Читать книгу DIE LEICHE MUSS WEG - Irene Dorfner - Страница 7
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ОглавлениеSilvester 12.00 Uhr
Die Kameraden der Blauen Armee trudelten am vereinbarten Treffpunkt in München nur sehr zögerlich ein. Carly Eckmann ärgerte sich über die Unpünktlichkeit seiner Leute, die sich nicht einmal dafür schämten, dass andere auf sie warten mussten. Aber er war erfreut darüber, wie die Kameraden aussahen, denn alle hielte sich an seine Vorgaben und sahen sehr adrett aus. Die Gespräche während der Fahrt hielten sich in Grenzen. Viele hatten einen dicken Kopf, andere schliefen. Charly ließ während eines Staus seinen Blick über die insgesamt vierunddreißig Insassen des Busses, den er selbst fuhr, schweifen. Er war enttäuscht, dass auch Severin schlief. Von Helen wusste er, dass ihr Sohn heute Nacht nicht nach Hause gekommen war. Er hatte sie beruhigen und ablenken müssen, denn sie machte sich immer große Sorgen um ihren Jungen, den sie abgöttisch liebte.
Es gab vier Kameraden, die hellwach schienen, darunter auch Wolf Perlinger, der erst seit wenigen Monaten Teil der Gruppe war. Charly war sofort begeistert gewesen, als er den Mann ganz zufällig kennenlernte und er ihn unbedingt als neues Mitglied gewinnen wollte, als er sich über dessen Lebenslauf informiert hatte. Für das, was geplant war, konnte er einen Mann mit seinen Fähigkeiten gut brauchen.
Charly trommelte ungeduldig auf das Lenkrad. Sie waren spät dran und konnten sich diesen Stau nicht leisten. Hoffentlich löste sich der demnächst auf, denn sonst konnten sie sich die Aktion in Mühldorf in die Haare schmieren. Charly wusste immer noch nicht, wer von seinen Leuten der Spitzel war. Wollte er das überhaupt wissen? Wäre er nicht sehr enttäuscht darüber, wenn er die Wahrheit wüsste? Doch, er musste es wissen, denn der Gedanke daran ließ ihn nicht mehr in Ruhe. Aber wer war es?
Endlich ging es weiter. Ein Lkw war liegegeblieben, er hatte den Stau verursacht. Als Charly an der Stelle vorbeifuhr, zeigten er und die wachen Kameraden den Polizisten den Mittelfinger. Alle lachten über den Spaß.
Kurz vor Mühldorf kam Leben in den Bus. Alle sahen nach draußen, schließlich wusste niemand, wo das Kaff genau war und wie es hier aussah. Die Enttäuschung war groß, dass es sich tatsächlich um einen kleinen Ort handelte. Ob das wirklich klug war? Daran war jetzt nichts mehr zu ändern. Sie waren jetzt hier und mussten ihr Ding wie geplant durchziehen.
Für den Bus fand Charly mitten in einer Wohnsiedlung einen geeigneten Parkplatz. Hier schwor er die Kameraden nochmals auf das bevorstehende Ereignis ein, auch wenn nicht mehr viel Zeit blieb. Jetzt waren alle hellwach und wussten, was zu tun war. Charly war begeistert!
15.00 Uhr
Die Bühne war dekoriert, alle Buden waren längst aufgebaut und eingeräumt, die Silvesterparty auf dem Mühldorfer Stadtplatz konnte pünktlich in einer Stunde losgehen. Die Polizisten waren auf ihren Posten. Alles war perfekt, nur das Wetter spielte nicht ganz mit. Schon den ganzen Tag über pfiff ein schneidend kalter Wind, der sehr unangenehm war. Darüber hinaus war Eisregen angesagt, der den Einsatz nicht gerade erleichtern würde.
Leo Schwartz war wieder viel zu leicht angezogen. Er trug zwar einen dicken Pulli unter der Lederjacke, den ihm seine Ersatzmutter und Vermieterin Tante Gerda zu Weihnachten geschenkt hatte, aber der reichte gegen die Kälte nicht aus. Während alle anderen mit langen Unterhosen, dicken Stiefeln, Mütze, Schal und Handschuhen ausgestattet waren, hatte Leo wie immer nur Jeans und Cowboystiefel an. Mütze, Schal und Handschuhe besaß er nicht. Und wenn doch, dann hatte er keine Ahnung, wo er danach suchen sollte.
