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Wenn Steine glühen

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Die neuen, wenngleich billigen Turnschuhe sind durchaus bequemer als das Schuhwerk, das sie sonst an den Füssen tragen. Dennoch müssen Ellen und Dave sowohl der Hitze, als auch ihrem Alter Tribut zollen. Mehr als sechs, nahezu sieben Stunden, sind sie bereits an diesem dritten Tag ihrer Wanderung unterwegs und haben ihren heiligen Berg noch nicht einmal vor Augen. Sollten sie in diesem Tempo weitergehen, würden sie noch mindestens zwei Stunden benötigen um den heiligen Berg zu erreichen. Plant man den Rückweg ein und ihre Schritte dürften dann eher noch langsamer ausfallen, besteht kaum Hoffnung, die heimische Hütte innerhalb der Urlaubszeit wieder zu erreichen. Aber jeder ist gewillt, dem anderen die Aussicht auf diesen für sie so besonderen Stein zu ermöglichen.

„Du trinkst zu wenig, Ellen“, meldet sich Dave besorgt zu Wort. „Lass uns dort vorne in dem Lokal eine Kleinigkeit essen, die Pause, einwenig Sitzen nach dem langen Laufen, wird uns neue Kraft geben.“

„Meinst Du, wir haben uns zu viel vorgenommen, Dave? Ich bin jedenfalls schon recht müde. Aber Du brauchst Dir keine Sorgen um mich zu machen. Ich freue mich genauso wie Du darauf, unser Ziel zu erreichen und ich denke auch, eine kleine Rast wird uns gut tun. Wir haben schließlich alle Zeit der Welt und vor der Dunkelheit haben wir uns noch nie gefürchtet.“

Zu dem kleinen Lokal gehört auch eine Tankstelle, an der recht viel Betrieb herrscht. Nicht nur Einheimische, auch zahlreiche Touristen, die mit Wohnmobilen oder Geländewagen Australien erkunden möchten, sind auf dem Weg zum Uluru. Viele von ihnen nehmen die Gelegenheit des Tankstopps zum Anlass, eine kleine Pause einzulegen und, sofern sie nicht selbst am Steuer sitzen müssen, sich mit einem kühlen Bier zu erfrischen. Die Tische draußen sind somit recht schnell belegt. Ellen und Dave zieht es hinein, in den Innenraum der Schänke; hier sind noch wenige Tische frei. Sonne hatten die Beiden bereits genug und draußen sitzen eher die bleichen Touristen, die sich entgegen aller Warnungen, die Sonne ordentlich auf den Pelz scheinen lassen. Einige der Gäste schauen erstaunt, als sie Ellen und Dave bemerken und flüstern: „das sind Aborigines“.

Schon erstaunlich, dass die Urbevölkerung und Miteigentümer eines an Artenvielfalt und Bodenschätzen sehr reichen Landes, gleichsam bestaunt werden, wie andere Sehenswürdigkeiten. Sehr freundlich und aufmerksam werden Ellen und Dave bedient und doch ist zu bemerken, dass anderen Gästen eben noch mehr Freundlichkeit und Aufmerksamkeit entgegengebracht wird.

Ellen und Dave sind Australier, auf Ewigkeit Australier zweiter Klasse. Auch wenn Aborigines bereits vor mehreren zehntausend Jahren das Land besiedelten, wurde erst 2013 offiziell bestätigt, dass sie als die ersten Bewohner des Erdteils gelten.

Nach einer guten Stunde, durch kühles Wasser und einen kräftigen Imbiss gestärkt, fühlen sich Beide so wohl, den beschwerlichen Fußmarsch fortzusetzen. Die kleine Reisetasche in der Mitte, so dass sie sich auch diese Last teilen können, machen sie sich wieder auf den Weg.

