieb er an den Bildern hängen, wie sich Schwartz und Untermaier vor aller Augen prügelten. Bei den nachstehenden Kommentaren wurde er wütend. Es war klar, dass dieses Verhalten noch lange die Runde machen würde und seine Polizei mit hineingezogen wurde. Krohmer wusste, dass Schwartz und Untermaier nicht miteinander konnten, aber das hier ging dann doch zu weit. Dieser Tag hatte für ihn schrecklich begonnen. Als wäre die Schießerei auf dem Mühldorfer Stadtplatz nicht schon genug, war er auf der Fahrt ins Büro nur haarscharf einem Verkehrsunfall entkommen. Nur um wenige Millimeter konnte Krohmer den Zusammenstoß mit einem Tanklastwagen vermeiden. Hätte er heute nicht den Leihwagen seiner Frau dabei, der mit einem besonderen Sicherheitssystem ausgestattet war, hätte er den Unfall vermutlich nicht überlebt. Zum Glück hatte seine Frau ihn zugeparkt. Da sie joggen war, nahm er einfach ihren Wagen, denn fürs Umparken blieb ihm keine Zeit. Die Erinnerung an diesen kurzen, heftigen Moment setzte ihm zu. Das war verdammt knapp gewesen! Der Tankwagen hatte ihm einfach die Vorfahrt genommen, er hatte nichts falsch gemacht. Während er zitternd ausgestiegen war, fuhr der Lastwagen einfach weiter. Krohmer dachte sich nichts weiter dabei. Vermutlich hatte der Fahrer nichts von dem Beinahe-Unglück mitbekommen und er hatte einfach nur verdammtes Glück gehabt!

Krohmer sah sich die Filme mit Schwartz und Untermaier wieder und wieder an. Er war fassungslos, wie man sich derart gehen lassen konnte. Im Vorzimmer hörte er die Stimme des Staatsanwaltes – der hatte ihm gerade noch gefehlt!

„Haben Sie das von Schwartz und Untermaier gesehen?“

„Guten Morgen, Doktor Eberwein. Bitte setzen Sie sich. Ja, ich habe mir die Videos gerade angesehen.“

„Und? Was haben Sie dazu zu sagen? Wir sind das Gespött der Leute! Einer unserer Kriminalbeamten prügelt sich auf offener Straße mit einem Kollegen! Das ist ein Skandal! Und als wäre das nicht genug, trägt Schwartz wieder diese Affenmaske. Und dann noch dieses T-Shirt! Haben Sie es gesehen? Das ist Donald Trump auf einer Toilette! Man kann zu dem Mann stehen, wie man will, aber das ist eine Respektlosigkeit, die ich nicht dulde. Private Meinungen sind während der Dienstzeit in keiner Form zu äußern – und das ist allgemein bekannt.“

Krohmer hatte diese beiden Details noch nicht bemerkt. Er sah sich eines der Videos nochmals an. Tatsächlich! Diese abscheuliche Affenmaske, die er ausdrücklich im Dienst verboten hatte! Das mit Trump war nicht wirklich deutlich zu sehen, das konnte man irgendwie unter den Tisch kehren, auch wenn er dieses T-Shirt für den Polizeidienst völlig unangebracht hielt. Aber die Affenmaske war der Hammer, die konnte er nicht durchgehen lassen, denn darüber hatte er sich schon vor Monaten mit Schwartz unterhalten.

„Mir gefällt das auch nicht, das können Sie mir glauben.“

„Wir können uns das nicht leisten! Wie stehen wir denn in der Öffentlichkeit da? Wir sind das Gespött der Leute! In zwei Wochen kommt der Ministerpräsident nach Mühldorf, haben Sie das schon vergessen? Was geben wir als zuständige Polizeibehörde für ein schlechtes Bild ab?“

„Darüber würde ich mir jetzt keine Gedanken machen. Der Besuch des Ministerpräsidenten hat nichts mit dem zu tun, was heute passiert war. Ja, das sieht für uns alles schlecht aus, das gebe ich zu. Trotzdem haben die Kollegen gute Arbeit geleistet. Es gab keinen Zeitpunkt, in dem sie die Lage nicht im Griff hatten.“

„Trotzdem ist das ein No-Go. Was sagt Schwartz dazu?“

„Ich konnte noch nicht mit ihm sprechen.“

„Ist er im Haus?“

Krohmer rief Schwartz an, der eben erst zurück war. Eigentlich wollte er sich frisch machen, denn nach der Schlägerei sah er nicht gut aus.

