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Im Gebäude liefen viele Menschen, für mich waren es ganz schön viele, so viele hatte ich zuhause nie zusammen gesehen, scheinbar ziellos umher. Dicht bei meinen „Freunden“ aus dem Bus stehend beobachtete ich das geschäftige Treiben um uns herum. Ein anderer Junge, den ich schon dauernd während der Fahrt im Bus beobachtet hatte, drängte sich auf einmal an mich. Er suchte ganz bewusst meine Nähe, meine körperliche Nähe. Seine Kleidung war der meinen sehr ähnlich. Er hatte auch nur eine kurze, etwas zerlumpte Hose und ein fleckiges Hemd an. Seine Füße waren so nackt wie meine und auch nicht mehr die saubersten.

„Ich heiße Wahidi. Alle rufen mich nur Wadi. Du kannst mich auch so nenne, wenn du willst. - Ich will einfach in das Flugzeug wie die anderen!“ flüsterte er mir leise zu. „Und? - Ich heiße übrigens Samedin. Du kannst mich aber Sami nennen. Du willst auch ins Flugzeug? Dann geh doch einfach mit deinen Eltern!“ antwortete ich leise. „Ich habe hier keine Eltern. Meine sind zuhause geblieben, wenn sie überhaupt überlebt haben. Mein Vater hat mich ganz ohne was einfach in den Bus, der gerade vorbeikam, gesteckt!“- „Genau wie meiner mich!“ flüsterte ich ihm zu. Ich schaute langsam an uns beiden von oben nach unten und sah zwei etwas dürftig bekleidete, barfuß laufende Jungen, die nicht wussten was sie eigentlich hier machten, warum sie hier waren und wie es mit ihnen weiter gehen sollte. Vor uns stand eine Gruppe Erwachsener, etwas besser gekleidet, mit Gepäck, Koffern und Taschen. Die waren wohl schon zuhause länger auf diese Reise vorbereitet worden und mussten sie nicht unverhofft antreten.

