Читать книгу ein ungeklärter Mord - Iris Bleeck - Страница 5
Irmi
ОглавлениеDas Mädchen Irmi war bemerkenswert schön anzusehen. Ihre langen blonden Zöpfe warf sie kess in den Nacken, während sie mit Grazie durch das Dorf schritt. Die Jungen umschwärmten sie, überboten sich mit kleinen Liebesgaben. Trugen täglich ihren schweren Schulranzen. Jeder von ihnen wollte es tun. Aus den Nestern geplünderte Kräheneier, ein selbstgefangener Hecht, die ersten gelb blühenden Winterlinge, damit versuchten die Buben ihr Herz zu erobern. Jeder wünschte sich eines Tages sagen zu können; Ich gehe mit Irmi. Die Mädchen im Dorf betrachteten sie mit Argwohn, intrigierten, hetzten die Jungs gegen einander auf, oder mühten sich durch Freundschaft mit Irmi, einen Hauch ihrer Magie zu erfahren. Sie blieb immer ein wenig fremd in dieser Gemeinschaft und im Elternhaus. Wahrscheinlich hatte sich ihr Vater einen Sohn gewünscht, der später den Bauernhof übernehmen sollte. Irmi aber konnte keine Leidenschaft für diese Arbeit entwickeln. Wenn sie den Schweinestall betrat, überkam sie regelmäßig Übelkeit, was der Vater als Vorwand ansah. Er zwang sie trotzdem auszumisten. Fürchtete wohl, sie könne vom rechten Weg abkommen. Oft sah man sie danach am Bach, wie sie sich wusch, um sich dann hinter Holunderbüschen, an deren süßlichen Blütenduft sie sich im Frühling berauschte, zu verstecken.
Das war die Zeit, in der sie Gott und die zu langsam verstreichende Zeit anflehte, ihr zu helfen, schneller älter zu werden. Erwachsensein das war ihr Ziel und Zauberwort. Endlich wollte sie die Freiheit genießen, aus diesem Dorf weggehen zu können. Vielleicht waren inzwischen zwei Jahre vergangen, oder auch ein bisschen mehr, seit Irmi als Sekretärin im Krankenhaus in der kleinen Hafenstadt Sassnitz, die damals noch kein Stadtrecht hatte, arbeitete. Im Dorf verlor sich derweil ihre Spur, wie eine sanfte Welle, die einen in den Sand geschriebenen Namen auslöscht. Kaum jemand sprach noch von ihr. Zur Überraschung aller kehrte sie vor einer Woche zurück, ohne etwas von ihrem Zustand zu verraten. Das sie fülliger geworden war, ließ alle Spekulationen offen. Erst mit den einsetzenden Wehen beugte sie sich der Tradition, im Bett der Mutter zu gebären. Wie viele Frauen ihrer Familie es vor ihr durchgemacht hatten, wer wollte es nachzählen? Nur die in Stein gehauenen Inschriften auf dem kleinen Friedhof, gleich neben der roten Backstein-Kirche, erinnerten flüchtig an deren Schicksal. Als Martha fluchend mit hochkrempelten Ärmeln auf der Dorfstraße zu Mertens Haus unterwegs gewesen war, begegnete ihr Mathis. Neugierig spottend, fragte er: „Na, Martha, wen von uns machst du heute zum Vater? Hier bleibt wenig verborgen, die Häuser haben dünne Wände, du solltest es doch wissen.“ Ärgerlich drehte Martha sich zu ihm. Was wusste sie schon von Irmis Liebesleben? Sie konnte nur mit den Schultern zucken, und keine Auskunft geben. Um überhaupt etwas zu antworten, meinte sie: „Die meisten Menschen werden nachts gezeugt, und kommen auch nachts auf die Welt, Mathis. Es ist geradezu unanständig, dass Irmi sich am Tag ins Bett legt, um ihr Kind zu gebären, während mein Schweinebraten jämmerlich im Ofen vertrocknet. Mathis hatte verständnisvoll genickt, dann schnell seine Schritte beschleunigt. Das war eine Neuigkeit mit der niemand gerechnet hatte. Ausgerechnet Irmi!