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Fünftes Kapitel Eine stürmische Überfahrt

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In der Ferne konnten wir schon erste Blitze zucken sehen. Noch war das Meer relativ ruhig. Aber das Wetter wurde zunehmend ungemütlicher. Als wir mit unserer Nussschale gegen die Bordwand stießen, war die Strickleiter schon herabgelassen. Der Captain gab uns ein Zeichen und wir erklommen der Reihe nach den Segeldampfer. Zwei Matrosen begaben sich hinab ins Boot, vertäuten es und mit Winden wurde es an Bord gehievt. Die ersten größeren Wellen klatschten gegen den Rumpf. Wasser schwappte bis an Deck. Gern hätte ich das Schiff und seine Technik näher begutachtet, doch Captain Sean MacLean führte uns sofort aus dem aufkommenden Sturm heraus einen Niedergang hinunter in den Bauch des Schiffs.

„Ich habe Ihnen, Sir Kara, hier eine Kabine zurechtmachen lassen. Ich hoffe, sie entspricht Ihren Ansprüchen“, erklärte er, während er eine graue schmucklose Tür öffnete.

„Vielen Dank, Captain MacLean. Sie mussten demnach schon vor mir selbst gewusst haben, dass ich mich von Agent Smythe überzeugen lassen würde, nach Kreta überzusetzen.“

Der Captain räusperte sich verlegen und ließ uns eintreten. Das Innere war schlicht eingerichtet. Ein Bullauge befand sich an der gegenüberliegenden Wand, an dessen runde Scheibe die Gischt spritzte. Rechts und links gab es je zwei übereinanderliegende Kojen, neben der Tür eine Ablage für das spärliche Gepäck, welches wir bei uns trugen, und ein Waschbecken.

„Wer gewohnt ist, im Gebirge oder der Wüste auf offenem Gelände zu nächtigen, wird dies hier als wahren Luxus erachten. Habt Dank, Effendi“, erwiderte Halef an meiner statt.

„Die vierte Koje ist unbelegt“, erklärte der Captain weiter. „Sie können dort gern Ihre Waffen oder Ihr Gepäck aufbewahren.“

„Danke, Captain MacLean“, gab auch ich zurück.

Das Schiff ruckelte kurz und wir balancierten alle instinktiv die überraschende Bewegung aus. Nur Halef geriet ein wenig mehr ins Wanken und saß mit einem Mal auf einem der Betten.

„Nun“, meinte er lächelnd, „dies nehme ich als ein Zeichen Allahs, dass ich diese Koje hier beziehen sollte.“

Wir anderen stimmten ihm lachend zu.

„So darf ich Sie dann in einer halben Stunde zum Essen in der Messe erwarten. Einfach den Gang hinunter“, erklärte der Captain schließlich mit ausgestrecktem Arm die Richtung weisend, schlug die Hacken militärisch zusammen und entfernte sich – einfach den Gang hinunter. Wir schlossen die Tür und legten unsere Habseligkeiten auf die Ablage und das freie Bett. Haschim und ich bezogen jeweils die oberen Kojen. Halef blieb bei seiner durch göttliche Fügung erwählten.

Ich spürte, wie die Vibration der Dampfmaschine zunahm und das Schaukeln weniger wurde. Das Schiff bahnte sich mit der Kraft der Technik den Weg durch die Wellenberge. Der spitze Bug zerschnitt das aufgewühlte Wasser wie ein Eisbrecher die gefrorenen Wasserplatten auf der Hamburger Elbe.