Mit einem kleinen Startkapital der Eltern ausgestattet und mit einigen tausend australischer Dollar Bankdarlehen, hat sich Richard im Outback selbständig gemacht. Mit dem Geld erstand er einen sehr gut erhaltenen Verkaufswagen und damit ist er ebenfalls auf dem Weg zum Ayers Rock. Wenn die Abendsonne den Stein wie einem Chamäleon gleich, die Farben wechseln lässt und zahlreiche Schaulustige dieses Spiel bestaunen, dann verdient Richard sein Geld. Souvenirs bietet er ebenso an, wie kühle Getränke, frisch gepresste Obstsäfte, Snacks und Würste vom Grill. Die Würste und das Fleisch bezieht Richard von einem deutschen Metzger, der in Erldunda seine neue Heimat fand. Diese kleine Siedlung, knapp zweihundertfünfzig Kilometer vom Uluru entfernt, bietet vielen Touristen noch einmal Gelegenheit, für relativ günstiges Geld die Vorräte aufzubessern, denn im Nationalpark selbst gibt es üblicherweise nichts. Zwar befindet sich dort das Cultural Centre, das von den Anangu, den Aborigines betrieben wird. Traditionelle Kunstwerke und kunsthandwerkliche Gegenstände werden ausgestellt und können erworben werden. Aber ansonsten bietet der Nationalpark nur an zwei Stellen Gelegenheit Trinkwasser aufzunehmen. Bis Richard kam. Mit unermüdlicher Hartnäckigkeit gelang es ihm als Erstem und Einzigen, der Parkverwaltung eine Genehmigung für seinen Verkaufswagen abzuringen. Diese ist zunächst auf zwei Jahre befristet. Nun steht Richard Abend für Abend am Kunija-Parkplatz, von wo aus die Wanderungen um den Uluru begonnen werden können.

Mit seinen Preisen liegt er etwas über denen, die in Erldunda zu bezahlen sind. Aber und ein frisch gezapftes kühles Bier aus der im Wagen befindlichen Zapfanlage schmeckt allemal besser, als das günstigere Dosenbier, welches oftmals bis zum Verzehr längst warm geworden ist. Und der Duft der frisch gegrillten Würstchen lockt zudem viele Kunden an.

Eine gute Viertelstunde wird er noch brauchen, bis das Ziel erreicht ist. Für spektakuläre Sonnenuntergänge oder Farbenspiele ist es zwar noch eindeutig zu früh, doch den einen oder anderen Dollar wird er schon rasch einnehmen, noch bevor alle von der Romantik ergriffen nach seinen Grillwürstchen verlangen.

Wie immer, wenn er mit dem Auto unterwegs ist, läuft das Radio. Besondere Themen scheinen heute die Nachrichten zu dominieren; mal geht es um ein Wetterphänomen, dann wieder um tektonische Aktivitäten, die den Globus beherrschen, dann wieder um eine Vielzahl von Vulkanen, die sich bereit machen, ihre gleichermaßen tödliche, wie segensreiche Fracht auszuspucken. Ein Experte nach dem andren gibt seinen Senf dazu ab.

Kein Thema dabei für Richard, der seinen Blick vom Asphalt hebt und in den strahlend blauen Himmel schaut. Kopfschüttelnd schiebt er eine CD mit seinen Lieblingspopsongs ein und lässt diese geräuschvoll abspielen, so dass auch andere, die nicht mit im Wagen sitzen, gerne mitsingen können. Die Klimaanlage ist gewohnheitsgemäß angestellt und das rechte Seitenfenster offen, damit er seinen Arm dort auflegen kann. So genießt er sein Gefühl von Freiheit. Er fühlt sich sichtlich wohl und ist gutgelaunt; das ist Richard eigentlich immer, aber die Erwartung auf nette Einnahmen an diesem Tag machen in noch fröhlicher, als er es ohnehin ist. Zügig, jedoch keineswegs zu schnell, will er die wenigen noch vor ihm liegenden Kilometer hinter sich lassen.

Bei aller Lässigkeit fährt Richard stets aufmerksam, schließlich verdient er mit seinem Einkaufsmobil seinen Lebensunterhalt, darum achtet er sehr sorgsam auf die Umgebung. Passiert doch jeden Tag, dass Kängurus über die Straßen hüpfen und Fahrzeuge bei einem Zusammenprall völlig demoliert liegen bleiben. Und es ist nicht selten, dass dabei sogar das Känguru sein Leben verliert; eventuell auch mal der Fahrer eines Wagens.

So entdeckt er die beiden Fußgänger, die in seiner Fahrtrichtung gehen, lange bevor er auf deren Höhe ist. Mit einem gehörigen Seitenabstand fährt er an ihnen vorbei und schaut gewohnheitsgemäß in den Rückspiegel. „Völlig verrückt“, denkt Richard, „bei diesen doch unerwartet hohen Temperaturen gemütlich durch diese Einöde zu laufen“. Er steuert an den linken Fahrbahnrand, nimmt den Fuß vom Pedal und lässt das Fahrzeug ausrollen. Er streckt sich noch einmal genüsslich, bevor er das Fahrzeug verlässt und nun auf die Fußgänger wartet, die sich ihm langsam nähern.