Gedankenverloren kramte ich mit meinen Händen in meinen Hosentaschen, -Taschen hatte meine Hose-. „Wie heißt du eigentlich?“ fragte ich den anderen Jungen. „Das weißt du doch! Nenn mich Wadi!“ antwortete er leise. Als ich noch so in meinen Hosentaschen kramte hatte ich plötzlich eines der Blätter in meiner Hand. Ich zog meine Hand mit dem Blatt darin aus meiner Tasche, öffnete sie langsam und zeigte den Inhalt meinem neuen Bekannten, „Weißt du, was das ist?“ fragte ich ihn leise und zeigte auf das Blatt. „Nein, wie sollte ich. Ich hab so was noch nie gesehen!“ antwortete er, „Aber du wirst es mir bestimmt gleich verraten.“ „Pass mal auf, diese Blätter habe ich an einem Busch hinter unserer Hütte gefunden in der Nacht bevor ich von zuhause fort musste. Mein Vater hat mich einfach in den Bus geschoben kurz bevor der abgefahren ist. Ich hab die Blätter heimlich probiert. Sie schmecken komisch, aber sie haben eine tolle Wirkung! - Sie machen mich kleiner, wenn ich sie kaue!“, flüsterte ich ihm leise zu. „Du spinnst doch! So was gibt’s doch gar nicht! Seit wann können Blätter denn so was?“ entgegnete er mir im Flüsterton. „Wir können’s ja probieren. Wenn wir dann wirklich klein sind, verstecken wir uns in einer von den Handtaschen der Frauen vor uns in der Reihe!“ flüsterte ich ihm jetzt wieder zu. Wir stellten uns ganz vorsichtig direkt hinter eine der Frauen in der wartenden Schlange. Ich begann langsam eines der Blattstücke zu kauen. Schnell bemerkte ich eine Veränderung bei mir. Wadi war auf einmal viel größer als ich. Wenn ich aber mit dem Kauen aufhörte, kein Saft mehr aus den Blättern kam, kam meine Größenveränderung zum Stillstand. Ich konnte also genau meine Größe beeinflussen. Also hörte ich auf zu kauen. Jetzt war ich so groß als wäre ich der kleine Bruder von Wadi. Ich schaute an ihm hoch, zerrte an dem Ärmel seines Hemdes und machte ihm Zeichen, dass er auch endlich anfangen sollte zu kauen. Er verstand meine Zeichen nicht und schaute mich nur fragend an. So flüsterte ich ihm zu:“ Fang endlich an zu kauen! Wenn wir klein genug sind, verstecken wir uns in der Handtasche der Frau vor uns. Hast du mich verstanden?“ „Du hältst mich wohl für doof.“, antwortete er leise und begann zu kauen. Langsam wurde er kleiner. Bald hatte er die gleiche Größe wie ich. „Wir müssen noch eine Runde kauen, damit wir noch kleiner werden. So passen wir in keine Handtasche! Hast du mich verstanden?“, raunte ich Wadi zu. Er hatte wohl verstanden, denn er kaute bereits weiter. Wir wurden immer kleiner. Niemand in der Halle hatte bemerkt, dass es uns kaum noch gab. Wir waren aus der wartenden Menschenschlange verschwunden und waren wohl zur Toilette gegangen. So musste es jedenfalls für einen oberflächlichen Betrachter aussehen. Je kleiner wir wurden, desto mehr blieben wir ganz dicht zusammen. Keiner wollte den anderen verlieren. Schnell waren wir klein genug um in der Handtasche vor uns verschwinden zu können. „Wir kriechen besser in die vordere Seitentasche!“ flüsterte ich Wadi leise zu. „Warum nicht mitten in das große Mittelfach?“ antwortete er leise in mein Ohr. „Weil wir vielleicht getrennt würden, wenn sie darin irgendetwas sucht und alles durcheinander bringt. Außerdem gucken Polizisten oft gerade mitten in die Handtaschen oder ein Taschendieb klaut irgendetwas aus der Tasche und aus Versehen einen von uns. Was dann?“ raunte ich ihm gerade noch zu bevor wir schnell in die vordere Seitentasche krochen. Wir drängten uns möglichst klein in eine der äußersten Ecken. Hier war die Wahrscheinlichkeit, dass man uns finden würde am kleinsten. Dunkel war es in der Tasche und wir mussten uns erst einmal zurecht finden. Die Seitentasche war größer als ich es mir vorgestellt hatte. Wir mussten höllisch aufpassen. Zum einen durften wir nicht zu dicht zusammensitzen, zum anderen wollten wir uns aber auch nicht verlieren. Also hockten wir uns so in eine dunkle Ecke, dass wir bei ausgestreckten Armen gerade gegenseitig unsere Hände berührten. Die Tasche begann zu schaukeln. Für uns ein Zeichen, dass sich die Trägerin der Tasche bewegte, dass sie vorwärts ging. Ich versuchte im Futterstoff ein bisschen nach oben, zum Reißverschluss, zu klettern, um wenigsten Mal sehen zu können, was draußen gerade passierte. Zuerst rutschte ich immer wieder auf oder besser an dem Futterstoff ab und landete unten in der Tasche direkt neben Wadi. Ich tastete den Futterstoff ab und fand schließlich eine Naht. Hier war der Stoff zusammengenäht worden. Das war für mich die Chance. An der Naht fand ich den nötigen Halt um nach oben klettern zu können. An der Ecke der Seitentasche erreichte ich den oberen Rand der Seitentasche und konnte zu mindesten ein wenig beobachten, was da gerade vor sich ging. Die Schlange der Wartenden hatte sich langsam in Richtung der Sicherheitskontrollen in Bewegung gesetzt. Das war der Grund für das von uns bemerkte Schaukeln. Eigentlich war ich ganz froh, als ich bemerkte, dass es langsam weiterging. Vor der Sicherheitskontrolle hatte ich jetzt kaum noch Angst. Ich flüsterte Wadi, der unten hockte, zu, dass wir uns jetzt möglichst klein machen müssten, damit wir auf keinen Fall bemerkt würden. Auch nicht, falls man gerade die Seitentasche genauer untersuchte. Aber noch war die Frau mit „unserer“ Tasche nicht an der Reihe. Ganz langsam nur bewegte sich die Menschenschlange vorwärts. Ich war an der Naht hoch gekrochen, um ein wenig aus der Tasche heraus beobachten zu können, was draußen passierte. Von Zeit zu Zeit musste ich Wadi, der unten auf dem Boden der Tasche in einer Ecke kauerte, Bericht erstatten. Dabei war ich besonders vorsichtig, sowohl bei meinen Bewegungen als auch bei der Lautstärke meiner Sprache. Zum Einen, um den Umstehenden nicht durch Bewegungen aufzufallen, zum Anderen um nicht gehört zu werden. Man hätte mich ja bemerken können. Es war für mich überaus interessant zuzuschauen was auf einem Flughafen so alles passierte. Die Menschen vor uns in der Schlange der Wartenden verhielten sich ganz unterschiedlich. Die Einen waren ungeduldig. Ein Mann schaukelte von einem Fuß auf den anderen, so als wolle er vermeiden, dass einer seiner beiden Füße einschliefe. Eine Frau ging mal nach der einen Seite aus der Schlange, mal nach der anderen Seite. Dann stellte sie sich hin, schaute die Schlange entlang, zuerst nach vorne, dann nach hinten. So als könne sie mit ihren Blicken die Schlange verkürzen. Dabei hätte ihr eine Verkürzung nach hinten keinen Vorteil gebracht. Langsam aber sicher bewegte sich die Reihe wartender Menschen auf den Ausgang zu. „Gleich sind wir draußen!“ raunte ich leise Wadi zu. „Was!“ fragte er fast zu lautstark zurück. Ich legte meinen Zeigefinger auf meinen geschlossenen Lippen als Zeichen leise zu sein. Er verstand sofort und flüsterte nochmal:“Was?“ „Wir sind gleich draußen!“

