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Kapitel 5 – Eierspeise für Schüchterne

Nachdem ich den Koffer vollständig ausgepackt hatte, machte ich mich auf zur Theke.

Wie ausgemacht fand ich Walter dort vor, ein kleines dunkles Bier in der Hand, den Barkeeper bequatschend – so man den jungen Mann mit der stämmigen Figur, den kurzen schwarzen Haaren und dem Trachtenoutfit benennen durfte.

»Ah, da kommt sie ja endlich!«, rief mein Retter und hob das Bier in die Höhe. Ein Blick zum Barkeeper folgte. »Das ist Lisa. Sei bloß nett zu ihr!«

Letztgenannter nickte mir zu. »Willst du etwas trinken?«

Lächelnd setzte ich mich auf einen der aus Vollholz bestehenden dunkelbraunen Barhocker. »Nur Leitungswasser –« Ich stockte. »Wenn das denn geht. Ich mag Mineralwasser nicht besonders.«

Wie oft hatte ich ob dieser Bestellung schiefe Blicke geerntet oder mir dumme Sprüche anhören müssen?

»Kein Problem.« Er zwinkerte mir zu, fasste nach einem Glas und füllte es. »Du kommst wohl aus der Stadt.«

»Du meinst wegen des Wassers, oder?«

»Ja … In den Städten ist es normal, Leitungswasser nicht mehr anzubieten, weil die Wirtshäuser damit nichts verdienen … Aber wir –« Mit stolzen Gesichtszügen und einer gleichermaßen ausladenden Körpersprache stellte er das Wasser vor mich auf den polierten dunklen Holztresen. »Machen da nicht mit.«

»Einmal kein Kommerz? Das gibt es selten.«

Und einmal mehr ertappte ich mich dabei, wie ich völlig ungezwungen meine Gedanken laut aussprach.

Halte dich zurück. Halte dich ein wenig zurück.

»Hier ist die Welt noch in Ordnung«, warf Walter fröhlich ein und prostete mir zu. »Deshalb kommen die Leute so gerne auf Urlaub hierher.«

Ich erwiderte die Geste und trank einen Schluck. »Kann ich mir gut vorstellen. Soweit ich bisher gesehen habe, ist euer Dorf ein richtiges kleines Juwel … versteckt und abgelegen … ich muss zugeben, mir ist bisher nicht einmal die Seitenstraße aufgefallen … geschweige denn die Tafel mit dem Ortsnamen auf der Hauptstraße.«

Walter nickte stolz. »Wir sind sogar auf der UNESCO Liste vertreten.«

Der Barkeeper schmunzelte. »Ja, aber leider nur in Form des alten Dorfbrunnens.«

Ich konnte gar nicht anders, als laut aufzulachen.

Wie er es gesagt hatte – sarkastisch wie fröhlich zugleich – es klang unglaublich witzig.

Lach nicht so laut!, hallte es mir durch den Kopf. Das hört man ja bis hinaus auf den Gang!

Gleichermaßen schnell, wie mir diese peinliche Gefühlsregung herausgerutscht war, unterdrückte ich sie wieder.

Verflixt!

Diese Leute kannten mich nicht … und ich kannte sie nicht. Und dann lachte ich hier unverschämt laut auf. Das war nicht eben die feine englische Art …

Unangenehme Gefühle geboren aus Erinnerungen vergangener Erlebnisse und hochzüngelnde Scham verdrängend trank ich einen weiteren Schluck.

Abermals war ich drum und dran, mich in nicht einmal fünf Minuten bis auf die Knochen zu blamieren –

»Und die große fünfhundert Jahre alte Kirche auf der Anhöhe«, wurden meine Gedanken durch eine jugendlich-sanfte wie unsicher klingende Männerstimme unterbrochen, welche anscheinend hinter meinem Rücken ihren Ursprung fand. Der unterschwellige warme Ton entfesselte eine leichte, langsam über meinen Rücken bis in meinen Nacken kriechende Gänsehaut, wodurch mein Puls unweigerlich an Geschwindigkeit zulegte.

Wie mir schien, hatte ich heute wahrhaftig ein wenig zu viel Aufregung erfahren. Anders konnte ich mir meine törichte körperliche Reaktion kaum erklären.

Obgleich ich den unbekannten Mann hinter mir ignorieren wollte, stieg eine leichte Neugier in mir hoch.

Wie sah die Person aus, deren Stimme mich solchermaßen berührte?

Langsam drehte ich mich um – und für die nächsten Momente stand die Welt still.

