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Vorbemerkung der Herausgeber
ОглавлениеMit dem vorliegenden Band wird das erste der beiden Studienjahre des Seminars von Jacques Derrida veröffentlicht, die er 1999-2000 und 2000-2001 dem Thema der Todesstrafe widmete. Dieses Seminar wurde im Rahmen des Programms „Philosophie und Epistemologie“ an der École des hautes études en sciences sociales (EHESS) in Paris gehalten, diente aber auch als Grundlage für Lehrveranstaltungen in den Vereinigten Staaten: für die Dauer von fünf Wochen im Frühjahr 2000 und 2001 an der University of California in Irvine sowie für die Dauer von drei Wochen im Herbst 2000 und 2001 an der New York University.
Dieses Seminar geht dem bereits veröffentlichten über „Das Tier und der Souverän“1 unmittelbar voraus. Es gehört zu einem größeren Ensemble, das unter dem Titel „Le parjure et le pardon [Eidbruch und Vergebung]“ 1997-1998 begonnen und 1998-1999 fortgesetzt wurde, und das seinerseits Teil eines langjährigen Zyklus unter dem Titel „Questions de responsabilité [Fragen der Verantwortung]“ ist, der 1989 begonnen wurde und 2003 seinen Abschluss fand, dem letzten Jahr, in dem Jacques Derrida Lehrveranstaltungen abhielt.2
Das erste Studienjahr des vorliegenden Seminars war nicht eigens betitelt3; erst im Jahrbuch der EHESS 2000-2001, für das zweite Studienjahr also, wurde der Titel wie folgt festgelegt: „Questions de responsabilité (VIII. La peine de mort) [Fragen der Verantwortung (VIII. Die Todesstrafe)]“.4
Der aufmerksame Leser der Gesamtheit dieser sich über zwei Jahre erstreckenden Ausführungen über „die Todesstrafe“ wird leicht feststellen, in welcher Weise jedes einzelne Jahr strukturiert und die Gesamtheit der zweiundzwanzig Sitzungen komponiert ist. Es obliegt nicht uns, eine Interpretation zu liefern oder Bemerkungen zu Besonderheiten in der Struktur dieses Ganzen zu machen. Gleichwohl sollte der Leser von Anfang an vor Augen haben, dass die Darlegungen, ja sogar die Gebiete oder die „Themen“ des ersten Bandes sich deutlich von denen unterscheiden, die das zweite Studienjahr des Seminars bilden. Wenn eine Gesamtlektüre auch gewisse Leitfäden zutage fördern kann, so darf sie gleichwohl nicht verdecken, auf welche Weise Derrida die beiden Jahre entsprechend der unterschiedlichen sie jeweils strukturierenden Reihen oder Unterreihen trennt, ganz zu schweigen vom (Text-)Korpus und den einzelnen Fachgebieten, die von einem Jahr zum anderen variieren. Derrida selbst liefert gewisse Klärungen zu Beginn des zweiten Seminarjahres sowie in den Zusammenfassungen, die er für die beiden Studienjahre jeweils verfasste. Wir laden den Leser dieses ersten Bandes daher ein, sich noch keine feste „Vorstellung“ von der Todesstrafe (beziehungsweise den Todesstrafen) gemäß Jacques Derrida zu bilden, solange der zweite Band, der sich vom ersten in vielerlei Hinsicht unterscheidet, noch nicht erschienen ist5.
Hier nun das Resümee, das Jacques Derrida vom Seminar des Jahres 1999-2000 gab, um das es uns hier geht:
Die Problematik, die wir in den letzten beiden Jahren unter diesem Titel < „Le parjure et le pardon [Eidbruch und Vergebung]“ > in Angriff genommen haben, hat uns dahin geführt, dieses Mal die große Frage der Todesstrafe in den Vordergrund zu stellen. Das war zumindest insofern notwendig, als die sogenannte Kapitalstrafe6 im unmittelbaren Bevorstehen einer irreversiblen Sanktion, zusammen mit dem, was als das Nichtvergebbare zu gelten scheint, auch die Begriffe der Souveränität (des Staates oder des Staatsoberhaupts – Recht über Leben und Tod gegenüber dem Staatsbürger), des Begnadigungsrechts usw. ins Spiel bringt.
Untersucht, zumindest auf präliminarische Weise, haben wir die Todesstrafe ausgehend sowohl von großen paradigmatischen Beispielen (Sokrates, Jesus, Al-Halladsch, Jeanne d’Arc) als auch von kanonischen Texten, von der Bibel über Beccaria, Locke, Kant und Victor Hugo – dem wir einige Sitzungen widmeten – bis hin zu Camus, Badinter und Genet usw., insbesondere auch juridischen Texten aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. In der Tat legen zahlreiche internationale Konventionen die Abschaffung von grausamen Strafen und von Folterungen, darunter der Todesstrafe, dringend nahe, ohne die Staaten je dazu zu verpflichten, deren Souveränität geachtet werden müsse. Wir haben uns für die Bewegungen zur Abschaffung der Todesstrafe7 interessiert, für ihre Logik und ihre Rhetorik, vor allem in den Vereinigten Staaten, deren jüngste, ja sehr aktuelle Geschichte zahlreiche Analysen erforderte – insbesondere seit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von 1972, der die Anwendung der Todesstrafe für verfassungswidrig erklärte („cruel and unusual punishment“), bis hin zur spektakulären erweiterten Wiederaufnahme der Exekutionen von 1977 an, etc. Wir haben der Ausnahme der Vereinigten Staaten viel Aufmerksamkeit gewidmet.
In unserer Fragestellung waren durch die untersuchten Texte und Beispiele hindurch drei problematische Begriffe vorherrschend: die Souveränität, die Ausnahme und die Grausamkeit. Eine weitere Leitfrage lautete: Warum haben die Bewegung zur Abschaffung der Todesstrafe oder die Verdammung der Todesstrafe in ihrem Prinzip bisher (fast) nie einen im eigentlichen Sinne philosophischen Platz gefunden in der Architektonik eines großen philosophischen Diskurses als solchem? Wie ist diese höchst signifikante Tatsache zu deuten?8
Einige Monate zuvor hatte er für die University of California in Irvine auf Englisch folgende andere Beschreibung des Seminars verfasst, das er dem amerikanischen Publikum im Frühjahr geben sollte: