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Seher auf Soma

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Die vedische Religion wurde von Drogen geformt. Die frühen Seher feierten eine Gottheit namens Soma, die mit dem Mond und einem mächtigen berauschenden Getränk gleichgesetzt wurde. Soma, sangen sie, ist der lohfarbene Bulle des Himmels, der Stier, der Adler am Himmel. Es fließt der potente Saft, Stütze der Himmel, die Stärke der Götter, dem die Menschen mit Freudenschreien huldigen müssen (ṚV 9, 76, 1). Soma gab Segen und Überfluss, Fruchtbarkeit den Rindern, Erfolg im Krieg, dem Adel Reichtümer und den Sehern Freude. Die Götter selbst nährten sich vom Soma, der ihre Quelle, Speise und Freude war: Soma, donnernd, hat die Götter erzeugt (ṚV 9, 42, 4). Die Einnahme von Soma bildete einen wesentlichen Teil der größeren Opferzeremonien und beeinflusste den Geist derjenigen, die die richtigen Rituale ‘sahen’ und die wahren Hymnen und Klänge ‘hörten’. Tatsächlich machte Soma die Seher. Der Gott wurde Pavamāna (Läuterndes Soma) genannt und sein süßer ambrosischer Saft Amṝta, ‘todeslos’ (unsterblich), das Elixier des Lebens.

Eine ganze Menge der frühen Riten wurde von Sehern empfangen (oder erfunden), die, wie wir uns vorstellen können, völlig weggedröhnt waren. Wenn wir dieses Sakrament verstehen wollen, stoßen wir auf Schwierigkeiten. Die Seher komponierten eine große Zahl von Hymnen, um den Soma zu feiern; der Ṛg Veda enthält ungefähr 120 davon, die meisten von ihnen im 9. Buch, das fast ausschließlich dieser Gottheit gewidmet ist. Nur Indra und Agni haben mehr Hymnen. Im Vergleich dazu: die Mehrheit der vedischen Gottheiten muss mit einem halben Dutzend oder weniger Hymnen auskommen. Soma taucht beständig auf, wenn Indra, der Donnerer, gepriesen wird, offenbar wurden die Riten mit seinem Segen gefeiert. Die Soma-Riten waren die wichtigsten Opferzeremonien der gesamten vedischen Epoche. Im Soma begegnen wir dem ersten Allheilmittel, dem ersten Unsterblichkeitselixier der indischen Lehre. Die Idee dieses Elixiers blieb noch lange erhalten, nachdem das Geheimnis des ursprünglichen Soma vergessen war. Nun waren sich die Seher durchaus darüber im Klaren, dass ihre Körper, egal wie viel Soma sie einnahmen, schließlich alterten und starben. In der vedischen Lehre wie in den späteren Traditionen, ist ‘Unsterblichkeit’ eine allgemeine Idee, die ‘hohes Alter’ bedeutet; das bevorzugte Optimum sind hundert Jahre. Die einzige wirkliche Unsterblichkeit, die Soma gewähren konnte, war eine Unsterblichkeit des Bewusstseins, das den Körper im Tod verließ und für eine Ewigkeit in Freude und Lustbarkeit zu Indras Himmel aufstieg.

Die Reinkarnation war damals noch nicht entdeckt (oder erfunden). Und auch hier ist das Bild nicht einheitlich: soweit überhaupt bekannt, hatten die Ārya mehrere, von einander abweichende Ideen, was die Seele nach dem Tod erwartet. Wenn man Glück hatte, sehr freigiebig war, ein tugendhaftes, kriegerisches Leben geführt, viele Opfer finanziert, teure Weihen absolviert und schmerzhafte Kasteiungen überstanden hatte und zuletzt streng diszipliniert einen stolzen Kriegertod starb, erwartete einen unter Umständen auch die absolute Transzendenz jenseits der Sonne oder jenseits von Sonne und Mond oder auch jenseits davon. Andere Leute lösten sich nach dem Tod in ihre Grundbestandteile auf oder stiegen hinauf zur Sonne, um darin zu verbrennen. Deren Essenzen konnten eventuell mit dem Regen zur Erde zurückkehren. Und für völlige Verlierer gab es auch schon ein paar simple Höllen.

