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Der Bus hielt kurz an weil der Busfahrer jemanden fragen musste, wie er am besten zum Flughafen kam. Ich hörte das Wort „Flughafen“ und konnte mir nichts darunter vorstellen.

Als wir endlich angekommen waren, ahnte ich, was ein „Flughafen“ ist. Ich sah so etwas wie „metallene Vögel“ da rumstehen. Sie hatten an beiden Seiten feste Flügel, an die noch was Merkwürdiges angebaut war. Solche „metallenen Vögel“ kannte ich von Zuhause. Wir hörten sie am Himmel zum Glück bevor wir sie sehen konnten. Wir hörten sie schon wenn sie noch hinter den Bergen waren und wir sie noch nicht sehen konnten. So blieb uns immer noch genügend Zeit um in Deckung zu gehen, denn diese Maschinen warfen Metallklumpen auf unser Dorf ab, die mit lautem Knall und viel Feuer auseinanderplatzten. Die „metallenen Vögel“ hier am „Flughafen“ waren nicht in der Luft, sondern standen scheinbar friedlich da rum. Der Bus fuhr vor ein großes Gebäude und hielt. „Endstation! Alle hier aussteigen! Seht zu wie ihr weiterkommt!“ rief der Fahrer in den Bus hinein. Alle Insassen sammelten ihre wenigen Habseligkeiten ein und verließen einer, eine nach der anderen den Bus. Einige gingen zielstrebig auf den Eingang des Gebäudes zu. Sie wussten wohl Bescheid. Ihnen war bekannt, wie es für sie weiterging. Als ich den Bus verlassen hatte, stand ich mit etlichen Mitreisenden daneben, und ich hatte keine Ahnung wie es jetzt mit mir weitergehen sollte. Es dauerte jedoch nicht lange da kam ein etwas merkwürdig aussehender- Vater hätte uns vor ihm gewarnt- Mann auf uns zu, stellte sich zu uns und stellte fest: “ Ihr wisst nicht wie es mit euch weitergehen soll, oder? Vielleicht kann ich euch weiterhelfen. Na wie wäre das?“

Keiner von uns kannte den Mann oder hatte ihn auch nur vorher mal irgendwo gesehen. Aber was sollten wir machen? Wir schauten uns sprachlos an bis schließlich einer das Wort ergriff:“ Wie könnten Sie uns denn helfen?“. „ Sie können ruhig du sagen. Wie sie hören spreche ich Ihre Sprache und kann ihnen ansehen, dass Sie aus Afghanistan kommen. Vielleicht könnte ich ihnen ein Weiterkommen ermöglichen. Wo soll es denn hingehen?“, antwortete der Fremde. „ Wir wissen nicht genau wohin wir wollen. Was wir genau wissen ist: Wir wollen nicht zurück!“, antwortete einer der herumstehenden Reisenden. „Was müssen wir tun, damit sie uns helfen weiterzukommen?“, fragte ein anderer Mann. Die mitgereisten Frauen und Kinder schwiegen vor sich hin. Sie überließen die Verhandlungen den Männern. Der Mann bot an, jedem die Weiterreise zu ermöglichen, der bezahlen würde, also der genug Geld oder andere Wertsachen dabei hatte. Obwohl ich noch kein Mann war, konnte ich zu mindestens so viel von dem Gespräch, den Verhandlungen, verstehen. Einige fragten gleich nach dem Preis, andere wühlten in ihren mitgebrachten Sachen nach möglicherweise brauchbarem oder noch besser wirklich wertvollem, das man entbehren konnte. Alle wollten nur eines, hier weg, einfach weiter, egal wohin. Die Preise des „Reisekaufmanns“ richteten sich, nach meinen Beobachtungen, zum einen nach dem dem einzelnen Riesenden zur Verfügung stehenden Geld oder anderen brauchbaren Wertsachen und zum anderen nach dem persönlichen Wohlwollen. Da gab es wohl einige, die er besser leiden konnte, -warum auch immer-, und schon gab es einen günstigeren Preis, Hauptsache die „Reise“ ging weiter.