Bevor man durch den Durchgang, die Ausgangstür, gehen durfte, wurde man nochmals gründlich untersucht. Besonders gründlich jede einzelne Person, die durch wollte. Deshalb ging es auch nur so langsam voran. Aber endlich kamen auch wir dran. Ich rutschte an der Naht zurück bis auf den Grund der Seitentasche. Da wartete Wadi bereits auf mich. „Pass auf! Die Frau, bei der wir in der Handtasche sitzen wird jetzt untersucht. Wir müssen uns ganz klein machen und dürfen auch nicht so dicht beisammen hocken, damit uns niemand auch nur fühlen kann. Hoffentlich können wir nicht gesehen werden.“ flüsterte ich Wadi zu. „Am besten wir verstecken uns in den Falten des Futterstoffes! Hast du mich verstanden?“ Wadi nickte, kroch schon langsam ein Stückchen von mir fort und machte sich in einer Falte des Futterstoffes ganz klein. Wenn ich nicht gewusst hätte, wo er sich versteckt, ich hätte ihn nicht finden können. Ich merkte gerade wie die Frau ihre Handtasche abstellte als die Vortasche auch schon weit geöffnet wurde. Schnell verbarg ich mich in einer Falte, so dass ich auch nicht gesehen werden konnte. Bevor die Seitentasche wieder geschlossen wurde hörte ich noch jemanden etwas sagen, das ich nicht verstand. Die Tasche wurde wieder hoch genommen und von der Frau durch die Tür getragen. Die Überprüfung war wohl zu Ende. Wadi kroch langsam aus seinem Versteck hervor. Auch ich traute mich wieder hinter der Falte hervor. „Wir bleiben besser noch eine Weile klein. Wir kommen doch sonst nicht mit in das Flugzeug, “ bedeutete ich Wadi. „Ich will aber wieder richtig groß sein, “maulte er herum. „Das geht jetzt nicht. Oder willst du hier bleiben? Musst du nur sagen. Dann bleibst du hier und musst eine Menge merkwürdiger Fragen beantworten. Ob dir das jemand glaubt kann ich mir nicht vorstellen. Sie werden dich als Spinner abtun und in eine Heilanstalt bringen. Also bleib mal lieber klein, “sagte ich leise aber eindringlich zu ihm. Er hatte mich wohl verstanden, denn er machte keinen weiteren Versuch, seine Größe zu verändern. „Pass auf! Ich hangele mich noch mal an der Futterfalte hoch, damit ich rausgucken kann. Hoffentlich ist der Reißverschluss geöffnet. Ich will doch mal sehen, ob wir jetzt endlich ins Flugzeug kommen.“ Kaum hatte ich das gesagt begann die Tasche auch schon wieder zu schaukeln. Ich konnte mich gerade noch an der Falte festhalten und langsam weiter nach oben kriechen. Oben angekommen konnte ich beobachten, wie sich die Menschenschlange auf die Treppe zum Flugzeug zubewegte. Männer und Frauen schlurften schweigend eine hinter der anderen vor sich hin. An der Treppe angekommen stiegen sie langsam Stufe für Stufe hinauf. Die Besitzerin unserer Tasche, die ja nichts von uns, den kleinen blinden Passagieren, wusste, stieg auch die Treppe hinauf und ging dann, im Flugzeug angekommen, durch den Mittelgang zu ihrem noch freien Sitzplatz. Ein letzter Blick auf das Papier in ihrer Hand und sie hatte den richtigen Sitz gefunden. Die Tasche stellte sie neben ihre Füße auf den Fussboden. Vorsichtig rutschte ich wieder an der Naht in das Innere der Seitentasche und berichtete Wadi von meinen Beobachtungen. „Wir sind jetzt endlich im Flugzeug. Aber wir sollten klein bleiben, damit wir sicher sind. Wo sollten wir auch hin, wenn wir plötzlich in voller Größe im Flugzeug stünden? Komm, lass es uns gemütlich machen, dann überstehen wir den Flug am besten.“ Wir versuchten es uns so gemütlich zu machen wie nur möglich. Um nicht zufällig entdeckt werden zu können, die Frau würde vielleicht gerade mal was in der Vortasche ihrer Handtasche suchen, rollten wir uns ganz klein zusammen. So würden wir uns anfühlen wie kleine Schmutzkügelchen, Sand oder auch sonstige Fusselreste in der Tasche. So ging der Flug ohne Störung für uns vorbei. Nachdem wir gestartet waren schlief ich zufrieden und erschöpft ein. Ich wurde wach durch das Geräusch der aufleuchtenden Zeichen für die Passagiere, dass das Flugzeug gelandet war.

Samir

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