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Zweites Kapitel Ein seltsames Angebot

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Sir David Lindsays erwähnter Kapitän meldete sich tatsächlich am nächsten Abend bei uns in Gestalt eines kleinen Schiffsjungen. Artig zog er seine Mütze vom Kopf und legte seine schwarze Lockenpracht frei. Dann eröffnete er uns, dass am nächsten Tag ihr Schiff, die Shams Albahr – was Arabisch war und so viel hieß wie Die Sonne des Meeres –, die Segel setzen würde und wir uns gegen Mittag an Bord begeben könnten. Mit gesenktem Blick wiederholte er dann die Worte seines Kapitäns, durch die jener einen horrenden Preis für die Überfahrt forderte, den wir jedoch nicht zu zahlen gedachten. Denn wir wussten natürlich, dass Lord Lindsay ein Gentleman war, auch wenn er uns für eine geheimnisvolle und fragliche Mission im Stich gelassen hatte. Er hatte den Kapitän sicher mehr als üblich für seinen Dienst entlohnt. Doch ich erwähnte es dem kleinen Kerl gegenüber nicht. Er konnte ja nichts für die Verschlagenheit seines Kapitäns. Wir würden die Sache morgen persönlich mit diesem geschäftstüchtigen Herrn besprechen. Und so machten wir uns daran, unsere Sachen zu packen.

Am nächsten Morgen war alles für die Abreise bereit. Mein guter Halef, berauscht von dem Fund seines Goldenen Vlieses, musste indes noch einmal dringlichst nach interessanten Mitbringseln Ausschau halten. Deshalb begab er sich eiligst hinunter zur Straße. Doch währte es nicht lange und er klopfte an meine Tür. Ich öffnete und blickte reichlich verdutzt drein, ihn so bald wieder hier in unserem Quartier zu sehen.

„Was ist geschehen, Halef? Sind alle magischen Utensilien auf Zypern schon ausverkauft?“, zog ich ihn auf. Er ging jedoch nicht auf meinen Scherz ein.

„Sihdi“, begann er seine Erklärung, „unten ist ein Mann und will dich sprechen.“

„Was für ein Mann ist es und was will er?“, fragte ich reichlich überrascht. Wir waren die Zeit in Kyrenia recht vorsichtig gewesen und hatten versucht, uns unauffällig zu verhalten. Wer also konnte von unserer Anwesenheit hier Kenntnis haben?

„Er trägt keine Uniform, scheint mir aber ein britischer Soldat zu sein. Er spricht sehr seltsam, eben wie einer dieser zwei englischen Krieger“, ergänzte Halef.

Ich verstand, dass mein Gefährte die britischen Soldaten Terbut und Bradenham meinte, mit denen wir schon so manches Abenteuer bestanden hatten. Erst jüngst hatten wir mit ihnen auf Lindsays Yacht nach Zypern übergesetzt und sie waren uns gute Verbündete bei unserer Finte gegen die Piraten gewesen. Wir kannten die beiden schon etliche Jahre, noch aus der Zeit, als wir uns auf den Spuren Al-Kadirs und des Schuts bewegten. Immer wieder kreuzten sich unsere Wege, und wenn ich auch nicht in tiefer Zuneigung zu ihnen zerfließe, so habe ich doch Respekt vor ihnen.

In dem Moment überkam mich eine leidvolle Ahnung. Es wird doch unserem guten Lord nichts zugestoßen sein? Ich begann mich bei diesem Gedanken in der Tat zu sorgen. Mein Verstand sagte mir allerdings, dass dies nicht möglich sein konnte. Lord Lindsay konnte mit seiner Segelyacht frühestens heute Abend sein Reiseziel Kreta erreichen, wenn die Sonne schon längst untergegangen sein würde. Bei gutem Wind und unter vollem Dampf vielleicht auch in der frühen Abendstunde. Trotz der modernen Technik seines Dampfseglers währte die Überfahrt nach Kreta mindestens zwei Tage. Wenn ihm etwas geschehen sein sollte, konnte das im Moment noch niemand wissen und uns somit auch keine Kunde darüber bringen. Trotzdem folgte ich mit ungutem Gefühl meinem treuen Halef nach unten in den Garten, der sich hinter dem Haus, in dem wir Quartier bezogen hatten, befand.

