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Kapitel 2 – Sehnsüchtige Träume


Kleine bauschige, schneeweiße Wölkchen zieren einen hoffnungsvollen dunkelblauen Aprilhimmel. Bäume tragen ihre üppige rosa und weiße Blütenpracht selbstbewusst zur Schau. Vereinzelte Blütenblätter tanzen verspielt-fröhlich durch die süßlich duftende Frühlingsluft und lassen sich zärtlich auf das satte dunkelgrüne Gras nieder.

Inmitten dieser prachtvollen, verschwenderischen Schönheit steht ihre zierliche Gestalt. Ein kurzes Kleid schmückt ihren betörenden Leib – so weiß wie die uns umgebenden abertausenden Apfelblüten. Das goldene Haar umrahmt ihr engelsgleiches Gesicht. Dunkelblaue in meine Seele zu blicken vermögende Iriden, so strahlend wie der Himmel über uns, lassen mein Herz höherschlagen.

Ich fasse nach ihrer behandschuhten Hand. Rosa Lippen treffen auf meine. Meine Finger vergraben sich in ihr Haar. Ein süßer Seufzer bringt mein Herz zum Rasen. Behutsam leite ich sie zu Boden – keine Sekunde von ihr ablassend –

»Jan?«

Er schreckte hoch – und schlug sich den Kopf an der Dunstabzugshaube.

In drei Teufels Namen.

Tina beäugte ihn besorgt. »Hast du dich verletzt?«

»Nein … nein.« Kopfschüttelnd fuhr er sich durchs Haar. »… es geht schon.«

»Wo warst du mit deinen Gedanken? Ich habe dich fünfmal gerufen.« In ihren Händen hielt sie einen Stoß schmutziges Geschirr.

»Ich äh … stell die Teller gleich –« Sein Blick huschte über hochgetürmte Fleisch- und Suppenteller, Kaffeetassen, Pfannen und Unmengen Besteck, das längst abgewaschen gehörte.

»Genau darüber wollte ich mit dir sprechen«, kam es leicht genervt aus ihrem Mund. »Ich habe keinen Platz mehr zum Hinstellen. Und langsam fallen mir die Hände ab.«

Eine Welle Adrenalin brachte sein Herz zum Pumpen. »Tut mir leid. Ich bin heute nicht sonderlich gut drauf.« Hastig griff er nach zwei großen Pfannen und ließ diese in das mit stark schäumendem Geschirrspülmittel versetzte warme Wasser des Edelstahlspülbeckens gleiten.

Er musste seine Träumereien auf heute Abend verschieben, ehe er sich in ernsthafte Schwierigkeiten brachte …

Für seine Ohren wie gewöhnlich einen Tick zu laut, stellte Tina die Teller auf den frei gewordenen Platz. »Das wären die Letzten.«

Mit geübten Händen fing er an, die größere der zwei Pfannen zu schrubben. »Haben die Gäste sich in ihre Zimmer begeben?«

»Nein, die machen einen Spaziergang.« Es folgte eine Kunstpause, in welcher Jan sich bereits gut vorstellen konnte, wie Tina ihr hübsches Gesicht verzog. »Bei dem scheußlichen Wetter! Unglaublich.«

Unvermittelt huschte ihm ein sanftes Lächeln über die Lippen.

Sie hatte den Schnee noch nie sonderlich viel Positives abgewinnen können.

»Wie verrückt muss man sein, jetzt freiwillig vor die Tür zu treten?« Dies sagte sie in einem Ton, als würde draußen der Tod auf eine jede arme Seele warten, die sich bei einem solchen Wetter hinauswagte.

Neue schmerzhaft scheppernde Geräusche brachten Jan beinahe dazu, die Ohren zuzuhalten. Darauf folgte ein Türenknallen der Küchenkästen, worauf er seiner Kollegin mit dem frechen roten Kurzhaarschnitt einen schnellen Blick zuwarf.

Unerheblich wie oft er es in seinem Leben zu ignorieren versucht hatte, der ruppige Umgang mit Gegenständen tat ihm ohne Ausnahme in der Seele weh. Selbst, wenn solch robuste Alltagsgegenstände wie Pfannen oder loses Besteck weggeräumt wurden.

Es war ein blitzartiger silberner Schmerz, der von seiner Brust aus durch seinen Magen rauschte und in Beinen und Armen ein abruptes Ende fand.

Jan verlor niemals ein Wort darüber.

Zu schwer wog die Furcht, auf eine ähnliche Weise gehänselt zu werden, wie von seinen einstigen Schulkollegen.

In ferner Vergangenheit und in einer unbedachten Minute hatte er einen seiner guten Freunde und Klassenkameraden gebeten, das Wasserglas nicht solcherweise laut auf den Tisch zurückzustellen – erstens, weil es ihm stets in den Ohren wehtat und zweitens, weil ihm das Glas leidtat.

Hätte er dieses zweite Argument niemals laut ausgesprochen!

