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Geheime Fracht
ОглавлениеTagelang war die «Augusta» unterwegs und segelte mit guten Winden um die Küsten des Peloponnes. Milon und Tyrios wurden mit einigen anderen Sklaven angelernt, an Masten und Tauen hochzuklettern, um die Segel bei wechselnden Winden anders zu legen oder einzuziehen. Dadurch bekamen sie auch Zutritt zum ständig bewachten Hinterdeck, wo die großen, rätselhaften Ballen, mit Tüchern und Stricken zusammengebunden, lagen. Niemand wollte wissen, was sie verhüllten. Verschiedene Vermutungen wurden geäußert. In einem war man sich einig, dass es kostbares Raubgut der Römer war, das sie aus Griechenland entführten. Waren es doch kaiserliche Soldaten, die sowohl am Tage wie in der Nacht Wache hielten.
Eines Abends, als Tyrios und Milon auf ihren Holzpritschen lagen im Innern des Schiffes, flüsterte Tyrios seinem Freund zu: «Die Nacht ist vom Mond erhellt, da ist’s mir nicht ums Schlafen. Wollen wir versuchen, auf das Hinterdeck zu schleichen, um zu erforschen, was sich in den Ballen für geheime Fracht befindet? Ich bin mehr als neugierig, was in diesen Tüchern und Fellen verhüllt mit uns übers Meer fährt.»
«Wir könnten durch die hintere Luke hinaufsteigen, die der Steuermann benutzt», schlug Milon vor. «Er sitzt aber auch zur Nachtzeit, wenn nicht alle Segel eingezogen sind, am Steuer. Er könnte uns bemerken beim Aussteigen.»
Tyrios erwiderte:
«Einer von uns müsste zuerst nur den Kopf zur Luke hinausschieben, um den Steuermann eine Weile zu beobachten. Er geht doch auch am Tage, bei Windstille, öfters hin und her und sitzt gern weiter vorn beim Wächter. Komm, Milon, wir wollen eine erste Erkundung unternehmen. Meine Haare sind dunkel. Ich strecke meinen Kopf ohne viel Gefahr, gesehen zu werden, zur Luke hinauf.»
Tyrios kroch von seiner Lagerstatt in den hinteren Schiffsraum, Milon ihm nach. Da es im Schiff alleweil irgendwo knackte und ächzte im Holzwerk, achtete niemand darauf, wenn die beiden gelegentlich im Vorwärtstasten an ein Brett oder an einen Pfosten stießen. Ein schwacher Schimmer verriet die Luke des Steuermanns. Tyrios stemmte sich aufwärts. Milon gewahrte, wie er sich plötzlich hinaufschwang. Nach einer kurzen Weile streckte Tyrios den Kopf durch die Öffnung hinab und flüsterte: «Komm nach! Der Steuermann ist weiter vorn beim Wächter!»
Als sich nun auch Milon hinaufschwang und in der kühlen, frischen Nachtluft auf Deck kauerte, überzeugte er sich ebenfalls, dass der Wächter und der Steuermann weiter vorn auf den Planken saßen und plauderten. So schien keine Gefahr zu bestehen, die geheimen Schätze anzuschleichen und zu erforschen. Die beiden drängten sich zwischen die mächtigen Ballen. Sie begannen, die Knoten der festverschnürten Stricke zu lösen, die grobes Gewebe und Lederhäute um die verborgenen Gegenstände zusammenhielten. Zwischendurch vergewisserte sich Tyrios, ob von Steuermann und Wächter keine Störung ihres Unternehmens zu befürchten sei. Milon hatte einen länglichen Ballen von mäßiger Größe erwählt, und den knüpften sie nun auf. Als von einem rundlichen Vorsprung die letzte Hülle sich löste, wäre ihnen beinahe ein leiser Aufschrei entfahren. Beim Glanz des Mondes erblickten sie das ernste, weiße Antlitz einer Marmorstatue, einer göttlichen Frau.
«Aphrodite», flüsterte Milon, «in schmutzige Tücher gehüllt, geraubt und entführt von den Römern!»
