Читать книгу Als Lilly schlief - Ivy Bell - Страница 13
6.
ОглавлениеIch sitze über einem Mathematik-Lehrbuch und versuche, diese merkwürdige Formel zu kapieren. Mia sitzt neben mir, ist aber genauso ahnungslos wie ich, und das kurz vor der Abiprüfung.
Ach, ich hätte mir doch ein anderes Prüfungsfach aussuchen sollen, dieser Lehrer ist komisch und kann den Lehrstoff einfach nicht gut vermitteln. Dabei war Mathematik immer eins der Fächer, die ich mochte, da hatte ich aber auch noch unsere freundliche, ältere Lehrerin. Sie konnte super erklären, bei ihr hat der Unterricht richtig Spaß gemacht. Deswegen haben Mia und ich es auch als Leistungskurs belegt, allerdings hat dann nicht die tolle Lehrerin den Kurs bekommen, sondern dieser dämliche, durchgeknallte Lehrer. Seitdem haben wir das Gefühl, Mathematik ist ein Buch mit sieben Siegeln. Aber es hilft nichts, wir müssen da jetzt durch. Mia guckt mich schräg an, grinst und meint: »Heute ist noch eine Party bei Lars«, sie lässt den Satz in der Luft hängen und wartet. »Man braucht doch auch mal eine Pause, oder?« Schiebt sie schließlich nach. »Klar, aber dann rassel ich nächste Woche durch die Prüfung. Ich weiß, es ist Wochenende, ich würde auch lieber tanzen gehen, aber jetzt ist Endspurt, wir haben es bald geschafft.« Ich seufze, stehe jedoch voll hinter dem, was ich gerade gesagt habe ….. also fast … ich tanze so gerne und außerdem mag ich Lars sehr. Ich war erstaunt, als er mich eingeladen hat, ich dachte immer, er nimmt mich gar nicht wahr. Aber er hat nächste Woche auch keine Mathe-Prüfung, sondern Sport und Geschichte, und das schafft er sicher spielend. Ich stehe auf, gehe zu meiner Anlage und lege die CD von den Stereo-MC´s ein, die wir gerade so toll finden. »Okay, eine halbe Stunde Tanzpause!«, rufe ich, und Mia fällt mir lachend in die Arme. Wir gehen zwar nicht auf eine Party, aber diese halbe Stunde tut uns so gut, dass wir danach sogar die Formel knacken. Endlich!
Drei Tage später sitzen wir zusammen in der schriftlichen Mathe-Prüfung. Ich finde den Gedanken, 5 Stunden Aufgaben lösen zu müssen, immer ganz schlimm. Wenn mir nun nichts einfällt??? Dann vergeht der Vormittag, während ich ahnungslos die Unterlagen durchsehe und am Ende leere Blätter abgebe. 5 Stunden erscheinen mir immer viel zu lang, aber dann läuft es doch richtig gut. Ich arbeite konzentriert, kann die Aufgaben gut lösen und die Zeit vergeht ziemlich schnell.
Als wir die Prüfungsunterlagen aushändigen müssen, schaue ich zu Mia hinüber, die mich anstrahlt. Wir verabschieden uns kurz von den Anderen, beschließen dann aber, lieber bei mir einen Tee zu trinken. Nach den Prüfungen geht nämlich immer diese nervige Vergleicherei los. »Was hast du bei Aufgabe 3 gemacht? Welches Ergebnis kommt bei Aufgabe 5 raus?« Alle stehen im Kreis und machen sich verrückt. Mia und ich mögen das nicht, wir können jetzt nichts mehr ändern. Aber wir haben beide ein sehr gutes Gefühl und sind stolz, dass wir am Wochenende lieber ein wenig gelernt haben, statt auf die Party zu gehen. Auf dem Weg zu mir kommen wir an einem netten Café vorbei. Ich möchte Mia gerade vorschlagen, dass wir auch dort etwas trinken können, da sehe ich durch die Fensterscheibe Lars, und er ist leider nicht alleine. Er hält Händchen mit Doro, die anscheinend die Gunst der Stunde bzw. die Gunst der Party genutzt hat, um Lars näher zu kommen. So ein Mist, mir steigen Tränen in die Augen. Mia erfasst die Situation blitzschnell und zieht mich weiter. Bei mir zu Hause setzt sie mich aufs Sofa und kocht eine Kanne Tee. »Wenn er so schnell was mit einer Anderen anfängt, ist er es nicht wert, dass du jetzt Trübsal bläst. Von deiner Schwärmerei wusste er ja schließlich gar nichts.« Ich schlucke, wische mir eine Träne von der Wange und schniefe: »Das wird er nun auch nicht mehr erfahren, der Schuft. Mensch, ich hatte mich so gefreut, als er mich gefragt hat, ob ich auf seine Party komme. Ich dachte, er mag mich.« Ich ärgere mich ein wenig, ich bin immer so schüchtern. Ich traue mich nie, die Jungs anzusprechen, die mir gefallen. Und wenn sie mich ansprechen, dann fange ich an zu stottern und werde rot. Okay, ehrlicherweise muss ich zugeben, dass Lars natürlich auch ein paar andere Mädchen aus unserem Jahrgang eingeladen hat, aber gefreut habe ich mich trotzdem. Mia knufft mich in die Seite. »Sei nicht traurig, in drei Wochen sitzen wir im Flieger nach Barcelona und machen uns eine schöne Zeit«. Ach ja, unsere »Hurra-wir-haben-es-geschafft« Reise. Das wird toll.