Kompliziert wird es, wenn wir herauszuarbeiten versuchen, was für eine Art von Pflanze Soma war und wie sie zubereitet wurde. Die Soma-Riten umfassten einen großen Bereich von rituellen Aktivitäten. Sie wurden nicht oft durchgeführt, und der Verzehr der Droge war den Sehern vorbehalten, die die Zeremonien vollzogen. Hier müssen wir uns eine strenge Aufteilung vorstellen: die Könige und Adeligen, allesamt dem Kriegertum verpflichtet, waren die Auftraggeber der großen Opfer und gewannen dabei beträchtliches Ansehen, spirituellen Verdienst („Bonuspunkte“ könnte man sagen), die Gunst der Götter und eventuell Anspruch auf Transzendenz nach dem Versterben. Die Seher, Sänger und Priester führten die Riten und Opfer aus und kontrollierten dabei die Götter (und Adeligen). Noch nicht einmal den Königen und Adligen, den Einzigen, die sich angemessene Opfer leisten konnten, war es erlaubt, Soma zu kosten. Stattdessen bekamen sie einen Ersatz angeboten. Sie nahmen allerdings unter strenger Aufsicht aktiv am Ritual teil. Jedes Soma-Ritual begann mit der Zubereitung der Droge. Dies war eine immens komplizierte Angelegenheit, die Tage, manchmal Wochen der Vorbereitung erforderte. Allein das Pressen des Soma-Saftes nahm zwei bis zwölf Tage durchgängiger Zeremonie in Anspruch, gefolgt von weiteren zwölf Tagen der Opferungen. Fast ständig wurden Tiere geschlachtet und jedes Stadium des Ritus wurde von Gesängen und Rezitation von Hymnen begleitet. Die Soma-Riten waren umfassende Zeremonien, die eine große Auswahl an Ritualen beinhalteten. Sie erhoben den Opfernden (den Adligen, der das Ereignis bezahlte, und dessen Gattin) in einen fast göttlichen Status und brachten Segnungen für die ganze Gemeinschaft.

Die größeren Riten umfassten zahlreiche Akte der Hingabe, Reinigung, umfangreiche Bäder, Orakel, Vorbereitungen von Ritualplätzen, Tänze, einen symbolischen Kampf zwischen einem Ārya und einem dunkelhäutugen Śudra, einem ritualisierten Streitgespräch zwischen einem Gelehrten und einer Prostituierten, den öffentlichen Geschlechtsakt eines eingeborenen Paares, das Abschießen von Pfeilen zur Abwehr böser Einflüsse, Lieder, Musik und jede Menge Feiern. Die Priester hatten eine strikte Hierarchie, und es gab einen ausgefeilten Ritualplan, der perfekt zu befolgen war. Jede Hymne hatte eine spezielle Vortragsform und war in Segmente unterteilt, die spezielle metrische Formen erforderten, Intonation und Sänger von bestimmtem Rang. Hier begegnen wir auch den ersten Bījas (Keimsilben) und ‘heiligen Worten’ wie Oṁ und Huṁ, die für allgemeine Zwecke nützlich sind, und speziellen Worten wie Hīs, um Regen zu beschwören, und Ūrj für Bitten um Nahrung oder Macht. Natürlich bestand ein Teil der priesterlichen Macht darin, derartig umfassende Kenntnisse zu haben und diese dramatisch einzusetzen, um das eigene Bewusstsein und das der Anwesenden zu verändern. Ein Soma-Ritual verhieß Segen für die ganze Bevölkerung, gutes Wetter und erfolgreiche Raubzüge und Kriege. Und auch die Auftraggeber machten so einiges mit. Der reiche Sponsor und seine Gattin unterwarfen sich einem extrem anstrengenden Reinigungsritual, welches Dīkṣa bzw. Dīkṣā (‚Verlangen der Gottheit zu dienen‘ (?), Weihe, Initiation, Name einer Göttin) hieß. Noch heute wird der Begriff gerne für kleine Weihen und Vorinitiationen verwendet, obwohl sich die dazu gehörigen Rituale gründlich verändert haben. Heutige Dīkṣas sind oft nur Formalitäten mit ein wenig Hokuspokus. Die vedische Dīkṣa führte die Kandidaten an den Rand des Todes. Die Kandidaten wurden von Kopf bis Fuß in die Felle schwarzer Antilopen verschnürt und in einer engen Opferhütte direkt neben einem Zeremonialfeuer platziert. Dort trockneten und dürsteten sie den ganzen langen, heißen Tag vor sich hin. Zum Sonnenuntergang gab es einen kleinen Schluck Milch, und dann folgte die lange, heiße Nacht um den Kandidaten den Rest zu geben.