„So willst du die Nacht überstehen?“, sagte Hans, der warm eingepackt war und den Leo kaum wiedererkannte. Die Mütze war tief ins Gesicht gezogen. Die dicken Stiefel und die gefütterte Hose hatte Leo noch nie bei ihm gesehen.
„Ist das eine Skihose?“
„Klar! Wenn der Mist hier vorbei ist, möchte ich mit meiner Anita zu einem romantischen Wochenende nach Kärnten fahren. Denkst du, ich möchte eine Erkältung riskieren? Zieh dich um, du wirst sonst krank.“
„Ich werde nie krank. Schwaben sind von Natur aus sehr robuste Typen“, maulte Leo zurück.
An beiden Stadttoren warteten schon unzählige Gäste, die es kaum erwarten konnten, endlich ins neue Jahr feiern zu dürfen. Punkt sechzehn Uhr begann der Einlass. Die Mengen, unter denen sich auch Diana Nußbaumer, ihr Bruder und dessen Frau Eva befanden, stürmten den Stadtplatz und bevölkerten sofort die Buden, an denen Alkohol ausgeschenkt wurde. Durchsuchungen konnten aufgrund des Andrangs nur stichpunktartig ausgeführt werden. Noch klang laute Musik aus den Lautsprechern. Eine dreiviertel Stunde später betrat die Band die Bühne, die lautstark begrüßt wurde. Leo kannte die Band nicht. Er konzentrierte sich darauf, die Leute um sich herum zu beobachten. Längst wusste er, dass er auf Hans hätte hören sollen, denn er fror entsetzlich. Ob er die Silvesternacht ohne Erkältung überstand, stand in den Sternen.
Die Kameraden der Blauen Armee hatten sich vor dem Einlass ganz nach vorne gedrängelt. Hätten sie gewusst, dass nicht alle Personen zugelassen wurden, wären sie misstrauisch geworden. So schöpften sie keinen Verdacht. Den Kontrollen, die sie erwartet hatten, konnten sich viele geschickt entziehen. Drei von ihnen wurden wegen ihrer mitgeführten Messer und Schlagringe sofort festgenommen, was die anderen nicht mitbekommen hatten.
Enttäuscht und fluchend gingen diejenigen, denen der Einlass verwehrt wurde.
Um dreiundzwanzig Uhr konnte die geplante Aktion der Gruppe endlich losgehen. Zuerst wurden nur kleine Silvesterknaller gezündet, obwohl jegliches Feuerwerk verboten war. Dann gab es größere Böller, die direkt in die Menge geworfen wurden, darauf folgten Raketen – an manchen Stellen reagierten die Leute panisch. Es gab erste Verletzte. Die Polizisten wurden nervös und versuchten umgehend herauszufinden, wer die Schuldigen waren. Durch Augenzeugen konnten einige wenige festgenommen werden, andere tauchten in der Menge unter.
Dann kam Stufe zwei. Die Kameraden bedrängten Frauen, wobei das Alter unerheblich war. Es ging nur darum, Unruhe zu stiften und auf dem ganzen Platz Streitigkeiten vom Zaun zu brechen. Es gab nicht wenige Schlägereien, die auch aufgrund des erhöhten Alkoholkonsums ausarteten. Es dauerte nicht lange, und die Polizei hatte alle Hände voll zu tun. Die Anzahl der Verletzten stieg.