Drei Wochen später, mit einem richtig guten Abi in der Tasche, geht es los. Wir fliegen nach Barcelona. Wir haben uns für diese Stadt entschieden, und nicht für Mallorca oder Ibiza, wie die meisten anderen, weil wir so viel Schönes darüber gehört haben. Man kann so einiges besichtigen, außerdem liegt Barcelona auch am Meer und wir können gleich mal unser Schul-Spanisch ausprobieren.
Ich bin schon kurz nach der Landung hin und weg. Ich finde das immer wundervoll, man steigt in Deutschland in den Flieger, fliegt ein paar Stunden, landet am Meer und hat sofort diesen typischen, milden Meeresduft in der Nase. Im Winter, wenn ich über Silvester mit meinen Eltern nach Lanzarote abgehauen bin, um dem Geknalle zu entfliehen, ist es natürlich besonders schön. Man steigt aus der Maschine und die Luft ist warm und irgendwie weicher.
Zuerst fahren wir mit dem Taxi in unser gemütliches, kleines Hotel, richten uns ein, machen uns frisch und beschließen dann, die Las Ramblas entlang zu laufen um ein nettes Restaurant zu suchen.
Die Straße ist wunderschön und so voller Leben. Es gibt wahnsinnig viele hübsche Läden, rechts und links stehen Bäume, die Schatten spenden, überall sind Akrobaten und Straßenkünstler und jede Menge kleine Cafés. Schließlich finden wir ein schnuckeliges Restaurant, welches uns gefällt, setzen uns unter einen Sonnenschirm und beobachten die Menschen, die an uns vorbei flanieren. Irgendwann habe ich das Gefühl, dass ich beobachtet werde. Mia grinst mich an und flüstert mir zu: »Ich glaube, du hast einen spanischen Verehrer. Der Typ an dem Tisch rechts von uns guckt die ganze Zeit zu dir herüber«. Ich drehe mich verstohlen ein Stück in die angegebene Richtung und blicke in das strahlende Gesicht eines nett aussehenden Südländers. Ich kann gar nicht anders, als zurück zu grinsen. Das versteht er wohl als Aufforderung, er steht auf, nimmt seinen Kaffee und kommt zu uns an den Tisch. Er fragt uns, ob wir Spanisch, Deutsch oder Englisch sprechen können und als wir ihm sagen, dass wir aus Deutschland sind, fragt er in ziemlich gutem Deutsch, ob er sich zu uns setzten darf. Wir bejahen und erfahren dann, dass er Pablo heißt und aus Barcelona kommt. Er hat aber im letzten Jahr ein Auslandssemester in München verbracht. Er studiert Wirtschaft, wird aber im nächsten Semester fertig. Dann fragt er uns, wie lange wir schon in Barcelona sind, wie lange wir noch bleiben und was wir uns alles so ansehen möchten. Da er Semesterferien hat und nur an drei Tagen in der Woche jobbt, bietet er sich als Fremdenführer an. Pablo kann sehr interessant über seine Heimatstadt erzählen, und er sieht wirklich wahnsinnig gut aus. Er ist groß (okay, im Verhältnis zu mir sind ja eigentlich alle groß), hat wuschelige, schwarze Haare und verschmitzte, braune Augen. Wir reden und reden und merken kaum, wie die Zeit vergeht. Irgendwann fängt Mia an zu gähnen und ich spüre ebenfalls, dass ich vom Flug etwas erschöpft bin. Inzwischen ist es dunkel geworden, was dem Betrieb auf der Prachtstraße aber keinen Abbruch tut. Es sind immer noch wahnsinnig viele Leute unterwegs. Pablo begleitet uns netterweise zu unserem Hotel, wir tauschen unsere Handynummern aus und dann fallen Mia und ich auch schon hundemüde in unsere Betten.