Die Periode der Dīkṣa konnte noch ausgedehnt werden, denn im vedischen Glauben war Kasteiung ein sicherer Weg zum Glück. Dazu gehörten etliche ungewöhnliche Bräuche. Die Kandidaten durften sich nur mit einem Antilopenhorn kratzen und waren verpflichtet zu schweigen; etwaige notwendige Äußerungen mussten als Gestammel hervorgebracht werden. Bestimmte Handgesten waren auch erlaubt. Wenn alles überstanden war, hatten der Sponsor und seine Gattin eine derartig intensive Vereinigung mit Agni, dem Gott des Feuers, vollzogen, dass all ihre vorherigen Sünden wie weg geblasen waren. Die Dīkṣa hatte sie zu Agni und Agni zu ihnen gemacht. Damit waren sie, nach der Ansicht der Priesterschaft, viel zu mächtig geworden. Um dann am tatsächlichen Soma-Opfer teilzunehmen, mussten sie wieder in den menschlichen Bereich zurück gebracht und ihrer göttlichen Macht entledigt werden. Dazu diente ein zeremonielles Bad im Fluss. Ähnliche Dīkṣa-Riten wurden übrigens auch vollzogen, um Menschen von Flüchen und Verhexungen zu befreien.

Da die Soma-Riten erstaunlich komplex sind, kann ich nicht einmal einen groben Umriss von ihnen liefern. Es wären mehrere hundert Seiten nötig, um alle Referenzen zu nennen und die ganze Prozedur zusammenzufassen. Für einen lesbaren Kurzbericht siehe Gonda (1960 : 149-162). Die Soma-Hymnen sind voller Rätsel. Wir lesen, dass der Soma von zehn in Gold gekleideten jungfräulichen Schwestern gepresst wurde. In der Realität waren die zehn Schwestern die zehn Finger eines Priesters, von denen jeder einen goldenen Ring trug. Solche Metaphern sind nur allzu verbreitet. Die Seher entwickelten so etwas wie eine mystische Geheimsprache, und die Dichter machten alles noch schöner (und komplizierter). Daher sind die Soma-Hymnen ohne Kommentare praktisch unverständlich. ‚Koitus‘ ist das Zusammenklatschen von Presssteinen und Brettern, ‚Regen‘ das Tropfen des Saftes durch die ‚Wolken‘ (filternde Stoffe). Soma sammelt sich im ‚Wald‘ (einem hölzernen Bottich), und er setzt die Rinder und Pferde frei (öffnet das Bewusstsein der Seher). Und das ist nur eine kleine Auswahl an Redewendungen, die in den Hymnen vorkommen. Die Indologen haben es nicht leicht. Im Laufe des letzten Jahrhunderts stritten viele Gelehrte darüber, was für eine Pflanze Soma gewesen sein mag. Soma wurde auf Bergen und Hügeln geboren. Er wurde gesammelt, rituell ‘gekauft’ – der Verkäufer wurde im Laufe dieses Prozesses rituell zusammengeschlagen – und in einem Streitwagen zum Ritualplatz gefahren, gefeiert wie ein König. Die Stängel wurden zwischen Brettern oder in einem Mörser zermalmt, zwischen heiligen Steinen gepresst, der Saft durch ein Sieb gefiltert, in Wasser gegeben und durch ein wollenes Tuch geseiht. Er wurde mit Milch und Quark von verschiedenen Arten von Kühen vermischt und nach ausgefeilten Regeln präpariert, gereift, geschöpft und eingenommen. Die meisten Hymnen beharren darauf, dass der reine Saft, so wie er durch das Sieb kommt, braun ist und deshalb (symbolisch) mit einer braunen Kuh bezahlt werden muss. Andere Hymnen nennen ihn fahl, gelb, golden, gelegentlich rot und manchmal grün. Soma war glänzend, klar, strahlend, schäumend und schmeckte süß. Was ziemlich widersprüchlich klingt.