Der Einladung folgend begaben wir uns wenig später zum Abendessen in die Messe. Auch dieser Raum, zwar größer und mit einigen Karten und Fotografien an den Wänden ausgestattet, war in militärische Nüchternheit getaucht. Ich betrachtete die Portraits, doch waren mir die meisten abgebildeten Herren nicht geläufig. An der Stirnseite der Messe erkannte ich Königin Victoria, die mit vorwurfsvollem Blick auf uns herniedersah. Ihr Bild war in Gold gerahmt und der prunkvolle Rahmen das einzig wirkliche Zierwerk des Raums, gar des ganzen Schiffs. Unweit vom Portrait der britischen Königin blickte mich das schwarz-weiße Abbild des aktuellen Premierministers Benjamin Disraeli an. Er wirkte nicht sehr glücklich auf diesem Bild, was mich ein wenig verwunderte, war er doch erst letztes Jahr von der Königin in den Adel erhoben worden und durfte sich fortan mit Earl of Beaconsfield titulieren lassen. Ein durchaus bemerkenswerter Aufstieg.

Ein Räuspern holte mich aus meinen Gedanken. Am Kopfende des langen Tischs, der den Raum fast völlig ausfüllte, saß der Kapitän. Als wir eintraten, waren er, seine Offiziere sowie Captain Sean MacLean aufgestanden. Wir begrüßten uns höflich und setzten uns auf die freien Stühle neben MacLean. Der Kapitän stellte sich als Lieutenant Commander Nelson vor. Ein durchaus geschichtsträchtiger Name, den er mit sichtlichem Stolz trug. Ob er ein tatsächlicher Nachfahre des berühmten Admiral Nelson war, galt es zu bezweifeln, da dieser meines Wissens nach nur eine uneheliche Tochter hatte. Demzufolge konnte zumindest sein Name nicht weitervererbt worden sein. Lieutenant Commander Nelson, so stellte sich im Laufe des belanglosen Gesprächs heraus, hatte zwar das Kommando über das Schiff, Captain Sean MacLean dagegen das Kommando über die Rettungsaktion. Ich war mit den Rängen des britischen Militärs nicht ganz vertraut und später, als wir die Messe schon wieder verlassen hatten, erklärte mir MacLean, dass der Kapitän zwar als Lieutenant Commander zwei Ränge unter ihm stand, aber auf dem Schiff die uneingeschränkte Befehlsgewalt hatte und auch er sich in schiffsspezifischen Belangen seinen Befehlen unterzuordnen hatte.

Während des Essens wirkten alle äußerst wortkarg und auch Haschim, Halef und ich fanden kein wirkliches Thema, um mit den Seeleuten ins Gespräch zu kommen. Zudem verspürte ich wenig Lust, erneut über die Motive der Briten zur Erkundung der kretischen Höhlen zu diskutieren. Ich malte mir aus, dass der Captain sicher noch einige Informationen preisgeben würde, sobald wir in kleinerer Gesellschaft auf Kreta unterwegs sein würden. So war es nicht verwunderlich, dass wir uns nach dem Essen, an dessen Zusammensetzung ich mich nicht mehr erinnere, eilig in unser Quartier zurückzogen.

