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Sechstes Kapitel Ein blinder Passagier

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Auf einmal erscholl ein fürchterliches Geschrei. Selbst durch den tosenden Sturm hindurch war es laut zu vernehmen. Aus der Tür zum Niedergang kam einer der Seeleute und zerrte eine weitere Person hinter sich her. Der Kapitän unseres Schiffs war sogleich zur Stelle und verlangte Meldung.

„Ich habe diesen blinden Passagier hier entdeckt, Lieutenant Commander Nelson“, berichtete der Mann.

Ich musste unweigerlich lächeln. Also hatte der kleine Apfeldieb von heute Nacht sein Versteck nicht sorgsam genug gewählt. Kapitän Nelson eilte mit wütender Miene zu der zappelnden und um sich schlagenden Gestalt, zog ihr die verhüllenden Tücher vom Kopf und ließ uns dadurch alle vor Schreck erstarren. Vor uns stand Djamila!

„Oh, das ist ein böses Omen. Sehr böse“, murmelte der alte Seebär neben mir. „Eine Frau an Bord. Wie sagt schon das alte Sprichwort? Frau an Bord, das Glück geht fort. Vielleicht beutelt uns deshalb auch dieser schlimme Sturm.“

Ich runzelte die Stirn. „Ach, das ist Aberglaube“, entgegnete ich.

„Was soll ich mit diesem blinden Passagier machen? Noch dazu ein Mädchen“, fragte der Kapitän laut in die Runde.

„Werft es über Bord!“, riefen einige der umstehenden Seeleute grimmig.

„Ja, ins Wasser mit ihr!“, brüllte jemand aus einer anderen Ecke.

Hier musste ich entschieden einschreiten. Zwar war ich beim Anblick Djamilas nicht erfreut gewesen, aber jetzt war die Situation nicht zu ändern und wir mussten mit ihr zurechtkommen. Umkehren konnten wir nicht und sie auch nirgends absetzen. Bevor also die Situation tatsächlich noch eskalierte, trat ich an die Seite von Djamila. Auch Halef und Haschim stellten sich sogleich schützend vor das Mädchen.

„Wir kennen diesen blinden Passagier“, gab ich dem Kapitän bekannt.

Er murmelte irgendetwas Unverständliches in seinen Bart. Dann verkündete er laut: „So werdet ihr diesen ungebetenen Gast unter eure Fittiche nehmen, Mister Kara Ben Nemsi. Ich möchte keinen Rockzipfel von ihr an Bord sehen, bis wir in Megalokastro eingelaufen sind.“

Mürrisch blickte er der Reihe nach in die Gesichter der umstehenden Männer. Dann blieben seine Augen an Captain Sean MacLean haften, der noch immer abseits an der Reling harrte. „Captain!“, brüllte der Kapitän gegen den Sturm an. „Sie tragen die Verantwortung!“ Mit dem ausgestreckten Zeigefinger wies er auf MacLean.

Dieser zuckte sichtlich zusammen und machte ein erstauntes Gesicht, kam dann jedoch zu uns herüber und stierte eine Weile betreten auf Djamila. „Gut, Lieutenant Commander Nelson. Es bleibt mir nichts anderes übrig. Das Mädchen wird von nun an zu meiner Truppe gehören, wie Sir Nemsi und seine Gefährten.“

Ich nickte ihm dankend zu. Aus dem Raunen der Seeleute konnte ich deren Unmut vernehmen. Also zogen wir vier uns mit Captain MacLean vorerst hurtig in unsere Kabine zurück.

„Vielen Dank, Captain, für Ihren Beistand.“

„Ich hatte keine andere Wahl, Sir Kara, schließlich konnte ich die junge Frau nicht als Haifischfutter über Bord gehen lassen. Aber sehr erfreut bin ich über die Situation nicht.“

„Ich auch nicht“, erwiderte ich und wandte mich mit verärgerter Miene Djamila zu. Das Mädchen, sonst so forsch und vorwitzig, zog den Kopf zwischen die Schultern. Es schien, als ob ihr der Ernst der Lage nun erst bewusst wurde.

„Djamila, was hast du dir dabei gedacht?“, donnerte ich los.

Das Mädchen schluckte. „Onkel Kara, ich wollte nur helfen“, gab sie kleinlaut zurück.

„Du hilfst uns aber nicht, wenn du dich auf ein fremdes Schiff schmuggelst“, warf Halef vorwurfsvoll ein. „Und was werden Hanneh und Amscha nun für Ängste ausstehen?“

Der Hauch eines Lächelns umspielte Djamilas Mund. „Ich habe ihnen einen Brief hinterlassen. Sie werden mich nicht suchen. Gewiss werden sie sich wie geplant auf den Weg nach Hause machen. Ich habe ihnen erklärt, dass ich es als meine Pflicht ansehe, bei der Rettung von Lord Lindsay mitzuhelfen und dass Onkel Kara und der liebe Halef gut auf mich aufpassen werden sowie auch Scheik Haschim – wie immer.“

So ein gerissenes Kind. Sie hatte alles wohlgeplant. Fast musste ich sie loben ob ihrer Weitsicht. Was ich natürlich nicht tat.

