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Auf dem Schiff «Augusta»

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Der Hafen von Piräus war noch nicht zur Ruhe gekommen, als Milon, sein römisches Schiff suchend, am dunklen Gestade umherirrte. Schiffsleute kehrten aus Weinstuben zurück auf ihre Schiffe. Zwei Betrunkene torkelten fluchend durch die Finsternis, weil sie ihr Boot nicht fanden. Vorbeihuschende Fackeln erhellten für Augenblicke einzelne Gesichter. Wo sollte Milon, der nicht einmal den Namen des gesuchten Schiffes kannte, es jetzt in der Nacht finden? Als wiederum ein Fackelträger ihm entgegenkam, redete er ihn an:

«Kannst du mir sagen, wo ich das römische Schiff finde, das morgen nach Rom ausfährt?»

Der Angesprochene, ein älterer Seemann, antwortete:

«Die Römerschiffe fahren zumeist im vorderen Hafen ab, da sie größer sind als die Fischerboote, die hier im hinteren Hafen anlegen. Geh nach vorne!»

So begab sich Milon weiter meerwärts; doch war nur langsames Gehen möglich, da man auf Schritt und Tritt über Steine, Pflöcke und Taue stolperte. Von hinten nahte eine Gruppe Männer mit Fackeln.

Denen schließe ich mich an, dachte Milon.

Er ließ die Schar Seeleute an sich vorüberziehen. Ihm fiel auf, wie stumm diese meist jungen Leute daherkamen, eine Schar von Sklaven, mit Gepäck, wohl an die dreißig. Plötzlich gewahrte er in ihrer Mitte seinen Freund Tyrios, den er längst auf dem römischen Schiff wähnte. Im Augenblick war er neben ihm her und flüsterte: «Tyrios, ich bin da!»

Der Angesprochene wendete rasch den Kopf. Ein Freudenschimmer überflog sein Antlitz. Mit gedämpfter Stimme antwortete er:

«Milon, den Göttern sei Dank, dass du gekommen bist! Halte dich dicht bei mir. Der Händler kommt mit den Aufsehern kurz hinter uns nach. Er ist schlecht gelaunt, weil du und zwei andere nicht zu Hause vorgefunden wurden. Nun muss er morgen früh nach den Vermissten aussenden. Vorher kann das Schiff nicht ausfahren. Den Kaufpreis hat er für alle schon bezahlt.»

«So laufe ich jetzt mit dir und schleiche mich ein mit euch allen.»

«Das geht nicht», versetzte Tyrios, «unsere Namen sind auf einer Wachstafel aufgeschrieben worden. Sobald wir zum Schiff kommen, melde dich beim Händler an. Wir mussten lange warten in der Stadt beim Marktplatz, bis alle zusammengebracht waren. Nun bist du uns gar zuvorgekommen. Pass auf! Wir nähern uns dem Schiff. Die vordersten Fackelträger sind stehen geblieben.»

Ein breit ausladendes Segelschiff ragte aus dem Dunkel empor, vom Fackelschein dürftig beleuchtet. Rufe erschollen, eine Leiter wurde herabgelassen. Die Sklavenschar erstieg auf angelegten schiefen Balken den Schiffsbauch, indes vorn ein Aufseher einen jeden nach der Wachstafel verzeichnete.

«Jetzt ist der Augenblick», sagte Tyrios zu Milon, «dass du dich hinten beim Händler und Schiffsherrn anmeldest. Ich komme mit dir.»

Die beiden begaben sich unauffällig an das hintere Ende der Sklavenschar. Tyrios trat mit Milon zu dem römisch gekleideten Kaufmann und grüßte ergeben.


«Edler Herr», redete er ihn an, «hier ist mein Gefährte aus dem Hause des Midias, der eben auf einem Botengang unterwegs war, als du uns beide abholen wolltest. Nun ist er in aller Eile zum Hafen gekommen und bittet um Verzeihung für die ungewollte Säumnis.»