Die Morgensonne warf lange Schatten in dem mauerumfriedeten Bereich hinter dem Haus. Die weißen Blüten des Hibiskus mit dem auffallend roten Auge stachen wie leuchtende Sterne daraus hervor. Blume der schönen Träume wurde er genannt. Eine von dunklem Violett über Purpur bis zartem Rosa blühende Bougainvillea eroberte mit ihren dornigen Ranken die hellen Sandsteine der Gartenmauer. Der würzige Duft von Kräutern erfüllte die Luft. Rosmarin, Thymian, Minze und viele weitere der köstlichen Gewürzpflanzen, welche die mediterranen Gerichte aufs Trefflichste vervollständigten, blühten nahe der Terrasse und konnten somit schnell von der Köchin des Hauses erreicht werden.

Im Schatten des Verandadachs stand in der Tat ein Mann. Dass Halef ihn sogleich als Soldaten erkannt hatte, mag an seiner steifen Haltung gelegen haben und vielleicht an seiner Ausdrucksweise, denn seine Kleidung gab dies jedenfalls nicht her. Er trug einen grauen unscheinbaren Mantel, den man wohl als Reisender zu tragen pflegt. Als ich nähertrat, klappte er für einen kurzen Moment sein Revers hoch und gewährte mir somit den Blick auf ein Abzeichen. Es zeigte eine Erdkugel im Lorbeerkranz mit dem Wahlspruch Per mare, per terram – was also bedeutete Zu See, zu Land. Wäre er in seiner eigentlichen blauen Uniform vor mir gestanden, so hätte ich sicher zunächst angenommen, er sei Angehöriger des britischen Heeres. Erst das Zeichen hätte mir, wie nun auch, verraten, dass er den Royal Marines angehörte, einer speziellen Einheit der Royal Navy. Es musste sich also um eine ganz besondere Operation handeln, wenn ein Soldat eines derartigen Sonderkommandos hier aufschlug, noch dazu inkognito. Letztes war natürlich nicht verwunderlich, denn Zypern stand unter dem Dekret der Hohen Pforte und gehörte dem Osmanischen Reich an. Somit konnte das britische Militär hier nicht einfach nach Gutdünken herumstolzieren. Als ich ihn erreichte, schlug der junge Mann seine Hacken militärisch zusammen, nahm die Rechte an die Schläfe und verkündete: „Captain Sean MacLean, Sir.“ Im selben Moment blickte er sich sichtlich erschrocken ob seiner verräterischen Begrüßung im Garten um. Doch war außer Halef niemand weiter zugegen. Man konnte aber nie sicher sein, ob nicht ein neugieriges Auge durch einen Mauerspalt blinzelte. Nun, sei’s drum, dachte ich bei mir. Ich hatte nichts zu verbergen und war nicht in Kenntnis der geheimen Mission dieses Gentleman. Was sich jedoch alsbald änderte.

„Guten Morgen“, erwiderte ich gänzlich unmilitärisch. „Sie wollten mich sprechen?“ Ich streckte ihm meine Rechte entgegen.

Der junge Mann räusperte sich verlegen, nahm die Hand wieder herunter und erwiderte meinen zivilen Händedruck. Unter seiner Kopfbedeckung lugte rotblondes Haar hervor und seine grünen Augen zeugten davon, dass er weiter im Norden zu Hause war, als er sich derzeit befand. Ich tippte bei seinem keltischen Aussehen auf Schottland. Offenbar war er es nicht gewohnt, mit Zivilisten zu agieren. Er wirkte recht unschlüssig, wie er sich verhalten sollte.

„Sir, wenn ich die Ehre mit Kara Ben Nemsi habe, dann möchte ich Sie gern sprechen.“

„Ja, man nennt mich hier Kara Ben Nemsi. Wie kann ich Ihnen behilflich sein, Captain MacLean?“

Der Angesprochene trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. „Man berichtet sich viel Abenteuerliches über den deutschen Gentleman“, begann er umständlich.

„Ach, tut man das? Wer denn genau, wenn ich fragen darf?“

„Nun, Sir, da wären Sir Bradenham und Captain Terbut zu nennen. Sie berichteten von einigen Abenteuern mit Ihnen. Und sie haben Sir Kara Ben Nemsi aufs Wärmste empfohlen.“

„Aha“, ich nickte wohlwissend, verkniff mir aber einen bissigen Kommentar. So, so, dachte ich bei mir, Bradenham und Terbut haben mich empfohlen. Die Frage war nur: Wofür? Sollte ich für sie Kreta erobern, während sie sich Zypern für das Empire unter den Nagel rissen?

Captain MacLean blickte sich erneut betreten im Garten um, als erwartete er einen feindlichen Spion hinter einem Palmenstamm, und nickte schließlich zu Halef hinüber, der an der Hintertür des Hauses lehnte und anscheinend desinteressiert in die Gegend schaute.

„Das Weitere würde ich gern unter vier Augen besprechen, Sir“, fuhr der Captain mit gedämpfter Stimme fort.

„Das können Sie gern tun, Captain MacLean. Meinen Freund Halef und mich seht als zwei Augen an. Eure zwei dazu und es sind vier“, erwiderte ich lachend.

Der Captain blickte verdutzt drein.

Um die Situation für den armen Mann etwas erträglicher zu machen, bot ich ihm einen Stuhl an, derer sich einige auf der Terrasse um einen runden Pinientisch gruppierten. Er setzte sich und ich nahm ihm gegenüber Platz. Halef verschwand im Haus. Oder er hatte bemerkt, dass die Angelegenheit einiges an Verschwiegenheit bedurfte, und sicherte das Terrain zur Straße hin gegen ungebetene Besucher ab.

Captain Sean MacLean druckste gar umständlich um den heißen Brei herum und ich konnte seinen Ausführungen keinen Sinn entnehmen, bis er sich schließlich räusperte, seine Gedanken sortierte und verständlich berichtete: „Sir Nemsi, mein Trupp ist derzeit mit einer geheimen Mission auf Kreta beschäftigt. Die Insel ist bekannt für ihr schier unendlich erscheinendes und unerforschtes System an Höhlen. Es gibt zahlreiche Schlunde und Schlote in das Felsmassiv dieses Eilands hinein, sodass man annimmt, diese Einzelhöhlen könnten als unterirdisches Labyrinth miteinander verwoben sein.“

Das war mir in der Tat nichts Neues. Kreta hatte durchaus zahlreiche Höhlen zu verzeichnen. Einige mochten natürlichen Ursprungs sein, andere durch Rohstoffabbau künstlich geschaffen und man munkelte sogar, dass in minoischer Zeit ein gigantisches unterirdisches Labyrinth eine Bestie beherbergt haben soll. Was natürlich nur eine Sage war und jedweder Realität entbehrte. Aber wer an magische Schwerter namens Excalibur oder gar Elfen glaubte, der glaubte womöglich auch an die Fantasien der griechischen Sagenwelt. Vielleicht vermuteten die Briten auch ein menschenfressendes Monster, angelehnt an ihre Sagengestalt des Grendel, in den Höhlen, von dem erst kürzlich der gute Lord Lindsay am Lagerfeuer in der nach seinem Geheiß Hirschhalle getauften Burgruine im Gebirge des Nur Daghlari erzählt hatte, als wir auf dem Weg nach Hassa dort lagerten.

Verschwörerisch beugte der Captain sich vor. „Wir sind zum Zweck der Erforschung dieser Höhlen in streng geheimer Mission auf Kreta.“

Ah, ich lag also nicht falsch, dachte ich und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Doch ich wollte den armen Mann nicht allzu sehr verwirren, machte eine interessierte Miene und forderte ihn auf: „Nun, dann berichten Sie, was Sie auf dem Herzen haben.“

„Die Sache ist so, Sir Kara, dass wir vor ungefähr zwei Wochen drei Mann als Spähtrupp in eine der Höhlen schickten. Sie sollten die Gänge kartografieren. Doch die drei gingen verschollen.“

Das war wirklich interessant. Allerdings wusste ich nicht, was für eine Rolle ich dabei spielen sollte.

„Wir haben zwei Tage gewartet und schließlich weitere vier Mann als Rettungstrupp in die Höhle geschickt.“ Der Captain schluckte sichtlich. Dann fuhr er fort. „Auch diese Männer sind nie wieder aufgetaucht.“ Er machte eine Pause. Nach außen hin bemühte er sich, ruhig und sachlich zu wirken, doch ich spürte, dass ihm die Sache zusetzte. „Schließlich bin ich einige Tage später mit einem weiteren Mann meines Trupps in die Höhle gestiegen“, berichtete er weiter. „Wir wagten uns so weit vor, wie es uns möglich war. Doch wir fanden keine Lebenszeichen der Verschollenen und auch sonst nichts. Keine Kleiderfetzen, keine Waffen und auch kein Blut. Sie sind quasi spurlos verschwunden.“

Ein Strahl der Morgensonne fand in diesem Moment den Weg unter das Verandadach und ich vermochte nicht zu sagen, ob die Augen des Captains sich röteten, weil er durch das unverhoffte Licht geblendet wurde, oder wegen der Ergriffenheit durch die Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse. Jeder Soldat war es gewohnt, im Krieg Kameraden zu verlieren, und jeder Offizier musste mit Verlusten in seinem Trupp rechnen. Doch war es ein Unterschied, ob die Kameraden im Kampf fielen oder ob sie auf unheimliche Weise in einer unerforschten Höhle verschwanden.

„Wieso haben Sie die Höhlen unbeschadet wieder verlassen können im Gegensatz zu Ihren Mannen?“, fragte ich. Denn das schien mir äußerst seltsam.

„Das kann ich nicht sagen, Sir Nemsi. Vielleicht hatten wir einfach Glück. Wir hörten ein Donnergrollen wie von einem Erdbeben und …“

„… und Sie nahmen die Beine in die Hand“, ergänzte ich.

„So könnte man es ausdrücken. Wir traten den ungeordneten Rückzug an und erreichten unbeschadet wieder die Oberfläche.“

„Da hatten Sie anscheinend tatsächlich mächtiges Glück, dass Sie der unbekannten Gefahr entkommen sind.“

„Ja, dem ist so, Sir Kara.“ Die Gesichtsfarbe des jungen Captains hatte sich während des Berichtens gewandelt. Zunächst war sie hellbraun gewesen mit einem Stich ins Rote, wie das Kernholz der Pinien. Dies mochte von seiner schottischen Herkunft herrühren und von der Tatsache, dass er sich noch nicht allzu lange in diesen sonnigen Gefilden aufhielt. Nun war die Haut bleich geworden, bleich wie gekalktes Holz.

„Und was glauben Sie, Captain MacLean, könnte ich für Sie tun?“, fragte ich.

„Sir Nemsi, da Sie durch Ihre zahlreichen Abenteuer schon viele Erfahrungen mit den unaussprechlichsten Gegnern und Gefahren gemacht haben, war ich der Meinung, Sie könnten uns behilflich sein, diese Höhlen zu erforschen und eventuell die unbekannte Bedrohung zu lokalisieren. Zudem sollen Sie bewandert in der Vermessungstechnik sein.“

„Ach“, gab ich erstaunt zurück. Natürlich hatte ich mir schon so etwas in dieser Richtung gedacht, doch eher angenommen, dass man mich um die Hilfe bei einer Rettungsaktion für die verschollenen Soldaten bitten würde. Die Kartografierung des kretischen Höhlensystems dagegen war nun doch ein sehr abwegiges Anliegen eines britischen Soldaten an mich. Ich erhob mich.

„Captain MacLean, wie mir scheint, haben Sie ihre Kameraden aufgegeben.“

„Ja, Sir Kara, sie sind unwiderruflich verloren. Nach so vielen Tagen ist es unmöglich, dass sie noch am Leben sind. Etwas lauert dort in der Tiefe. Aber wir müssen unsere Mission erfüllen.“

„Wahrscheinlich haben Sie Recht damit, dass die Soldaten ihres Trupps verloren sind. Doch ich muss ehrlich mit Ihnen sein. Einer Rettungsaktion gegenüber wäre ich womöglich nicht allzu abgeneigt gewesen. Jeder Mensch besitzt den gleichen Wert und sollte eine Chance haben, den Klauen des Todes entrissen zu werden. Doch im Namen des britischen Empires Vermessungen auf einer Insel zu unternehmen, die unter der Obhut der Hohen Pforte steht, kommt für mich nicht infrage. Ich werde mich nicht in die politischen Machenschaften, die dahinterstehen mögen, hineinziehen lassen.“

„Aber Sir Nemsi, es sind rein wissenschaftliche Erkundungen“, beharrte der Captain aufgeregt. Auch er war nun aufgestanden.