„Wie, um Allahs Willen, bist du von dem einen Schiff auf das andere gekommen?“ Halef hob die Hände beschwörend zur Kajütendecke hinauf.

„Mit dem Beiboot“, gab das Mädchen stolz zurück.

„Mit dem Beiboot? Das Boot wurde vor unserem Übersetzen für den Transport von Nahrungsmitteln verwendet. Du hattest gar keine Geleg…“ Mitten in meiner Rede hielt ich inne, denn es dämmerte mir, was die junge Frau getan hatte.

„Keine Gelegenheit?“, fragte sie auch sogleich recht frech. „Oh, es war die beste Gelegenheit. Wer achtet bei dem Hin- und Hergefahre schon darauf, ob ein Seemann, der einen Sack in den Laderaum schleppt, mit dem Boot wieder zum anderen Schiff zurückfährt?“ Verschmitzt zwinkerte sie uns zu.

„Wo hattest du nur deinen Verstand, Djamila?“, donnerte ich auf sie ein. „Ein Sturm zog auf. Was wäre gewesen, wenn das Boot gekentert wäre und niemand hätte dich erkannt? Du wärst ertrunken! Keiner hätte je erfahren, was mit dir geschehen ist. Das war unverantwortlich.“

Djamila wirkte mit einem Mal viel kleiner und wieder viel mädchenhafter.

„Es tut mir leid. Du hast Recht, Onkel Kara. Das war dumm von mir. Aber ich hatte keine Zeit, etwas zu planen oder viel darüber nachzudenken. Ich wusste, dass mir nur wenige Minuten blieben. Und da habe ich mich rasch mit ein paar Kleidungsstücken verkleidet und unter die Seeleute gemischt. Außerdem waren da doch die Delfine. Habt ihr die nicht gesehen? Sie haben stets die Schiffe umkreist.“

„Ja, wir sahen sie. Sie zogen direkt an unserem Boot vorbei“, gab ich zu.

„Nun“, fuhr das Mädchen fort, „ihr wisst doch, was man sagt. Delfine lassen keine Menschen ertrinken. Ich war also in Sicherheit.“

Ich schüttelte den Kopf über ihre Einfältigkeit. „Djamila, das ist nur eine Legende!“

„Nein, ist es nicht.“ Trotzig stampfte sie mit dem Fuß auf.

„Ich denke, wir sollten uns wieder beruhigen“, hörte ich plötzlich Haschims Stimme. „Einigen wir uns darauf, dass Djamila sehr unbedacht gehandelt hat. Aber es ist alles gut gegangen. Das Boot ist nicht gekentert und die Mannschaft hat sie nicht über Bord geworfen. Wir müssen nun wieder nach vorn schauen.“

Haschim hatte Recht. Alles Zetern nutzte uns nichts. Djamila würde nun, ob wir wollten oder nicht, Teil unseres Rettungstrupps sein.

Eine Frage konnte ich mir jedoch nicht verkneifen. „Dann hast du dir vergangene Nacht also etwas zu essen aus der Kombüse stibitzt?“

Djamila runzelte die Stirn. „Nein, ich hatte ein paar Kleinigkeiten bei mir und mich stets in dem kleinen Stauraum für das Tauwerk versteckt.“

Ich stutzte. Dass Djamila gute Verstecke an Bord eines Schiffs ausfindig machen konnte, war für die Tochter eines Piraten sicherlich nicht ungewöhnlich, aber ich fand es durchaus seltsam, dass sie nicht der Apfeldieb zu sein schien, für den ich sie im Nachhinein gehalten hatte. Entweder log das Mädchen uns an oder es war ein weiterer blinder Passagier an Bord. Ein Motiv, warum sie uns diesbezüglich beschwindeln sollte, konnte ich im Moment nicht erkennen.

Während wir diskutierten, hatte Haschim unsere Waffen und unser Gepäck von der vierten Koje genommen und anderweitig in der Kajüte verstaut. „Ich denke, dass die junge Frau diese Nacht gern in einem bequemeren Bett schlafen möchte als in einem Kabuff für Taue“, erklärte er freundlich.

„Sehr gern.“ Djamila lächelte und setzte sich mit einem Schwung auf das für sie bereitete Bett. Keck wippte sie mit den Beinen.

„Und von dort wirst du dich nicht mehr ohne meine Erlaubnis wegrühren“, befahl Halef.

„Aber lieber Halef …“, begann die junge Frau.

„Nichts lieber Halef! Wenn du nicht gehorchst, werde ich dich persönlich an die Haie verfüttern!“

Djamila warf trotzig den Kopf zurück. „So schnell werde ich kein Haifischfutter. Ich kann schwimmen wie ein Delfin.“

„Haie fressen Delfine gern“, erwiderte Captain MacLean mit leiser Stimme.

Djamila blickte ihn fassungslos an.