Am nächsten Tag treffen wir Pablo vor der Sagrada Familia. Wir wollten dieses ewig unfertige Bauwerk von Antoni Gaudi unbedingt einmal sehen. Ich bin ziemlich erstaunt, wie hoch die vier Türme sind. Pablo erzählt uns, dass Gaudi eigentlich 18 Türme vorgesehen hatte, dass es aber keinen umfassenden definitiven Bauplan gibt, weil Gaudi immer mal wieder improvisiert hat und die Pläne nach Bedarf von ihm geändert wurden. Pablo schlägt uns vor, auf einen Turm zu gehen, man hätte von dort oben einen schönen Ausblick. Mia ist sofort begeistert und ich möchte mir vor Pablo auch keine Blöße geben, also zahlen wir und fangen mit dem Aufstieg an. Dass ich unter Höhenangst leide, verschweige ich Pablo. In den Türmen befinden sich ziemlich enge Wendeltreppen, und dummerweise kommen einem dort Leute entgegen, die absteigen. Das kenne ich aus Deutschland gar nicht, da gibt es in der Regel einen Weg nach oben und einen anderen nach unten, zumindest, wenn die Treppen so eng sind. Je höher wir steigen, desto mehr Panik bekomme ich. Dauernd drängen Menschen an mir vorbei, und immer möchte ich mich eigentlich an die Wand drücken, da wollen die absteigenden Leute aber auch hin und schubsen mich nach außen. Schließlich kommen wir an einen Ausgang und stehen auf einer Art Brücke, die zwei Türme miteinander verbindet. Ich bin von dem Aufstieg bis hier schon total fertig, Pablo sieht richtig erschrocken aus, als er mein angstverzerrtes Gesicht bemerkt. Bloß Mia feixt herum und macht ein paar Fotos von mir. Ich knurre sie an: »Die kannst du alle wegschmeißen«. »Garantiert nicht. Wenn du mal heiratest, baue ich die Bilder in eine Diashow ein«, kontert sie. »Wer solche Freundinnen hat, braucht keine Feinde mehr,« jaule ich und verkünde dann, dass ich mich sofort an den Abstieg machen werde, ich habe genug gesehen. Mia möchte noch weiter auf den Türmen herumkraxeln, sie hat nicht das geringste Problem mit Höhe. Sie ist aber einverstanden, dass Pablo mich lieber nach unten begleitet und wir dort auf sie warten. Wir machen uns an den Abstieg und nach einer Weile nimmt Pablo meine Hand. Er grinst mich an und meint, dass sei nur, damit ich keine Angst mehr habe und sicher wieder unten ankomme. Irgendwann haben wir es tatsächlich geschafft und stehen vor dem imposanten Bauwerk. Pablo hält immer noch meine Hand, was mich überhaupt nicht stört. Schließlich bin ich frei und ungebunden, vor mir liegen zwei Wochen Urlaub und einem netten, kleinen Flirt bin ich nicht abgeneigt.
Die nächsten Tage sind wunderschön. Wir treffen uns mit Pablo, durch den wir auch Ecken in Barcelona kennen lernen, die man sonst als normaler Tourist vielleicht nicht entdecken würde. Pablo und ich flirten auf Teufel komm raus, und nach 3 Tagen küsst er mich das erste Mal. Wir sind in einem tollen Klub und tanzen, als ich irgendwann frische Luft schnappen möchte. Mia kann sich aber nicht von der Tanzfläche losreißen, so dass Pablo mich nach draußen begleitet. Wir stehen vor dem Klub herum, grinsen uns an und plötzlich nimmt er mein Gesicht in seine Hände und küsst mich. Mir wird schwindelig, denn das ist mit Abstand der schönste und längste Kuss, den ich bis dahin je bekommen habe. Nach einer halben Stunde Knutscherei beschließen wir, dass es Zeit wird, wieder zu Mia zu gehen. Die sitzt einsam an einem Tisch und guckt etwas säuerlich. Als ich sie frage, was los ist, möchte sie bloß ins Hotel. Ich bekomme nichts aus ihr heraus. Auch an den nächsten Tagen wird sie immer ruhiger. Sie schlägt mir vor, dass wir mal einen Tag getrennt verbringen könnten. Pablo entführt mich an diesem Tag auf den Gipfel des Berges Montjuïc. Hier gibt es nicht nur die Festung Castell de Montjuïc, sondern auch viele schön angelegte Gärten. Wir streifen durch den wunderschönen Jardin de Joan Margalla, landen beim Palacio de Albéniz, einem Palast, in dem der spanische König bei seinen Aufenthalten in Barcelona wohnt, und setzen uns dort auf eine Bank vor einem Springbrunnen. Wir bewundern die farbenfrohen Blumen und schauen einem Hochzeitspaar beim Fototermin zu. Es ist alles so märchenhaft und unwirklich, wir sitzen dort, halten uns an den Händen und reden. Aber irgendwo in mir nagt etwas, ich habe das Gefühl, als hätte ich eine sehr wichtige Sache vergessen.