„Hey Ihr Beiden, seid Ihr auf dem Weg zum Rock?“, fragt Richard in seiner überaus lockeren, gleichfalls freundlichen Art.

„Ja, junger Mann, wir sind auf dem Weg zum Uluru“, gibt Dave nicht minder freundlich, doch deutlich reservierter zurück.

„Ist auch meine Richtung, ich möchte dort den Touristen einwenig die Dollars aus der Tasche locken, bin aber heute recht früh dran. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr gerne bei mir mitfahren. Zu Fuß seid Ihr locker noch eine Stunde unterwegs, wenn Ihr einsteigt, sind wir in wenigen Minuten dort.“

„Vielen Dank junger Mann, wir wissen Ihr Angebot sehr zu schätzen“, entgegnet Dave und will gerade seinen Fußmarsch fortsetzen, als Ellen ihn am Arm ergreift.

Die vielen Stunden haben ihr doch mehr zu schaffen gemacht als Dave und sie ist gerne bereit, Richards Angebot anzunehmen.

„Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen, junger Mann, dass Sie uns fragen; gerne fahren wir bei Ihnen mit.“

Mit den Worten: „dann nichts wie rein in die gute Stube“, öffnet Richard die Tür der Beifahrerseite. Er selbst schwingt sich natürlich auf den Fahrersitz, dreht den Zündschlüssel um und erschreckt zucken seine Passagiere zusammen. Laut, sehr laut, viel zu laut, schallt einer seiner Lieblingssongs aus der Musikanlage, „Highway to Hell“.

Selbst recht erschrocken, dreht Richard der Anlage den Saft ab und beginnt die Unterhaltung.

„Hi, ich bin Richard, schön mal etwas andere Unterhaltung zu haben, als immer nur die gleiche Musik“, versucht er diplomatisch zu sein, so, als wäre die Anlage rein zufällig angesprungen. Dabei war die Musik schon von Weitem, auch für Ellen und Dave zu hören, bevor er an ihnen vorbeifuhr.

„Möchtet Ihr was trinken?“ und mit der Frage reicht Richard gleich zwei eisgekühlte Flaschen mit Mineralwasser rüber.

„Sie sind sehr freundlich“, erwidert die neben ihm sitzende Ellen und nimmt die dargebotene Erfrischung gerne an.

Dave bedankt sich ebenfalls, lehnt das Getränk jedoch ab.

„Ich weiß nicht, wie oft ich diese Strecke schon gefahren bin“, beginnt Richard wieder, „aber wenn man dann vor dem Rock steht, ist das jedes Mal wieder ergreifend. Vor einigen Jahren stand ich sogar mal obendrauf, war schon ein tolles Gefühl.“

„Ja, der Uluru ist etwas ganz Besonderes; gerade für uns Fast-Australier“, gibt Dave spitzfindig zurück, wofür er von Ellen einen Stoß in die Seite bekommt.

Richard ist im Gegensatz zu seiner stets zur Schau gestellten, unkonventionellen Art sehr feinfühlig und hat den Seitenhieb von Dave sehr wohl verstanden.

„He, relaxt, ich weiß, dass in der Vergangenheit Einiges falsch gelaufen ist und ich hoffe sehr, dass Die da Oben, das allmählich auch begreifen und noch viele Besserungen auf den Weg bringen. Aber was geschehen ist, war weit vor meiner Zeit. Für mich seid Ihr ebenso Landsleute, wie all die Spaghettis, Schneckenfresser oder die Krauts, die nun Australier sind. Ich selbst stamme schließlich auch von englischen Strafgefangenen ab.“

„Sie sehen das schon sehr richtig und Dave ist einfach nur müde und erschöpft von dem langen Weg“, versucht Ellen das Gespräch in ruhigere Gewässer zu führen.