„Da nun alles geklärt scheint, werde ich versuchen an Deck die Wogen etwas zu glätten. Die Mannschaft ist sicher noch in Aufruhr wegen des weiblichen Passagiers. Ich hoffe, es wird mir besser gelingen, diese Wogen zu besänftigen, als die Wogen der aufgewühlten See zu begradigen. Denn das liegt leider außerhalb meiner Kompetenzen.“ MacLean lächelte verschmitzt, was ich ihm gar nicht zugetraut hatte, schlug die Hacken zusammen und entschwand aus der Kajütentür.

Kurze Zeit später klopfte es.

Djamila sprang vom Bett.

„Da hat der gute Captain wohl noch etwas vergessen“, kommentierte sie kichernd und öffnete die Tür.

Plötzlich ging alles sehr rasch. Ein kräftiger Arm griff nach dem Mädchen und zerrte es aus der Kajüte. Djamila schrie erschrocken auf. Da die Kabine so eng bemessen war, konnten wir drei Männer nicht gleichzeitig hinterherrennen. Ich war der Nächste an der Tür und stürmte hinaus. Doch die Entführer waren vorbereitet. Ein harter Gegenstand traf mich am Kopf und streckte mich nieder. Ich verlor zwar kurz die Kontrolle über meinen Körper, aber nicht die Besinnung. So registrierte ich, dass drei Seemänner in dem Korridor zu Gange waren. Einer verbarrikadierte unsere Tür, sodass Haschim und Halef eingeschlossen wurden, und die anderen zwei zogen die zappelnde und kreischende Djamila die Treppe hinauf. Meine Starre währte nur kurz, aber lange genug, dass die Männer Zeit hatten, sich aufs Deck abzusetzen. Als ich wieder in der Lage war, mich zu bewegen, sah ich die letzten Stiefel am oberen Treppenabsatz verschwinden. Mir blieb keine Zeit, meine zwei Freunde zu befreien. Ich musste Djamila retten. Was auch immer diese Leute vorhatten, es schien mir nichts Gutes zu sein. So eilte ich mit einem pochenden Schmerz im Kopf den Seeleuten hinterher. Oben angekommen erblickte ich Djamila wild mit den Armen um sich schlagend und mit den Beinen nach ihren Häschern tretend an der Reling. Ich sprintete auf sie zu. Doch ehe ich das Mädchen erreichte, erhielt ich erneut einen Stoß, der mich fast von den Füßen gerissen hätte. Während ich mein Schwanken ausbalancierte, sah ich, wie zwei der Seeleute Djamila an Armen und Beinen packten und sie in hohem Bogen über Bord warfen. Ein langer Schrei des Mädchens drang dabei zu mir herüber, der mit einem klatschenden Geräusch ein jähes Ende fand. Djamila war in der stürmischen See gelandet. Ich konnte kaum glauben, was da geschah. Erwachsene englische Soldaten fürchteten sich derart vor einem alten Sprichwort, dass sie ein Mädchen dem wütenden Meer übergaben? Wie irre begannen die drei Männer erfreute, fast erleichterte Rufe auszustoßen und herumzuhüpfen, als hätten sie einen bedrohlichen Feind besiegt. Andere Seeleute, die zunächst unbeteiligt waren, stimmten in das Freudengeheul ein. Den Tumult ausnutzend rannte ich gleichfalls zur Reling, stieß zwei der Seeleute beiseite, die sich mir in den Weg stellen wollten, und warf mich mit einem Hechtsprung über Bord. Das war sicher nicht ganz ungefährlich, weil ich nicht überblicken konnte, wo ich landen würde. Doch für genauere Vorbereitungen blieb angesichts der Lage keine Zeit.

Mit dem Kopf und den ausgestreckten Armen voran tauchte ich in das kalte, schäumende Wasser ein. Die Wellen schlugen über mir zusammen. Ich fühlte mich kurz benommen, da noch immer der Schmerz von dem Schlag in meinem Kopf hämmerte. Zunächst umfing mich Dunkelheit, denn war das Tageslicht durch das üble Wetter schon über der Wasseroberfläche trüb, so war es darunter noch finsterer. Ich wusste zunächst nicht mehr, wo oben oder unten war. Das Salzwasser brannte zudem in meinen Augen. Nach kurzer Zeit gewöhnten sie sich jedoch daran und ebenfalls an die Dunkelheit. So konnte ich bald meine Umgebung erkennen. Ein Blitz erhellte erneut die Wasseroberfläche und ich war in der Lage, mich ein wenig zu orientieren. Aufrecht und mit den Armen paddelnd drehte ich mich unter Wasser einmal im Kreis und suchte so nach Djamila. Da sah ich einen Schatten, der wild zappelte. Offensichtlich hatte das Mädchen die Wasseroberfläche wieder erreicht. Mit ausladenden Bewegungen schob ich mich vorwärts. Ich versuchte den Gedanken an die Gefahr, welche von den Blitzen ausging, auszublenden. Doch gelang es mir nicht so recht. Schließlich entluden sich gerade ungeheure Energiemengen über unser beider Köpfe. Zudem wusste ich, dass das Salzwasser um ein vielfaches besser leitete als Süßwasser. Dies konnte allerdings auch zu unserem Vorteil sein, weil die Ladung des Blitzes im Wasser dadurch schneller abtransportiert wurde – oder uns besser zugeleitet? Zur Gefahr eines tödlichen Stromschlags kam noch hinzu, dass das Wasser in der Umgebung der Einschlagstelle explosionsartig verdampfte und wir dabei bei lebendigem Leibe gekocht würden. Da ich jedoch keinerlei persönliche Erfahrung mit diesem Phänomen hatte, waren das nur Theorien, die mir da im Kopf herumschwirrten, während ich nach oben schwamm. Ich beeilte mich zusehends, zumal ich meine Theorien über die elektrischen Entladungen auf hoher See nicht in einem praktischen Versuch bestätigt wissen wollte. Obwohl ich ansonsten der wissenschaftlichen Beweisführung in besonderem Maße zugetan war, konnte sie mir hierbei gern gestohlen bleiben.