Ich schaute an mir runter und stellte fest: Da gab es aber auch überhaupt nichts, was den „Vermittler“ hätte ein wenig zum Nachdenken bringen können. Hätte ich da schon gewusst, was ich später alles erfuhr im Hinblick auf die Blätter und Äste in meiner Hosentasche, es wäre für mich ein leichtes gewesen, den „Vermittler“ zu überzeugen und weiterzureisen. So aber musste ich mir eine Möglichkeit suchen. Zum Glück war ich nicht der einzige, der weiter wollte, aber keine Möglichkeit dazu sah. Auch andere, die schon mit im Bus gesessen hatten, sollten hier scheinbar steckenbleiben. Für sie schien die „reise“ zu Ende. Eine ältere Frau, in schwarze Tücher gehüllt, saß auf einem Stein am Straßenrand, und ich konnte sehen, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen. Ob sie wohl auch nicht weiter reisen konnte. „Sie sehen so traurig aus. Ist ihre Reise hier auch zu Ende?“ fragte ich vorsichtig. Sie schaute mich aus dunklen, traurigen Augen an und nickte leicht. Plötzlich aber begannen ihre Augen zu leuchten. „Könntest du dir vorstellen, die nächsten Tage ständig in meiner Nähe zu sein und für mich die Dinge zu tun, die ich nicht mehr tun kann?“ fragte sie und fuhr fort „Wir zwei zusammen könnten dann wahrscheinlich weiterreisen. Der da will mich nicht mitnehmen, weil er Angst hat, dass ich ihm zur Last falle. Mit dir an meiner Seite als ständigem Helfer würde er mich, nein uns, vielleicht mitnehmen.“ Das klang gut. So könnte meine Reise weitergehen. „Ja, das könnte ich mir natürlich vorstellen. Ich würde ihnen Tag und Nacht helfen so gut ich nur könnte. Sie würden mich dann mitnehmen?“ Meine Worte unterstützte ich mit einer tiefen Verbeugung. „Gut, dann hilf mir auf. Ich will noch Mal mit dem Mann reden.“ Auf meine Schulter gestützt erreichte die alte Frau den Mann und begann auf ihn einzureden in einer Sprache, die ich nicht verstand. Ich verstand doch nur die eine Sprache, die meine Eltern mit mir gesprochen hatten und die im ganzen Dorf zuhause verstanden wurde. Jetzt hörte ich ganz neue Laute und das Nicken des Gegenübers zeigte mir, dass er verstand, was die alte Frau ihm sagte. Sie redete unaufhörlich auf ihn ein, drehte sich ein wenig in meine Richtung und zeigte immer wieder auf mich. Ein wohl endgültiges Nicken seines Kopfes gab zu Verstehen, dass er mit dem Vorschlag der alten Frau einverstanden war. Sie kam mühsam, einen Fuß langsam und vorsichtig vor den anderen setzend auf mich zu, hatte ein feines Lächeln im Gesicht und zwinkerte mit dem rechten Auge. „Prima! Siehst du, es hat doch noch geklappt!“ sagte sie zu mir in der Sprache, die ich verstand. Diese Frau konnte sich in mehreren Sprachen verständigen. „Was haben sie ihm denn angeboten?“, fragte ich neugierig. Sie begann in ihrer Bekleidung zu wühlen und holte aus den Falten ihres Umhangs ein schön geschnitztes Holzkästchen hervor. Die fein geschnitzten Figuren waren kaum zu erkennen und ich fragte mich schon, wofür sie einen solchen Holzkasten überhaupt mit schleppte. Sie setzte sich wieder auf den Stein am Straßenrand auf dem sie bereits vorher gesessen hatte und begann mit zittrigen Händen vorsichtig das Kästchen zu öffnen. „Als ich fliehen musste habe ich gerade noch mein Kästchen mit meinen Schmuck an mich nehmen können. Ich habe es mit Inhalt von meiner Großmutter geschenkt bekommen. Sie hatte es schon von ihrer Mutter geschenkt bekommen. So alt ist es schon. Jahrelang habe ich es nicht aufgemacht.“ Gespannt wartete ich darauf, dass ich in das Kästchen hineinsehen konnte. Ich wollte doch wissen, was darin war. „Siehst du? Hier ist mein ererbter Schmuck drin.“ Sie zeigte mir stolz den Inhalt indem sie das Kästchen ein wenig schräg in meine Richtung hielt. „Ich glaube, ein Schmuckstück wird für unsere Weiterreise reichen.“, sagte sie und hielt eine goldene Halskette in die Höhe. „Ich sage dem Halsabschneider, ich hätte nur die eine Kette mitnehmen können und hätte sonst nichts mehr. Das muss ihm reichen. Du hältst besser überhaupt deinen Mund und versprich mir, dass du niemandem erzählst, was ich dir heute gezeigt habe. Es ist besser, du lässt mich reden.“ Wieder rief sie nach dem merkwürdigen Mann, dem „Vermittler“, zeigte ihm ihren Schatz und machte ihm klar, dass das für uns beide zur Weiterreise reichen müsste, sonst bekäme er gar nichts. Jetzt beugte er sich zu mir herunter und redete mit mir, welche Überraschung, in meiner Sprache. „Pass mal auf, du kleiner Hühnerdieb! Eines sage ich dir, die alte Frau hat für dich gebürgt, also lasse ich dich mitfahren! Aber wenn du nur einmal, auch nur ein bisschen, auffällst, bist du weg! Dann nehme ich dich nicht weiter mit! Hast du mich verstanden?“ Verschüchtert machte ich mich ganz klein und nickte mit dem Kopf. „Lass dich doch von dem nicht kleinkriegen! Seine Augen blitzten, als er meinen Schmuck sah! Genau den will er haben und er weiß ganz genau, wenn er dir auch nur das Geringste tut, bekommt er gar nichts!“ bemerkte die alte Frau lautstark zu mir.

Irgendwie vertraute ich der Frau, die ich doch eigentlich nicht kannte. Ich hatte sie nie vorher, auch nicht in der Nähe unserer Hütten gesehen. Umso mehr wunderte ich mich, dass sie mir half. Der einzige Grund für mich, ihr zu vertrauen war, dass sie meine Sprache sprach und ich sie verstehen konnte. Aber egal, Hauptsache so würde es für mich weitergehen. Ständig hielt ich mich in der Nähe dieser Frau auf. Sie war meine Fahrkarte zum Weiterkommen und ich durfte den Kontakt zu ihr nicht verlieren. „Bevor ihr weiterkönnt müsst ihr noch ein bisschen warten. Das Flugzeug wird bald kommen. Dann könnt ihr einsteigen!“ hörte ich den merkwürdigen Mann in unsere Richtung, in die Richtung der Wartenden sagen. Irgendetwas an dem Mann machte mich neugierig. Warum konnte ich ihm nicht vertrauen? So sehr ich mich auch bemühte, mehr über ihn zu erfahren, es gelang mir nicht. Keiner der anderen kannte ihn oder wollte ihn kennen. Ich schlich mich in seine Nähe. Vielleicht konnte ich ihn bei einem seiner Gespräche mit anderen Männern um ihn herum belauschen. Da gab es aber nichts Besonderes zu hören. Er sprach mit eigentlich nur mit den Männern, die auch weiterreisen wollten oder mussten.

Doch dann plötzlich tauchten zwei Männer auf, die nicht im Bus mitgefahren waren. Sie schauten sich suchend um bis sie ihn fanden. Dann kamen sie auch schon zielstrebig auf ihn zu. „Wie viel hast du eingenommen?“ hörte ich einen von ihnen fragen. „Die hatten nicht viel dabei. Hier habe ich noch ein Schmuckstück von einer älteren Frau angenommen. Sonst war nicht viel zu holen.“ Er antwortete schnell und gab ihnen alles, was er bekommen hatte, wohl hoffend, dass er die beiden zufrieden stellen konnte. „Los gib schon alles her, was du bisher bekommen hast!“ Sie nahmen ihm auch alles ab. „Wovon soll ich jetzt die Weiterreise für die da bezahlen?“ fragte er und zeigte auf uns. „Das ist uns sowas von egal!“ war ihre Antwort und sie verschwanden in der Dunkelheit so schnell wie sie gekommen waren.

„Wie geht es jetzt wohl mit uns weiter?“ wollte die ältere Frau von dem Mann wissen. „Weiß ich auch nicht! Die haben mir alles abgenommen.“ „Und wir sitzen jetzt hier. Können weder vor noch zurück! Was sollen wir denn jetzt machen?“ jammerte die Frau. „Ich guck mich mal um. Vielleicht kann ich was organisieren!“ rief der Mann uns -bereits im Weglaufen- zu. Auch er war von uns schon bald nicht mehr zu sehen. Da waren wir, wussten nicht weiter. So gab es für uns im Moment keine Möglichkeit weiter zu kommen, schon gar nicht mit einem Flugzeug. Was war eigentlich mit den anderen Mitreisenden geschehen? Was hatten die wohl besser gemacht als wir? Wir hatten keine Ahnung, hatten uns nicht mehr um sie sondern nur noch um uns selber gekümmert. Sie standen ein wenig abseits von uns und unterhielten sich scheinbar angeregt miteinander. Leise entfernte ich mich von unserer Gruppe mit der alten Frau und bewegte mich vorsichtig zu den anderen Mitreisenden aus unserem Bus. Beim Versuch möglichst nicht gesehen zu werden konnte ich nur lauschen. Dabei verstand ich zuerst nur Wortfetzen. Aber je näher ich kam, desto deutlicher konnte ich verstehen worüber sich die Menschen unterhielten. Sie hatten wohl nur ein Problem und das war, wie sie weiterkommen würden. Sie gingen wohl davon aus, dass sie zusammen bleiben konnten und gemeinsam weiterreisen würden. Aus ihren Gesprächen wurde deutlich, dass sie sich nur um sich selber zu kümmern gedachten und sie sich um uns und unser Weiterkommen keine großen Gedanken machten.

„Wir haben für die gesamte Reise bis nach Westeuropa, z. B. Deutschland bezahlt. Und nicht wenig! Der hat uns jetzt gefälligst auch dahin zu bringen!“ hörte ich den einen Mann wild gestikulierend sagen. „Wem sagen sie das? Uns hat er auch eine ganz schöne Menge Geld abgenommen. Der kann uns jetzt nicht hier sitzen lassen!“ meinte ein anderer. „Wir haben für eine Leistung bezahlt! Jetzt muss aber auch was passieren!“ schaltete sich ein noch ein weiterer Mann ein. Die Frauen und Kinder, die dabei standen, blieben stumm, sie sagten nichts sondern nickten nur, manchmal, um das von den Männern Gesprochene zu verstärken. Aber bis jetzt wusste noch keiner, wie es wohl weitergehen würde.

Samir

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