Читать книгу ein ungeklärter Mord - Iris Bleeck - Страница 3
1948
ОглавлениеEs war ein verdammt kühler Morgen, einer von diesen eisigen März-Tagen, an denen selbst hartgesottene Fischer lieber unter dem warmen Federbett geblieben wären. Ein besonderer Tag sollte es für die Männer werden, da erst kürzlich die sowjetische Kommandantur das Fischen auf See wieder genehmigt hatte. Lange, zu lange, hatten sie auf diesen Moment gewartet. Gustav, der älteste von ihnen, tönte laut: „Ich müsste schon tot umfallen, bevor mir jemand das Fischen verbietet.“ So kam es, dass sie in all den Jahren des Verbotes, nachts illegal Reusen aufstellten, immer mit der Angst im Nacken, entdeckt und dann verhaftet zu werden. Als sie das Schleppnetz in der Binzer Bucht der Insel Rügen auswarfen, war die Stimmung gut. Auch der Wind hielt sich gnädig bei Stärke drei bis vier. Ihnen war, als ob mit dem Netz ein Teil der Anspannung der letzten Jahre mit auf den Meeresboden sank.
Zuhause, im Seebad Baabe warteten die Ehefrauen. Sie hatten in Kiefernwäldern auf Vorrat Kienäpfel gesammelt, genug um einige Räucherkammern zu füllen. Bennos resolute Frieda hatte sich im März 1945 als Flüchtling von Ostpreußen nach Rügen durchgekämpft. Mit nicht viel mehr im Gepäck, als dem von Generation zu Generation ererbten Wissen, wie man den besten Aal auf den Markt bringt. Auch sie wartete auf den Tag, an dem offiziell geräuchert und verkauft werden durfte. Frieda war es, die den Männern beigebracht hatte, den Aal im Rauch von Buchenholz und Kienäpfeln zu garen. Das brachte den wirklich guten Geschmack. Benno pflegte bei solchen Gelegenheiten zu sagen: „Der Krieg hatte auch etwas Gutes, ohne ihn hätte ich keine Frieda.“ Nach gut zwei Stunden hievten die Männer das prallgefüllte Netz an Bord.Erwin war der erste der sich übergeben musste. Obwohl er als ehemaliger Soldat vertraut mit Sterben und Tod war, empfand er dass, was er in dem Netz sah, als Störung seines friedlichen Alltages, als Sabotage an ihrem Fang. Eingebettet zwischen Heringen, Dorschen und Hornhechten, lagen die sterblichen Überreste einer männlichen Leiche. Nach dem ersten Entsetzen, steckten die drei Männer ihre Köpfe zusammen und beschlossen, den Toten dem Meer zurückzugeben.
Sie waren eine eingeschworene Gemeinschaft, befreundet seit Kindertagen, konnten sich auf einander verlassen. Schon ihre Väter hatten zusammen gefischt. Wem sollte dieser ganze bürokratische Kram nutzen, der auf sie zukommen würde, wenn sie die Leiche an Land abliefern? Die Russen würden sie verhören, und das endlich in ruhige Bahnen gekommene Leben wäre unter Umständen wieder in Gefahr. Sicher lag der Mann schon längere Zeit im Wasser. Vielleicht vermisste ihn niemand, oder er war von seiner Familie längst für tot erklärt. Der Krieg hatte unzählige Opfer gefordert, was war da schon ein Toter? Sie beschlossen, hier im Meer hatte er eine gute Ruhestätte.
Für die Fischer war es Verlust genug, bereits auf der ersten Fahrt, den Inhalt des Netzes wieder zurück ins Meer zu werfen. Den Toten loszuwerden, das bedeutete gleichzeitig den Verzicht auf den Fang. Keiner von ihnen hätte jetzt noch ein Stück davon essen können. Sie waren sich einig und schwuren, niemanden etwas zu sagen. Gustav goss jedem einen tüchtigen Schnaps ein. Dann gaben sie mit Gott, den Fang und die Leiche dem Meer zurück.
Für heute hatten sie genug von der Fischerei. Nur noch weg von dieser Position. Vielleicht konnten sie in den ausgelegten Reusen noch reichlich Aale holen. Irgendetwas mussten sie mitbringen, damit kein Verdacht geschöpft, die Wahrheit nicht ans Licht kommen würde. Zwölf Jahre später 1960, erschien folgende Meldung in der Rügener Ostsee Zeitung: Vor einigen Tagen fischte eine Kutterbesatzung in der Binzer-Bucht die knöchernen Überreste einer Leiche aus dem Meer. Da sich der männliche Tote schon viele Jahre im Meer befunden haben muss, waren weitere Feststellungen nicht möglich. Nach Recherchen gab es keine Vermisstenanzeige zu diesem Fall. Der unbekannte Tote wurde auf dem Sassnitzer Friedhof anonym beigesetzt.