Am Abend wird mir deutlich bewusst, was bzw. wen ich da die ganze Zeit vernachlässigt habe, meine allerbeste und treueste Freundin Mia. Die sitzt nämlich alleine im Hotel und sieht ein wenig verheult aus. Als ich in unser Zimmer komme, dreht sie sich schnell weg und wischt sich über die Nase, aber mir ist längst aufgefallen, dass sie geweint hat. »Mia, ist etwas passiert?«, frage ich. Mia schnaubt. »Was passiert, was passiert! Ha, Pablo ist passiert. Ich dachte, wir machen hier einen Mädelsurlaub, belohnen uns für unseren ganzen Stress mit der Lernerei, bevor das Studium losgeht. Aber du hast ja nichts Besseres zu tun, als dich dem erstbesten Spanier an den Hals zu werfen. Ganz toll, und ich darf das fünfte Rad am Wagen spielen.« Mia schnieft schon wieder, doch nun werde ich wütend. »Also erstens habe ich mich ihm nicht an den Hals geworfen, du hast mich darauf aufmerksam gemacht, dass da jemand vom Nebentisch herüber guckt. Außerdem warst du auch nicht abgeneigt, dir von ihm Barcelona zeigen zu lassen. Schließlich haben wir durch Pablo so jede Menge schöne Plätze kennen gelernt. Und wir hatten so viel Spaß im Aquarium, das war so ein lustiger Tag.« »Klar, für dich war es toll, ihr hattet reichlich Spaß beim Flirten. Du hast doch nicht einen Fisch gesehen, bloß Pablos schöne, braune Augen.« Ich merke, wie meine Wangen glühen und bevor ich noch etwas dagegen tun kann, kommen die Worte aus meinem Mund. »Du bist doch bloß sauer, dass ich jemanden kennen gelernt habe und du nicht.« Rumms, das war es. Mia schaut mich kalt an und verlässt das Zimmer. Sie dreht sich nicht um, knallt nicht mit der Tür, sie verschwindet einfach und lässt mich zurück und ich schäme mich schrecklich. Hat sie nicht vielleicht Recht? Habe ich mich zu schnell zu sehr an Pablo gehängt? Und meine liebste, beste Freundin im Stich gelassen? Ich habe wirklich fast nur noch von Pablo gesprochen, wenn wir alleine waren, und gar nicht gemerkt, dass Mia immer stiller wird. Mein Handy klingelt, es ist Pablo. Den kann ich nun gerade gar nicht gebrauchen, also stopfe ich das Handy unter ein Kissen und ignoriere das gedämpfte Klingeln. Irgendwann, es ist schon lange dunkel, beschließe ich, ins Bett zu gehen. Mia wird bald wieder kommen, zumindest hoffe ich das.
Ich wache nachts auf, weil Mia beim ins Zimmer schleichen gegen einen Stuhl gestoßen ist. Sie hüpft auf einem Bein herum und hält sich den rechten Fuß, während sie durch zusammengebissene Zähne flucht. Leider muss ich bei diesem Anblick schallend lachen. Ich mache eine Nachttischlampe an und juchze: »Damit du nicht noch mit dem anderen Fuß irgendwo gegen rennst«. Mia guckt mich an und um ihre Mundwinkel zuckt es verdächtig. Schließlich lässt sie sich lachend auf unser Bett fallen, jault dann aber doch auf, weil ihr Fuß ziemlich weh tut. Ich gucke mir ihren kleinen Zeh an, der gerade anfängt, auf doppelte Größe zu schwellen. »Da wirst du wohl die nächsten Tage nur Flipflops tragen können.« Mia begutachtet ihren Fuß und jammert: »Ich habe gar keine mit, ich mag die nicht, diesen Plastikstreifen zwischen den Zehen. Außerdem rutsche ich da immer raus.« »Mia, es tut mir so leid, was ich da vorhin gesagt habe. Ich habe wirklich nur noch von Pablo geredet, Pablo hier, Pablo da. Ich weiß, dass du nicht neidisch bist. Kannst du mir verzeihen? Ich muss Pablo ja auch nicht dauernd treffen.« Mia legt den Kopf schief und guckt mich an, dann lächelt sie, nimmt mich fest in die Arme und murmelt: »Na ja, vielleicht bin ich ja ein ganz kleines bisschen neidisch. Ist ja wirklich ein sehr niedliches Exemplar von Spanier, was du dir da angelacht hast. Aber es wäre schön, wenn du auch mal mit mir sprichst, wenn wir zu dritt unterwegs sind.« Ich drücke meine beste Freundin ganz fest und verspreche ihr, dass wir an den letzten Tagen auch mal etwas alleine unternehmen, so, wie es ursprünglich geplant war. Und dieses Versprechen halte ich auch.