Ein Kandidat, der Soma gewesen sein könnte, ist der Fliegenpilz (Amanita muscaria), wie der Pilzpionier R. Gordon Wasson im Jahre 1962 vorschlug. Fliegenpilze sind, richtig zubereitet, höchst halluzinogen. Der Pilz muss vor der Einnahme erhitzt werden, sei es durch Trocknung in starkem Sonnenschein, über einem Feuer oder durch Kochen, um die Ibotensäure, eine leicht psychoaktive, aber sehr unangenehme Substanz, in das fünfmal stärker psychoaktive Muscimol umzuwandeln. Roher Fliegenpilz ist bekannt dafür, Magenkrämpfe, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und andere unangenehme Erfahrungen zu verursachen und kann sogar tödlich sein (Stafford 1977, R. Schultes und A. Hofmann 1979, Alberts und Mullen 2000). In Sibirien pflegten Leute nach dem Fliegenpilzverzehr ihren Urin zu sammeln, da er noch fast die gesamten psychoaktiven Substanzen erhielt, die zuvor eingenommen wurden, und angeblich auch verträglicher war. Manche Fliegenpilze wurden so bis zu sechsmal recycelt, wobei nur wenig von ihrer Potenz verloren ging. Es gibt auch einen Verweis auf das Trinken von Urin im Ṛg Veda. Das Erhitzen kommt im Ṛg Veda seltsamerweise fast nicht vor. Es gibt nur eine Hymne, 9, 46, 4, die folgende Anweisung enthält: Menschen mit geschickten Händen, kommt hierher, nehmt die strahlenden Säfte, mit Mehl vermischt, und kocht mit Milch den beglückenden Trank. Was gegen die Identifizierung vom Soma mit dem Fliegenpilz spricht, sind die verschiedenen Farben des Saftes, welche nahelegen, dass wir es nicht mit nur einer einzigen Pflanze oder einem einzigen Pilz zu tun haben, und die häufige Feststellung, dass Soma süß schmeckt. Mehr als ein Jahrhundert lang haben Gelehrte nach ‘der’ Somapflanze gesucht. Mehr als hundert psychoaktive Pflanzen wurden vorgeschlagen.

Ein Kandidat, wilde Raute (Peganum harmala), könnte die altpersische Wunderdroge Haoma gewesen sein, deren Name mit dem Begriff Soma verwandt ist. Wilde Raute ist mild halluzinogen und steigert die Wirkungen anderer Drogen, erzeugt aber unangenehme Nebeneffekte wie Erbrechen, Übelkeit und, in Überdosen, Lähmung des Zentralnervensystems. Die Pflanze wird üblicherweise bei Räucherungen verbrannt und nicht eingenommen, und dies bei dem parsischen Hunza-Volk bis zum heutigen Tag. Andere Drogen, die Soma gewesen sein könnten, werden von Christian Rätsch genannt (1988), der vorschlägt, dass Soma ein allgemeiner Begriff für eine Gruppe von psychoaktiven Pflanzen gewesen sein könnte, was die Widersprüche in den Hymnen erklären würde. Dass die Kräuterkunde hoch entwickelt war, können wir im Atharva Veda sehen, einem Werk, das einer großen Auswahl von Pflanzen die erstaunlichsten Heil- und Zauberkräfte zuschreibt. Manche davon wurden wie Gottheiten verehrt. Die Einnahme kam oft vor, aber mindestens so häufig wurden Pflanzenteile als Talismane getragen.

Die Soma-Riten verloren schließlich ihre Bedeutung. Wasson vermutete, dass dies geschah, als sich die arischen Stämme von den kalten Bergwäldern des Himalayas entfernten, wo die Fliegenpilze in der Gesellschaft von Birken, Fichten und Kiefern wuchsen. Ich bezweifle das. Die Eroberung Indiens begann nicht im Himalaya, sondern in den warmen und flachen Flussländern des Punjab. Als sie in diesem Land siedelten, machten die Seher Soma und fuhren damit Jahrhunderte lang fort, während sie durch Indien zogen. Möglicherweise experimentierten sie die ganze Zeit mit den verfügbaren Pflanzen und entwickelten eine ganze Reihe verschiedener Somatränke.