Je näher ich der Oberfläche kam, umso schwerer wurde der Kampf gegen die Gewalt der See. Denn dort oben tobte der Sturm und ließ erhebliche Wellenberge entstehen. Wieder zuckte ein Blitz. Bevor ich das Wasser durchstieß, um Atem zu schöpfen, erblickte ich in dem Licht weitere Schatten, die nun das Mädchen umkreisten.

Haie!, schoss es mir durch den Kopf. Sogleich zuckte meine Hand zum Gürtel und ergriff das Bowiemesser. Mit noch kraftvolleren Stößen bewegte ich mich nun vorwärts und tauchte unmittelbar neben Djamila in einem Wellental auf. Tief atmete ich ein, denn mein Körper gierte nach Sauerstoff. Dann sah ich mit Entsetzen eine Rückenflosse genau neben dem Mädchen auftauchen. Ich wollte nach Djamila greifen, doch das Tier war schneller. Es packte sie und zog sie von mir weg. Das schäumende Wasser behinderte mich in meinen Bewegungen. Ich war nicht in der Lage, mit dem Messer nach vorn zu schnellen, um dem Hai einen Stoß damit zu versetzen. Im Gegenteil. Eine gewaltige Welle rollte heran und hob mich empor. Djamila dagegen wurde von dem Raubtier unter Wasser gezogen. Nun konnte ich noch weitere Rückenflossen erkennen. Es war eine ganze Gruppe, welche hier am Werk war. Panik ergriff mich. Gegen diese Übermacht hatte ich keine Chance. Kurz wendete ich den Kopf in der Hoffnung, Hilfe vom Segeldampfer zu erhalten. Doch das Schiff war schon viel zu weit entfernt. Als mich das Meer wieder in ein Wellental sog, entschwand es gar völlig aus meinem Blickfeld. Auch Djamila war verschwunden. Verzweifelt wollte ich zum Tauchen ansetzen, um sie unter der Oberfläche zu suchen, als neben mir ein glänzender Leib auftauchte. Ich hob den Arm mit dem Messer empor, um es dem tödlichen Räuber in den Rumpf zu rammen. Ein zweiter Leib schob sich unter mich und verhinderte meine Attacke. Er hob mich ein Stück aus dem Wasser heraus. Reflexartig hielt ich mich an der Rückenflosse fest, die neben mir aus dem Wasser ragte. Und plötzlich zischte vor meinem Gesicht eine kleine Fontäne empor. Ich erstarrte.

Beinahe wäre ich in erleichtertes Lachen ausgebrochen. Es waren Delfine! Eine Gruppe großer grauer Tümmler hatte sich um mich versammelt und auf dem Rücken eines der Tiere lag Djamila. Sie hielt sich ebenfalls an der Rückenflosse fest und lächelte zu mir herüber. Nun, da die Anspannung von mir abfiel, bemerkte ich zudem meinen Irrtum. Im Gegensatz zu den eher dreieckigen und am Ende spitzen Rückenflossen des Hais waren diese hier leicht gebogen und rundlich zulaufend. Auch die Haut der Tiere war glatt und nicht von der rauen Struktur derer des Hais. Diese war mit winzigen Zähnchen besetzt und fast ebenso gefährlich wie sein messerscharfes Gebiss. Sie konnte einem Menschen im Kampf mit dem Untier schlimme Wunden reißen.

„Onkel Kara!“, hörte ich Djamila rufen. „Siehst du? Ich hatte Recht. Die Delfine beschützen mich.“

Das konnte ich mir zwar nicht erklären, aber auch nicht leugnen. Diese Tiere waren tatsächlich gerade im Begriff, uns das Leben zu retten. Djamilas Delfin schwamm nun parallel zu meinem und ich konnte das Strahlen in den Augen des Mädchens erkennen.

„Wie ist das möglich?“, fragte ich laut, aber mehr zu mir selbst.

„Als ich ins Wasser eintauchte, konnte ich nicht mehr schreien. Ich sank hinab, obwohl ich dagegen anzuschwimmen versuchte. Da sah ich vor meinem inneren Auge die Gruppe Delfine, die das Schiff vor Zypern umkreist hatte. Ich rief in Gedanken nach ihnen. Ich weiß nicht, aber anscheinend haben sie mich erhört. Denn plötzlich wurde ich nach oben gedrückt.“

„Ich kann das kaum glauben“, erwiderte ich.