Mittellange im schummrigen Schein der Barbeleuchtung goldbraun glänzende Haare. Niedlich-zarte Gesichtszüge. Olivgrüne mich durchdringend musternde Augen … Ich konnte ihre Form nicht bestimmen. Weder waren sie länglich noch rund, jedoch unsagbar klar – schön … beinahe zu schön für einen jungen Mann.

Ich blickte etwas genauer hin. Nein, olivgrün beschrieb es nicht richtig. Eher Grasgrün. Oder Zartgrün … gar Moosgrün?

Ich wusste es nicht mehr.

Ich wusste gar nichts mehr. Lediglich eines war mir klar: Ich vermochte es nicht, mich von diesen elysischen Augen loszureißen.

Ebenso wenig vermochte ich es, diese neuen über mich hereinbrechenden mir gänzlich unbekannten Empfindungen zu benennen oder zu unterbinden.

Sie lähmten mich gleichermaßen, wie sie mich aufwühlten. Sie umschlangen mein Innerstes, kurbelten meinen wilden Herzschlag nochmals kräftig an, erleichterten und schützten mich.

Reiß dich zusammen!

Es gelang mir partout nicht zu sagen, wie lange ich den Mann schlussendlich angestarrt hatte. Oder ob oder wie er darauf reagierte, war ich doch weiterhin viel zu sehr damit beschäftigt, seine unbeschreiblichen Augen zu betrachten. Augen, in welchen ich ungeheuer viel zu erkennen glaubte … Und irgendwie auch nicht.

Ich fühlte mich verwirrt.

Einerseits war ich mir sicher gewesen, für den Moment eines Wimpernschlags unbändige Neugier, eine Art Tatendrang, kindliches Staunen, Mut, Ehrlichkeit und Hoffnung zu erkennen ebenso Unsicherheit, Furcht, Resignation und Traurigkeit. Aber jäh schienen all diese Emotionen wie verschwunden – als hätte jemand einen Schalter umgelegt.

Womöglich hatte ich es mir bloß eingebildet …

Menschen einzuschätzen gelang mir nie sonderlich gut. Dies bewies bereits mein nicht existenter Freundeskreis.

Ja, bestimmt hatte ich die vorhin erlebte gütige Freundlichkeit Manfreds nun auf diesen Menschen projiziert.

Nur, was hatte dazu den Anlass gegeben?

Ich wollte den Mann einer genaueren Prüfung unterziehen – doch auf Gedeih und verderb, es gelang mir nach wie vor nicht, meinen Blick von seinem zu nehmen.

Diese hellgrünen ehrlichen Augen … nein … dieses Licht in ihnen. Ja, dies hatte daran Schuld. Es lag gar nicht an der Form oder der Farbe – einzig an diesem strahlenden Licht, welches direkt aus seiner Seele zu kommen schien. Ein Licht, das ich in dieser Form noch nie zuvor erblickt hatte.

Es war eigenartig.

Üblicherweise sträubte sich alles in mir, wenn ich einen gänzlich fremden Menschen dergestalt lange und intensiv musterte. Hier hingegen geschah das exakte Gegenteil: Je länger ich ihn anstarrte, desto sicherer fühlte ich mich. Weder überkamen mich Scham, Furcht noch Zweifel oder Unsicherheit. Alleine Wärme spürte ich. Echte mein Herz erfüllende Wärme … nein … Geborgenheit, Sicherheit, Schutz … zu Hause.

Endlich bist du da. Wo hast du bloß solchermaßen lange gesteckt?

Durch diesen merkwürdigen Gedanken vollständig verwirrt, versuchte ich die vorhin getätigte Aussage des jungen Mannes aus meinen Erinnerungen abzurufen.

Es gelang mir beim besten Willen nicht!

Hatte dies ebenfalls mit dem Unfall zu tun? Womöglich ein nachträglicher Adrenalinausstoß, oder etwas Ähnliches?

»… was stehst du da, wie versteinert. Die Dame hat bestimmt Hunger. Bring ihr etwas.«

Manfreds allmählich in meinen Verstand vordringende Äußerung half mir teilweise, mich aus meiner Starre zu lösen.

»Nein … nein … Machen Sie sich bitte keine Umstände.« Nervös gestikulierte ich in des jungen Mannes Richtung. »Ich brauche nichts mehr. Außerdem ist es viel zu spät.«

»Red keinen Unsinn!«, widersprach Walter an mich gerichtet, ehe er wieder den Jüngling beäugte. »Bring ihr was! Sie hat genügend Aufregung gehabt. Da braucht sie jetzt was im Magen.«

Es verging ein Moment, bis der Mann eifrig nickte – seinen Blick nahm er zu keiner Zeit von mir. »Natürlich … was … was wünschen Sie denn?«

Ich vernahm die lachende Stimme des Barkeepers: »Ich wusste nicht, dass wir jetzt sogar Menüwünsche entgegennehmen.«

»Ich … nein … so meinte ich das nicht.« Er befeuchtete die schmalen Lippen, wollte weitersprechen, brachte aber kein einziges Wort mehr hervor.