Da ich recht seetüchtig bin, war die Nacht nicht weniger angenehm für mich als manch andere. Halef dagegen kämpfte erneut gegen die Übelkeit, welche die hohe Dünung durch den tobenden Sturm, der mittlerweile hereingebrochen war, mit sich brachte. Haschim bot sich an, ihm deshalb aus einer seiner geheimnisvollen Essenzen, die er stets in seinem Gewand mit sich trug, einen Tee zuzubereiten. Dazu sollte ich ihm aus der Kombüse heißes Wasser besorgen. So machte ich mich also auf den Weg zur Schiffsküche. Die Gänge lagen dunkel und verlassen vor mir. Nur von Deck oben hörte ich jemanden Kommandos rufen. Mit lautem Krachen brandeten die Wellen gegen den Rumpf. Dazwischen hörte und spürte ich das rhythmische Schlagen der Kolben. Die Dampfmaschine schien auf Hochtouren zu laufen. Ich nahm mir vor, morgen dieses Wunderwerk der Technik in Augenschein zu nehmen. Vorerst hatte ich jedoch eine kleine Mission zu erfüllen und heißes Wasser zu besorgen. Nach einigem Suchen war ich mir sicher, die richtige Tür entdeckt zu haben. Es war ein rundes Fenster darin und ich spähte hindurch. Es war tatsächlich die Kombüse. Ich drückte die Klinke und die Tür öffnete sich. Zu dieser nachtspäten Stunde war der Raum verwaist. Herde und Spülbecken, Arbeitsflächen und Regale waren blitzblank geputzt. Es war finster und nur mein kleines Insellicht in der Hand beleuchtete einen Kreis. Insellicht, sinnierte ich, hatte mitnichten etwas mit einer Insel zu tun, wie viele glaubten. Irgendwie hatte sich das Wort im Sprachgebrauch schlichtweg gewandelt und wurde nun in der neuen Wortschöpfung oftmals als Bezeichnung für eine Kerze benutzt. Ursprünglich kam es aus dem meiner Heimat nahen Erzgebirge und hieß dort Inseltlicht. Inselt war eine alte Bezeichnung für Talg, also ein Talglicht. Und so etwas hielt ich in Händen. Es war eine kleine längliche Schale mit einem Henkel. Darin waren gehärtetes Fett und ein Docht. Fast erinnerte mich das Gefäß an Aladins Wunderlampe, nur, dass es oben offen war und das enthaltene Wunder das brennbare Fett, welches mir nun nützlicherweise Licht spendete. Mit diesem kleinen Licht fand ich rasch den Herd und einen Wasserkessel. So dauerte es nicht lange und auf der Gasflamme des Herds begann das Wasser auf dem Kesselboden erste Blasen zu bilden.

Plötzlich hörte ich ein Geräusch. Ich blickte auf, konnte durch die mich umgebende Dunkelheit jedoch nichts erkennen.

„Wer da?“, fragte ich.

Zur Antwort erhielt ich nur ein Poltern. Ein Schatten huschte an mir vorbei. Ich hob eilig das Licht empor, allerdings reichte sein Schein nicht weit genug. Der Jemand hastete zur Tür und verschwand. Ich hätte ihm natürlich nacheilen können. Doch hielt ich mich zurück. Der Schatten war nicht bedrohlich gewesen, von menschlicher Gestalt und eher kleinem Wuchs. Meine Neugier führte mich jedoch an die Stelle, an welcher die Person aufgetaucht war. Es war eine Nische mit Lebensmitteln. Ich konnte Fladenbrote, getrocknetes Fleisch, Äpfel und Gemüse erkennen. Einer der Äpfel trug deutliche Bissspuren. Hatte dort jemand seinen Hunger gestillt? War hier ein kleiner Dieb am Werk gewesen? Vielleicht der Schiffsjunge? Allerdings konnte ich mich nicht erinnern, bei unserer Ankunft einen gesehen zu haben. Oder gab es gar einen blinden Passagier an Bord?

Das Heulen des Wasserkessels holte mich jäh aus meinen Überlegungen. Da ich auf diesem Schiff keinerlei Verantwortung trug, behielt ich diese seltsame Begebenheit für mich. Meine einzige Verpflichtung galt dem Wohl meiner Freunde, welches sicher nicht durch einen kleinen Apfeldieb in Gefahr war. So nahm ich den Kessel mit dem kochenden Wasser und begab mich zurück in die Kabine, damit Haschim Halefs Seekrankheit lindern konnte.

Am nächsten Morgen hatte sich das Wetter zu Halefs Leidwesen nicht gebessert. Das Frühstück ließ er deshalb aus.

„Halef, mein Freund, hast du schon versucht, ob dein magisches Vlies dir Linderung bringt?“, fragte ich. Und ich meinte es durchaus nicht zynisch. Mein Gefährte dauerte mich wirklich sehr. Ich dachte bei mir, dass selbst Placebos, solange man wirklich daran glaubte, schon medizinische Wunder bewirkt hatten. Sicherlich war dies nicht wirklich auf ein Wunder oder Magie zurückzuführen, sondern auf die Psyche des Menschen, aber dies konnte ja auch hier von Nutzen sein.

„Sihdi, ich habe in der Nacht schon alles versucht, doch das Goldene Vlies scheint nicht für dieses Problem geeignet zu sein. Es wird seine Magie sicherlich zu gegebener Zeit offenbaren. Nur Scheik Haschims Tee brachte mir etwas Linderung.“ Halef stöhnte und ließ sich zurück auf seine Koje fallen.

„Ich werde neuen Tee für dich aufbrühen, lieber Freund“, entgegnete Haschim lächelnd. Er griff sich den Wasserkessel und machte sich nach einer kleinen Wegbeschreibung meinerseits auf zur Kombüse. Ich dagegen begab mich an Deck. Denn ich wollte mir zu gern die Technik dieses hochmodernen Auxiliarseglers anschauen. Viel Zeit dazu blieb mir nicht, denn spätestens morgen Abend würden wir Kreta erreicht haben und dieses Schiff verlassen müssen.

An Deck war es ungemütlich. Eine steife Brise wehte mir entgegen. Die Mannschaft war emsig bei der Arbeit. Zwei Masten reckten sich in den wolkenschwangeren Himmel, doch waren sie ungenutzt, die Segel gerefft. Das Schiff wurde einzig und allein durch die von Menschenhand beherrschte Technik vorangetrieben und war somit kein bloßer Spielball der Naturgewalten. Die Schiffsschraube am Heck unter der Wasserlinie, getrieben von der Welle, welche ihrerseits ihre Kraft aus dem Druck der Dampfkessel bezog, pflügte durch das flüssige Element. Ihr Schub brachte das Schiff auf Kurs. Mittig zwischen den Masten erhob sich der Schornstein. Dicker Rauch quoll daraus hervor, wurde von den barbarischen Winden ergriffen und in den Äther gefegt, als wolle die Natur jedweden Beweis ihrer Beherrschung auslöschen.

„Sir Nemsi“, hörte ich eine Stimme hinter mir. Ich brauchte mich nicht umzudrehen, um zu erraten, dass es Captain Sean MacLean war. In meinem Innern amüsierte ich mich über seine Unschlüssigkeit bezüglich meines Namens.

„Captain MacLean“, grüßte ich lächelnd.

„Ein fieses Wetter“, versuchte er ein Gespräch zu beginnen.

„In der Tat ist solch ein Sturm recht ungewöhnlich zu dieser Jahreszeit in diesen Gewässern.“

„Ungewöhnlich und unangenehm“, erwiderte er. „Doch wenn man der Marine angehört, muss man mit derartigen Widrigkeiten umgehen können.“

Ich nickte ihm anerkennend zu. Schien er durch seine Jugend hin und wieder recht unsicher in seinem Tun, war er anscheinend doch ein guter Seemann.

„Darf ich eine Bitte aussprechen?“, fragte ich, die Gelegenheit ergreifend.

„Nur zu gern, Sir Kara. Ich wäre sehr erfreut, Ihnen einen Gefallen erweisen zu können.“

„Ich möchte mir die Maschine anschauen.“

„Die Dampfmaschine?“

„Ja, das Ungetüm, welches im Bauch des Schiffs rumort“, antwortete ich lachend. „Ich bin selbst gut im Bereich der Technik ausgebildet und wäre hocherfreut, wenn ich diesen modernen Antrieb in Augenschein nehmen dürfte.“

Kurz schien er zu überlegen, vielleicht, ob das eventuell Militärgeheimnisse waren, die er mir dadurch verriet. Doch dann entspannte sich seine Miene.