Nach Sklavenart warf sich jetzt Milon vor seinem neuen Gebieter nieder. Vor Erstaunen über die Höflichkeit und Wortgewandtheit des Tyrios blieb dem Händler der Mund offen. Er vergaß, seine Lederpeitsche zu ziehen, die ihm im Gürtel steckte, und meinte schließlich:

«Und wo sind die zwei anderen?»

Prompt erwiderte Tyrios:

«Darüber ist mir nichts bekannt.»

«Verdammte Kerle!», zischte der Händler. «Dieser da lasse sich auf der Wachstafel eintragen!»

Mit einer winkenden Gebärde des Händlers waren sie entlassen. Erleichtert begaben sich beide zum Einstieg, um sich den letzten Sklaven anzuschließen.

Vom Verdeck des Schiffes mussten sie sich alsbald über eine Art von Treppe in das Schiffsinnere hinablassen, wo ein nackter Holzboden und gähnende Finsternis die Sklaven zur Nachtruhe erwartete. Das mitgebrachte Kleiderbündel diente als Kopfkissen. Beim Aufsuchen eines freien Platzes hielten sich Milon und Tyrios bei der Hand, um einander nicht zu verlieren. Bei jedem zweiten Schritt stießen sie an Menschenkörper. Da und dort setzte es einen Fausthieb und einen Fluch, wenn ein Nachtwandler einem Liegenden auf den Magen trat. Endlich hatten alle sich in die Kreuz und Quere gelagert. Das Reden und Fluchen verstummte. Erste Schnarcher gaben ihre Geräusche von sich. Der Geruch von Schweiß und Pech durchdrang stickend die Luft. Milon flüsterte Tyrios zu:

«Unsere Reise beginnt in der Unterwelt; fehlt nur der Höllenhund Kerberos mit den drei Köpfen und dem Schlangenschwanz!»

Die ungewohnte, missliche Lage vermochte nicht, den beiden Jünglingen den Humor zu nehmen. Milon nestelte aus seinem Bündel zwei Honigbrote, die Agaja ihm eingepackt hatte, und reichte eines seinem Gefährten:

«Hier, nimm etwas Götterspeise, so weißt du auch, dass der Hades uns noch nicht verschlungen hat!»

Nach einer Weile flüsterte Tyrios:

«Milon, hast du die Buchstaben lesen können, die auf das Schiff geschrieben sind? Du hast doch bei Alkides die griechischen und die römischen Zeichen gelernt.»

«Ja, ich sah sie wohl, aber ich weiß nicht, was der Name bedeutet. Das Schiff heißt ‹Augusta›. Vielleicht ist es der Name einer römischen Göttin. Vielleicht führt sie uns vom Hades ins Elysium, in die Welt der Seligen.»

Eintönig plätscherten die Wellen ans Schiff; bald breitete sich Schlaf über die müden Sklavenaugen.

Am frühen Morgen herrschte in Piräus ein reges Treiben. Mit der ersten Morgendämmerung war von der «Augusta» ein Aufseher mit zwei Gehilfen an Land gegangen, um oben in Athen die vermissten Sklaven abzuholen. Als sie mit ihnen zurückkehrten, stand die Sonne schon hoch am Horizont. Eine günstige Brise wehte, sodass sich die aufgezogenen Vorsegel meerwärts blähten. An eine Kette gefesselt erstiegen die beiden Verspäteten die Schiffsleiter. Oben wurden sie mit Peitschenhieben empfangen. Der Schiffsherr schnaubte vor Wut und gebot, dass die Geprügelten für die ganze Dauer der Meerfahrt unten im dunklen Schiffsraum angebunden würden. Milon erschauerte bei dem Gedanken, dass er jetzt der Dritte an der Kette sein könnte. Voll Mitleid sah er die Unglücklichen auf einer Leiter ins Dunkle hinuntersteigen.