Von einer Sekunde auf die andere fühlte ich mich hundeelend. Die gewaltige Scham des jungen Mannes schien komplett auf mich überzugehen.

Diese Situation war mir nicht fremd.

In den letzten Jahren hatte ich ein beinahe schmerzhaftes Talent dafür entwickelt, nervliche Anspannungen wahrzunehmen. Dies wirkte sich in zitternden Händen, manchmal sogar leichten Schweißausbrüchen und einem allgemeinen Unwohlsein meinerseits aus.

Dergestalt intensiv wie bei ihm hatte ich allerdings noch nie empfunden.

Strahlte er Empfindungen, verglichen mit anderen Menschen, stärker aus? Oder hatte ebenfalls meine eigene Lage Schuld daran?

Was es auch war: Ich kannte sein Gefühl … viel zu gut. Wenn man sich ohnehin unsicher fühlte, keine Fehler begehen wollte, in exakt dem Moment aber vollends den Faden verlor … es war fürchterlich. Es war grauenvoll. Es war entsetzlich.

Ich wollte ihm Mut zusprechen, ihn irgendwie dazu verhelfen, seine Nervosität zu verlieren. Letzten Endes blieben all meine Bemühungen, meinen Verstand in die Gänge zu bringen, nutzlos.

Es war wie verhext!

Eben erst hatte ich meinen Standpunkt ohne zu zögern darlegen können. Und nun wollte mir nicht einmal mehr ein einziges beruhigendes Wort einfallen …

Was war heute bloß los?

Ein Blick Richtung Esstische brachte mir den erlösenden Einfall.

Vielleicht sollte ich mir selbst einen schnellen Nachtimbiss zusammenrühren? Dann brauchte niemand mehr für mich zu kochen. Und der Kellner – das vermutete ich jedenfalls aufgrund der schwarzen Hose und des schneeweißen Hemds, welche der schüchterne Mann trug – musste nicht noch längere Zeit nach geeigneten Begriffen suchen, um dieser peinlichen Situation die Schärfe zu nehmen.

»Ich kann mir selbst schnell etwas machen«, schlug ich nach weiteren endlosen Sekunden vor. »Sie müssen sich nicht bemühen.«

»Um Himmels willen!« Schockiert schüttelte er vehement den Kopf. »Das geht nicht! Sie sind hier Gast! … Ich … ich werde sofort nachschauen, was wir noch dahaben.« Und damit rauschte er davon.

O nein … nein, nein, nein.

Weder hatte ich ihn über meine Nahrungsmittelunverträglichkeit in Kenntnis setzen können, geschweige denn ihn darüber aufklären, dass ich gar kein Gast, sondern eine Mitarbeiterin war!

Eine prickelige Erkenntnis jagte mir durch den Leib.

Ich drehte mich zu Walter. »Er wird nicht extra kochen, oder? … Das will ich nicht. Das ist unnötig. Außerdem –« Ich stockte.

Üblicherweise sprach ich nicht gerne über meine gesundheitlichen Probleme. Besonders nicht mit fremden Leuten. Da fühlte ich mich stets wie eine nach Mitleid verlangende alte Frau.

Mein mich neugierig taxierender Lebensretter verscheuchte sämtliche Sorgen.

»Ich meine … ich vertrage einige Lebensmittel schlecht bis überhaupt nicht. Wenn er mir nun etwas bringt, das ich nicht essen darf …« Ich räusperte mich. »Es wäre fürchterlich, wenn er umsonst kocht.«

Walter antwortete mit einem überraschten »Oh« und glitt dabei vom Barhocker. »Dann werde ich ihm das schnell ausrichten.«

Er ging los.

»Warte, ich komme mit!« Ich jagte ihm nach. »Dann kann ich ihm gleich erklären, was ich essen darf und was nicht.«

Sonst ergab dies alles erst recht keinen Sinn mehr!

Mir wurde es sekündlich unwohler.

Verflixt und zugenäht!

Diese blöden Hemmungen!