„Aber du erlebst es doch gerade, Onkel Kara. Und du solltest dein Messer wegstecken, bevor du noch eines der schönen Tiere verletzt.“

Als wollten sie Djamilas Worte bestätigen, begannen einige der Meeressäuger laut zu schnattern. Ich steckte das Messer in die Scheide am Gürtel zurück. Mittlerweile waren wir auf den Wellen auf- und abgeritten und dadurch dem Dampfsegler wieder sehr nahe gekommen. Ich konnte Haschim, Halef, Captain Sean MacLean und den Kapitän an der Reling stehend erkennen. Sie hatten eine Strickleiter herabgelassen.

„Djamila, ergreif die Leiter!“, rief ich ihr zu. Der Delfin des Mädchens schwamm längsseits zum Schiffsrumpf exakt unter die heruntergelassene Strickleiter. Ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass er meine Worte verstanden hatte. Oder folgte er Djamilas Befehlen, die sie ihm unbewusst durch ihre Gedanken mitteilte? Es war unheimlich und faszinierend zugleich. Leider blieb mir keine Zeit dieses Phänomen näher zu studieren, denn Djamila hing schon an der Leiter und kletterte geschickt hinauf. Kaum war sie von Halef über das Geländer gezogen worden, schwang auch ich mich hinüber zu den Stricken und kletterte empor. Unter mir keckerten die Tümmler, als wollten sie uns Lebwohl sagen. Ich blickte hinab und beobachtete, wie sie einige wilde Sprünge taten und schließlich in den Fluten verschwanden.

Völlig durchnässt und durchgefroren erreichte ich schließlich das Deck. Captain MacLean erwartete mich mit einer Decke. Auch Djamila war schon in ein wärmendes Tuch gehüllt. Lieutenant Commander Nelson blickte mich mit entschuldigender Miene an.

„Es tut mir sehr leid, Mister Kara Ben Nemsi, dass die Situation derart eskaliert ist. Natürlich kann ich als Seemann die Befürchtungen meiner Mannschaft verstehen, doch diese Ängste dürfen nicht in einen Mordanschlag an einer jungen Frau ausarten.“

„Mmm“, grummelte ich, innerlich noch äußerst wütend. Doch wollte ich den Konflikt nicht erneut anheizen. Also antwortete ich in sachlichem Tonfall: „Nun, dann danken wir Ihnen für die Rettung.“

„Oh, danken Sie lieber Captain MacLean. Er musste auch mich erst mit schlagkräftigen Argumenten überzeugen.“

Als ich meinen Blick zwischen dem Captain und dem Kapitän hin- und herwandern ließ, wurde mir bewusst, dass der Kapitän das durchaus wörtlich meinte. Ich bemerkte eine kleine Platzwunde an seinem Kinn und eine ähnliche Wunde am linken Jochbein des Captains. Ich war durchaus erstaunt über den jungen Mann. Tatsächlich hatte der Captain es geschafft, gegen den Aberglauben der Mannschaft anzukämpfen und sogar zu gewinnen. Und dies im wörtlichen Sinn. Ich bemerkte nun, dass die drei Verschwörer mit gefesselten Händen auf den Planken des Decks hockten, bewacht von ihren bewaffneten Kameraden.

„Ich habe beschlossen“, erklärte der Kapitän laut, „nach Ablieferung unserer Passagiere auf Kreta, diese drei wegen Meuterei und versuchten Mordes unserem Militärstützpunkt auf Malta zuzuführen. Dort werden sie sich vor einem Militärgericht verantworten müssen und sicherlich hingerichtet werden. Wir sind doch hier keine Piratenbande, sondern die Britische Navy!“

Das Entsetzen über diese Ankündigung war nicht nur in den Gesichtern der Delinquenten abzulesen, sondern bei allen Umstehenden. Leises Wimmern und Flehen um Gnade war durch das Brausen des Sturms zu vernehmen. Und obwohl das Verhalten dieser Männer Djamila und mich fast das Leben gekostet hatte, rührte es mich. Doch war ich mir auch bewusst, dass Mitleid hier fehl am Platz war. Denn wie der Kapitän schon sagte, hatten diese Männer versucht, Djamila umzubringen.

Plötzlich erhob sich einer der Gefangenen. Er war ungefähr in meinem Alter mit dunkelblondem Haar und Bart. Sein zerrissenes Hemd überspannte einen muskulösen Oberkörper. Ein wahrer Seemann. Ich erkannte in ihm den Mann, der Djamila an den Beinen gepackt und über Bord geworfen hatte. Und ich erkannte den Maschinisten der Dampfmaschine wieder. Mit versteinerter Miene blickte er den Lieutenant Commander an.

„Ich möchte um Gnade für meine Kameraden bitten. Ich allein trage die Schuld und die Verantwortung für den Vorfall“, erklärte er mit fester Stimme.

