Читать книгу ein ungeklärter Mord - Iris Bleeck - Страница 10
Emma
ОглавлениеErst als Irmi sich langsam über die Dorfstrasse entfernt hatte, dämmerte es Emma, dass sie mit dem Umzug in die Stadt, auch die Nähe zu Groothe verlieren würde und Hansi seinen geliebten Lehrer.
Sie mochte Groothes Nähe. Er schien so anders als Willi, der oft übellaunig und grob zu ihr und dem Kind war. Der zu laut lachte, als ob er darauf bestehen würde, gehört zu werden. Groothe dagegen wurde nie laut, vielleicht fürchtete er sich, als Krüppel von den Menschen nicht ernst genommen zu werden? Der Schmerz, den Emma bei diesem Gedanken empfand, war ungewohnt und fremd für sie. Etwas zog an ihr, dass sie nicht einordnen konnte und das sie unsicher machte. Um sich abzulenken, lief sie zum Schulhaus, um in Groothes Privaträumen zu putzen. Jedes Kleidungsstück von ihm nahm sie in ihre Hände, roch daran, wie etwas, dessen Spur man aufnehmen und nicht mehr verlieren möchte. Bis zu diesem Moment war ihr nicht bewusst gewesen, wie sehr sie ihn mochte. Durch dieses Begreifen verging ihr augenblicklich die Freude über den Umzug in die Stadt, und sie fragte sich, würde ich nicht weiterhin jeden Morgen um vier Uhr meinen Mann wecken und seine Brote bereiten wollen, um ihn dann mit einer flüchtigen Umarmung in den Morgen hinauszuschicken? Nun erst wurde ihr klar, dass sie schon lange nicht mehr auf ihn wartete. Irgendwann war Willi am Abend wieder da, wenn sein Fahrrad auf dem Hof stand, und er laut sein Essen einforderte. Oder er kam erst in der Nacht. Auf Emmas Nachfragen antwortete er, wenn überhaupt, dann übellaunig, das es eine Doppelschicht gab. Jetzt fühlte sich Emma hilflos und überfordert. Was sollte sie mit dieser Genehmigung anfangen? Willi hatte den Antrag gestellt, und Emma konnte das Stück Papier nicht spurlos verschwinden lassen. Aber es gab einen Lichtblick. Diese Bewilligung bedeutete nicht, dass sie sofort Wohnraum in der Stadt bekämen, nur weil ihr Name auf der Warteliste stand. Jeder wusste, das konnte dauern, ein bis zwei Jahre, so hoffte sie. Emma fühlte sich bei diesem Gedanken erleichtert. Wer weiß, was dann sein würde. Obwohl sie erst letzte Woche Groothes Bettwäsche gewechselt hatte, tat sie es heute erneut.
Dabei hielt sie dieses Bild, das auf Groothes Nachttisch stand, in ihren Händen. Es zeigte ein kleines Mädchen, das schüchtern, mit im Schoss verschränkten Händen, vor einem blühenden Strauch stand. Noch während sie das Glas abwischte, schien das Mädchen zu lächeln. Emma hatte es noch nicht gewagt, Groothe zu fragen, ob das Kind vielleicht seine Tochter ist. Instinktiv spürte sie, dass dieses Mädchen eine wichtige Rolle in seinem Leben einnahm, sonst hätte er das Bild nicht so nah bei sich.