Diana Nußbaumer hatte schon vorher gespürt, dass hier etwas nicht stimmte. Als die Übergriffe losgingen, achtete sie nicht auf sich, sondern vor allem auf ihre Schwägerin Eva, die im dritten Monat schwanger war. Um sich selbst machte sich Diana keine Sorgen, sie konnte sich als Kampfsportlerin sehr gut wehren. Aber Eva war den Übergriffen schutzlos ausgeliefert, denn sie war klein und schmächtig – und darin war sie ihrem Mann, Dianas Bruder Konstantin, sehr ähnlich. Er würde keine große Hilfe sein, deshalb musste sich Diana um Eva kümmern. Es dauerte nicht lange und einer grabschte Eva an. Ein anderer versuchte, sie zu küssen. Diana holte aus und schlug beiden Männern ins Gesicht. Zwischen Diana und einem der Männer gab es ein kurzes Handgemenge, bis der endlich klein beigab und abhaute. Diana versuchte, ihren Bruder und Eva aus der Menschenmenge herauszuführen. Sie war gezwungen, zwei weitere Schläge zu verteilen, bis sie endlich an einer Hausmauer angekommen waren.
„Ihr bleibt hier stehen, verstanden?“ Sie stellte sich schützend vor die beiden. Angespannt wartete sie auf den nächsten Übergriff, der sicher nicht lange auf sich warten ließ. Was war hier nur los?
Es war kurz vor Mitternacht und Charly Eckmann, der selbst nicht aktiv eingriff, wurde nervös. Jetzt war für ihn die Zeit gekommen, das Banner am südlichen Stadttor zu entrollen, dass er dort vor drei Tagen angebracht hatte. Es war leicht gewesen, sich als vermeintlicher Monteur Zugang zu verschaffen. Niemand schöpfte in dem unterbesetzten Rathaus Verdacht, als er seinen gefälschten Auftrag vorlegte. Er bekam die Schlüssel, alles andere war eine Kleinigkeit. Mit einem raffinierten Mechanismus, den er mit seinem Handy auslösen konnte, prangten jetzt riesige Buchstaben auf dem Banner, die von zwei Scheinwerfern angestrahlt wurden:
DIE BLAUE ARMEE KÄMPFT FÜR DEUTSCHE RECHTE
stand dort. Als viele der Gäste auf dieses Banner starrten, wurden an mehreren Stellen bengalische Feuer gezündet, die Panik verursachten. Die Polizei hatte alle Hände voll zu tun, um die Situation im Griff zu behalten, was für alle sehr schwierig war.
Wolf Perlinger starrte auf das Banner. Er hatte vor einer Woche in Charlys Garage eine helle Stoffrolle gefunden, hatte aber nicht die Zeit gehabt, sich diese genauer anzusehen. Die Größe passte. Er war überrascht und beeindruckt, wie clever Charly war. Es war gut gewesen, den Mann niemals zu unterschätzen.
Diana wurde von einem Mann grob angefasst, was sie sich nicht gefallen ließ. Sie vermöbelte den Mann, der nach wenigen Schlägen weinend auf dem Boden lag. Ein zufällig vorbeikommender Polizist verhaftete sie. Sie versuchte, ihm die Situation zu erklären, aber der Polizist interessierte sich nicht dafür. Diana wurde abgeführt.
„Macht, dass ihr nach Hause kommt!“, rief sie ihrem Bruder zu.
„Was ist mit dir? Sollen wir nicht mitkommen?“
„Keine Sorge, das klärt sich. Zuhause kein Wort, verstanden?“ Mehr konnte sie nicht sagen, der Polizist zog sie grob mit sich.
Die Polizisten räumten gründlich auf. Nach zwei Stunden war der Stadtplatz leer und die Arrestzellen der Mühldorfer Polizei rappelvoll. Die Notärzte hatten alle Hände voll zu tun und die Notaufnahme des Krankenhauses platzte aus allen Nähten. Zum Glück setzte erst jetzt der erwartete Eisregen ein.
„Das hätte ins Auge gehen können“, sagte Leo halb erfroren. Die Decke, die ihm einer der Sanitäter vor einer halben Stunde überreichte, hatte er gerne angenommen.
„Ist alles nochmal gutgegangen“, antwortete Hans erschöpft.
Auf dem Weg zu ihrem Fahrzeug fuhren drei Löschzüge der Feuerwehr mit Blaulicht und Sirene an ihnen vorbei. Sie hatten Schwierigkeiten, auf den immer mehr vereisten Straßen voranzukommen.