»Gute Idee!« Walter grinste mich an. »Du denkst wenigstens mit.«

Ob seiner Äußerung es mir unmöglich ein sanftes Schmunzeln zu unterbinden, folgte ich ihm durch den lang gezogenen Raum bis zum schmalen an der linken Seite gelegenen Durchgang, welcher Speisesaal und Küche miteinander verband.

Nun wusste ich wenigstens, wohin ich mich morgen Früh zu begeben hatte …

»Jan?« Walter trat in die Küche. »Wo bist du?«

Ein mir das Wasser im Munde zusammenlaufender köstlicher Geruch wehte mir entgegen.

Schluckend blickte ich mich um. Die Küche war gar nicht so groß, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Vielleicht an die fünfunddreißig Quadratmeter. Dafür wurde jeder Zentimeter ausgenutzt. Die sich von der linken bis zur rechten Seite durchziehende Anrichte präsentierte sich in glänzender Edelstahloptik. Ziemlich in der Mitte der Räumlichkeit stand ein von allen vier Seiten benutzbarer Edelstahltisch, über welchem unzählige Schöpfer, Messer und andere Kochutensilien hingen – ungeduldig darauf wartend, benutzt zu werden. Keinen Meter vor uns befand sich eine weitere schmale, quer stehende Anrichte, auf der aller Wahrscheinlichkeit nach Desserts zubereitet wurden. Dies bewiesen die oberhalb hängenden Kuchenformen sowie der auf der Arbeitsplatte abkühlende goldbraune Striezel.

Damit wäre auch geklärt, von woher der köstliche Geruch stammte.

Jäh tauchte der junge Mann hinter der länglichen Anrichte hervor. In seinen Händen hielt er eine ovale Schüssel.

»Brauchst du etwas Bestimmtes?« Des Jünglings Augen blickten ebenso fragend, wie seine Stimme klang. Es war unmöglich zu beschreiben, wie niedlich er dadurch anmutete.

Alsbald er mich bemerkte, verschwand dieser Ausdruck jedoch blitzartig und Befangenheit erschien. »Ich … ich bin gleich so weit.« Zögerlich stellte er die Eisenschüssel auf die Anrichte, den Blick gesenkt. »Ich muss bloß etwas zusammenrühren.«

»Erstens.« Walters strenge Stimmlage entfesselte mir einen leichten Adrenalinausstoß. »Seit wann kochst du? Zweitens, wo ist der Chefkoch überhaupt? Und drittens, bevor du anfängst, solltest du erst mit Lisa reden.«

Diese vielen Fragen brachten den jungen Mann gänzlich aus dem Konzept. Nach Erwiderungen ringend hielt er sich krampfhaft an der hingestellten Schüssel fest. »Der Koch …? Der ist fertig für heute … Wahrscheinlich befindet er sich bereits in seinem Zimmer und schläft … Deshalb dachte ich, schnell eine Kleinigkeit zusammen zu rühren.«

Er tat mir furchtbar leid. Wie erschrocken er aussah … War er etwa derart schüchtern?

Walters herzliches Lachen erklang. »Du und deine Unsicherheit! Also wirklich, Jan!« Bedächtig schüttelte der Schneepflugfahrer den Kopf. »So gut musst du mich jetzt aber schon kennen, dass das keine Kritik sein sollte.« Mein Retter wandte sich mir zu. »Er hat ständig Angst, etwas falsch zu machen, weißt du?«

Ich blinzelte.

Dann ging es ihm ja ähnlich wie mir!

Walter legte seine Hand auf meine Schulter. »Lisa hat Allergien, hat sie gesagt. Also solltest du dich mit ihr mal kurz unterhalten.« Er straffte die Gestalt. »So … und ich gehe jetzt zu meinem Bier zurück, sonst wird es noch warm.« Verschwörerisch zwinkerte er mir zu und verschwand in den Speisesaal.

Ganz lustig.

War das ein Scherz? Wollte er etwa …? Dachte er, ich hätte Interesse an dem Kellner?

Unangenehme Wärme kroch mir ins Gesicht.

O nein!

Nicht auch noch das!

Ich ertrug es nicht, vor anderen Menschen rot anzulaufen – insbesondere nicht vor mir gänzlich unbekannten Personen.

Was musste mir heute eigentlich noch widerfahren?

»Sie haben Allergien?«, brachte der junge Mann, welcher nebenbei erwähnt, ebenfalls ziemlich verstört wirke, entsetzt hervor. »Das ist ja furchtbar … Was dürfen Sie denn nicht essen?«

Krampfhaft versuchte ich, meiner stechenden Nervosität Herr zu werden. »Nun … sagen wir eher, was darf ich essen.« Ich drehte mich zum Striezel. »Ist der aus Weizenmehl?«

»Ja.«

Natürlich … was auch sonst?