Nebenbei bemerkt: das Somaritual mag ja der Höhepunkt der vedischen Opfertraditionen gewesen sein, aber es war nun wirklich nicht das einzige exzessive Ritual. Das Spektrum an Opferriten und die Anzahl der dazu benötigten, gut geschulten Ritualisten sind einfach nur erstaunlich. Und zu den täglichen und gelegentlichen Opfern, sowie den Ahnenkulten, kamen noch solche, die den Machtbereich eines Königs, mit dem Segen der Götter, ausdehnten. Am berühmtesten ist das Pferdeopfer (Aśvamedha). Dieses Ritual wurde nur von Großkönigen vollzogen, welche sich ihrer Sache wirklich sicher waren. Nach einem Jahr ritueller Vorbereitung wurde ein geweihter Hengst im Frühjahr Richtung Nordosten frei laufen gelassen; der König ließ ihn durch Späher, Elitekrieger und Prinzen verfolgen, die auf die Königswürde hoffen, denn dem Hengst durfte das ganze Jahr lang kein Leid geschehen. Der Hengst repräsentierte die Sonne, und manchmal auch Indras Wohlwollen: wohin er lief wurde das Land gesegnet. Dazu kamen noch hundert alte und kastrierte Pferde. Jetzt kam es darauf an, den Hengst mehr oder weniger freiwillig das Reich umrunden zu lassen. Er durfte nicht verletzt oder gefangen werden und auch nicht rückwärts laufen, denn das tut die Sonne auch nicht. Auf keinen Fall durfte er schlechtes Wasser trinken oder eine Stute begatten. Am Ende des Jahres wurde der Hengst behutsam zurück getrieben, mit Pusuṣa, der sich selber opfert, identifiziert, und schließlich nach langen Zeremonien zusammen mit den anderen Rossen erstickt. Dann legte sich die Königin neben ihn, der Penis des Hengstes wurde in ihren Schoß gelegt, beide wurden zugedeckt, und es folgte eine Zeremonie, die bei allerhand frivolen Äußerungen die ganze Lebenskraft der Sonne in den Schoß der Königin brachte. Weitere Riten folgten, und zwar reichlich viele, denn der Abschluss dieses Rituals benötigte ein weiteres Jahr voller Zeremonie und Festlichkeit. Für einen vedischen Großkönig war das Pferdeopfer die grandioseste mögliche Segnung.

Soweit zum rituellen Teil: wir haben es mit einem Ritus zu tun, der unter anderem das Land segnete, Fruchtbarkeit gewährte, die ganze Potenz von Sonne, Land und Hengst in den Schoß der Königin leitete und ein für alle Mal klarstellte, dass der König absoluter, gottgewollter Herrscher ist. Dieser gewann dabei einen nahezu göttlichen Status und ein langes Leben. Wenn man nur in den allgemeinen vedischen Texten liest, könnte man meinen, es handele sich vor allem um eine Bestätigung der Großkönigswürde. Im MBH sieht die Welt ein wenig realistischer aus. Schon bald lief das Pferd, freiwillig oder ein wenig gedrängelt, in fremdes Territorium. Das gab Großkönig Yudhiṣthira und seinem Bruder Arjuna das Recht, dieses Land mit göttlichem Segen anzugreifen und zu einzunehmen. Und da das Ross ‚zufällig‘ immer wieder auf Fremdland lief, wurde bei seinem Segenszug eine ganze Reihe fremder Reiche eingesackt. Interessanterweise haben wir es hier auch mit Ideen zu tun, die im Tantra und in der Magie fortlebten. Zum Beispiel bedeutet eine rituelle Umrundung eines Gebietes, darüber Macht zu gewinnen und daraus Segen zu erhalten. Man ‚jochte‘ sich quasi mit dem Land zusammen. Noch heute umrunden Pilger die heiligen Berge der Götter, um Verdienst, magische Kraft oder Befreiung zu gewinnen. Während der Hochzeit geht das Paar sieben Male ums heilige Feuer, was die Ehe bindend macht. Könige umrundeten ihr Land einmal im Jahr – ein Brauch der auch bei den Inselkelten belegt werden kann, um Macht zu demonstrieren und die kosmische Ordnung zu erhalten. Und wenn ein schlecht gelaunter tantrischer Adept Macht gewinnen wollte, konnte er das Land eines Königs rituell umrunden und dabei die ganze Kraft der Königswürde an sich reißen. Der König blieb, ohne zu wissen wie ihm geschehen war, als wertlose Hülse auf dem Thron, verlassen vom Segen der Götter, während all die Kraft seines Reiches auf den Adepten überging.

Es würde hier zu weit führen, all die erstaunlichen und hochentwickelten Opferriten der vedischen Zeit anzusprechen. Denken wir an die Grundlagen: in diesem Buch geht es um die Wurzeln des Tantra. Die vedischen Riten entwickelten sich und wurden dann, in einem bisher noch weitgehend unerforschten Prozess, allmählich von neuen religiösen Ansichten verändert und verdrängt. In der späten vedischen Epoche wurden die Opferzeremonien kleiner und billiger, und zu Beginn der upaniṣadischen Epoche um 800 oder 700 v.u.Z. hatte die Bedeutung der drogeninduzierten Ekstase stark nachgelassen. Stattdessen können wir eine Entwicklung der Methoden beobachten, die die Transzendenz durch Verinnerlichung zu erreichen suchten. Die Seher der Upaniṣaden kümmerten sich wenig um Opferungen, Drogen und Rituale und begannen, das Göttliche durch Fasten, Tapas (Askese), Atemübungen, Isolation und verschiedene Formen von Meditation zu suchen.

Kālī Kaula

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