„Was ist denn jetzt schon wieder los?“, schimpfte Leo. „Kann eine Silvesternacht nicht nur ein einziges Mal friedlich ablaufen?“
„Das werden wir beide nicht mehr erleben. Das sieht nach einem größeren Einsatz aus, das sollten wir uns ansehen. Steig ein!“
Hans folgte der Feuerwehr bis in die Lohberg-Siedlung, was auf den vereisten Straßen nicht ungefährlich war. Was sie dort erwartete, war erschreckend: Es standen acht Pkw und ein Bus in Flammen.
„Was ist denn hier los?“ Leo war sprachlos. So etwas hatte er noch nie gesehen.
„Das ist Vandalismus in seiner reinsten Form“, schimpfte Hans, der so etwas Sinnloses hasste.
Die Feuerwehr brauchte lange, bis alle Brände gelöscht waren. Das Löschwasser vereiste die Straßen noch mehr, weshalb Hans ein Streufahrzeug anforderte, denn unter diesen Bedingungen konnte er nicht arbeiten. Nachdem dick gestreut wurde, fühlten sich viele sehr viel sicherer, vor allem die älteren Leute unter den vielen Schaulustigen, die sich eingefunden hatten. Leo und Hans befragten die Anwohner und Schaulustigen, was aufgrund des hohen Alkoholkonsums bei einigen Personen sehr schwierig und nervenaufreibend war. Eine betrunkene Frau umarmte Leo und versuchte, ihn zu küssen. Brüsk stieß er sie von sich. Er hasste es, wenn man ihn anfasste; und er lehnte es ab, sich dermaßen zu betrinken, dass man die Kontrolle verlor.
Dass man Fahrzeuge angezündet hatte, die teilweise einen sehr hohen Wert hatten, schockierte viele. In den Medien hatte man das immer wieder beobachten müssen, aber dass man selbst einmal damit konfrontiert werden würde, war für die meisten nicht zu fassen. Vandalismus in dieser Form war zwar bekannt, aber wenn das vorkam, dann immer weit genug weg. Und jetzt hatte es die Mühldorfer Lohberg-Siedlung getroffen.
Die Eigentumsverhältnisse der meisten Fahrzeuge waren schnell geklärt. Übrig blieben ein Kombi und ein Bus. Einige der Betroffenen waren aufgebracht, andere hingegen sehr ruhig.
„Das wird die Versicherung klären“, sagte ein Mann in einem dicken Wintermantel. Er gab seine Personalien an und ging wieder ins Haus.
„Wem gehört der Bus?“, wollte Hans wissen.
„Der steht schon seit heute Nachmittag da“, sagte einer und andere stimmten ihm zu. „Gegen fünfzehn Uhr wurde er hier abgestellt. Eine Gruppe junger Männer stieg aus, alle liefen in diese Richtung. Die wollten sicher zu der Feier am Stadtplatz.“ Auch diese Frau bekam die Zustimmung anderer, die Ähnliches beobachtet hatten.
„Dass fremde Fahrzeuge und auch Busse hier parken, ist nicht ungewöhnlich. Wenn Veranstaltungen auf dem Stadtplatz stattfinden, ist hier immer alles voll. Es gefällt uns nicht, aber wir können nichts dagegen tun. Wie und wo wir unsere eigenen Fahrzeuge parken sollen, ist der Stadtverwaltung doch völlig egal!“
Hans versuchte, das Kennzeichen des Busses zu entziffern, was ihm mit viel Mühe schließlich gelang. Er gab das Kennzeichen an Zentrale weiter. Der Kombi, dessen Besitzer noch unklar war, wurde noch gelöscht.
Leo versuchte indes, die Befragungen fortzusetzen, was immer schwieriger wurde. Inzwischen drehte sich alles nur noch um Fahrzeuge, die hier parkten und dass die Stadt nichts dagegen unternahm. Das Fazit der Befragungen war ernüchternd: Niemand hatte etwas gesehen oder gehört. Die Lohberg-Siedlung war sehr ruhig gelegen. Wenn man hier ein Haus oder eine Eigentumswohnung besaß, hatte man es geschafft. Dass hier niemand bezüglich der Brände etwas gesehen oder gehört hatte, war für Leo und Hans kaum vorstellbar.