Der Kapitän blickte den Mann eine Weile an. Dann antwortete er: „Mackenzie, es ehrt Sie, dass Sie sich für Ihre Verbündeten einsetzen. Doch das liegt nicht mehr in meinem Verantwortungsbereich. Das wird ein Gericht klären.“ Mackenzie senkte resigniert den Blick. Der Kapitän rief nach dem Schiffsschmied. „Legt die drei in Eisen“, befahl er, „und sperrt sie in die Arrestzelle!“

Der Schiffsschmied eilte mit Ketten herbei und legte sie den Gefangenen an Händen und Füßen an. Mit lauten Schlägen hämmerte er Bolzen in die Ringe. Dann wurden die Meuterer Richtung des Niedergangs abgeführt. Ihre Schritte waren nun schwer von den Fußeisen. Plötzlich löste sich Mackenzie aus der Reihe. So schnell es seine gefesselten Füße erlaubten, schleppte er sich Richtung Reling. Sofort richteten einige der Seeleute, welche die Gefangenen abführen sollten, ihre Gewehre auf ihn.

„Was ist? Hat euch der Mut verlassen? Schießt doch! Ich habe nichts zu verlieren!“, brüllte der Maschinist. „Lieber will ich auf See sterben, als zur Schande meiner Familie gehängt werden.“ Damit ließ er sich rückwärts über die Reling kippen. Sofort rannten ich, der Captain und auch der Kapitän hinüber. Wir erblickten Mackenzie nur noch für einen kurzen Moment an der Oberfläche, als wir die Reling erreicht hatten. Er sah zu uns hoch mit einem Gesichtsausdruck, als wolle er sich verabschieden. Dann hatte die schäumende Gischt ihn verschluckt. Captain MacLean machte Anstalten hinter Mackenzie herzuspringen, doch hielt ich ihn zurück. „Tun Sie das nicht! Das würde Ihren sicheren Tod bedeuten. Der Mann ist verloren. Das Eisen zieht ihn unaufhaltsam nach unten.“ Ich spürte, wie der Captain neben mir in sich zusammensackte. Seine Hände krallten sich an der Reling fest und sein Blick war auf die tobende See unter dem Schiff gerichtet.

„Was bedeutet Ihnen der Mann?“, fragte ich neugierig.

„Eigentlich nichts“, erwiderte MacLean. „Doch sein Bruder wartet auf uns auf Kreta. Er ist mein Corporal.“

Bedauernd legte ich dem Captain eine Hand auf die Schulter.

„So hat denn eine höhere Macht über Mackenzie gerichtet“, gab der Kapitän von sich. „Ich werde seine Aussage ins Logbuch eintragen, dass er jede Schuld auf sich nahm. Vielleicht wird das seine Verbündeten vor dem Strick retten. Aber eine unehrenhafte Entlassung aus dem Militärdienst wird es dennoch nach sich ziehen.“ Dann wandte er sich an mich. „Sie und die junge Dame sollten sich etwas Trockenes anziehen, Mister Nemsi.“ Er blickte mich mit finsterer Miene an. Mir war klar, dass er uns die Schuld an dem Vorfall gab. Doch gegen Angst und Aberglaube war eben noch kein Kraut gewachsen. Sie veranlassten die Menschen schon seit jeher zu irrationalem Handeln. Man denke nur an die Hexenverfolgungen im Mittelalter.

Zum Abendessen war es Djamila erlaubt, mit in die Messe zu kommen. Keiner wagte das Thema des Mordversuchs oder des Selbstmords anzusprechen. Das war mir recht, denn ich befürchtete, dass sich Djamila an dem Geschehen schuldig fühlen könnte. Doch vielleicht schätzte ich da die Tochter von Abu Seif auch falsch ein. Wahrscheinlich war sie derlei Dinge aus ihrem Leben auf dem Piratenschiff gewohnt. Diese Leute gingen gewiss nicht zimperlicher mit Befehlsverweigerern oder Feinden um und hatten sicher noch viel grausamere Strafen in ihrem Repertoire.

Selbst nach dem Essen durfte das Mädchen mit uns an Deck frische Luft schnappen. Die Mannschaft beachtete sie nicht. Im Moment konnte man sie durch ihre ungewöhnliche Seemannskluft auch fast für einen jungen Burschen halten. Ganz wohl war mir trotzdem nicht. Denn ich konnte mir vorstellen, dass der überwiegende Teil der Besatzung ihr die Schuld am Tod von Mackenzie und der bevorstehenden Bestrafung der anderen zwei Männer gab. Halef dagegen ging es bedeutend besser. Entweder hatte Haschims Tee vorzüglich gewirkt oder die Aufregung um Djamila hatte ihn von seiner Seekrankheit geheilt.

Der Wind pfiff uns immer noch ordentlich um die Ohren, jedoch hatte es aufgehört zu regnen. Trocken blieben wir trotzdem nicht. Die Gischt spritzte bis auf das Schiffsdeck und besprühte uns mit feinsten Wassertropfen. Jedwedes Zeugnis der heutigen Geschehnisse war verschwunden. Die Männer, die wir an Deck sahen, gingen stumm ihrer Arbeit nach.