Die mondumschimmerte Schönheit des Antlitzes ergriff all seine Gefühle. Selbstvergessen umschlang er ehrfürchtig den kalten Stein. In seiner Erinnerung sah er Aphrodite, die Göttin der Schönheit, in einem kleinen Tempel Athens, von Säulen umgeben, Blumen zu ihren Füßen. Mitleid, Schmerz und Zorn stiegen in ihm auf, das Bild der Gottheit so frevelhaft erniedrigt zu sehen.
Indes hatte Tyrios bei einem andern Ballen die eine Hand unter die Hüllen schieben können und meldete:
«Auch hier, ein Kopf, ein Arm. Ich glaube, das Schiff ist voll geraubter Götter. Ich habe gehört, der römische Kaiser liebe es, in den Gärten seiner Villen und Paläste Götterfiguren aufzustellen.»
Stumm betrachteten die beiden eine Weile das marmorschimmernde Bildnis der Göttin, das Milon nun völlig von den Tüchern befreit hatte. Antlitz und Blick richtete die liegende Figur starr aufwärts zu den nächtlichen Gestirnen und dem hellen Mond.
«Aphrodite muss in Griechenland bleiben», sprach plötzlich Milon in das leise Rauschen der Wellen. «Was glaubst du, Tyrios, sind wir beide stark genug, sie unbemerkt über Bord ins Meer zu werfen, hier vor der Küste Griechenlands? Kein Römer soll ihre Gestalt mit höhnischem Blick entweihen!»
«Ich bin dabei!», flüsterte Tyrios, «doch wenn man uns entdeckt, wird es uns schlimm ergehen! Lass mich vorerst nach Wächter und Steuermann Ausschau halten!»
Behende wie eine Katze kroch Tyrios zwischen den verhüllten Figuren hindurch und kam bald mit dem Bescheid zurück:
«Die beiden liegen auf Schaffellen und reichen sich wechselweise den Weinkrug, lachen, grunzen und reden dummes Zeug. Sie sind vollauf beschäftigt. Wir können’s wagen.»
Das Standbild hatte nicht ganz die Größe eines natürlichen Menschen, und da die beiden Burschen sehr kräftig waren, gelang es ihnen ohne viel Mühe, es aufzurichten, wobei die untergeschobenen Tücher verhinderten, dass es auf dem Schiffsboden ein Geräusch gab. Einen Teil der schmutzigen Hüllen warf Tyrios vorab über Bord. Für ihn war das ein willkommener Streich. Für Milon jedoch schimmerte um das Götterbild etwas von erlebter Opferheiligkeit, und ihm war, als ob er für Griechenland und seine Götter eine gute und wichtige Tat verrichte: Aphrodite dem Meer und den Küsten des Peloponnes zu übergeben. Er entsann sich, wie Alkides ihm von der Göttin der Schönheit erzählt hatte, wie sie aus den Schaumfluten des Meeres aufgetaucht sei und Griechenlands Künstler zu schönen Werken inspiriert hätte.
«Aus griechischen Fluten stammst du, in griechische Fluten kehre zurück!», flüsterte Milon bei sich selbst.
Wie die Marmorgöttin nun leicht mit dem Schiffe schwankend in ihrer weißen Schönheit im Mondlichte stand, war er nahe daran, vor dem Bild in Anbetung niederzusinken; doch er fürchtete den Spott des Tyrios. Kräftig umschlossen jetzt die Jünglingsarme die Statue. Vorsichtig, halb schiebend, halb drehend, jedes Geräusch durch die Tücher dämpfend, brachten sie sie an den Schiffsrand heran. Sachte kippten sie die Figur über die Brüstung. Einen Augenblick lag sie in der Waage; dann stürzte sie abwärts in die nächtlichen Fluten. Beim Gleitsturz über den Schiffsrand schlug der Marmorsockel, auf dem die Göttin stand, aufs Holz. Ein lautes Poltern fuhr durch das Schiff zum Entsetzen der beiden Burschen. Wächter und Steuermann sprangen auf. Sie eilten zum Hinterdeck, von wo der Lärm gekommen war. Noch eben konnte Tyrios Milon niederreißen und mit ihm ins Dunkle zwischen die anderen Ballen kriechen. Das mitgezogene Tuch breitete er blitzschnell über sich und seinen Freund. Da standen auch schon Wächter und Steuermann ihnen so nah, dass sie ihre Füße hätten berühren können. Aufgeregt meinte der Wächter:
«Was mag dieser Lärm gewesen sein? Es dröhnte, als ob ein Mast bräche, und geht doch kein Wind.»