Wie immer, wenn ein größeres Schiff ausfahren will, versammelte sich eine Menge von Neugierigen in der Schiffsnähe. Rufe ertönten, letzte Kommandos zum Lösen der Taue wurden erteilt. Als das Schiff schon ablegte, eilte ein altes Weib herbei, schwarz gekleidet und hager. Sie goss beim Schiff aus einem kleinen Tongefäß etwas Öl ins Wasser und murmelte Worte in einer halb singenden Weise. Dazu schlug sie beschwörende Zeichen vor sich in die Luft und über das Wasser. Sie flehte zu den Göttern des Windes für gutes Geleit. Das geweihte Öl, das sie ins Wasser goss, sollte den Meergott Poseidon gnädig stimmen, dass er sturmfreie Fahrt gewähre. Dann trat die Alte einige Schritte vom Ufer zurück, beschattete mit der Hand die Augen vor den hellen Morgenstrahlen und rief mit kreischender Stimme zum Römerschiff hinauf:

«Milon! Milon!»

Da löste sich oben aus dem Schiffsvolk die Gestalt eines Jünglings, der behände am hinteren Mast mannshoch emporkletterte und mit einem hellen Tuch winkte, indem er es über seinem Kopf im Halbkreis hin und her flattern ließ.

Das letzte Segel ward aufgezogen, der Anker gelichtet, und sachte glitt die «Augusta» hinaus, dem offenen Meere zu. Die Alte schluchzte einen Augenblick auf, lief einige Schritte dem Schiffe nach, der Ufermauer entlang und flüsterte:

«Armer Milon, wo werden sie dich hinbringen? Deine Agaja wird dich nie mehr sehen.»

Das weiße Tuch erlosch auf dem Schiff. Da sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten konnte, setzte sich die Trauernde auf ein Gewirr von Schiffstauen nieder und jammerte still in sich hinein. Jedes Mal, wenn sie das Haupt erhob und auf das Meer schaute, war die «Augusta» ferner und kleiner geworden. Ein Fischerweib, das eben mit einem ledernen Beutel voller Fische vorüberging, die sie in Athen verkaufen wollte, erkannte in der Alten eine ihrer Kundinnen. Sie trat zu ihr:

«Agaja, was tust du hier im Piräus und weinst? Wollen deine Füße dich nicht mehr heimtragen? Komm, Agaja, ich geleite dich. Wir haben denselben Weg.»

Etwas beschämt, dass eine Bekannte sie hier in ihrer Erbärmlichkeit erkannte, erhob sich die Alte. Die Anteilnahme des Fischerweibes an ihrem Schmerz besänftigte sie, und sie erklärte:

«Ich habe unsere Knaben Milon und Tyrios zum Schiff gebracht. Sieben Jahre habe ich Milon auferzogen wie mein eigen Kind. Nun hat ihn unsere Herrin nach Rom verkauft. Dort fährt er auf dem Schiff dahin. Ich selber bin als Dienerin bei meinem verstorbenen Herrn alt geworden und kehre wieder zurück nach Delphi, woher ich stamme, zu meinem Bruder.»

Während sie sich auf den Weg machten, fuhr Agaja fort:

«Gerne geh ich mit dir zusammen nach Athen zurück. Lass mich zuvor in meinem kleinen Ölgefäß etwas von dem Wasser des Meeres mitnehmen, auf dem Milon jetzt seine weite Reise tut. Ich werde es täglich mit betenden Händen umschlingen.»

Mit diesen Worten begab sie sich wenige Schritte ans Ufer hin, tauchte das Gefäß ein und schob es wie ein kostbares Andenken unter ihren Arm. So wanderte Agaja mit dem Fischweib Richtung Athen. Von Zeit zu Zeit hielt sie an, um auf dem Meere das immer ferner schimmernde Segelschiff zu erspähen, bis es sich im letzten Glitzern der Wellen auflöste.

Milon und der Löwe

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