„Brandmeister Zwirglmaier“, stellte sich der korpulente Mann vor, der völlig außer Atem war. „Das letzte Fahrzeug ist gelöscht. Kommen Sie bitte mit, das müssen Sie sich ansehen!“
Leo und Hans standen vor dem ausgebrannten Kombi. Sie sahen sofort, dass hier etwas nicht stimmte.
„Hier sitzt einer drin“, sagte Zwirglmaier, der mit der Situation völlig überfordert schien. Zwei seiner Kameraden standen vor dem Fahrzeug und starrten auf die verkohlte Leiche, drei andere mussten sich übergeben.
Hans Hiebler ging ums Fahrzeug und versuchte, das Kennzeichen zu entziffern.
„Da sind keine Kennzeichen dran“, rief Zwirglmaier, der dies selbst schon überprüft hatte.
Leo besah sich indes das Opfer genauer. Hier stimmte etwas nicht. Es kräuselten sich Leos kaum mehr vorhandenen Nackenhaare.
„Wir brauchen die Spurensicherung“, sagte er zu Hans.
Hans sah seinen Freund und Kollegen an. Was hatte Leo gesehen, was ihm nicht aufgefallen war? Während Leo telefonierte, versuchte er, das herauszufinden. Die Scheiben des Fahrzeugs waren durch den Brand zerborsten. Die Leiche saß auf dem Fahrersitz. Die Hände lagen auf dem Schoß, was an sich noch nicht viel aussagte, obwohl das schon etwas merkwürdig war. Dann sah er das, was Leo gesehen haben musste: Eine Gürtelschnalle hing an der Rücklehne des Fahrersitzes. Waren das Reste eines Gürtels? Wenn ja, dann wurde das Opfer damit fixiert – und dann hatten sie es mit Mord zu tun.
„Du hast den Gürtel auch gesehen?“, wandte sich Leo an Hans, der daraufhin nickte.
„Gürtel? Wovon sprechen Sie?“ Zwirglmaier verstand kein Wort, auch die Kollegen hingen an den Lippen der Kriminalkommissare.
„Die Hände des Opfers liegen im Schoß. Hätte nicht jeder normale Mensch versucht, irgendwie aus dem Auto zu kommen?“ Hans versuchte zu erklären, auch wenn er das nicht musste. Was sollte er machen? Er hatte nun mal eine Schwäche für Feuerwehrleute.
„Vielleicht hat der Mann eingesehen, dass er keine Chance hatte, aus dem Wagen zu kommen?“, sagte Zwirglmaier und einige seiner Leute nickten zustimmend. „Warum ist er nicht einfach ausgestiegen?“
„Weil das Opfer das nicht konnte. Sehen Sie die Gürtelschnalle, die sich auf der Rückenlehne eingebrannt hat?“
Zwirglmaier nickte. Langsam verstand er, was der Kriminalkommissar sagen wollte.
„Der Mann wurde auf dem Fahrersitz festgeschnallt?“
„Danach sieht es für uns vorerst aus. Allerdings ist das nur eine Vermutung, die die Spurensicherung bestätigen muss.“
„Warum sind Sie sich sicher, dass das Opfer ein Mann ist?“, mischte sich Leo ein.
„Das ist eine Frau?“
„Das wissen wir noch nicht. Auch das muss geklärt werden. Ich darf Sie alle bitten, nichts anzufassen.“
„Selbstverständlich nicht!“
Niemand bemerkte die Männer, die sich unweit des Geschehens versammelt hatten.
Charly Eckmann war zuerst eingetroffen. Er brauchte lange, bis er begriff, was hier geschehen war. Ein Kamerad nach dem anderen trudelte ein. Eckmann zählte vierzehn Kameraden, der Rest fehlte. Verdammt! Die Polizei hatte viele erwischt, zu viele! Auch Wolf Perlinger und vor allem Severin Torka fehlten.
