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6.

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Die Arrestzellen der Mühldorfer Polizei waren völlig überfüllt. Es dauerte nicht lange, und die erste Toilette war verstopft. Ein unerträglicher Gestank machte sich breit, der durch die Gänge zog. Die Stimmung unter den Festgenommenen war denkbar schlecht. Einheimische, einfache Partybesucher und Mitglieder der Blauen Armee waren bunt gemischt. Mittendrin saß Diana Nußbaumer. Sie war gespannt, wie die Kollegen darauf reagierten, wenn sie ihren Fehler erkannten. Aber noch war es nicht so weit. Wie lange sie hier noch sitzen und warten musste, stand in den Sternen. Als Kampfsportlerin hatte sie gelernt, ruhig zu bleiben, was ihr jetzt entgegenkam. Es gab Pöbeleien und es kam nicht selten vor, dass Fäuste flogen. Diana war darauf gefasst, dass man ihr zu nahe kam, was aber zum Glück nicht geschah. Die Uniformierten brachten keine Ruhe in die Arrestzellen. Das Geschrei und die Übergriffe wurden von Stunde zu Stunde schlimmer.

Tatjana Struck, die Leiterin der Mühldorfer Mordkommission, hatte genug. Sie war hundemüde, außerdem fror sie immer noch. Anstatt gemütlich auf ihrer Couch zu liegen, musste sie sich die Nacht um die Ohren schlagen, was ihr aufs Gemüt schlug. Da ihr neuer Freund Erich Perzlmeier es vorzog, die Weihnachtsfeiertage und auch Silvester mit seiner Familie zu verbringen, hatte sie trotzig sämtliche Sonderschichten übernommen, die man ihr anbot. Erich hatte sie gebeten, ihn zu begleiten, aber das war ihr zu viel Familie auf einmal. Nähe und Höflichkeiten waren ihr zuwider, weshalb sie verzichtete. Erich reagierte enttäuscht, aber das war ihr egal. Sie kannten sich noch nicht lange und sie empfand es als viel zu früh, seine Familie kennenzulernen.

Wütend ging Tatjana in den Keller der Polizeiinspektion. Vor der ersten Arrestzelle nahm sie den Schlauch und pfiff laut durch die Zähne.

„Wenn nicht augenblicklich Ruhe ist, werde ich für Ruhe sorgen!“, schrie sie laut.

„Das dürfen Sie nicht“, lachte einer und stellte sich provozierend an die Gitterstäbe.

„Wollen Sie es darauf ankommen lassen?“, ließ sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie griff mit der rechten Hand zum Wasserhahn und drehte ganz langsam. Alle konnten sehen, dass tatsächlich etwas Wasser aus dem Schlauch rann. Tatjana drehte unbeirrt weiter, woraufhin auch der letzte verstummte.

„Hören Sie auf!“, schrie einer laut, der keine Lust hatte, zu allem Übel auch noch nass zu werden.

„Sie haben gewonnen!“, sagte derjenige, der sich mit ihr anlegen wollte und kurz davor war, nasse Füße zu bekommen. „Das sind echte Stasi-Methoden!“, schob er hinterher.

„Nazi-Methoden“, schrie ein Angetrunkener von ganz hinten.

„Es ist mir egal, wie Sie das betiteln. Entweder es ist sofort Ruhe und Sie lassen uns unsere Arbeit machen, oder Sie werden klatschnass. Die Entscheidung liegt ganz bei Ihnen. Ich finde das sehr demokratisch. – Das gilt übrigens auch für alle anderen!“, rief sie laut zu den anderen Arrestzellen. „Bei demjenigen, der die Toilette verstopft hat, dürfen Sie sich bedanken. Es werden Eimer bereitgestellt, die Sie gerne benutzen dürfen.“

„Pfui Teufel!“, rief einer und rümpfte die Nase. „Sie glauben doch nicht, dass wir die vor allen anderen benutzen? Es ist unser gutes Recht, eine Toilette benutzen zu dürfen! Ich werde meinen Anwalt anrufen, der wird Ihnen Ihren dicken Hintern aufreißen, Lady!“

„Machen Sie das.“ Die Eimer wurden gebracht und in die Zelle gestellt. Der Polizist war darauf bedacht, die Zellentür sofort wieder zu schließen. Es hagelte Proteste, die lauter und lauter wurden.