„Warum nicht? Diese Technik ist nicht aufzuhalten. Ich denke, in ihrer Heimat sind die Ingenieure schon längst auf den gleichen Stand oder gar noch weiter.“

„Das mag durchaus sein, doch habe ich nicht viele Gelegenheiten, mir dort eine derartige Maschine anzuschauen.“

„Nun, Sir Nemsi, dann folgen Sie mir in den Maschinenraum. Dort ist es momentan sicherlich angenehmer als hier oben im Sturmwind.“

Ich muss gestehen, dass an dieser Stelle mein Herz einen kleinen Hüpfer machte wie bei einem Schuljungen. Es mag manchen gar albern anmuten, doch war ich äußerst begierig darauf, den Maschinenraum zu besichtigen, und freute mich deshalb sehr über diese Möglichkeit. So machten wir uns denn auf, in die Eingeweide des Schiffs hinabzusteigen. Captain MacLean schritt voran und ich folgte ihm durch Flure und Niedergänge hinunter in den Rumpf.

Als wir im Maschinenraum ankamen, schlug uns Hitze und Lärm entgegen. Der Obermaschinist und seine Gehilfen sowie die Heizer hatten alle Hände voll zu tun. Neue Kohlen wurden in den Feuerraum geschaufelt. Flammen züngelten gierig auf. Das Glühen der Kohlen verbreitete einen rötlichen Schein.

„Das ist unsere Dreifach-Expansionsdampfmaschine. Das Modernste, was es zurzeit gibt“, schrie mir der Captain stolz ins Ohr. Der Lärm machte ein normales Gespräch unmöglich.

„Dreifach?“, fragte ich. Diese besondere Art der Dampfmaschine war mir neu. Auch ich konnte noch einiges dazulernen im stetigen Wandel der Technik.

„Das Prinzip der Dampfmaschine ist Ihnen sicherlich bekannt, nehme ich an, Sir Kara?“

„Ja durchaus“, schrie ich in des Captains Ohr. „Im Kessel wird mittels der Feuerung aus Wasser Dampf erzeugt. Die Wärmeenergie des Dampfes wird durch den Kolben in mechanische Arbeit transformiert, diese wiederum durch die Kurbel in eine Drehbewegung umgewandelt und mittels der Welle auf die Schiffsschraube übertragen.“

„So ist es, Sir Nemsi. Hier haben wir jedoch …“

Ein lautes Klingeln unterbrach seine Rede. Ich beobachtete, wie der Maschinist zum Maschinentelegrafen eilte und das neue Kommando „Halbe Kraft voraus“ mittels des Hebels quittierte. Dann begann er an verschiedenen Rädchen zu drehen und Hebel zu bedienen. Stangen wurden nach hinten geschoben, vielleicht, um Ventile zu schließen. Ich trat näher heran. Ein Maschinengehilfe wischte mit einem Lappen und einem ölgetränkten Pinsel über sich bewegende Gestänge. Zahnräder griffen ineinander und übertrugen Drehbewegungen in andere Richtungen. Dann sah ich die gewaltige Kurbelwelle. Sie gehörte zum Herzstück der Maschine. Die Kraft der Auf- und Abbewegung der Kolben wurde mittels der Pleuelstangen auf die Kurbelwelle übertragen. Ich spürte förmlich die Kraft der Maschine beim Anblick der sich wälzenden Hubzapfen. Wie die Wellenberge auf der See wogten die Zapfen der Welle auf und nieder im Rhythmus der Maschine. Dampf zischte aus einem Überdruckventil. Die Leistung wurde gedrosselt. Es war, so nahm ich an, dem schlechten Wetter geschuldet.

„Sehen Sie, Sir Kara?“ Sean MacLean wies auf die großen metallenen Gebilde hinter den stampfenden Stangen und drehenden Rädchen. „Wir haben zwei Dampfkammern. Sie liegen zwischen Hochdruck-, Mitteldruck- und Niederdruckzylinder. Das soll die Energieausbeute optimieren. Ob sich das durchsetzt, wird uns die Zeit lehren.“

„Es hört sich ganz vernünftig an“, schrie ich zurück.

