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Todesstrafe
ОглавлениеIn Fortsetzung der Seminare der vergangenen Jahre (Vergebung und Eidbruch) werden wir dieses Jahr, unter dem Titel des Nichtvergebbaren, die Frage der Todesstrafe aufgreifen.
Wir werden damit beginnen, ihre Geschichte und ihre juristischen und politischen Dimensionen zu untersuchen, sowie die aktuellen Bemühungen um ihre Abschaffung (im Prozess der mondialisation, der Globalisierung, der Weltweitwerdung, der „globalization“, insbesondere in den Vereinigten Staaten). Analysieren werden wir auch die „Szene“, die Geschichte ihrer Sichtbarkeit und ihres „öffentlichen“ Charakters ganz allgemein, aber auch ihre Darstellung in den Künsten, im Theater, in der Malerei, der Photographie, im Film und, natürlich, in der Literatur.
Diese erste Annäherung wird von zwei Leitfäden durchzogen sein: den zweideutigen Begriffen der „Grausamkeit“ und der „Ausnahme“, die in den juristischen Diskursen (für und gegen die Todesstrafe) eine bestimmende Rolle spielen.
Am Horizont zeichnet sich dabei ab – die große Frage der Souveränität im Allgemeinen, sowie der Souveränität des Staates im Besonderen.9
Die zwei Jahre dieses Seminars umfassen zweiundzwanzig Einzelsitzungen, darunter zwölf im ersten Studienjahr (1999-2000)10, und zehn im zweiten Studienjahr (2000-2001). Alle zusammen wurden von Jacques Derrida auf dem Computer verfasst. Von den zwölf Sitzungen dieses ersten Jahres ist die erste doppelt, nummeriert mit 1 und 1 (Fortsetzung)11, was erklärt, dass die letzte Sitzung hier als „elfte“ firmiert. Das gesamte Ensemble ist unveröffentlicht, mit Ausnahme dieser ersten doppelten Sitzung, die Gegenstand eines Vortrags in Sofia war, mit einer anschließenden Veröffentlichung unter dem Titel „Peine de mort et souveraineté (pour une déconstruction de l’onto-théologie politique)“12.
Um die vorliegende Edition zu erstellen, sind wir von diversen ausgedruckten Versionen ausgegangen, die mit dem Begriff „Typoskript“ bezeichnet sind, sowie von den verfügbaren digitalen Datenträgern. Die ausgedruckten Fassungen des Seminars 1999-2000, die im Institut Mémoires de l’édition contemporaine (IMEC, Caen) aufbewahrt werden, befinden sich in drei Mappen.
Eine naturfarbene Mappe enthält die Sitzungen 2, 3, 4, 5, 6 und 7. Auf der ersten Seite mehrerer dieser Sitzungen hat Derrida das Wort „Doppel“ vermerkt. In dieser Fassung gibt es keine handschriftlichen Anmerkungen.
Eine gelbe Mappe enthält die Sitzungen 1 und 1 (Fortsetzung), 8, 9, 10 und 11. Dort hat Derrida auf der ersten Seite der ersten Sitzung „doppelt“ vermerkt. In der neunten Sitzung hat Derrida handschriftlich einige Tippfehler korrigiert und angezeigt, dass er einen Teil dieser Sitzung an der New York University vortragen wird. Im Ausdruck der zehnten Sitzung sind ebenfalls einige Tippfehler korrigiert. Auf der Rückseite der letzten beiden Seiten der neunten Sitzung (bei denen es sich um photokopierte Seiten eines amerikanischen Presseartikels handelt) skizziert Derrida einen kurzen Plan zur Beziehung zwischen der Bio-Macht nach Michel Foucault und der Frage des Interesses an der Todesstrafe. Wir haben ihn hier nicht transkribiert, zum einen, weil wir das mündliche Referat, das ein Student über das Kapitel „Recht über den Tod und Macht zum Leben“ aus Sexualität und Wahrheit 1. Der Wille zum Wissen 13, hier nicht aufgenommen haben, zum anderen, weil die Entzifferung dieser Skizze zahlreiche Stellen offen ließ.
Eine blaue Mappe schließlich enthält eine komplette Fassung des Seminars, mit handschriftlichen Anmerkungen von Jacques Derrida, vor allem im Hinblick auf die Vorbereitung dieser Vorlesung auf Englisch, für Irvine und New York, sowie die Wiederaufnahme bestimmter Teile in einem Vortrag (wie dem, den er in Sofia gehalten hat). In dieser Mappe sind die Photokopien der im Seminar zitierten Texte klar erkennbar integriert und annotiert, um jeweils die genaue Stelle auffinden zu können, die gelesen und kommentiert werden sollte. Es ist also vor allem diese letztgenannte Mappe, von der wir bei unserer Arbeit ausgegangen sind.
Unsere Eingriffe als Herausgeber im Typoskript von Jacques Derrida haben wir auf das Mindestmaß begrenzt. Wie immer ist das Seminar vollständig redigiert, und Derrida gibt in seinem Typoskript sorgfältig die Quellen der Zitate an, die er seinen Zuhörern zur Prüfung vorlegt und minutiös kommentiert. Wenn er den zitierten Text nicht reproduziert, gibt er sehr genau an, wo die untersuchten Zitate beginnen und enden, und zwar mit einem System von Referenzen zwischen seinem Typoskript und den Büchern oder Photokopien, denen er die Zitate entnahm. Falls diese bibliographischen Angaben einmal präzisiert oder vervollständigt werden mussten, so haben wir das auf der Grundlage von Derridas eigenen Photokopien oder den in seiner persönlichen Bibliothek konsultierten Ausgaben getan, was jedes Mal durch das Kürzel (A.d.H.) angezeigt wird. Falls die von ihm verwendete Ausgabe nicht auffindbar war, haben wir jene herangezogen, die uns am sichersten schienen.
