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Annekes Heimkehr

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Fluchend suchte Anneke in der Dunkelheit die Abzweigung des Feldweges in Richtung Götemitz. Es war Mitte September, und die Tage waren ungewöhnlich warm und schwül auf der Insel. Anneke öffnete das Beifahrer Fenster und atmete tief durch. Nur noch wenige Kilometer, dann hatte sie es geschafft. Nicht nur sie war ungeduldig, auch ihr Onkel Alois würde sicher schon warten. In den letzten beiden Stunden zerrte die lange Fahrt von Österreich verdammt an ihren Nerven. Mein Gott, dachte sie, ich war schon ein ganzes Jahr nicht mehr auf Rügen. Die Zeit ist einfach so verflogen, wie eine Momentaufnahme. Dankbar schaute sie auf den letzten Sommer zurück, als sie ein super Job Angebot, für ein Familienhotel als Empfangschefin zu arbeiten, annahm und bis jetzt nicht bereute. Damit stand fest, ihre Zukunft plante sie in Graz. Rügen war erst einmal Geschichte. Anneke lachte, weil sie sich als Dirndl Fan outete. Die geplanten zwei Wochen Urlaub, die mussten reichen, um hier Freunde und ihren Onkel zu besuchen. Unverhofft stoppte viel Verkehr an diesem Tag ihre Fahrt. Vieles schien sich gegen sie verschworen zu haben. Bereits auf der Rügen Damm Brücke in Stralsund begann es dunkel zu werden, und die neue Straßenführung der B96 war ihr plötzlich fremd. Diverse Bauarbeiten erschwerten die Orientierung in der beginnenden Dunkelheit. An der nächsten Baustelle, entdeckte sie eine Überführung, die war ihr unbekannt. Annekes Augen wanderten suchend nach rechts. Hier musste doch diese verdammte Abfahrt sein, dachte sie zornig. Endlich, im letzten Moment sah sie das Schild GÖTEMITZ. Sie bog in den schmalen, ihr so vertrauten Weg der kaum Gegenverkehr zuließ. Nun, um diese Zeit würde sie wahrscheinlich niemanden treffen. Erst kam der asphaltierte Weg, dann die noch aus der DDR Zeit stammenden Beton- platten. Die Büsche und Bäume am Wegesrand schienen in dem Jahr ihres Fortseins gewachsen zu sein, oder ließ die Dunkelheit sie gespenstisch groß erscheinen? Anneke war ein Dorf Kind, sich zu gruseln gehörte seit ihrer Kindheit dazu. Es gab ein Gesellschaftsspiel unter den Kindern. Wer nachts auf den Friedhof in Poseritz ging, der bekam schon mal von Ole Sponholz, dem begehrtesten Jungen im Dorf, Kräheneier geschenkt. Die wurden gemeinsam auf offenem Feuer in einer alten Eisenpfanne gebraten. Interessiert betrachtet sie den hohen Bewuchs neben der Straße.Die Holunderbüsche, der Weißdorn, auch mal ein wilder Flieder oder Wildrosen, hatten sich im Laufe der Zeit vermehrt und waren nun teilweise verblüht. Alles noch wie immer, dachte sie. Rechts neben dem Weg ein hochgewachsenes Maisfeld. Es war bedauerlich, dass es noch nicht abgeerntet war. Anneke dachte an die Kraniche, die bald zu tausenden die Insel bevölkern würden. Die kamen immer um diese Zeit. Was für eine Nachlässigkeit das Feld nicht zu mähen, und einfach vergammeln zu lassen. Die Kraniche werden hier kein Futter finden, weil sie auf dem Mais nicht landen können. Sie würde mit Ole darüber reden, der war aktiv im NaBu, und könnte Auskunft geben. Vielleicht blieb der Mais auch als Biomasse stehen, damit wir Verbraucher ein besseres Gefühl beim Tanken bekommen? Anneke lachte sarkastisch, als ob sie sich damit besser fühlen würde, wenn beim Sprit das Wort BIO davor steht. In der Dunkelheit wurde Anneke bewusst, dass sie diesen provisorischen Weg noch nie so spät befahren mochte, hatte sich schon als Mädchen oft vorgestellt, dass sie hier verlorengehen, geraubt oder verschleppt werden könnte. Vielleicht, weil die Saga ging, dass sich hier nachts die Toten zu einem Stelldichein treffen? Als sich im Maisfeld etwas bewegte, drückte Anneke reflexartig den Knopf der Zentralverriegelung, drosselte die Geschwindigkeit. Sie rechnete mit einer Rotte Wildschweinen. Das brauchte sie nach fast 10 Stunden Autofahrt wirklich nicht. Im Scheinwerferlicht ihres Autos fiel plötzlich aus dem Maisfeld ein nackter Arm, dessen Hand eine winkende Bewegung machte. Anneke schrie kurz auf, überlegte die 110 anzurufen, um dann schnell weiterzufahren. Nur weg von hier. Aber, als sie auf der Höhe des Armes angekommen war, entdeckte sie ein kaum bekleidetes Mädchen, das aus dem Maisfeld kroch. Abrupt stoppte sie, vergaß für diesen Moment ihre Angst. Dann stieg sie aus, erreichte mit wenigen Schritten das Mädchen und beugte sich nieder. Das Mädchen wimmerte: »Schnell weg hier, er ist noch in der Nähe. Er ist abgehauen, als das Auto kam.