„Ich warne Sie noch ein letztes Mal“, rief Tatjana laut. „Entweder verhalten Sie sich ruhig oder Sie werden nass.“

Es war augenblicklich wieder ruhig.

„Vielen Dank“, sagte ein Uniformierter, der sich das niemals getraut hätte. Die Kollegin Struck hatte zwar Haare auf den Zähnen, traute sich aber mehr als mancher Mann.

Diana musste Schmunzeln. Offenbar nahm man es hier mit den Vorschriften nicht so genau, was ihr sehr entgegen kam. Es hatte zwar nicht ihre Arrestzelle betroffen, aber sie hatte jedes Wort gehört. Sie war gespannt darauf, welche ihrer Kolleginnen sich so etwas getraute.

Severin Torka und Wolf Perlinger saßen nicht in derselben Arrestzelle. Wolf hatte versucht, in Severins Nähe zu bleiben, aber sie wurden getrennt.

Wolf war ganz ruhig. Dass er verhaftet wurde, war keine große Sache. Sein Kontaktmann vom BND würde dafür sorgen, dass er schnell wieder auf freien Fuß kommen würden. Aber was geschah dann? Es lag auf der Hand, dass die Polizei gewarnt worden war und es war auch klar, dass Charly alles daransetzen würde, den Verräter zu finden. Hatte er sich irgendwie verraten? Würde Charly auf ihn kommen? Wenn ja, würde man sich an ihm rächen. Ob er das überleben würde, war fraglich. Wolf dachte für einen kurzen Moment darüber nach, alles hinzuschmeißen und aufzugeben, entschied sich dann aber dagegen. Er war sehr weit gekommen und wollte noch mehr herausfinden. Aus seinen Unterlagen, die er von Dinzinger bekommen hatte, wusste er, dass die Blaue Armee nur ein bunt zusammengewürfelter Haufen von gescheiterten Existenzen gewesen war – bis Charly Eckmann auftauchte und die Leitung übernommen hatte. Die Aktionen wurden von mal zu mal drastischer und brutaler. Heute Nacht hatten die Kameraden Frauen angegrabscht und wild zugeschlagen, was ihn sehr schockiert hatte. Durch einen gezielten Schlag konnte er einen Kameraden gerade noch davon abhalten, sein Messer zu benutzen, was der zum Glück nicht mitbekommen hatte. Ob ihn ein anderer dabei beobachtet hatte? Das riesige Banner am Stadttor war sehr beeindruckend. Es wurde enthüllt und zeitgleich mit Scheinwerfern angestrahlt, was seine Wirkung nicht verfehlt hatte. Was hatte Charly noch alles vor? Gestern hatte er die Bombe platzen lassen und bekanntgegeben, dass zwei Gruppen sich ihnen anschließen würden, deren Mitglieder auch keine Chorknaben waren. Nein, er durfte jetzt nicht aufgeben und musste an der Sache dranbleiben. Wie sollte man die Blaue Armee ohne seine Hilfe stoppen?