Gedanklich seufzte ich. »Nun … den darf ich dann schon einmal nicht essen.«

»Ach du … Dabei wollte ich Ihnen ein Stück von diesem geben … mit Vanillepudding und Schokosoße.«

Bei dieser Vorstellung fing mein Magen lautstark zu knurren an. Das wiederum machte diese ohnedies fürchterlich beschämende Situation nochmals prekärer.

»Das klingt ja herrlich«, erwiderte ich eine Spur lauter, um meine Magengeräusche zu übertönen. »Nur leider darf ich auch keine Milchprodukte.«

Dabei liebte ich Pudding!

In der Zeit vor meinen Allergien hatte ich Milchprodukte für mein Leben gern verspeist. Speziell Joghurt, Milchshakes und Kakao.

Der stetig verzweifelter dreinschauende junge Mann schob meine Überlegungen beiseite.

»Nein, nicht auch das!« Nervös blickte er durch den Raum. Alsbald er einen gewissen Schrank anvisiert hatte, hellte seine Miene sich auf. »Wie wäre es dann mit Soja? Wir haben Sojamilch. Ich kann Ihnen damit einen Pudding kochen.«

Es erwärmte mein Herz … und ein weiteres Mal meine Wangen. Derartige Fürsorge von einem mir gänzlich fremden Mann … das erlebte ich heute zum ersten Mal.

»Leider … leider gibt es da noch ein Problem.« Allmählich wusste ich nicht mehr wohin mit meiner Scham. Dieser wunderbare Mensch versuchte alles, um mir etwas zu essen zu richten, und ich vertrug keine seiner genannten Zutaten. »Ich bin gegen Soja genauso allergisch wie gegen Milch und Weizen.«

Als der Jüngling dies vernommen hatte, hielt er inne – musterte mich bloß intensiv. Es lief mir im Sekundentakt heiß und kalt den Rücken hinab.

»Nun –« Unvermittelt eilte er zur linken Seite, öffnete einen Schrank, griff nach zwei Eiern und hielt sie mir entgegen. »Wie wäre es mit Eierspeise? Dürfen Sie Eier essen?«

Ich warf ihm ein erleichterndes Lächeln zu. »Ja, die darf ich.«

Meine Worte brachten sein Gesicht zum Strahlen. »Dann koche ich Ihnen diese ganz flott.«

»Warten Sie.« Ich trat zu ihm, und er machte einen Schritt auf die Seite. »Ich kann das selbst … Sie müssen sich nicht für mich abmühen.«

Das wäre ja noch schöner gewesen, wenn er mir zu dieser späten Stunde ein Essen kredenzt hätte! Er war lediglich der Kellner. Darüber hinaus beschlich mich die Vermutung, dass seine Schicht längst beendet sein sollte.

»Aber … aber das ist immerhin mein Job.«

Lächelnd streckte ich die rechte Hand zu ihm. »Geben Sie mir die Eier. Ich mache das gerne selbst.«

»Aber …«

Weshalb zierte er sich solchermaßen? Brachte ich ihn dadurch etwa in Schwierigkeiten? Durfte ich mich nicht in der Küche aufhalten?

Unsicherheit stieg in mir auf. »Ist es verboten, wenn ich mir das Essen selbst koche? Bekommen Sie Probleme, wenn ich hier bin?« Zwar klangen meine Zweifel laut ausgesprochen noch tausendmal unlogischer – immerhin half ich ab morgen in der Küche aus – andererseits reagierte dieser Mann derart seltsam, sodass ich allmählich selbst nicht mehr wusste, was ich denken oder wie ich mich verhalten sollte.

Er schüttelte sein hübsches Haupt. »Nein, überhaupt nicht.«

»Warum darf ich mein Essen dann nicht alleine kochen?«

»Weil ich dafür da bin.«

Nun war ich es, die den Kopf schüttelte. »Wie lange sind Sie schon auf den Beinen?«

Ich musste gestehen, normalerweise hätte ich einem fremden Menschen niemals eine persönliche Frage wie diese gestellt. Erstens trat ich ihm damit viel zu nahe, zweitens ging es mich nichts an.

Hier allerdings gab mir irgendetwas das Gefühl, es geradewegs zu tun. Dieser Mann wirkte nicht wie meine unfreundlichen Kolleginnen oder eine Person, welche andere gerne schikanierte oder beleidigte.

Er mutete einfühlsam an … und introvertiert.

Wie ich.