« Blankes Entsetzen packte Anneke, als sie der blutüberströmten jungen Frau aufhalf, und sie bis zum Auto stützte. Als beide eingestiegen waren, bediente sie sofort wieder die Zentralverriegelung, und atmete tief durch. Was um Himmelswillen sollte sie jetzt tun? Umdrehen, um gleich nach Bergen ins Krankenhaus zu fahren? Etwas hilflos rang Anneke mit den Händen, als ob sie aus der Luft Hoffnung greifen könnte. Da es kaum möglich war auf dem engen Weg zu wenden, würde sie sich und das Mädchen in Gefahr bringen. Der Täter könnte den Weg verstellen, das Auto angreifen. Während sie weiter in Richtung Götemitz fuhr, warf sie verstohlen einen Blick auf das Opfer. Noch so jung, dachte sie, vielleicht erst fünfzehn Jahre? Mit Schrecken sah Anneke, dass das Mädchen nur mit einem Shirt bekleidet war, und am ganzen Körper zitterte. Anneke musste so schnell es ging über den Plattenweg rasen, bis zum Haus ihres Onkels. Sie konnte sich jetzt nicht auf das Mädchen konzentrieren, ihr nicht helfen. Erst in Sicherheit sein, dann kann man entscheiden, wie es weitergeht. Nur noch bis zur Töpferei, dann rechts auf das Gutsgehöft. Dort links neben einem ehemaligen Stall, wohnte Onkel Alois. Damals, als Annekes Eltern tödlich verunglückt waren, nahm Alois das Kind zu sich nach Götemitz. Weil niemand Anspruch auf das leerstehende Haus erhob, kaufte er es und richtete es nach und nach mühsam her. Seitdem wohnten beide dort, direkt am Guts Park. Im Dorf ging das Gerede, dass es in dem Haus spuken solle. Wahrscheinlich wollte es deshalb niemand, außer Alois. Vielleicht stammte das Gerücht aus der Zeit vor etwa hundert Jahren, als ein Totengräber hier lebte, dem man nachsagte, wenn es nichts zu beerdigen gab, sorgte der für die nächste Leiche. Jedenfalls hatte dessen Geist sich so lange Anneke in diesem Haus wohnte, noch nie bemerkbar gemacht. Vielleicht zollte der Verstorbene seinem Berufskollege Alois Respekt, schließlich war auch der ein Totengräber. Die Menschen im Dorf und Umland begegnete ihrem Onkel freundlich. Jedem war klar, er würde der Letzte sein, der Hand an sie legt. Wenn ihn jemand fragte: »Alois, wird dir die Arbeit nicht langsam zu schwer, immerhin bist du schon über sechzig.« Dann lachte er schelmisch und verwies auf seine Schippe: »So lange die nicht schlapp macht, bleibt es bei Handarbeit. Ich habe jedes Grab mit Respekt für den Verstorbenen ausgeschaufelt. Das ist die letzte Ehre und die sollte auch als solche angesehen werden. Auf den Friedhof gehört kein Bagger, der würde nur die Totenruhe stören.« Besonders Alois Äußeres war für dörfliche Verhältnisse etwas ungewöhnlich. Es gab Momente in ihrem Leben, vor allem, als sie noch ein Kind gewesen war, da schämte Anneke sich manchmal für sein Aussehen. Das war lange her, inzwischen fand sie es cool. Sein Schulter langes, graues Haar bändigte er mit einem Tuch um die Stirn. Vielleicht fehlten ihm inzwischen einige Zähne, und deshalb kniff er die Lippen beim Reden etwas zusammen. Sicher hoffte er, dass diesen Verlust niemand bemerkt. Anneke hatte sich vorgenommen, mit ihm darüber zu reden. Auch sein rotblonder, brustlanger Bart wurde immer lichter. Anneke bemäkelte: »Onkel Alois, dein Bart sieht aus, wie ein Huhn in der Mauser:« Er hatte ihr lachend einen Klaps auf ihren Hintern gegeben und geantwortet: »Wer mich liebt, nimmt ihn in Kauf.« Da Anneke zu diesem Zeitpunkt fest überzeugt war, dass Alois ein asexuelles Wesen sei, er nur sie liebte, versicherte sie ihm schnell, dass sie ihn trotz Mauser Bart lieben würde.


Susen Peters ermittelt

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