Ab diesem Zeitpunkt hatte er seine ohnedies spärlichen Freunde verloren, und war zu allem Übel angesehene Zielscheibe für Neckereien der eigenen und der Parallelklasse geworden.

»Der Dinge-Liebhaber« hatten sie ihn geschimpft. »Der verrückte Jan« oder »der Glasophile« waren weitere Spitznamen, welche er erhalten und sich bis zum Ende der Schulzeit hatte anhören müssen – nebst anderen erfundenen Ansichten und aufgezwungenen, nicht existenten Charaktereigenschaften …

Obgleich es eine unwahrscheinlich harte Zeit dargestellt hatte, wollte er sie nicht aus seinem Leben streichen. Sie gehörte zu ihm. Sie hatte ihn zu der Person gemacht, welche er heute darstellte. Sie war ihm eine große Lehre gewesen. Eine Lehre, darauf zu achten, was er sagte und wie er es sagte. Eine Lehre, Menschen nicht blind zu vertrauen. Eine Lehre, nicht von sich selbst auf andere schließen zu dürfen.

Aber die wichtigste Lehre stellte nach wie vor die folgende dar: Mobbing war heimtückisch – ja, tödlich. Es raubte dir deine Freude, dein Vertrauen, deine Unbeschwertheit, dein Glück und deine Fantasie.

Jan wusste, wovon er sprach, schließlich hatte er Jahre gebraucht, um sich von den Schikanen der Schulzeit zu erholen, neues Selbstwertgefühl sowie Vertrauen aufzubauen.

Im Grunde genommen kämpfte er nach wie vor damit.

Zu jener Zeit hatte er sich etwas geschworen: Niemals mehr würde er Mobbing zulassen – weder bei sich selbst noch bei anderen.

Man konnte ihn schüchtern nennen, oder einen Trau-mich-Nicht – bei Mobbing allerdings hatte er stets die Stimme erhoben. Manchmal mit mäßigem, manchmal mit großem Erfolg. Manchmal hatte er auch den Kürzeren gezogen. Doch das war ihm gleich. Von seinem Standpunkt rückte er keinen Zentimeter ab. Nicht, solange er lebte.

»Nun, dergestalt schlimm ist das Wetter nun auch nicht«, erwiderte er, Tinas Arbeitsweise und seine Erinnerungen ignorierend und sich wieder auf den Abwasch konzentrierend. »Die Natur sieht doch schön aus, wenn sie mit dieser weißen Pracht zugedeckt wird.«

»Die Eiseskälte und das grauenhafte gefrorene Zeugs, das dir die ganze Zeit in dein Gesicht weht? Nein danke!«

Jan verstand sie nicht.

Er liebte den Schnee. Seit jeher. Das Funkeln in der Sonne. Der metallische Geruch vor einem Schneesturm. Die dicken durch die Luft wirbelnden Schneeflocken …

Was gab es da an Schönheit Vergleichbares?

Gedanklich seufzend fiel ihm lediglich eine Sache ein: die wahre Liebe.

Mit seiner wahren Liebe bei solch einem Wetter eng umschlungen einen Spaziergang machen – dies konnte an Romantik nicht überboten werden.

»Ich würde gern rausgehen«, murmelte er, das schmerzende Gefühl der Einsamkeit unterdrückend.

»Nachdem das Abendessen beendet ist«, schlug seine Kollegin vor und warf lautstark eine weitere Schranktür zu. »Kannst du ja eine Runde drehen.«

Leider fehlte ihm dazu die passende Begleitung …

»Mhm.«

»Beeilt euch!«

Ein sanfter Adrenalinausstoß brachte Jans Herz abermals in Schwung.

Der Chefkoch.

»So lange habt ihr schon lange nicht mehr gebraucht. Macht euch das Wetter zu schaffen?« Der dunkelhaarige fünfundvierzigjährige großgewachsene schlanke Mann griff nach einem langen Suppenschöpfer. »In zwei Stunden muss das Abendessen fertig sein.«

»Übertreib nicht so, Cheffe«, erwiderte Tina keck. »Wir sind nicht langsamer als sonst!«

Tina liebte es, Christof Paroli zu bieten. Die beiden neckten sich ohnehin täglich, sich wohl gewahr, vom anderen stets das Beste zu halten. Sie waren ein eingespieltes Team, darum durfte Tina sich diesen frechen Umgangston erlauben.

Jan hingegen hätte sich nie angemaßt, auf eine solche selbstsichere, aufgeweckte Weise zu antworten – dafür war er grundsätzlich zu schüchtern. Darüber hinaus wollte er sich nicht unbeliebt machen oder negativ auffallen. Ihm war es lediglich wichtig, einen Job zu haben, in welchem er von seinen Kollegen akzeptiert wurde und sich wohlfühlte.

Alles andere war Nebensache.

Er fasste nach den Fleischtellern. »Wie lange noch bleibt die Hochzeitsgesellschaft?«

Als der Hotelchef vor einigen Tagen von einer dreißigköpfigen Hochzeitsrunde erzählt hatte, welche eine Trauung in einem derart abgelegenen Dörfchen wie das ihre veranstalten wollte, war Jan zu allererst von einem Scherz ausgegangen.

