Читать книгу Lippenstift und Notfalltropfen - Irene Wondratsch - Страница 15
K2R, FLECKPUTZMITTEL
ОглавлениеMich hat ja keiner gefragt. Meine Säume kräuseln sich. Und ich habe Falten bekommen. Schon bei der Anreise. Wegen der Enge. Überhaupt: diese Tasche. Klein aber unsinnig aufgebläht, wichtigtuerisch, und dabei abgrundtief hässlich.
Was tue ich hier? Wer soll mich hier anschauen? Ohnehin in keinem guten Zustand. Jawohl, ich bin in keinem guten Zustand. Ich brauche so Dinge wie ein Bügeleisen. Muss sorgfältig in Form gebracht werden, damit ich was darstelle.
Diese Berge, die nach Lederhosen schreien. Diese Dirndlkulisse. Steife, eckige Dinger. Als ob ich da in Konkurrenz treten wollte. Überhaupt. Wo einen jeder verkennt. Alles geschmacklos ist und so satt. Ja, ich ärgere mich. Und bekomme diese säuerlich gekräuselten Säume. Und diese entsetzlichen Falten und kein Bügeleisen weit und breit. Jedes auch noch so groteske Dirndl hat hier ein Recht darauf gebügelt zu werden.
Ich bin zu fein für diese Landschaft. Und zu gescheit. Das ist keine Schande.
Wenn dieses Grün ein wenig herkommen würde, wenn es sich entschließen könnte einen Schritt zu machen. Ein kleines, kurzes Lächeln. Immerhin bin ich Gast hier. Aber nein, es steht stur vor mir, eine selbstgefällige Mauer. Lässt sich herab und spielt dann lieber im Wasser, mit dem Himmelblau, dem Steinweiß – überhaupt, im Wasser sind sie alle so mühelos, legen sich ineinander, verschwimmen, mischen sich.
Ich bin von zarterer Natur. Ein wenig Sonne, und schon bleiche ich aus und im Wasser werde ich überhaupt zu einem Fetzen.
Ich kann das nicht. Ich möchte nach Hause. Ich möchte in ein verrauchtes Café, auch wenn ich danach tagelang stinke. Ich brauche belebte Straßen, ich brauche bewundernde Blicke, Augen, die mich hinter dunklen Sonnenbrillen verzückt anstarren, ich brauche ein wenig Neid und Eifersucht und einen kleinen Hauch Missgunst. Hier? Diese klare Luft, diese strengen Schatten und diese Selbstverständlichkeit, mit der ich übersehen werde. Oder belächelt. Man darf ein verwöhntes Stück wie mich nicht so einfach irgendwo hängen lassen. Das ist herzlos.
Außerdem ist mir fad. Ich brauche Kultur. Mit einem samtäugigen Cello, mit einem zierlichen Plüschsesselchen, mit kühl geäderten Marmorsäulen, mit einer großzügig geschwungenen Freitreppe zum Beispiel, mit so was kann ich mich leicht unterhalten. Die sehen mich und wissen sofort. Qualität. Fein gesponnen. Raffiniert gewickelt. Eine von uns, sozusagen.
Diese Bäume aber stehen da und schweigen und es fällt ihnen nicht einmal auf. Würde sich einer, ein einziger nur ganz leicht verneigen, dann könnte ich ja zugeben, dass sein spitz genadeltes Grün sich gar nicht so schlecht macht. Rotbraun und schwarz schillernde Rinde dazu, das macht ja durchaus auch was her.
Ich hänge sowieso im Schrank. Dort werde ich noch eine Woche hängen bleiben, so weit als möglich Contenance bewahren und auf bessere Zeiten hoffen. Ist ja nicht das erste Mal.
Stimmen. Besser als nichts. Ein wenig Unterhaltung, auch wenn hier nicht gerade Interessantes zu erwarten ist. Die Kastentür! Das gilt sicher dieser windelärschigen Radlerhose – peinlicher geht’s überhaupt nicht mehr, aber sie tut immer, als wäre sie was Besonderes.
Und jetzt ein Geschiebe und Gedränge, als gäbe es etwas zu gewinnen. Wird schon jeder drankommen, irgendwann.
Ich? Bin wirklich ich gemeint? Wenn sie nur nicht ...
Nein. Nein, es bleibt dabei. Ah, tut das gut. Hat sie zugelegt? Mir scheint, mein Zipp ... egal. Was noch? Nein, nicht telefonieren. Das kann ja Stunden dauern. Schwitzen tut sie auch, wenn sie ihre Hand nicht bald wegnimmt, habe ich ein feuchtes Muster ... obwohl, in der letzten »Fashionweek« war ja Ähnliches ... na endlich. Nein, die anderen. Die anderen! Heute ein wenig Absatz. Bitte!
So. Tasche, Schlüssel, können wir? Wir können!
Barbara Holpfer