„Das ändert meine Meinung nicht.“

Der Captain stand einen Moment reglos da. Dann schlug er die Hacken zusammen. „Ich habe keinerlei Mittel, Sie zu zwingen. Doch bedenken Sie: Es ist ein Dienst im Namen der Wissenschaft“, versuchte er es ein weiteres Mal.

„Tut mir leid, aber ich muss dieses Angebot ablehnen.“

„Die Einheimischen erzählen sich Geschichten … von Monstern … von schrecklichen Kreaturen, die in den Höhlen hausen. Sie berichten von unheimlichen Vorfällen.“

„Wenn Sie an derlei Dinge glauben, sollten Sie einen Spezialisten anderer Art zu Rate ziehen. Ich bin dafür der falsche Mann, Captain MacLean.“

Er wandte sich schon zum Gehen, als ihm noch etwas einzufallen schien. Kurz sah es aus, als bedenke er seine Worte, als wäre er nicht sicher, ob er sie aussprechen sollte. „Vielleicht sind wir auf der Spur des Tempels von Minos“, wagte er schließlich einen letzten Vorstoß, um meine Neugier zu wecken und mich zu locken.

Ich schüttelte den Kopf. Ich war Schriftsteller und weder Archäologe noch Speläologe, der Höhlen erforschte. Sicher wäre es reizvoll, einen Tempel zu finden oder Höhlen zu erkunden. Doch das überließ ich meinem guten Lord, dem Mitglied des Travellers Clubs. Zudem schien mir die Angelegenheit eher politisch motiviert als wissenschaftlich. Das Militär hatte gewiss noch ganz andere Interessen an den Höhlen, als mir der Captain zu offenbaren gewillt war.

Die ganze Sache stank doch meilenweit gegen den Wind. Woher wussten die Briten überhaupt, dass wir uns in Kyrenia befanden? Wir waren vorsichtig gewesen, hatten unsere Namen nicht in die Welt posaunt und selbst Lindsays Yacht versteckt. Ich erinnerte mich allerdings, ein Patrouillenboot der Briten an jenem Abend gesehen zu haben, als ich die alten Gemäuer der Festung Kyrenias besuchte. Das Ganze schien mir höchst ausgeklügelt. Wahrscheinlich kreuzten hier noch weitere britische Militärboote, die irgendwie Verbindung untereinander hielten und eventuell gezielt nach der Marley gesucht hatten. Denn schließlich wussten nur Terbut und Bradenham von unserem Aufenthalt auf Zypern. Und wenn ich es recht bedachte, war sicherlich der britische Geheimdienst an der Sache beteiligt, das legte schon das seltsame Auftreten dieses den Royal Marines angehörigen Captains nahe. Hier musste etwas Großes im Busch sein. Etwas, das die Briten nur mit Hilfe eines Deutschen in den Griff bekommen konnten? Wieso sollte ich so wertvoll bei dieser Unternehmung für sie sein?

Und obwohl – oder vielleicht weil – das Ganze zum Himmel stank, weckte es mein Interesse. Der junge Mann hatte durchaus einen geheimen Knopf bei mir gefunden, den man drücken musste, damit ich aufmerksam wurde. Diesen Knopf konnte man durchaus mit Abenteuerlust titulieren. Denn wäre er nicht bei mir vorhanden, würde ich gemütlich in Radebeul am Schreibtisch sitzen, die Feder in der Hand, aus dem Fenster spähend, die Enten auf dem Teich betrachtend und mir jedwede Abenteuer über ferne Länder nur ersinnen. Da dies aber, im Gegensatz zu manch französischem Schreiberling, nicht der Fall war, ritt ich immer wieder durch die Wüsten und Gebirge des Orients oder die Prärie des Wilden Westens Amerikas, um die Abenteuer zu erleben, die ich dann meinen Lesern in meinen Büchern präsentierte. Nun, diese Sache schien ein rechtes Abenteuer zu sein. Doch wollte ich mich nicht an der Nase herumführen lassen. Captain Sean MacLean hatte durchaus die Möglichkeit mich für seine Ziele zu bekehren, wenn er mir reinen Wein einschenkte. Deshalb fragte ich ihn geradeheraus:

„Captain MacLean, ich wäre sicher nicht abgeneigt, Ihnen bei Ihrer Unternehmung behilflich zu sein. Doch Sie verschweigen mir den wahren Grund. Sprechen Sie frei heraus und ich werde mich entscheiden.“

Er blickte mich unschlüssig an.

„Ich habe Ihnen alles gesagt, was es zu sagen gab.“

Das machte mich wütend. Wollte er nun meine Hilfe oder nicht? Was sprach dagegen, mir die Wahrheit mitzuteilen? Doch ich zügelte mich.

„Nun, dann bleibt meine Antwort: nein!“

Der Captain blickte mich noch eine Weile an und ich sah, wie er mit sich rang. Schließlich schien er aber mit sich ins Reine zu kommen, dass er nur seine Befehle auszuführen hatte. Er schlug die Hacken zusammen und drehte sich um. In militärischem Schritt stakste er über die Veranda zur Tür hinaus auf die Straße. Ich muss zugeben, dass er mein Mitgefühl hatte. Er war sehr jung, kaum dem Jugendalter entwachsen und sicher noch unerfahren in derlei Dingen. Er war im Auftrag seiner Vorgesetzten gekommen und musste nun unverrichteter Dinge abziehen. Doch ich als deutscher Reiseschriftsteller konnte mich unmöglich in politische Verwicklungen zwischen dem Empire und dem Osmanischen Reich hineinziehen lassen, wenn ich noch nicht einmal die genauen Hintergründe kannte. Es war nicht an mir, irgendeine Partei zu ergreifen. Das britische Empire streckte seine Arme in der Welt aus wie ein überdimensionaler Krake aus den phantastischen Geschichten jenes Autors, dessen Name ich nicht aussprechen mochte. Ich wollte nicht als unwissendes Werkzeug jenes Kraken dienen.

Als der Captain gegangen war, erschien Halef im Garten und fand mich nachdenklich auf der Veranda.

„Was ist geschehen, Sihdi? Was hat der englische Kriegsmann von dir gewollt? Er war doch Soldat, nicht wahr?“

„Ja, dein Auge hat dich nicht getäuscht. Er war ein Captain einer speziellen Einheit. Er versuchte, mich zu überreden, dem britischen Militär bei der Kartografierung eines Höhlensystems auf Kreta behilflich zu sein.“

„Aber du hast abgelehnt, wie mir scheint. Dieser Captain ging nicht in Freude von hier weg.“

„Allerdings. Ich möchte mich nicht in einen Konflikt zwischen dem Vereinigten Königreich und der Hohen Pforte hineinziehen lassen. Ich gehöre als Deutscher weder zu der einen noch zu der anderen Partei“, antwortete ich.

„Aber ich sehe dir an, dass es dich in den Fingern gejuckt hat, Sihdi“, offenbarte mir mein Freund mit einem verschmitzten Lächeln.

Ich war erstaunt, doch auch wieder nicht. „Du kennst mich gut, Halef. Ja, einige Ausführungen des Captains waren durchaus sehr interessant. In den Höhlen ist sein halber Trupp auf unerklärliche Weise verschwunden und, wie du erahnst, wecken solche Ungereimtheiten meine Neugier. Doch der Captain hat alles falsch gemacht. Er hat mir nicht die Wahrheit gesagt und ich lasse mich ungern an der Nase herumführen“, antwortete ich. „Aber, sei’s drum. Wir haben Wichtigeres zu tun. Wir haben ein Schiff zu erreichen.“

„Ja Sihdi, ich sehne mich nach zu Hause.“

Der Herrscher der Tiefe

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