Wer bitte schön heiratete auch im Januar?

Die schönste Zeit stellte nach wie vor der Frühling dar! Blühende Pflanzen, wohin man sah, angenehme Temperaturen und ein leichter Wind, welcher die langen Haare der Braut zum Wehen brachte.

»Morgen reisen die ersten Personen wieder ab.«

Stirnrunzelnd drehte er sich zu Christof. »Wann haben sie denn geheiratet?«

Es war ihm nicht aufgefallen, wie die gesammelten Gäste sich in die vom Hotel einen Kilometer entfernte Kirche begeben hatten. Und überhaupt: Wie war die Braut durch den Schneesturm gestapft … mit wallendem Schleier und Highheels?

Tinas kehliges Kichern erklang. »Na, heute.«

»Wirklich?« Mit warm werdenden Wangen blickte er zu seiner Kollegin. »Das habe ich nicht bemerkt.« Neuerlich das Bild einer durch Sturm und Schnee kämpfenden Frau vor sich sehend wandte er sich wieder dem Abwasch zu.

Tina trat zu ihm und tippte ihm auf die Stirn. »Du warst mit deinen Gedanken wohl wieder irgendwo am anderen Ende der Galaxie.«

Himmelherrgott!

Dies bewies einmal mehr, dass seine kleinen gedanklichen Ausflüchte allmählich ein ungesundes Maß erreichten.

»Ja, wahrscheinlich«, gab er kleinlaut zurück.

Allerdings konnte und durfte ihm dies niemand verübeln!

Was war ihm neben seinen Träumereien noch geblieben?

Tagein, tagaus arbeitete er als Kellner und Abwäscher, einzig um seine Schulden zu tilgen, welche durch seinen gefloppten Roman entstanden waren.

Dabei hatte alles unwahrscheinlich zuversichtlich ausgesehen: Ein renommierter Verlag hatte seinen Roman angenommen – ihm einen Durchbruch zugesichert. Er hatte es geglaubt und in weiterer Folge einen Kredit aufgenommen, um die horrenden Verlagskosten, welche sich aus Druck, Lektorarbeit und Vermarktung zusammensetzten, bezahlen zu können. Zwar verkaufte sich das Buch – selbst jetzt brachte es ihm etwas Geld ein – jedoch bei Weitem nicht genug, um davon leben zu können, geschweige denn den Kredit abzubezahlen.

Jan griff nach dem Spülmittel und drückte etwas von der gelben Flüssigkeit auf den grünen Schwamm.

Nach einigen Monaten – als die Verkaufszahlen einfach nicht weiter ansteigen und ihm keine Ideen für einen neuen Roman einfallen wollten – musste er sich eingestehen, dass die Sache mit der Schriftstellerei damit ein jähes Ende gefunden hatte. Spätestens die Raten, welche er nicht mehr abzubezahlen vermochte, drängten ihn – trotz gewaltigen Widerstandes seiner damaligen Verlobten und Jugendliebe – einen Job als Kellner in einer Schnellimbiss-Kette anzunehmen. Jeden Tag, sieben Tage die Woche hatte er geschuftet und damit nicht bloß seinen Jugendtraum aufgegeben, sondern letzten Endes seine große Liebe verloren, die ihn aufgrund nicht mehr gemeinsam verbrachter Freizeitaktivitäten wie Tanzen, Schwimmen, Ausgehen, Shoppen sowie den Verlust seiner finanziellen Stabilität den Laufpass gegeben hatte.

Gedanklich seufzend schwemmte er den Teller ab.

Jeder Mensch musste einmal arbeiten gehen! Weshalb hatte sie diesen Umstand dazu benutzt, ihn zu verlassen? Schließlich hatte er sich stets mit ihr beschäftigt, ihr all die Zuneigung und Liebe entgegengebracht, die sie wollte und die sie brauchte!

Ihr Argument bezüglich seiner finanziellen Situation verstand er jedoch am wenigsten – selbst jetzt brachte sie ihn um den Schlaf. Damals hatte sie zu seinem Heiratsantrag Ja gesagt. Wenn sie ihn dermaßen geliebt hatte, hätte Geld streng genommen an zweiter Stelle stehen müssen, oder etwa nicht?

Jäh fiel ihm ein weiterer Trennungsgrund ein, welchen seine Verflossene ihm brühwarm und gefühllos ins Gesicht geschleudert hatte –

»Jan, träumst du schon wieder?« Tinas Stimme zerriss jegliche Erinnerungen und entfesselte in ihm einen mittelschweren Adrenalinausstoß.

»N … nein.« Mit zitternden Händen setzte er den Abwasch fort. »Nein.«

Was war heute denn los mit ihm?

Hatte er etwa einen Moralischen? Oder lag es tatsächlich bloß am stürmischen Wetter, welches das Feuer der Sehnsucht nach der wahren Liebe in ihm schürte?

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