»Nun.« Der Jüngling hielt inne. »… seit circa sechs Uhr morgens.«

Ich atmete lautlos aus. »Dann wird es Zeit, dass Sie langsam ins Bett kommen. Es ist doch schon neun.«

Würde ich mich in seiner Situation befinden – ich wäre im Stehen eingeschlafen.

Ich brauchte meine acht bis zehn Stunden Schlaf – mindestens.

Er errötete. »Dann machen wir es anders.« Mit den Eiern in der Hand trat er zum rechts gelegenen Herd. »Kochen wir gemeinsam, dann sind wir am schnellsten.« Aus einem unteren Schrank zog er eine kleine Pfanne hervor, stellte diese auf die Herdplatte und schaltete sie ein. »Sie können die Eier aufschlagen … und ich hole die Zutaten. Sonst würden Sie bestimmt ziemlich lange danach suchen, oder?«

Meine Wangen erglühten.

Ich war so dumm! Wie kam ich auf die Idee, alleine zu kochen, wenn ich nicht einmal im Ansatz wusste, wo all die benötigten Küchenutensilien lagen und standen, um mir eine Eierspeise zuzubereiten?

»Da haben Sie wohl recht.«

Ein herzerwärmendes zartes Lächeln huschte über seine sanften Gesichtszüge. »Dann hole ich das Salz und den Pfeffer.«

Peinlich berührt gesellte ich mich zu ihm. »Ich brauche bloß Salz. Das reicht völlig.«

»Gut.« Er eilte auf die andere Seite.

Und ich wandte mich der Pfanne zu.

Fehlte noch etwas? Ja … die Butter.

Angestrengt hielt ich nach einem Kühlschrank Ausschau.

Wo war er nur? Die Kästen sahen sich alle zum Verwechseln ähnlich.

Das konnte in den kommenden Tagen ja noch heiter werden …

»Wo ist denn der Kühlschrank? … Ich bräuchte nämlich etwas Butter.«

Exakt gegenüber dem Herd öffnete der Mann eine mit Edelstahl verkleidete Schranktür. »Hier ist er. Man erkennt ihn beinahe nicht, oder?«

»Ja, alles sieht gleich aus. Wie lange haben Sie gebraucht, bis Sie sich gemerkt haben, wo sich all die Dinge befinden?«

Die Butter in der linken Hand und den Salzstreuer in der rechten haltend trat er zu mir. »Ganz ehrlich?« Seine schmalen Lippen formten ein weiteres zärtliches Lächeln. »Bei manchen Sachen suche ich selbst jetzt noch.«

Es war mir unmöglich, ein Kichern zu unterdrücken. »Ernsthaft?«

Von einer Sekunde auf die andere verschwand sein liebreizender Ausdruck, und Furcht legte sich über ihn.

Und mir wurde es kalt.

Hatte ich etwas Falsches gesagt? Hatte ich ihn verletzt?

O Gott!

Hegte er etwa die Vermutung, ich würde ihn auslachen?

»Mir gehts bei vielen Dingen gleich«, versuchte ich freundlich-beruhigend einzulenken. »Nur betrifft es weniger Dinge, die ich suche … sondern Dinge, die ich andauernd vergesse, obwohl ich sie längst dutzende Male gemacht habe.«

Glücklicherweise entspannten seine Züge sich. »Wie genau meinen Sie das?«

»Nun ja …« Ich zuckte die Achseln, fasste nach der Butter und öffnete sie. »Ich –«

»Warten Sie.« Vorsichtig nahm er mir die Butter aus der Hand. »Das kann ich erledigen.« Er machte einen Schritt nach links, öffnete eine Lade und entnahm einen kleinen Holzkochlöffel.

Eine jede seiner Bewegungen vollführte er mit unwahrscheinlicher Sanftheit und Bedachtsamkeit.

Wenn er nach einem Gegenstand fasste, dann griff er diesen nicht einfach an – seine Finger küssten ihn, liebkosten ihn. Sie gaben ihm das Gefühl, besonders zu sein … gebraucht zu werden.

Sorgsam gab er etwas von der Butter in die Pfanne.

»Bitte, fahren Sie fort«, ermunterte er mich, seine Stimme unsagbar sanft klingend – und mich aus meinen kruden Überlegungen ziehend.

Himmelherrgott Sakrament!

Dass meine Gedanken sich ab und an einmal in höhere Gefilde aufmachten, stellte nichts Neues dar … Doch derart abgelenkt … das war ich wahrhaftig noch nie gewesen. Erst recht nicht durch eine anwesende Person!

