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COMME DES GARÇONS NO. 2, PARFUM

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Über den Straßen zartweiße Wolken auf Himmelblau. In den Auslagen Pastell, so wie sich’s gehört nach Gold und Glitzer. Pastell die Gassen, die Menschen blass nach dem Winter. Am Naschmarkt in der Bude kindskopfgroße Tulpen auf den Plafond gemalt. Rosa Schleier quer über die Decke mit Narzissen, Hyazinthen und Schneeglöckchen aus Seide. Die Kellnerin mit dem Tuch fest um den Kopf gewunden, dem nackten Bauch, schöpft Rosinenkraut aus dem Dampfkessel. Da verzieht sich das Hellblau vom Himmel. Es nieselt.

Zwischen den Ständen durchgehen, und es duftet nach Weite, nach Ferne, nach weit fort, nach anderem Leben. Da sind Erdbeeren, so als wäre es schon Zeit dafür. Es duftet nach feinen Safranfäden. Im Winter, wenn es so duftet und es hier nur vor sich hin regnet, ganz grau, dann will ich weg. Dann will ich in die Zimtländer, nach Samarkand, nach Buchara. Dann will ich dort Tagesgeschäften zuschauen, dem Korianderlärm, dem Gehämmer nach. Will Schafe blöken hören auf grünen Weiden und in Wüsten rasten, mit dem weißen Tuch auf dem Kopf.

Ich rühr mich nicht mehr weg. Ich stehe im Regen, sauge den Geruch ein. Ich stehe im Grau, im Asphalt, im Safran. Gewürzdüfte wirbeln und ich falle in Ingwer. Die Krampusfigur damals war überzogen mit Zuckerguss, Lebkuchen in Schokolade getunkt, trug ein papierenes Lebkuchenbild, bunt. Ich biss hinein. Scharf und fremd breitete sich Unbekannt aus. Eins mit mir selbst, weggetragen in den Ingwer, so neu, so unendlich. Und noch immer ist es so: Wenn der Körper Ingwer erkennt, dann ist was los.

Ich bleibe stehen im Regen. In den Gewürzdüften von der Weihrauchstraße, der Seidenstraße, aus den Wüsten. Eines Abends in Fes am Markt roch es alle zehn Meter frisch. Ein Mädchen trug ein dickes Büschel Petersilie in der Hand. Wenn man von diesem Frisch isst, fällt das Leben ins Lot. »Bitte einen Bund vom Feld. Bitte die Karotten, die Tomaten.« Ich fülle mich mit Frisch, mit Markt, mit Zimt, mit Zitrone. Wenn diese Zitrone in mir ist, diese im Meersalz eingelegte, gesalzene, dann ist es frisch. Ich fang mir einen Fisch, hacke Kerbelkraut und lege das Kraut auf die Meerwasserzitrone. Jetzt ins Rohr. Und wenn ich dann esse, dann ist es frisch, dann ist es gut.

Ich stehe in den Gewürzdüften im Regen. Ich gehe nicht weg. Eine Frau schreibt stehend am Tresen. Wie ich an ihr vorübergehe, halte ich kurz. Sie duftet. Sie duftet nach Tautropfen und nach Schneeflocken. Nach Wunderbar, nach Weiß. Sie riecht nach Tag, nach Sonnenmorgen und nach Unschuld. Sie duftet nach Kind, nach Anfang, nach Alles in Ordnung. Sie riecht nach Tusche, nach firnisgetränkter Grundierung auf Leinen in einem leeren Zimmer. Sie riecht nach achtzehntem Jahrhundert in einer frisch gebohnerten Wohnung.

Ich werde ihr nachgehen. Ich werde hinter ihr hergehen, ihr nicht mehr von der Seite weichen.

Gerda Sengstbratl

Lippenstift und Notfalltropfen

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