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1.3.5 Die Frage nach der „Oralität“ antiker Gesellschaften

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Verknüpft ist dieses Alteritätspostulat sodann in produktionsorientierter Perspektive sehr häufig mit der Betonung der großen Bedeutung von „OralitätMündlichkeit“ für die antike Textkultur und insbesondere mit der Emphase, dass PublikationPublikation/Veröffentlichung in der Antike in erster Linie bedeute, dass ein Text erstmals „laut“Lautstärkelaut vorgelesen und damit in den Umlauf gebracht worden sei (entweder über AbschriftAbschrift des Vortrages oder über das ManuskriptHandschrift/Manuskript, das der AutorAutor/Verfasser aus seinen Händen gibt).1 Es ist erstaunlich, dass vor allem letzteres Postulat zumeist mit nur sehr selektivenUmfangselektiv Belegen aus den Quellen untersetzt wird und die Forschungen zum antiken BuchmarktBuch-handel gänzlich ignoriert bzw. die Evidenzen in den Quellen marginalisiert2 werden.

Die genannten Einzelaspekte haben dazu geführt, dass „ein Netz einander stützender und ergänzender Informationen geknüpft [worden ist], das [nicht nur] die Vorstellung vom lautenLautstärkelaut Lesen als vermeintlich sicheres Wissen von den Zuständen in der Antike verbuchen läßt“3, sondern auch bezüglich der anderen Punkte dieses Netzes:

 die antike Schrift als Abbild des Gesprochenen;

 die Schwierigkeiten der visuellenvisuell Dekodierung von scriptio continuaSchriftscriptio continua;

 ein relativ geringer Grad an LiteralitätLiteralität/Illiteralität; die grundsätzliche Alterität der antiken LesepraxisLese-praxis; die große Bedeutung von OralitätMündlichkeit für die Produktion und PublikationPublikation/Veröffentlichung von antiken Texten;

 und in Bezug auf die neutestamentlichen Texte: die mündliche Tradierung, welche den „mündlichen“ Charakter der Texte geprägt habe.

Das in diesem Netz erkennbare Grundnarrativ ist variantenreich auch in den Forschungsdiskurs über die Produktion und Rezeption von Literatur im frühen ChristentumChristentum eingeflossen und fungiert in Form von scheinbar gesichertem und nicht mehr zu hinterfragendem Wissen für eine Vielzahl von Forschungsfragen als hermeneutischer Rahmen. Exemplarisch war dieses Grundnarrativ in den Publikationen der Vertreterinnen und Vertreter des sog. Biblical Performance CriticismBiblical Performance Criticism zu sehenSehen (s. o. 1.1.2). An dieser Stelle sei auf Stimmen in der klassisch-philologischen Forschung verwiesen, welche die Betonung der Bedeutung von OralitätMündlichkeit für die antike Literatur bzw. die generalisierende These einer oral culture und die These mündlicher Tradierung von Literatur in der klassisch-philologischen Forschung mit guten Argumenten in Frage gestellt haben und eine klarere Differenzierung verschiedener Phänomene fordern, die gängiger Weise unter dem Label „oral“ subsumiert werden.4 Da das antike Konzept von PublikationPublikation/Veröffentlichung für die vorliegende Studie von einiger Relevanz ist, wird das antike Publikationswesen und seine Relation zum mündlichen Vortrag und zur Frage nach dem LesepublikumLese-publikum unter 5 zu besprechen sein.

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