An der Reling trafen wir auf den alten Seebären. Der grauhaarige Seemann schlurfte mittschiffs zum Schornstein und setzte sich dort auf eine Kiste. Er schüttelte missmutig den Kopf. Djamila ging forsch zu ihm hin.

„Habt Ihr Angst, dass der Klabautermann Euch holt, weil eine Frau an Bord ist?“, hörte ich sie durch das Brausen des Sturms hindurch fragen.

„Nicht der Klabautermann. Aber dort draußen gibt es manch andere gefährliche Ungeheuer“, antwortete der Alte auf Arabisch.

Ich war erstaunt. Djamila schien es gar nicht zu wundern, dass ein britischer Soldat ihrer Sprache mächtig war.

„Wirklich?“ Das Mädchen setzte sich neben ihn auf die Kiste und blickte den Seemann erwartungsvoll an. Ungewollt lauschte ich dem Gespräch.

„Erzählt mir davon. Ich mag zwar ein Mädchen sein, doch bin ich schon oft zur See gefahren. Mein Vater war … auch Seemann.“

„Oh, dann seid Ihr womöglich nicht so gefährlich wie alle annehmen und diese ganze Aktion heute war furchtbar dumm und überflüssig.“ Er grinste Djamila an und entblößte zwei gelbe Zahnreihen mit einigen Lücken darin. „Also seid Ihr eine erfahrene Seefrau?“

Djamila lachte. „Ja, so könnte man sagen. Nun erzählt mir von den Ungeheuern.“

Ich bemerkte, wie auch Halef sich zu dem Seebären gesellte. Er stand neben dem Mädchen und lauschte gespannt den Worten des Alten.

„Hier in diesen Gewässern gibt es zahlreiche Ungeheuer. Manche mögen Legende sein, andere Wirklichkeit. Wer kann das schon sagen? Die, die es berichten könnten, liegen längst auf dem Grund des Meeres oder im Schlund des Ungeheuers. Es wird von zahlreichen unheimlichen Vorfällen berichtet. Schon oft sind Schiffe hier spurlos verschwunden, mit Mann und Maus untergegangen.“

Ich blickte Haschim an. Sein Blick sagte mir, dass auch er die Geschichten des Seemanns interessant fand. So schlenderten wir wie zufällig hinüber und lauschten dem Seemannsgarn, welches ich zwar nicht für bare Münze nahm, doch konnte es vielleicht auch ein Fünkchen Wahrheit enthalten und uns mehr über die Aktivitäten der britischen Marine in diesen Gewässern verraten. Dem Alten schien unsere Gesellschaft zu gefallen. Mit dramatischer Miene spann er seine Geschichten. Inzwischen war die Wolkendecke mancherorts aufgerissen und der zunehmende Mond lugte hin und wieder daraus hervor. Sein silberner Schein ließ geheimnisvolle Lichter auf der See tanzen und tiefe Schattentäler entstehen.

„Eins der Ungeheuer taucht immer wieder in den Erzählungen auf“, berichtete der Seemann weiter. Seine Stimme hatte einen tiefen raunenden Ton angenommen. „Es ist ein riesiges Meeresgeschöpf, welches unser Schiff um einiges an Länge übertrifft. Mit blankem Leib wie ein Delfin und einem gewaltigen Horn wie ein Einhorn oder Narwal schlitzt es die Rümpfe der Segler und Dampfer auf, die unglücklich seinen Weg kreuzen. Es versenkt sie mit einem einzigen Stoß seines Horns.“

Er machte eine dramatische Pause und blickte versonnen auf die aufgewühlte See hinaus.

„Ich selbst habe es schon einmal zu Gesicht bekommen“, berichtete er weiter mit rauer Stimme und einem seltsamen Glanz in den Augen. „Damals wollten wir die Straße von Gibraltar durchqueren, als sich vor uns eine gewaltige Bugwelle aufbäumte, die nicht von unserem Schiff stammte. Ein glatter glänzender Rumpf durchschnitt das Wasser. Es war fast so, als sei das Ungeheuer unter uns hindurchgetaucht, um vor uns die Meeresenge passieren zu können. So schnell wie es erschien, verschwand es auch wieder. Noch Stunden später suchten wir angsterfüllt mit den Augen das Meer ab, mit der Befürchtung, den plötzlichen Todesstoß zu erhalten.“

Halef hing gebannt an seinen Lippen. Natürlich glaubte ich die Geschichte nicht, sondern hielt sie für Flunkerei. Mein Gefährte dagegen war von dem Bericht deutlich beeindruckt. Auch Haschim und Djamila wirkten äußerst gefesselt von der Erzählung.

„Auch ich habe schon von derartigen Vorfällen hier im Mittelmeer gehört. Die Pi … äh Seeleute meines Vaters haben ebenfalls von diesem Seeungetüm erzählt, welches Schiffe mit seinem Horn versenkt“, gab Djamila zum Besten.

„Na gut“, erhob ich meine Stimme, „ich denke, es wird Zeit, dass wir uns in unsere Kajüte zurückziehen, bevor uns das Ungeheuer verschlingt. Morgen wird ein anstrengender Tag, Djamila.“

Das Mädchen blickte mich enttäuscht an.