Signifikante handschriftliche Ergänzungen, die Jacques Derrida am Rand des Typoskripts vermerkte, haben wir in Anmerkungen wiedergegeben. Falls uns eine grammatikalische Korrektur im Text unerlässlich zu sein schien, haben wir die Hinzufügung oder die Korrektur durch spitze Klammern angezeigt (< … >)14 oder in einer Anmerkung erläutert. Den spezifischen Charakter des Textes haben wir so genau wie möglich respektiert; er ist geprägt von seiner Bestimmung zum mündlichen Vortrag und folglich durch Charakteristiken im Rhythmus und in der Zeitstruktur, deren stilistische Modalitäten sich in der Syntax der Sätze und der Bewegung der Absätze niederschlagen. Eine minimale Überarbeitung auf der Ebene der Zeichensetzung wurde gleichwohl für unerlässlich erachtet. Um den mündlichen Charakter zu bewahren, geben wir auch alle Didaskalien beziehungsweise „Regieanweisungen“ wieder, die im Manuskript enthalten sind, wie zum Beispiel all die Hinweise „Lesen und Kommentieren“, die ein Zitat ankündigen sowie oftmals auch eine Darlegung, die während der Sitzung improvisiert wurde: Diese Hinzufügungen haben wir ausgehend von der Tonbandaufnahme immer dann in Anmerkungen integriert15, wenn sie für die im Gange befindlichen Ausführungen nützliche Einzelheiten und Präzisierungen boten.
Jacques Derrida besaß eine umfangreiche persönliche Bibliothek zur Todesstrafe; seine Anmerkungen in Büchern, wissenschaftlichen Aufsätzen, Zeitungsartikeln oder auch Publikationen von Amnesty International belegen eine umfassende und diversifizierte Dokumentation. In seinem Arbeitszimmer stehen diese Dokumente an passender Stelle, nämlich neben denjenigen, die die anderen Schreibprojekte betreffen, denen er sich zur selben Zeit widmete, insbesondere denen zu Berühren – Jean-Luc Nancy.16
Anders als bei einigen anderen Seminaren, die vor oder nach dem zur „Todesstrafe“ gehalten wurden, ist sehr wenig von Derridas eigenen Untersuchungen zu diesem Thema von ihm selbst in Frankreich veröffentlicht worden. Es sei jedoch festgehalten, dass er 1995, also vier Jahre vor Beginn des vorliegenden Seminars, das Vorwort zu < der französischen Ausgabe von > Live from Death Row von Mumia Abu-Jamal geschrieben hatte.17 Die einzige Publikation, die direkt mit diesem Seminar verbunden ist, war, wie bereits erwähnt, der Vortrag in Sofia, den Derrida der Zeitschrift Divinatio anvertraut hatte.
Man kann jedoch Derridas Ausführungen in Woraus wird morgen gemacht sein? Ein Dialog18 als eine regelrechte Synthese seines Seminars lesen; darüber hinaus sei darauf hingewiesen, dass Jacques Derrida einige Tage nach dem 11. September 2001 bei einer Zwischenlandung in Hong Kong (auf einem Umweg seiner China-Reise, wo es ihm nicht möglich war, sein Seminar offen zu präsentieren, zum einen aufgrund des Tabucharakters des Themas, aber auch aufgrund der Risiken, die seine Gastgeber und Freunde dadurch eingegangen wären19) es wagte, das Thema der Todesstrafe erneut zu diskutieren. Nach dem Zeugnis von Chan-Fai Cheung und Kwok-Ying Lau (Professoren des Philosophie-Departments der Universität, die für seinen Auftritt verantwortlich zeichneten) hielt Derrida dort über mehrere Stunden hinweg einen improvisierten Vortrag, in dem er die Frage der Globalisierung mit der der Todesstrafe kreuzte.
Wir danken Marguerite Derrida, die uns die Türen ihres Hauses öffnete und Zugang zu Jacques Derridas Bibliothek, seinen Büchern und seinen Arbeitsdokumenten gewährte. Ohne ihre warmherzige und aufmerksame Unterstützung hätte diese Arbeit nie vollendet werden können. Desweiteren danken wir Chan-Fai Cheung und Kwok-Ying Lau von der Chinesischen Universität in Hong Kong; François Borde und José Ruiz-Funes vom IMEC; den Herausgebern der beiden Bände des vorhergehenden Seminars, Séminaire La Bête et le Souverain, die Pionierarbeit leisteten und uns gleichsam als Führer dienten: Michel Lisse, Marie-Luise Mallet und Ginette Michaud; den jungen Forschern Delmiro Rocha, Federico Rodiguez Gomez und Beatriz Bianco sowie Cristina de Peretti für ihre Hilfe während der vergangenen vier Jahre; den zahlreichen Forschern des „Derrida Seminars Translation Project“ unter der Leitung von Peggy Kamuf; Eric Prenowitz für die Bereitstellung seiner Tonbandaufzeichnung des Seminars; Patrice Théry und Dominique Perrin vom Centre audivisuel et multimédia der Universität Lille 3 für die Digitalisierung der Audio-Dateien.
Geoffrey Bennington
Marc Crépon
Thomas Dutoit