„Kommen Sie sofort in mein Büro!“, befahl Krohmer.

Leo war nicht überrascht. Er hatte bereits mit einem Anschiss gerechnet, der völlig gerechtfertigt war. Darüber machte er sich keine Sorgen. Vielmehr beschäftigte ihn, dass man Hans eines Mordes bezichtigte, den er ganz sicher nicht begangen hatte. Er verzichtete darauf, sich frisch zu machen und ging direkt in Krohmers Büro. Als er den Staatsanwalt sah, murmelte er: „Auch das noch!“

„Ich grüße Sie auch, Herr Schwartz! Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen?“

„Mir ist die Sicherung durchgebrannt und ich entschuldige mich in aller Form“, murmelte er. „Untermaier hat Hans beleidigt. Außerdem ist er ein Kameradenschwein. So etwas hasse ich. Es tut mir leid, dass wir unsere Unstimmigkeiten öffentlich ausgetragen haben. Allerdings kann ich nicht versprechen, dass das nicht noch einmal vorkommt. Untermaier ist…“

„Halten Sie den Mund, es reicht!“ Krohmer registrierte das T-Shirt und wurde sauer. Es war an der Zeit, ein ernstes Wort mit dem Kollegen Schwartz zu sprechen, aber nicht im Beisein des Staatsanwaltes.

„Was war das mit der Schießerei am Stadtplatz? Gab es Festnahmen?“

„Nein, die Täter konnten entkommen.“

„Aus einem Bankgebäude?“, rief der Staatsanwalt. „Das können Sie Ihrer Großmutter erzählen!“

„Es gibt eine Schwachstelle in dem Gebäude. Ein Kellerfenster, das nicht gesichert ist.“

„Was wurde gestohlen?“

„Nichts.“

„Nichts?“

„Es gab keine Forderungen von Seiten der vermeintlichen Bankräuber.“

„Gibt es Opfer?“

„Einen Toten.“

„Jetzt lassen Sie sich doch nicht alles aus der Nase ziehen, Schwartz! Was ist passiert? Wer ist das Opfer?“

„Hans hat einen lebensmüden Passanten gerettet. Eine bewundernswerte Aktion, die ich mich vermutlich nicht getraut hätte. Nach der Schießerei fanden wir Hans bewusstlos, er wurde niedergeschlagen. Neben ihm lag der Passant – mit einer Schusswunde in der Stirn.“

„Wie ist das möglich? Was sagt Herr Hiebler dazu?“

„Er ist nicht ansprechbar, er wird im Krankenhaus behandelt.“

Krohmer sah Leo lange an. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er kannte den gebürtigen Schwaben schon seit Jahren und hatte ihn nur selten so erlebt.

„Was ist los? Was verschweigen Sie uns?“

„Als wir Hans fanden, hatte er seine Waffe in der Hand. Untermaier schloss sofort daraus, dass Hans den Mann erschossen hat. Daraufhin habe ich mich vergessen.“

Krohmer verstand. Auch für ihn war es nicht vorstellbar, dass Hiebler einfach so einen Mann erschoss. Wie er an Schwartz‘ Stelle gehandelt hätte? Vermutlich ähnlich.