Der Steuermann antwortete:
«Kein Mensch hat diesen Lärm verursachen können. Ist wohl eine der Steinfiguren zur Seite gekippt? Aber dann müsste der Wellengang doch viel stärker sein und da liegen sie alle wie … – beim Orkus? Was ist hier? Ein leerer Platz! Lag da nicht heute Abend noch eine der Statuen? – Beim Orkus, hier spukt’s, die ist weg! Ich will ein Licht holen und die Sache näher untersuchen.»
Mit abergläubischem Schreck fiel der Wächter ein:
«Ich gehe mit dir ein Licht holen, hier hat sich was Unheimliches ereignet!»
Also eilten die beiden nach vorn, um dort unter Deck, wo stets zwei Ampeln brannten, Licht zu holen. Diesen Augenblick benutzten Tyrios und Milon, um in der Steuermannsluke zu verschwinden, wobei sie nicht vergaßen, den Rest der Tücher über Bord zu werfen, um alle Spuren ihrer Tat zu verwischen.
Als sie unten in Sicherheit lagen, schlugen ihre Herzen bis zum Hals. Tyrios war von unbändiger Freude über das gelungene verwegene Abenteuer erfüllt, sodass er vor Übermut seinem Freund noch einige Rippenstöße mit Faust und Ellenbogen versetzte. Milon war, als sich seine Aufregung langsam beruhigte, von tiefem Glück durchdrungen, die Göttin der Schönheit für Griechenland gerettet zu haben.
Droben auf dem Hinterdeck irrten noch eine Weile zwei Gestalten mit einem schwankenden Licht umher, leuchteten jeden Winkel aus und hielten wiederum am leeren Platze der entflohenen Göttin an. Scheu umherblickend meinte der Wächter:
«Sie ist weg und bleibt weg! Ich glaube, hier lag Aphrodite, die als besonders kostbar bezeichnet wurde. Mir ahnt nichts Gutes für unsere Überfahrt. Mit Korn und Öl, mit Wein und Hölzern bin ich oftmals übers Meer gefahren, doch nie mit Götterbildern. Mir bangt um unsere Ankunft in Italien.»
Der Steuermann fügte bei:
«Beim Orkus und dem Höllenhund Cerberus, das ist nicht mit natürlichen Dingen zugegangen. Wer weiß, ob uns nicht jede Nacht so einer aus den Tüchern auf und davon geht! Mir ist schon bange für morgen Abend. Lass uns wieder nach vorne gehen; das Steuer ist befestigt und bedarf keiner Wartung. Komm, lass die Ampel brennen. Ich fülle einen frischen Krug mit Wein.»
«Einverstanden», meinte der Wächter; «aber das versprich mir, dass von dieser Sache niemand etwas erfährt. Ich meine, eine Göttin mehr oder weniger, darauf kommt’s nicht an, und es wird wohl keiner merken, wenn’s bei dieser einen bleibt. Hilf mir, jene hölzerne Bank von da drüben hierher zu stellen auf den leer gewordenen Platz. So wird auch dem Schiffspatron die Flucht Aphrodites verborgen bleiben. Wenn man in Rom die Tücher abnimmt: wir wissen von nichts!»
Dabei blieb es. Wo Aphrodite geruht hatte, wurde eine roh gezimmerte Bank hingestellt. Abgetakelte Segeltücher fanden darauf Platz, die zuzeiten wieder gehisst wurden, wenn es lauere Winde gab, und niemand bemerkte die Flucht der Göttin.