Der Maschinist, ein großer stämmiger Mann mit dunkelblondem Haar und Bart warf uns unwirsche Blicke zu, denn der Raum war auch ohne unsere Anwesenheit recht beengt. So beschloss ich, dass ich genug gesehen hatte. Also ließen wir das mechanische Herz des Schiffs mit seinem Stoßen und Schlagen hinter uns zurück und begaben uns wieder hinauf an Deck. Die frische Seeluft tat nach dem Aufenthalt in dem Glutofen wirklich gut. Diesen Gedanken hatte wohl nicht nur ich, sondern auch Halef und Haschim. Ich traf auf die beiden, wie sie an der Reling standen und die wütende See beobachteten.

„Gut, dass du den Weg an Deck eingeschlagen hast, Halef“, begrüßte ich meinen Freund. „Die frische Luft wird dir sicher guttun.“

„Ja, Sihdi, das dachte ich mir auch“, erwiderte er. „Zudem finde ich hier vielleicht etwas Zerstreuung und vergesse meine Pein. Haschims Tee hat mir zusätzlich Linderung gebracht.“

Das Unwetter tobte noch immer. Jedoch schien die Windstärke ein wenig nachgelassen zu haben. Dicke schwarze Wolken verdunkelten den Himmel. Schaumkronen bauschten sich auf den Wellenbergen. Ein feiner Regen verhinderte wie eine Milchglasscheibe die Sicht in die Ferne. Zudem war es ungewöhnlich dunkel, obwohl es um die Mittagszeit sein musste. Ab und zu zuckte ein Blitz aus den Wolkenbergen, die sich bedrohlich über uns türmten, und erhellte das Meer.

An der Reling lehnte neben uns einer der Seeleute und blickte zum Mast empor. Ich näherte mich ihm, um selbst Halt an dem umlaufenden Geländer zu finden.

„Eine Schande ist das“, grummelte der alte Seebär. Sein graues Haar wurde vom Wind zerzaust, ebenso der graue Bart. „Fast so, als würde man einem Adler die Flügel stutzen, nur damit er auf seinen starken Beinen ein Rennen gewinnen kann. Es ist gegen die Natur.“

Da ich der Einzige in seiner Nähe war, ging ich auf ein Gespräch ein, mag es auch zunächst ein Selbstgespräch gewesen sein.

„Von wem sprechen Sie?“, fragte ich neugierig.

Er nickte zum kahlen Mast hinüber. „Vom Segler.“ Ich blickte ihn wohl überrascht genug an, dass er fortfuhr: „Ein Segelschiff sollte seine Segel entfalten und sich vom Wind über das Meer tragen lassen und nicht von einer stampfenden Maschine.“

Diese Einstellung war sicher für einen alten Seebären nicht ungewöhnlich. Ich konnte ihn durchaus verstehen, auch wenn mich die Technik der Dampfmaschine faszinierte.

„Sehen Sie? Da!“ Der Seemann wies mit ausgestrecktem Arm über die Reling hinaus auf das Meer. „So sollte ein Segelschiff den Gewalten trotzen!“

Ich blickte in die angezeigte Richtung, konnte jedoch nichts erkennen. Dann zuckte erneut ein Blitz grell auf und erhellte die See. Da erblickte ich ein schnittiges Segelboot, eine Yacht mit schlankem Rumpf, fast schon ein Rennboot. An seinem Mast waren alle Segel gehisst. Mutig wie ein junges Fohlen stürmte das Boot durch die hohe Dünung. Schräg lag es im Wind. Die Segel gebauscht. Es war wahrhaftig ein schöner Anblick. Als ein Wellental den Blick zum Rumpf freigab, konnte ich den Schiffsnamen erkennen. Honorine du Fraysne de Viane las ich. Also schien der Eigner ein Franzose zu sein, mutmaßte ich. Captain MacLean, Haschim, Halef, ich und der alte Seebär blickten versonnen der flotten Yacht hinterher. Sie entfernte sich rasch von uns. Schließlich war sie verschwunden. Die hohen Wellen und die trübe Sicht hatte sie unseren Blicken entzogen.

Der Herrscher der Tiefe

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