„Die Polizei hat uns erwartet“, maulte einer, der eine klaffende Wunde am Auge hatte. Er hatte eine Schlägerei angezettelt, bei der er ordentlich einstecken musste.
„Wir wurden verpfiffen! Wenn ich die Ratte in die Finger kriege, dann kann er was erleben!“
„Unser Bus ist völlig ausgebrannt. Was jetzt, Boss?“
„Ohne die Kameraden wären wir sowieso nicht abgefahren, wir lassen niemanden zurück! Vorerst bleiben wir hier.“ Charly Eckmann war neugierig geworden. Die Aufmerksamkeit der Feuerwehrleute galt seit geraumer Zeit nur einem einzigen Fahrzeug.
„Hier stimmt doch etwas nicht“, sagte einer der Kameraden. Klaus war nicht der Hellste und sogar ihm fiel auf, dass da was faul war.
„Ich werde versuchen, irgendetwas in Erfahrung zu bringen. Ihr bleibt hier und wartet auf mich. Verhaltet euch ruhig und macht keinen Ärger. Polizei können wir jetzt nicht brauchen. Es reicht, dass die anderen verhaftet wurden. Ihr habt mich verstanden?“
„Keine Sorge, Boss.“
Charly Eckmann fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und setzte seine unschuldigste Miene auf. Niemand sollte ihn mit der Blauen Armee in Verbindung bringen.
Charly Eckmann war nicht die einzige Person, die versuchte, sich den Polizisten zu nähern und an Informationen zu kommen. Dort stand auch ein Mann mittleren Alters, der nichts mit der Siedlung zu tun hatte: Christian Pölz. Geschickt hatte er sich den Befragungen entziehen können. Niemandem war er aufgefallen. Was wusste die Kriminalpolizei? Und warum war sie so schnell hier? Als er die wenigen Sätze der beiden Kommissare, die er gut kannte, aufschnappte, wurde ihm schlecht. Jetzt begann eine Mordermittlung, die er gerne vermieden hätte. Wie hätte er auch trotz der hohen Benzinmenge wissen können, dass die Leiche und der Gürtel nicht komplett verbrannten? Es war ihm nichts anderes übriggeblieben, als die Leiche Eduardos zu fixieren, da sie immer wieder zur Seite kippte. Wie hätte er ihm sonst in den Mund schießen sollen? Verdammter Mist! Es war Pech, dass die besten Mühldorfer Kommissare vor Ort waren und die Sache in die Hand nahmen. Christian Pölz blieb noch ein paar Minuten stehen und ging dann langsam davon. Er müsste sich eigentlich sicher fühlen. Niemand kannte die Identität des Toten. Und niemand wusste, was ihn mit der Leiche verband. Auch wenn ihm klar war, dass es sehr unwahrscheinlich war, dass man auf ihn stoßen würde, bekam er es mit der Angst zu tun. Warum hatte er sich auf die ganze Sache überhaupt eingelassen? Er hätte sich nicht von Angela überreden lassen dürfen!
Noch während Leo telefonierte, bemerkte er den Mann. Da er sich nicht mit ihm unterhalten hatte, nahm er an, dass Hans das erledigt hatte und daher kümmerte er sich nicht länger um ihn.
„Wo kommst du her?“, wurde Christian Pölz von seiner Cousine Angela empfangen. Sie war längst zurück und hatte den Mord an Lisbeth bereits verdrängt. Sie hatte sich überlegt, ihren Cousin doch ins Vertrauen zu ziehen, entschied sich dann aber letztendlich doch dagegen. Sie nahm sich vor, die dicke Lisbeth nie mehr zu erwähnen.
„Von der Lohberg-Siedlung.“ Christian Pölz war völlig erschöpft. Das, was er in den letzten beiden Stunden gemacht hatte, war fast unmenschlich.
„Warum? Was wolltest du dort?“
„Ich habe mich darum gekümmert, dass die Leiche verschwindet. Sie ist verbrannt. Die Polizei war vor Ort, sie ermittelt wegen Mordes“, sagte er und setzte sich.