„Geh schon vor. Wir kommen gleich nach“, forderte ich sie auf.

„Ich werde dich begleiten“, erbot sich Haschim.

Als die zwei in der Tür zum Niedergang verschwunden waren, fragte der Alte: „Befürchtet Ihr, dass das Kind Alpträume bekommt?“

„Nein, sie ist mit allen Wassern gewaschen. Das eher nicht. Aber trotzdem ist es nicht ratsam, sich in solche Spinnereien hineinzusteigern. Ich befürchte eher, dass jedes kleine Missgeschick, was sich an Bord zuträgt, dem Mädchen angelastet werden könnte und der Konflikt von Neuem aufflammt.“

Der Seebär zuckte mit den Schultern. „Ein liebes Kind, in der Tat. Doch Frau an Bord und das Glück ist fort.“, raunte er. „Ihr habt die Auswirkung selbst gesehen. Kaum hatte sich das Mädchen an Bord geschlichen, haben die Elemente wütend aufbegehrt. Oder glaubt ihr, dass das Unwetter uns zufällig heimsuchte? Und dann dieser Selbstmord des Maschinisten.“ Er schüttelte missmutig den Kopf.

Ich blieb ihm die Antwort auf seine Frage schuldig, denn ich verspürte wenig Lust, mit ihm über Meteorologie zu diskutieren, über Hochdruck und Tiefdruck und die daraus resultierenden Luftverwirbelungen in der Atmosphäre. Auch die Sache mit Mackenzie wollte ich nicht weiter vertiefen. Halef und ich verabschiedeten uns deshalb mit einigen freundlichen Floskeln von ihm und traten an die Reling.

„Glaubst du, es ist Unfug, was er erzählt?“, fragte mein Freund und blickte mich erwartungsvoll an.

„Du meinst das Seeungeheuer? Jede Legende hat einen wahren Kern. Vielleicht sind es Untiefen, an denen die verschollenen Schiffe ihren Tribut gezahlt haben. Ich weiß es nicht. Doch ein gigantisches Ungeheuer mit gewaltigem Horn scheint mir eher ins Reich der Märchen zu gehören denn in die Gefilde des Mittelmeers.“

Plötzlich durchzuckte ein Ruck das Schiff begleitet von einem lauten Krachen.

„Siehst du, Sihdi!“, rief Halef entsetzt und krallte sich am Geländer fest. Gischt spritzte in hohem Bogen am Bug empor.

Ich lachte. „Nur eine Welle Halef. Eine große Welle, die den Rumpf ungünstig getroffen hat.“

Halef schüttelte ungläubig den Kopf und richtete den Blick auf die wütende See. Ich dagegen blickte in den Himmel. Der Wind spielte mit den Wolken und formte sie nach Gutdünken um, verwandelte sie in Drachen, Schlangen und Ungeheuer. Eine dicke Wolke riss auf und gab den Mond frei.

„Da! Siehst du die Bugwelle, Sihdi?“ Halef zeigte mit ausgestrecktem Arm zwischen die Wellenberge.

Ich blickte in die Richtung und suchte das Meer ab, doch erspähte ich nichts dergleichen. Der Mond zog sich zurück hinter seinen Vorhang. Dunkelheit breitete sich aus. Nur die bleichen Gischtkronen der heranrollenden Wogen glänzten matt. Dazwischen tanzten Schatten, die nun auch mir allerlei Fabelwesen vorzugaukeln versuchten. Doch mein klarer Verstand konnte noch immer zwischen Traum und Realität unterscheiden. Der glänzende Leib eines Delfins tauchte kurz auf und verschwand wieder.

„Da war es! Das Ungeheuer!“, rief Halef entsetzt.

„Es war nur ein Tümmler, Halef“, versuchte ich, ihn zu beruhigen.

„Den habe ich auch gesehen. Weiter hinten, zwischen den Wogen jedoch sah ich den Rumpf des Ungetüms glänzen.“

Ich schüttelte ungläubig den Kopf und kniff die Augen zusammen, um besser in der Dunkelheit sehen zu können.

„Es umkreist uns. Es will uns vielleicht ausspionieren und wartet auf den richtigen Moment“, flüsterte mein Freund, als gelte es, das Gesagte vor anderen Ohren zu verbergen.

Ich spähte weiter hinaus auf das Meer und konnte doch nicht sehen, was er meinte, gesehen zu haben. Da war nichts. Nichts, das ich als unheimliches Seeungetüm identifizieren konnte. Und doch wusste ich, dass Halef nicht zur Hysterie neigte. Er mochte an mancherlei unerklärliche Dinge glauben, hatte dabei doch auch immer einen scharfen Verstand bewiesen. Gänzlich als Halluzination mochte ich seine Sichtung daher nicht abtun. An ein Ungeheuer konnte ich jedoch auch nicht glauben. So begab ich mich mit zwiespältigen Gefühlen und einem aufgewühlten Halef im Schlepptau zurück in unsere Kajüte.

Der Herrscher der Tiefe

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