Zum wiederholten Male stieg mir eine beschämende Wärme ins Gesicht. »Mir … nun –« Ich hüstelte. »Zum Beispiel wird mir gezeigt, wie ich eine gewisse Abrechnung machen muss … und beim nächsten Mal habe ich wieder alles vergessen.«

Die Erinnerung daran schmerzte mir in meinem Innersten – und es nagte an meinem nahezu nicht mehr vorhandenen Selbstwertgefühl.

»Das kenne ich.« Die Augen des jungen Mannes begannen zu leuchten. »Das ist mir selbst bereits ein paar Mal passiert.«

»Es ist furchtbar«, erwiderte ich leise und blickte zur Pfanne.

Zwar fühlte ich mich nun ein wenig niedergeschlagen, dafür schien es dem Kellner viel besser zu gehen. Und seltsamerweise half diese Erkenntnis, meine eigenen negativen Empfindungen abzuschwächen.

»Die Butter ist heiß«, bemerkte er. »Sie können die Eier somit ruhig aufschlagen.«

»Oh … ja, natürlich.«

Jetzt wurde es wahrlich kritisch!

Flott brach ich die Eierschalen auf und ließ das Innere in die Pfanne gleiten.

»Genügen Ihnen zwei Eier?«

»Ja, natürlich.«

Er reichte mir den Salzstreuer. »Bitte.«

Lächelnd fasste ich danach und blickte in sein wunderschönes Gesicht. »Vielen Dank.«

Diese Situation war komplett verrückt!

Da rührte ich gemeinsam mit einem mir völlig fremden Mann eine Eierspeise zusammen und fühlte mich dabei wie zu Hause bei meinen Eltern.

Diese eigenartige Vertrautheit … diese Verbundenheit …

War es normal, auf eine solche Weise zu empfinden?

Ich hegte starke Zweifel.

An meiner Arbeit fanden Menschen üblicherweise allzeit etwas auszusetzen. Sie besserten mich im Sekundentakt aus, machten mich auf Fehler aufmerksam, kritisierten und schimpften. Darüber hinaus hatte ich in Gegenwart fremder Menschen stets mit starkem Unwohlsein zu kämpfen – nebst mich halb wahnsinnig machender Nervosität. Besonders, wenn ich mit oder neben Personen Arbeiten verrichten musste.

Aber hier? Hier kochten wir bloß … ohne Druck, ohne Stress, ohne Gezeter … ohne Angst.

Angst.

Natürlich!

Nun wusste ich, was mir seltsam vorkam! Die Versagensangst war verschwunden. Ich hegte keinerlei Bedenken, etwas falsch zu machen.

Das erste Mal überhaupt.

Der Kellner reichte mir den Holzkochlöffel. Dankend nahm ich ihn entgegen und rührte die zwei Eier kräftig um.

Weshalb fühlte ich diese Angst nicht mehr? Lag es an den Leuten, oder am Wetter? Der Schnee hatte mir wohl seit jeher Geborgenheit vermittelt …

Womöglich lag es doch alleine daran – und an dem Unfall.

Während ich mir das Gehirn zermarterte, färbte das mit dem Dotter vermengte Eiklar sich weiß.

Weshalb sollte meine Angst urplötzlich verschwinden? Immerhin plagte ich mich damit seit Jahren herum. Da konnten einige offenbar nette Menschen nichts daran ändern …

Der Mann stellte einen Teller neben den Herd. »Brot habe ich leider keines, das Sie essen dürfen. Ist das sehr schlimm?«

Verneinend schüttete ich die Eierspeise auf den Teller. »Überhaupt nicht. Ich esse Eier sehr gerne ohne Beilage.« Ich suchte des Mannes klaren Blick. »Wo darf ich die Pfanne hinstellen.«

»Warten Sie –« Behutsam nahm er sie mir aus der Hand.

Im Detail sah dies folgendermaßen aus: Zögerlich, ja nahezu verängstigt trat er zu mir und fasste nach dem Griff, ohne dabei meine Hand zu berühren. Darauffolgend ließ ich los und er machte hektisch zwei Schritte zurück. »Ich wasche sie ab. Essen Sie in der Zwischenzeit.«

Das war einfach unglaublich …

»Kann ich nicht noch etwas tun?« Ich wandte mich zu Butter und Salzstreuer. »Soll ich das wegräumen?«

»Nein, nein.« Ein kräftiges Kopfschütteln seinerseits folgte. »Essen Sie. Sonst wird es kalt.«

»In Ordnung … Danke.«

Währenddessen er die Pfanne in die Spüle legte, warf er mir ein schüchternes Lächeln zu – und mein Herz fing wie wahnsinnig zu rasen an.

Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht mit mir …

Ich machte mich auf den Weg hinaus – nach wie vor ein schlechtes Gewissen in mir lungernd, ihn mit dem schmutzigen Geschirr alleine zurückgelassen zu haben.

»Eierspeise?«, rief Walter mir von der Theke zu.

Nickend steuerte ich ihn an.

»Und nicht einmal ein Brot?« Stirnrunzelnd musterte er den Teller. »Das ist aber eine ganz schön magere Ausbeute.«

»Nein, das passt schon.«

Eben bemerkte ich das Fehlen von Besteck, da tauchte der junge Mann neben mir auf und legte eine silberne Gabel auf den Tresen. »Die haben Sie vergessen.«

Ich wollte mich bedanken, aber er war längst auf den Weg zurück in die Küche.

»Jan denkt an alles«, kam es vom Barkeeper.

Jan.

Genau.

So hatte Walter ihn genannt.

Jan.

Ein wunderschöner Name … Er klang sanft. Irgendwie weich, zärtlich … wie er Dinge anfasste – behutsam, liebevoll.

Ich verscheuchte alle wirren Einfälle und fing endlich zu essen an. Beim dritten Happen wurde ich mir erst meines Hungers gewahr. Im Folgenden brauchte ich keine fünf Minuten, um den Teller restlos zu leeren und in die Küche zu tragen.

Jan war eben dabei, die gewaschene Pfanne wegzuräumen.

Verwunderung lag auf seinen sanften Zügen. »Sie sind schon fertig?«

»Ja.« Ich trat zur Spüle.

»Wollen Sie noch etwas? Haben Sie noch Hunger?«

Die Wahrheit war: Ja, ich hatte nach wie vor Hunger. Meine Erschöpfung wog dennoch um ein Vielfaches schwerer, sodass ich mich weit mehr nach einem kuscheligen Bett sehnte.

»Das Einzige, das ich jetzt noch will, ist, heiß duschen und mich ins Bett kuscheln … Der Tag war anstrengend genug gewesen.«

Er lächelte mich an. »Mir gehts ähnlich.« Zögerlich gesellte er sich zu mir. »Ich werde den Teller noch schnell abwaschen.«

»Nein, nein. Ich mache das. Sie können gerne gehen.«

Kopfschüttelnd wie bedachtsam nahm er mir das Geschirr aus der Hand und drehte den Wasserhahn auf.

Da konnte ich wohl hoch und niederhüpfen, dieser Mann würde nicht nachgeben.

Schweigend beobachtete ich ihn bei seinem Tun. Es wurde mir regelrecht warm dabei. Dermaßen lieblich, ja rücksichtsvoll, wie er mit dem Geschirr umging, hätte ich ihn am liebsten stundenlang zugesehen.

Zärtlich griff er nach dem Geschirrtuch, trocknete den Teller ab und räumte ihn nahezu geräuschlos weg. »Geschafft.« Nachdem er das Tuch fürsorglich über den Ofengriff gehängt hatte, drehte er sich zu mir. »Ein weiterer Tag überstanden.«

Erschrocken ob der Tatsache, ihn ungeniert beobachtet zu haben, räusperte ich mich. »Vielen Dank nochmals.«

Sein Lächeln wuchs an. Auf eine Art schien seine Schüchternheit abzunehmen. »Keine Ursache.«

Gemeinsam traten wir in den Essbereich.

»Dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht.«

Ein letztes Mal blickte ich in seine hellgrünen klaren Augen. »Das wünsche ich Ihnen ebenfalls.«

Für den Moment eines Wimpernschlags erweckte Jan den Eindruck, den Speisesaal nicht verlassen zu wollen. Doch ehe ich weiter darüber nachzudenken in der Lage gewesen wäre, drehte er sich um und ging los. Flott schritt er an der Theke vorbei weiter hinaus Richtung Rezeption.

»Er ist ein netter Bursche, oder?«, riss Walter mich aus meiner abermaligen Glotzerei.

Himmel! Das wurde sekündlich schrecklicher!

Ein Gähnen unterdrückend wandte ich mich zu meinem Lebensretter um. »Ja, das ist er wirklich … ihr alle seid anders als die Leute, die ich kenne.«

Der Schneepflugfahrer zog die Augenbrauen hoch. »Wie meinst du das denn?«

»Nun ja.« Ich überlegte. »Die meisten Personen sind das genaue Gegenteil … kühl, distanziert.«

»Dann wohnst du in der falschen Gegend.«

Ich musste schmunzeln. »Ja, wahrscheinlich.«

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