Читать книгу Lippenstift und Notfalltropfen - Irene Wondratsch - Страница 12
HAARBÜRSTE
Оглавлениеein besuch beim friseur erfüllt nicht selten den tatbestand der körperverletzung.
der erste ungeschützte blick in den spiegel zu hause enthüllt in seinem ganzen schrecken das, was zuvor noch von halber ohnmacht und panischer verdrängung nicht bis zur bewusstseinsschwelle vorgelassen wurde: die wellen à la »jean harlow« kräuseln sich in schmalzigem negroid à la »drahtwaschel« und das gewünschte platinblond kann man nur als ausgesprochen grünspanig bezeichnen.
susis entsetzensweiter blick fällt auf die haarbürste, in der noch reste der alten brünetten pracht verfangen sind. die reue kommt zu spät. zugleich mit der wut steigen die tränen in ihr hoch und kullern reichlich über die geröteten wangen in den fassungslos offenstehenden mund. nichts wird es heute abend mit dem großen auftritt im feinsten lokal der stadt, und die bewunderung roberts wird sich auch in grenzen halten. überraschen hat sie ihn wollen und das dürfte problemlos gelingen. der weltuntergang kann sich nicht viel anders anfühlen, und es wäre gut, wenn die welt unterginge. eine welt, in der wahnsinnige stümper solche verheerungen auf ihrem kopf anrichten und sich dafür auch noch sittenwidrige beträge bezahlen lassen, hat nichts besseres verdient. susi stürzt zur badewanne und begräbt ihren blondinentraum unter wasserfluten. was sich eine halbe stunde danach gebildet hat, ist sonst als afrokrause bekannt und war eine zeitlang durchaus mal in mode. ein umstand, der susi nicht glücklicher macht.
schokolade macht glücklich. eine hand um den doppelt gefüllten schokoriegel und die andere um ihre beige lieblings-sofarolle geklammert, versinkt susi in halber betäubung. ein cognac dazu macht sicher noch glücklicher und drei cognacs verdreifachen das glück zwangsläufig.
die sofarolle erweist sich bei näherem betrachten als dringend säuberungsbedürftig. auch der reißverschluss ist ausgeleiert und schließt nicht mehr richtig. susi kichert und reimt: »ich hab mit meinem reißverschluss immer so nen scheissverdruss.«
die haare fühlen sich jetzt vollkommen trocken an und haben ein richtig schönes volumen. susi kann sich nicht erinnern, jemals einen so großen kopf gehabt zu haben. sie greift erneut zur bürste und versucht zu bändigen, was nicht zu bändigen ist. jedes einzelne haar scheint beinahe senkrecht in die höhe zu springen und ein eigenleben zu führen. sie kann sich nur noch erschießen. aus. vorbei. laut heulend zieht sie das aus den plastikstoppeln heraus, was sie an die unwiederbringlich entschwundene braune herrlichkeit erinnert. – den friseur erschießen!
die 44er magnum hat ihr robert vor einem jahr gekauft. erst konnte sie sich nicht ganz damit anfreunden, vor allem der krach und der nicht unerhebliche rückstoß hatten ihr zu schaffen gemacht. aber dann war sie doch von der gefährlichen eleganz der waffe eingenommen gewesen und hatte von mal zu mal lieber mit ihm die schießstände besucht. stolz war sie gewesen, als er ihr attestierte: für eine frau treffe sie mittlerweile ganz gut. »immer auf die größte fläche zielen im ernstfall«, hatte er gesagt, und, ihren erschrockenen blick bemerkend, hinzugesetzt, dass der nach aller wahrscheinlichkeit nie eintreten würde, aber eben: »wenn doch, dann immer auf die größte fläche halten. und was ist das? erraten, hasilein, der bauch! niemals auf den kopf, du schießt in der aufregung garantiert daneben – und dann haben wir den salat!«
am schießstand jedoch war der ratschlag ohne jede bedeutung, und sie perforierte nach herzenslust unterschiedslos arme, köpfe, bäuche, ging es doch letztlich nur darum, den punkt in der mitte des kreises zu treffen, der in und um die gefährlich wirkende mannsperson aus pappe angebracht war.
aber jetzt sieht eine frau rot. blutrausch. der friseur ist fällig. sie wird auf die größte fläche halten und sie wird nicht vorbeischießen. die letzte dauerwelle. seine. sein letztes grünspaniges platinblond. für nachfolgende generationen unschädlich gemacht.
susi wiegt die stromlinienförmige qualitätsarbeit der firma smith&wesson in der hand, klappt die trommel heraus. perfekt verarbeitet. es gibt doch leute, die was von ihrem handwerk verstehen. träumerischen blicks füllt sie die patronen ein, zieht mit dem daumen den hahn zurück und nimmt dann spielerisch die beige sofarolle ins visier. als sich der schuss gelöst hat, und es schaumgummiflocken schneit, wirft sie die waffe entsetzt auf einen sessel. ein doppelter cognac und zwei weitere schokoriegel besänftigen das aufgewühlte gemüt. sie döst. ein blonder engel mit platinblond gewellten locken und kokainverruchtem blick schwebt durch den raum.
kaum hat sie die glocke gehört. als es noch einmal läutet, erhebt sie sich stumpfsinnigen blicks und läuft in plötzlicher panik zum spiegel. ein desaster, das ist keine junge frau, sondern ein gnom mit verschwollener, schokoverschmierter visage und blassgrünem verfilztem gestrüpp auf dem kopf. robert! halb acht!
der feuchte lappen, mit dem sie notdürftige reinigung betrieben hat, scheint nicht viel genützt zu haben. die mundwinkel schmecken klebrig und süß. durch die augenschlitze erkennt sie ein sprachlos starrendes gesicht unter gegeltem haarschopf. tadellos. die ungläubig unbewegliche maske vor ihr wird zusehends lebendiger. immer breiter zieht sich der mund zu einer einzigen grinsfratze auseinander. die ganze figur beginnt zu wackeln, zu beben, schüttelt sich vor lachen, bis der ganze kerl sich in einem wilden veitstanz windet. die krawatte muss er lockern, um überhaupt noch luft zu bekommen. die tränen springen ihm waagrecht heraus wie einem zirkusclown. und das alles, weil sie blond werden wollte.
das alles, weil sie sich für ihn schön machen wollte. für ihn!
der geriffelte, holzbeschlagene griff der smith&wesson liegt in ihrer hand wie hineingegossen. tief durchatmen. immer auf die größte fläche halten!
tatsächlich – es funktioniert!
Gabriele Folz-Friedl