Читать книгу Vom Dorfmädchen zur Weltbürgerin - Isolde Martin - Страница 11

EIN VERSPRECHEN EINLÖSEN

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In einem Jahr, so hatten wir meiner Mutter versprochen, würden wir sie wieder besuchen. Jetzt, nach dem Ende der Studienzeit meines Mannes, flogen wir mit Poor Student Airline, einer Studententariffluglinie, nach München. Meine Mutter war überglücklich, der Rest der Familie schien sich ebenfalls zu freuen. Manchmal bekam ich das Gefühl, dass die Ungereisten meiner Familie nicht geglaubt hatten, jemand würde von einer solchen Weltumrundung zurückkommen. Es gab viel Gesprächsstoff. Die Erwartung aber, dass wir nun bleiben würden, kam im Laufe der Zeit immer deutlicher zum Ausdruck. Es fiel mir sehr schwer, meiner Mutter zu erklären, dass wir wieder zurückfliegen würden. Ich wollte ja mein einmal angefangenes Bachelor Degree erwerben. Es wäre einfacher, erst danach auf eine deutsche Universität zu wechseln. Obwohl sie meine Pläne akzeptierte, liefen ihr die Tränen die faltigen Wangen herunter. Ich fühlte mich schrecklich, ihr solchen Schmerz zuzufügen. Für kurze Zeit überlegte ich sogar, ob es nicht einen anderen Weg gab — aber es gab keinen. Rückblickend schien es immer wieder einen Grund zu geben, noch in den USA zu bleiben.

Die sechs Wochen, die wir diesen Sommer 1973 in München verbrachten, waren eine spürbare Zeit der Heilung für mich. Ich fühlte mich wieder zugehörig und zu Hause. Später sollte sich das allerdings ändern. Ich war keine Ausländerin mehr, ich hatte keinen dicken Akzent mehr, hier kannte ich die Kultur und die Menschen. Ich konnte auch auf mein turbulentes Jahr in Berkeley objektiver zurückblicken. Manchmal wunderte ich mich sogar, dass ich so ängstlich gewesen war. Meine Bemühungen, mich dem dortigen Kleidungsstil anzupassen, schienen mir geradezu lachhaft. Jetzt würde ich ohne Angst zurückgehen. Mein Selbstbewusstsein wurde stärker.

Kurioserweise war für meinen Mann das Gegenteil der Fall, aber in milder Form. Mit dem Wechsel in die deutsche Sprache, in der er sich unsicher fühlte, schien das auch auf seine Persönlichkeit überzugreifen.

Die Wirkung des Heimaturlaubes auf meine Psyche war jedoch nicht stark genug, um die Abneigung gegen meine Abreise, die tief in meiner Seele schlummerte, zu überwinden. Aber das behielt ich für mich. Jedoch war es noch nicht so weit. Nachdem die innere Verbindung zu meiner Familie wieder hergestellt war, wendeten wir uns unseren zurückgelassenen Freunden zu.

Einem davon hatte ich per Post unsere Ankunftszeit und unsere Aufenthaltsdauer in München mitgeteilt. Ich lies ihn wissen, dass wir gerne die ganze Clique treffen würden. Er würde das schon arrangieren, dachte ich. Er schrieb kurz zurück, dass er sich auf unser Wiedersehen freue. Dass dies eine makabere Nachricht sein sollte, konnte ich nicht ahnen. Als wir in München waren, versuchte ich ihn oder jemanden von unseren Bekannten zu erreichen — ohne Erfolg. Ich war sehr verwundert darüber, nachdem die vorausgegangene Korrespondenz mit der jetzigen Situation nicht übereinstimmte. Schließlich konnte ich mich mit einem früheren Kollegen zum Mittagessen in der Stadt treffen. Auf meine Nachfrage über das seltsame Verhalten meines Freundes antwortete er wie aus der Pistole geschossen: "Der ist tot!" Sprachlos und unter Schock hörte ich seine Erzählung über des Freundes Selbstmord. Trotzdem konnte ich diese Tragödie nicht glauben. Ich fuhr zu unserem früheren gemeinsamen Arbeitsplatz, um die Mitarbeiter dort zu befragen. Aber auch ihre Informationen konnten meine Gedanken noch nicht dazu bewegen, die unbestreitbare Tatsache zu akzeptieren. Es gab auch keine Clique mehr. Ich konnte niemanden finden. Wo sind sie hin, fragte ich mich. Da stand ich alleine mit der großen Frage nach dem Warum. Sie blieb unbeantwortet.

Mehr als 25 Jahre später kam ich mit meinem Mann und meinem Sohn in das österreichische Dorf, in dem mein toter Freund dereinst einmal geboren wurde. Ich besuchte das Geschäft seiner Familie, nicht wissend, was ich dort eigentlich erwartete. Aber die Mitarbeiter waren noch nicht einmal sicher, ob sie von diesem Mann schon mal reden gehört hatten. Sie konnten mir nur den Weg zum Friedhof beschreiben.

Trotz dieses schockierenden Erlebnisses in München hatte mein Aufenthalt in meiner Heimat und mit meiner Familie seine erholsame, heilende Wirkung auf mich nicht verfehlt. Wir flogen zurück in die San Francisco Bay Area, um zu packen und nach Arizona zu ziehen. In den ersten Stunden in unserer alten Wohnung fühlte ich Heimweh. Ich wollte nicht hier sein. Aber Berkeley zu verlassen, um im schönen, bizarren Arizona zu leben, erfüllte mich mit Hoffnung und Neugierde.

Vom Dorfmädchen zur Weltbürgerin

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