Severin Torka hatte beste Laune. Er hatte zwar einige Schläge abbekommen, aber er war fest davon überzeugt, dass die ganze Aktion sehr gut gelaufen war. Noch immer hatte er das Bild vor Augen, als das riesige Banner entrollt worden war. Noch niemals zuvor hatte er so viel Stolz verspürt wie in diesem Moment. Dass ein Verrat stattgefunden hatte und die Polizei gewarnt worden war, hatte er nicht verstanden. Einige Kameraden, die mit ihm in der Arrestzelle saßen, machten Andeutungen, aber die wollte er nicht hören. Er konnte es kaum erwarten, endlich mit Charly zu sprechen und mit ihm und den anderen den Sieg feiern zu können. Dass er festgenommen worden war, war zwar aufregend und wurde immer lästiger, war aber nicht zu vermeiden. Die Polizei konnte ihn nicht endlos festhalten, schließlich lagen keine ausreichenden Gründe dafür vor. Das hatte Charly ihm erklärt und das hatte er verstanden. Es war nur eine Frage der Zeit, wann er endlich wieder auf freien Fuß kommen würde. Charly war sicher sehr stolz auf ihn. Er hatte viele Böller in die Menschenmenge geworfen und oft zugeschlagen, wozu er seinen Schlagring benutzte, den er von Charly geschenkt bekommen hatte. Was für eine tolle Nacht! Er hatte alles getan, was Charly von ihm verlangte, und darüber hinaus noch sehr viel mehr. Ob seine Mutter ebenfalls stolz auf ihn war, war ihm inzwischen egal. Bis er Charly traf war sie seine wichtigste Bezugsperson, aber das war lange her. Jetzt war es ihm nur noch wichtig, wie Charly über ihn dachte.

Die Spurensicherung war endlich in der Lohberg-Siedlung angekommen. Friedrich Fuchs machte sich sofort an die Arbeit und wies seine Mitarbeiter an. Jeder wusste, was er zu tun hatte. Leo und Hans hielten sich zurück. Der mürrische Kollege Fuchs wollte nicht gestört werden, was beide respektierten.

Charly Eckmann fand heraus, dass die beiden großen Männer Kriminalkommissare waren. Außerdem sprach es sich schnell herum, dass es wohl einen Toten gab, der vermutlich ermordet wurde. Charly wurde hellhörig. Was war da los? War einer seiner Kameraden durchgedreht? Er drängelte sich durch die Schaulustigen und achtete darauf, dass er jeden Wortfetzten der beiden Kommissare aufschnappen konnte. Die beiden unterhielten sich über alles Mögliche, bis der größere der beiden mit dem schrecklich schwäbischen Akzent endlich etwas fragte, was ihn und seine Kameraden betraf.

„Ob dieser Schlägertrupp der Blauen Armee dahintersteckt?“

„Möglich. Zuzutrauen wäre es ihnen.“ Dann klingelte das Handy des Kommissars mit dem bayerischen Dialekt. Er sprach nur sehr wenig und beendete das Gespräch. „Wir wissen jetzt, wem der Bus gehört. Der Halter ist ein Busunternehmer Wachmann aus München. Ein Mann namens Eckmann aus München hat den Bus angemietet und auch gefahren, sein Führerschein liegt beim Busunternehmen als Kopie. Wir bekommen die Daten per Fax. Da der Bus noch hier ist, müsste die Gruppe auch noch hier sein.“

„Ich bin mir sicher, dass diese Blaue Armee mit dem Bus angereist ist. Und ich verwette meine Großmutter, dass dieser Eckmann eines der Mitglieder ist.“

„Wo bleibt diese Gruppe eigentlich? Müssten die nicht längst hier sein?“

„Vielleicht haben wir alle festnehmen können. Sollten sie dennoch frei herumlaufen, werden die einen Dreck tun und hier auftauchen.“

Charly Eckmann wurde schlecht, als er seinen Namen hörte. Die Polizei wusste jetzt mehr, als ihm lieb war. Verdammter Mist! Wer hätte auch damit rechnen können, dass die Fahrzeuge mitsamt ihrem Bus abgefackelt werden? Es gab einen Toten und die Polizei vermutete, dass er und seine Leute dahintersteckten. Was sollte der Scheiß? Er musste jeden einzelnen seiner Kameraden in die Mangel nehmen und herausfinden, was passiert war. Und sollte einer seiner Leute für den Mord verantwortlich sein, dann Gnade ihm Gott!

DIE LEICHE MUSS WEG

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