„Wie lange seid Ihr denn schon auf den Beinen?“

„Heute, seit den frühen Morgenstunden; wir haben uns aber ganz bewusst zu Fuß aufgemacht.“

„Alle Achtung; und, übernachtet Ihr in der nahen Touristensiedlung?“

„Nein, wir könnten es uns eventuell von dem Ersparten erlauben aber es ist uns einfach zu teuer. Wir werden zu Fuß zurückkehren, ganz gleich wie lange es dauert.“

„Das ist doch verrückt, selbst wenn Ihr nur einen Blick auf den Uluru werft und Euch dann gleich wieder auf den Heimweg macht, würdet Ihr zunächst noch Stunden im Dunkeln durch die Wildnis laufen.“

Geschickt steuert Richard auf den Stellplatz zu, der ihm erfahrungsgemäß den höchsten Umsatz verspricht. Seine Lieblingssongs hat er während der kurzen Fahrt erstmalig überhaupt nicht vermisst. Die Unterhaltung mit den beiden Alten fand er viel interessanter und sie haben ihn irgendwie berührt. Bereits nach diesen wenigen Minuten erscheinen sie ihm so vertraut, dass er ihnen seinen Vorschlag einfach unterbreiten muss.

„So, da sind wir, Ziel erreicht. Bleiben Sie bitte noch solange angeschnallt sitzen, bis das Fahrzeug seine endgültige Parkposition erreicht hat und die Triebwerke abgeschaltet sind“, flachst Richard, während er sein Fahrzeug mit Blicken in die Außenspiegel geschickt in die gewünschte Parkposition steuert.

„Vielen Dank junger Mann, dass war überaus liebenswürdig von Ihnen“, bedankt sich Ellen und auch Dave erhebt die Hand zum Dank.

„Sagen Sie einfach Richard zu mir. Ich habe aber noch eine Bitte an Sie; wenn Sie Essen oder Trinken möchten, kommen Sie bitte zu meinem Wagen. Das Grillfleisch und die Würstchen sind absolute Spitze, sind von einem deutschen Metzger. Gegen einundzwanzig Uhr ist das Geschäft hier für mich gelaufen und ich würde mich freuen, wenn ich Sie dann auf der Rückfahrt wieder als Gäste dabei haben dürfte.“

„Das ist ganz lieb von Dir, Richard. Ich heiße übrigens Ellen und das ist mein Mann Dave. Wir haben vor, den Uluru einmal zu umrunden, ausgeruht sind wir jetzt dafür, dank Deiner Hilfe. Wir werden Dir auf jeden Fall Bescheid geben, ob wir auf Dein Angebot zurückkommen. Zunächst wünschen wir Dir ein gutes Geschäft.“

Während Ellen und Dave sich, die Tasche wieder in ihrer Mitte, langsam dem Uluru nähern, spricht Ellen, entgegen ihrer sonstigen Art, recht vorwurfsvoll zu Dave.

„Warum bist Du nur so abweisend? War doch ein netter, freundlicher junger Mann und äußerst hilfsbereit dazu.“

„Die Fahrt war viel angenehmer, als der Fußmarsch, da stimme ich Dir zu, Ellen, aber als er sagte, dass er auf unserem Berg stand, da habe ich mich eben geärgert. Ich klettere auch nicht auf Kirchen und Moscheen rum und brüste mich dann noch damit.“

„Ja, Du bist es aber auch, der immer von unseren Rechten spricht, vom Kämpfen dafür, obwohl wir dazu nicht mehr in der Lage sind. Es gibt doch Einige, die für unsere Rechte kämpfen und die sehen, dass unserem Volk großes Unrecht angetan wurde. Die meisten dieser Leute haben wir nie zu sehen bekommen. Nun ist da mal ein junger Mann, der uns genau so behandelt, wie wir es uns wünschen und Du machst auf stur. Richard ist auf uns zugekommen und es besteht kein Anlass, ihn abzuweisen. Zudem können wir, wenn wir sein Angebot für die Heimfahrt annehmen, den Uluru umwandern, sonst schaffe ich das einfach nicht mehr.“

„Du hast einen sehr klaren Verstand, meine Liebe, antwortet Dave schon zärtlich; komm und schau, wie wunderschön der Uluru ist.“

Nach der Umrundung versuchen Ellen und Dave einen zumindest etwas ruhigeren Platz am „Dune lookout“ zu finden; von hier aus ist das Spektakel, welches der Sonnenuntergang bietet, besonders gut zu beobachten. Als sich der Stein zu verfärben beginnt und zu glühen scheint, applaudieren einige Besucher, als hätte Spielberg eine äußerst gelungene Lichtchoreografie inszeniert. Doch es gibt Niemanden, der dieses einmalige Schauspiel besser darstellen könnte, als die Natur selbst.

Ellen kommt

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