„Wegen Mord? Warum? Wie kommt die Polizei darauf?“
„Sie haben die Gürtelschnalle gesehen, mit der ich Eduardo fixieren musste.“
Angela verstand nicht, was es damit auf sich hatte und es interessierte sie auch nicht. Sie hatte nur verstanden, dass die Polizei wegen Mordes ermittelte und wurde panisch.
„Das war es! Jetzt dauert es nicht mehr lange, und die Polizei verhaftet mich.“ Angela setzte sich und sah ihren Cousin ängstlich an.
„Mach dir keine Sorgen, hörst du? Niemand wird Eduardo identifizieren können, dafür habe ich gesorgt. In den nächsten Tagen verhältst du dich ruhig und gehst nicht raus. Niemand weiß, dass Eduardo hier war. Das stimmt doch, oder?“ Diese Frage brannte ihm auf der Seele. Das war noch ein Unsicherheitsfaktor, den er nicht ausräumen konnte.
„Stimmt. Eduardo ging nicht mit mir aus. Wenn er draußen war, dann nur allein ohne mich.“
„Was ist mit deinen Nachbarn?“
„Ich lebe seit einem halben Jahr allein in dem Haus.“ Es gab Schimmelprobleme, denen auch Angela ausgesetzt war, sie aber nicht weiter störten. Wo sollte sie hin? Und wie sollte sie sich die Miete einer modernen Wohnung leisten? Nein, sie blieb so lange es ging.
„Es gibt wirklich niemanden, der euch beide gesehen hat?“, hakte Christian nach.
„Nein, wenn ich es doch sage! Er ging immer ohne mich aus!“ Angela war erleichtert, dass sie die einzige Zeugin aus dem Weg geräumt hatte. Jetzt gab es wirklich niemanden mehr, der Eduardo mit ihr in Verbindung bringen konnte.
Christian war zufrieden und erleichtert. Warum Eduardo nicht mit ihr rausgehen und etwas unternehmen wollte, war ihm völlig egal. Für ihn war nur wichtig, dass die beiden nicht gemeinsam gesehen wurden.
„Gib mir deinen Laptop.“
„Was willst du damit?“
„Spuren beseitigen, was sonst.“ Er löschte den ganzen Chatverlauf zwischen ihr und Eduardo. Was darin stand, las er nicht, das ging ihn nichts an. „Es ist besser, wenn ich dein Profil komplett lösche.“
„Mach, was du für richtig hältst.“ Angela war überrascht, wie routiniert Christian mit dem Laptop umging. Man merkte gleich, dass der Umgang mit einem Computer für ihn nicht fremd war. Sie war damit noch nicht ganz so vertraut. Viele Zusammenhänge waren ihr nicht klar. Und wenn es Probleme gab, drückte sie so lange auf den Tasten herum, bis alles wieder funktionierte.
Angela saß einfach nur da und sah Christian zu. Die Beruhigungstabletten, die sie genommen hatte, wirkten jetzt endlich.
„Erledigt!“ Christian klappte den Laptop zu und legte ihn zur Seite. „Du musst den Mann vergessen, hörst du? Es hat ihn nie gegeben!“
Angela nickte und sah ihren Cousin an.
„Du brauchst keine Angst zu haben, der Alptraum ist bald vorbei. Niemand wird auf dich oder gar auf mich kommen. Eduardo hat nie existiert! Hast du mich verstanden?“
Wieder nickte sie und sah in den alten Kamin ihrer schäbigen Wohnung. Das Feuer, mit dem sie vorhin Eduards wenige Hinterlassenschaften verbrannte, loderte immer noch.
„Kann ich dich allein lassen? Versprichst du mir, dass du keinen Unsinn machst?“
„Geh nur, Christian, mach dir um mich keine Sorgen. Ich danke dir. Ich werde ewig in deiner Schuld stehen.“ Mehr konnte sie nicht sagen, die Tränen kullerten über ihr Gesicht.
„Braves Mädchen!“ Er gab ihr einen Kuss und verschwand. Draußen atmete er tief durch. Was war das nur für ein schrecklicher Alptraum? Was hatte er nur getan? Ob er an alles gedacht hatte?