„Nur, damit ich es richtig verstehe: Hiebler hat einen Passanten aus der Gefahrenzone gerettet, den er dann erschossen haben soll? Wer hat ihn niedergeschlagen?“

„Sie sehen auch, dass das nicht passt?“

„Unterbrechen Sie mich nicht! Untermaier hat sofort vermutet, dass Hiebler den Mann erschossen hat?“

„Genau das sagte ich eben. Daraufhin habe ich ihm eine verpasst. Wir alle kennen Hans schon sehr lange. Ich glaube nie und nimmer, dass er den Mann erschossen hat, zumal er ihn kurz vorher aus einer sehr gefährlichen Situation gerettet hatte. Alles deutet für mich darauf hin, dass wir glauben sollen, dass Hans den Mann erschossen hat. Dazu würde auch die Inszenierung in der Bank passen.“

„Jetzt bleiben Sie aber mal auf dem Teppich, Schwartz“, rief der Staatsanwalt aufgebracht. „Das Ganze soll nur wegen Hiebler gemacht worden sein? Wozu? Um sich an ihm zu rächen? Um ihm einen Mord unterzuschieben? Um ihm eins auszuwischen?“

„Genau das denke ich, ja.“

„Wurde die Tatwaffe sichergestellt?“

„Selbstverständlich. Die Leiche ist auf dem Weg nach München. Vielleicht wurde der Mann, dessen Identität wir noch nicht kennen, mit einer anderen Waffe erschossen.“

„Und wenn nicht?“

„Dann haben wir ein Problem. Dann müssen wir alles daransetzen, um Hans zu entlasten.“

„Wir werden die Ermittlungen an Kollegen übergeben müssen. Wenn herauskommt, dass wir selbst bei einem Mord in den eigenen Reihen ermitteln, gibt das nur Ärger. Wir werden…“ Weiter kam der Staatsanwalt nicht.

„Nein, wir übernehmen die Ermittlungen“, bestimmte Krohmer. „Sie geben mir Ihr Ehrenwort, dass Sie Ihre Arbeit gewissenhaft machen und alles sauber läuft“, wandte er sich an Leo.

„Selbstverständlich, Chef.“

„Dann gehen Sie an die Arbeit. Hiebler fällt aus, er ist vorübergehend suspendiert.“

„Aber…“

„Keine Widerrede, Schwartz! Hiebler wird aus dem Verkehr gezogen, er soll sich ruhig verhalten. Ich kümmere mich darum, dass Frau Struck aus dem Urlaub zurückkommt. Zusätzlich werde ich mich um Verstärkung bemühen. Wir brauchen jetzt jede Unterstützung, die wir kriegen können. Und Sie, Doktor Eberwein, beruhigen die Medien und versorgen sie mit Informationen, die sie beschäftigen, aber nicht auf dumme Gedanken bringen. Wir brauchen Zeit, die Sie uns verschaffen müssen. Bekommen Sie das hin?“

„Schon, aber…“

„Sie wissen, dass wir für Sie dasselbe tun würden. Sind Sie auf unserer Seite? Unterstützen Sie uns?“

„Die Medien hinzuhalten wird nicht einfach werden.“

„Sie müssen sehr geschickt vorgehen, Herr Staatsanwalt.“

„Gut, ich bin dabei. Aber ich mache das nicht ohne Gegenleistung.“

Krohmer stöhnte, er hatte bereits so etwas geahnt.

„Raus mit der Sprache. Was verlangen Sie?“

„Nicht so schnell, Herr Krohmer. Ich werde zu gegebener Zeit darauf zurückkommen.“ Eberwein stand auf und ging ohne Gruß.

„Vielen Dank, Chef. Ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann.“ Leo war erleichtert, endlich mal eine positive Nachricht.

„Mir geht es ähnlich wie dem Staatsanwalt: Ich verlange etwas dafür.“

„Aha. Und was soll das sein? Geht es um die Schlägerei mit Untermaier? Sie haben gewonnen: Ich verspreche, dass so etwas nie wieder vorkommt. Ich werde um Untermaier in nächster Zeit einen riesigen Bogen machen.“

„Nein, ich verlange etwas anderes: Sie werden sich in Zukunft anständig kleiden. Ihr Auftritt ist eine Beleidigung für die Polizei.“

„Das sehe ich anders, aber ich verspreche es. - Das ist alles? Mehr wollen Sie nicht?“

„Sollte ich diese alberne Affenmaske oder irgendetwas in dieser Art noch ein einziges Mal sehen, werde ich mich vergessen. Das ist das letzte Mal, dass wir über diese Maske gesprochen haben!“

Im Visier der Mächtigen

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