Читать книгу Als Lilly schlief - Ivy Bell - Страница 10

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4.

In einer stillen, dunklen Wohnung in einem ruhigen Stadtteil sitzt eine ältere Dame am Fenster und schaut in die Dunkelheit. Sie hat sich in eine dicke Decke gewickelt, zittert aber immer noch. Sie hockt schon ein paar Stunden so da, hat gesehen, wie Herr Schulz mit seiner kleinen Tochter und dem Hund nach Hause kam, seine Frau und der Sohn waren nicht dabei. Sie würde gerne klingeln und fragen, wie es Frau Schulz und ihrem kleinen Sohn geht, aber sie traute sich nicht. Schließlich hatte Frau Schulz ihr vorhin nur zu deutlich gesagt, was sie von ihr hielt. Sie sei eine alte Hexe. Danach gab es diesen schrecklichen Knall, der Sohn von Frau Schulz stolperte gegen den Bordstein, fing an zu weinen und die junge Frau, die ihn vor dem Auto retten wollte, flog durch die Luft. Der süße kleine Junge. Eigentlich war diese nette Familie genau das, wovon sie selbst, Eva Hartung, immer geträumt hat. Ein freundlicher Mann, zwei süße Kinder und ein Hund, so richtig wie im Bilderbuch. Eva hatte sich nach dem Unfall geschockt in ihre Wohnung zurückgezogen, jetzt schämt sie sich. Vielleicht hätte man ja eine Zeugenaussage von ihr gebraucht. Aber durften Hexen überhaupt aussagen??? Eva seufzt. Ganz ehrlich, die Frau hat Recht. Seit ihr Mann sie vor 12 Jahren verlassen hatte, war sie tatsächlich zu einer alten Hexe geworden. Eine, über die sie sich früher lustig gemacht hatte. Eine alte Frau, die nichts Besseres zu tun hat, als sich über alles und jeden aufzuregen. Wo war die alte Eva, die gute Laune hatte, lachen konnte und Spaß hatte? Es konnte doch nicht sein, dass Georg sie nicht nur verlassen, sondern auch ihre Lebensfreude mitgenommen hat?

So groß der Schock damals auch gewesen war, als Georg ihr eröffnet hatte, dass er sie verlässt, weil er mit dieser ewigen Lüge nicht mehr Leben kann, nach 12 Jahren müsste sie doch endlich darüber hinweg sein.

Es war schon ein harter Schlag für sie, zu erfahren, dass Georg sich in einen Mann verliebt hatte. Das war fast noch schlimmer als der Moment, als er ihr eröffnete, dass er nicht mehr mit ihr zusammen leben möchte, weil er sich zu jemand anderem hingezogen fühlte, der seine Gefühle auch erwiderte. Wäre die andere Person eine Frau gewesen, so hätte sie wenigstens noch um ihn kämpfen können, aber so erschien ihr das alles hoffnungslos.

Georg hatte ihr damals gesagt, dass er bereits öfter an seinen Gefühlen gezweifelt hatte, dass er sich schon früher zu Männern hingezogen gefühlt hatte. Seine Erziehung hatte ihm aber verboten, diesen Gefühlen nachzugeben. Er war der Meinung, das gehört sich nicht und wollte ein Leben wie alle seine Freunde, mit einer Frau und Kindern. Das mit den Kindern hatte nicht geklappt, was Eva inzwischen auch nicht mehr verwunderte. Georg war zwar ein sehr netter, liebevoller Mann, hatte allerdings nicht so häufig das Bedürfnis gehabt, mit ihr zu schlafen. Eva hatte sich darüber manchmal gewundert, aber sie hatte es akzeptiert. Im Nachhinein war ihr natürlich klar, warum Georg sie nicht so begehrenswert gefunden hatte. Ihr fielen die Blicke ein, die er dem hübschen Spanischen Kellner auf ihrer Hochzeitsreise zugeworfen hatte. Es hatte ab und zu solche Blicke gegeben, damals hatte sie diese nie ernst genommen. Georg musste darunter gelitten haben, seine wahre Neigung so lange zu verbergen, jetzt erschien ihr das furchtbar. Überhaupt hatte dieser Tag sie endlich einmal zum Nachdenken gebracht. Sie lebte seit 12 Jahren in einem Cocoon aus Verbitterung und Selbstzweifeln, anstatt ihr Leben in die Hand zu nehmen. Es hatte nicht an ihr gelegen, dass Georg gegangen war, das hatte er ihr auch versichert, aber sie ist in so ein tiefes Loch gefallen, hat sich allem gegenüber verschlossen und so viele Jahre ihres Lebens vergeudet. Sie hat sich gehen lassen und keine Freude mehr empfunden. Georg hatte sich immer mal wieder bei ihr gemeldet, weil er sie noch sehr mochte, aber sie hatte das abgeblockt. In den letzten Jahren waren seine Anrufe seltener geworden, und Eva merkt, dass sie das zutiefst bedauert, denn Georg war, bevor er ihr Liebhaber und Ehemann wurde, eigentlich ein sehr guter Freund gewesen. Einer, den sie bis heute gerne mochte. Wenn sie ehrlich war, vermisste sie die Gespräche mit ihm mehr, als sie um die gescheiterte Ehe trauerte.

Eva stößt einen tiefen Seufzer aus, starrt in die Dunkelheit und schwört sich, ab jetzt ihr Leben wieder zu leben und nicht mehr muffelig durch die Gegend zu laufen. Sie würde bei Familie Schulz klingeln und sich für ihr Benehmen entschuldigen. Sie würde sich auch bei Georg melden, schließlich mag sie ihn immer noch sehr und er hatte ihr ein ums andere Mal versichert, wie gerne er mit ihr befreundet bleiben möchte.

Eva steht auf und schaut in den Spiegel. Ganz dringend muss sie zum Friseur. Sie hatt keine Lust mehr auf den Zopf, den sie ewig trägt, weil es so praktisch ist. Früher hatte sie sich gerne hübsch angezogen und sich die Haare frisiert, aber nach dem Outing von Georg war das alles vorbei. Wenigstens hat sie sich nicht mit Süßigkeiten voll gestopft, sie weiss, dass ihre schönen Kleider noch passen, sie hat verstohlen manchmal eins anprobiert, es hatte allerdings nie zu ihrer Laune gepasst. Eva probiert zaghaft, ihr Spiegelbild anzulächeln. Das hat sie schon lange nicht mehr getan, aber es tut ihr überraschenderweise sehr gut. Sie grinst breit in den Spiegel und ihre braunen Augen funkeln fast wie früher.

Die alte Eva ist endlich wieder da.

Als Lilly schlief

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